E11 400.754-1/2008-6E
ERKENNTNIS
Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. Friedrich KINZLBAUER als Vorsitzenden und der Richterin Dr. Isabella ZOPF als Beisitzerin im Beisein der Schriftführerin Bettina Birngruber über die Beschwerde von B.M., geb. 00.00.1981, StA. Türkei, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 10.07.2008, FZ. 08 04.359-BAT, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Der angefochtene Bescheid wird gem. § 66 Abs. 2 AVG 1991 BGBl. I Nr. 51 i.d.g.F. behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
I. Verfahrensgang und Sachverhalt:
Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), seinen Angaben nach ein Staatsangehöriger der Türkei und Angehöriger der kurdischen Volksgruppe, reiste am 17.05.2008 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag beim Bundesasylamt einen Antrag auf internationalen Schutz.
Mit dem am 19.05.2008 per Telefax übermitteltem Schreiben wurde eine Vertreterbekanntgabe, wonach der BF die RAe Dr. Klaus KOCHER und Mag. Wilfreid BUCHER, Sackstraße 36, 8010 Graz, mit einer umfassenden Vertretungsbefugnis ausgestattet hatte, eingebracht (AS 33).
Im Zuge des Ermittlungsverfahrens brachte er (zusammengefasst dargestellt) als Fluchtgrund im Wesentlichen vor, er sei, weil er Mitglied der DTP sei und öfters das Parteilokal aufgesucht habe, von der Polizei verfolgt und im Februar 2008 zwei Tage lang angehalten worden. Drei Tage nach dem Newrozfest sei er und sein Vater im März 2008 wiederum zwei Tage unter Folterungen angehalten worden. Einige Zeit danach habe er, als er am Abend nach Hause gekommen sei, vor seinem Haus 4 bis 5 Polizeifahrzeuge stehen gesehen und habe sich - um jedes Risiko zu vermeiden - gleich nach Istanbul begeben.
Das Bundesasylamt hat den Antrag auf internationalen Schutz des BF mit Bescheid vom 10.07.2008, Zahl 08 04.359-BAT gemäß § 3 Abs. 1 AsylG abgewiesen und dem BF den Status des Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I). Gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei nicht zuerkannt und gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG wurde der BF aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Türkei ausgewiesen (Spruchpunkt III).
Begründet wird die abweisende Entscheidung durch das Bundesasylamt nach Feststellungen der Nationalität damit, dass sich "der festgestellte Sachverhalt aus der Vernehmung des Ast ergebe". Rechtlich führte das Bundesasylamt aus, dass der BF in seinem Heimatland keinen Verfolgungshandlungen im Sinne der GFK ausgesetzt gewesen sei und solche auch zukünftig nicht zu erwarten seien. Den geschilderten polizeilichen Anhaltungen fehle es an der notwendigen Intensität und sei daher nicht GFK relevant. Es könne auch nicht der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt werden, da weder vom Vorliegen einer realen Gefahr im Sinne von Art. 2, 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention ausgegangen werden könne, noch von einer individuellen allgemeinen Gefährdung. Zu Spruchpunkt III wurde rechtlich ausgeführt, dass der BF zwar bei seinem Bruder wohne und von diesem unterstützt werde, aber der mit der Ausweisung verbundene Eingriff gemäß Art. 8 EMRK notwendig im Sinne des öffentlichen Interesses an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung sei.
Der Bescheid des Bundesasylamtes, Zahl 08 04.359-BAT vom 10.07.2008 wurde am 15.07.2008 rechtswirksam den Vertretern des BF, RAe Dr. Klaus KOCHER und Mag. Wilfreid BUCHER, zugestellt (AS 249).
Mit Schriftsatz vom 22.07.2008 erhob der BF, vertreten durch RAe Dr. Klaus KOCHER und Mag. Wilfreid BUCHER, fristgerecht Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid (AS 235-245).
Die im erstinstanzlichen Bescheid enthaltene Sachverhaltsdarstellung wird hiermit zum Inhalt dieses Bescheides erklärt (zB. VwGH 4. 10. 1995, 95/01/0045; 24. 11. 1999, 99/01/0280; 8. 3. 1999, 98/01/0278; uva).
Der Asylgerichtshof hat durch den vorliegenden und nicht in Zweifel zu ziehenden Inhalt des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes einschließlich der Beschwerdefrist Beweis erhoben.
II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:
1. Mit 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl (AsylG 2005, BGBL. I Nr. 100 i.d.g.F. BGBl. I Nr. 4/2008) in Kraft getreten und ist auf alle ab diesem Zeitpunkt gestellten Asylanträge anzuwenden.
Gemäß § 61 Abs. 1 Asylgesetz entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten oder, soweit dies in Abs. 3 vorgesehen ist, durch Einzelrichter (1.) über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes und (2.) Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesasylamtes.
Gemäß § 22 Abs. 1 AsylG 2005 ergehen Entscheidungen des Asylgerichtshofs in der Sache selbst in Form eines Erkenntnisses, alle anderen in Form eines Beschlusses.
Gemäß § 75 Abs. 7 Z 2 und 3 Asylgesetz 2005 sind Verfahren, die am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängig sind, vom Asylgerichtshof weiterzuführen; Verfahren gegen abweisende Bescheide, in denen eine mündliche Verhandlung noch nicht stattgefunden hat bzw. die von nicht zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannten Mitgliedern des unabhängigen Bundesasylsenats geführt wurden, sind nach Maßgabe der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes vom zuständigen Senat weiterzuführen.
Soweit sich aus dem B-VG, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, sind gemäß § 22 Asylgerichtshofgesetz (AsylGHG) auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.
2. Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen. Gemäß Abs. 3 leg. cit. kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist. Bei der Aufhebung nach § 66 Abs. 2 AVG handelt es sich um eine verfahrensrechtliche Entscheidung (vgl. VwGH vom 21.06.1989, 89/01/0061).
Der Verwaltungsgerichtshof hat zudem in ständiger Rechtsprechung, etwa in den Erkenntnissen vom 21.11.2002, Zahlen 2000/20/0084 und 2002/20/0315 Kriterien für die Anwendung des § 66 Absatz 2 AVG im Asylberufungsverfahren vor dem Asylgerichtshof (hier noch bezogen auf den Unabhängigen Bundesasylsenat) aufgestellt, wonach die verfassungsrechtliche Funktion des Asylgerichtshofe als einer obersten Berufungsbehörde ausgehöhlt würde und die Einräumung eines Instanzenzuges zur bloßen Formsache degradiert würde, "wenn sich das Asylverfahren einem erstinstanzlichen Verfahren vor der Berufungsbehörde nähert, weil es das Bundesasylamt ablehnt, auf das Vorbringen sachgerecht einzugehen und brauchbare Ermittlungsergebnisse in Bezug auf das Verfahren einzuführen."
Durch die gegenständliche Ergänzungsbedürftigkeit bzw. Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens wäre eine mündliche Verhandlung durch die Berufungsbehörde unvermeidlich.
Das Verfahren des Bundesasylamtes erweist sich insofern als mangelhaft, als es die Behörde praktisch zur Gänze unterlassen hat, sich mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers beweiswürdigend auseinanderzusetzen. Die gesamte Beweiswürdigung des Bundesasylamtes besteht lediglich aus dem Argument, welche in einem einzigen Abschnitt auf S. 39 des Bescheids festgehalten wird: "Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus der Vernehmung des Ast.".
Diese lapidare Beweiswürdigung ist in Anbetracht des Vorbringens des Beschwerdeführers keinesfalls ausreichend. Das Bundesasylamt hat sich nicht damit auseinandergesetzt, ob das Vorbringen des Beschwerdeführers - welches er im Rahmen von zwei Einvernahmen erstattete - in sich schlüssig (auch in Bezug auf vorliegendes Ländermaterial) ist oder ob allenfalls Widersprüche (zwischen bzw. innerhalb der einzelnen Einvernahmen) bestehen. Zur Frage, ob die vom Beschwerdeführer geschilderten Erlebnisse stattgefunden haben oder nicht, finden sich keinerlei Feststellungen, was jedoch eine unabdingbare Voraussetzung für die Prüfung einer allfälligen Verfolgungsgefahr ist.
Nach Ansicht des Unabhängigen Bundesasylsenats wird sich das Bundesasylamt beweiswürdigend mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers auseinanderzusetzen haben und es wird klar darzulegen sein, von welchem Sachverhalt auf Grund welcher Erwägungen ausgegangen wird. Diesbezüglich wird das Vorbringen des Beschwerdeführers auf seine Schlüssigkeit bzw. allfällige Widersprüche hin zu prüfen sein und werden dem Beschwerdeführers vor Bescheiderlassung möglich Widersprüche vorzuhalten sein.
Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass im Falle der Glaubwürdigkeit der "Probleme" des Beschwerdeführers mit den Polizeibehörden in der Türkei der rechtlichen Beurteilung des
Sachverhalts eine entscheidende Rolle zukommen wird, wobei es keinesfalls ausgeschlossen ist, dass das Bundesasylamt wiederum zu einer Abweisung des Asylantrags gelangt. Dies ändert jedoch nichts daran, dass zuerst der Sachverhalt im Rahmen einer nachvollziehbaren Beweiswürdigung zu ermitteln ist, was das Bundesasylamt im bekämpften Bescheid unterlassen hat.
Der vom BAA bei seiner Entscheidung zu berücksichtigende Sachverhalt ergibt sich nun auch aus dem Inhalt des Beschwerdeschriftsatzes.
Ergänzend ist anzuführen, dass gemäß § 60 AVG in der Begründung des Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen ist. Demnach muss in der Bescheidbegründung in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichenden und einer nachprüfenden Kontrolle zugänglichen Weise dargetan werden, welcher (für die Erledigung der Verwaltungssache maßgebende) Sachverhalt der Entscheidung zugrunde gelegt wurde, aus "welchen Erwägungen" die Behörde zu der Ansicht gelangte, dass gerade dieser Sachverhalt vorliege, und aus welchen Gründen sie die Subsumtion dieses Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand für zutreffend erachtete (VwGH, 5.9.2006, 2004/20/0237). Sind die einen tragenden Teil der Begründung darstellenden Ausführungen nicht nachvollziehbar und somit nicht überprüfbar, so liegt ein wesentlicher Verfahrensfehler vor.
Der Gesetzgeber hat in Asylsachen ein zweiinstanzliches Verfahren eingerichtet, wobei dem Asylgerichtshof die Rolle einer "obersten Berufungsbehörde" zukommt (Artikel 129e Abs. 1 B-VG). In diesem Verfahren hat bereits das Bundesasylamt den "gesamten" für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln und es ist auf Grundlage des Asylgesetzes grundsätzlich verpflichtet, den Asylwerber dazu persönlich zu vernehmen. Diese Anordnungen des Gesetzgebers würden aber unterlaufen, wenn es wegen des Unterbleibens eines Ermittlungsverfahrens zu wesentlichen Sachverhaltsfragen in erster Instanz zu einer Verlagerung nahezu des gesamten Verfahrens vor die Berufungsbehörde käme, weil es das Bundesasylamt unterlässt, auf das Vorbringen des Asylwerbers sachgerecht einzugehen, indem der angefochtene Bescheid zB. keine bzw. keine aktuellen Feststellungen zu entscheidungsrelevanten Sachverhaltselementen enthält. Wie durch den Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 30.09.2004, Zl. 2001/20/0315 bestätigt wurde, kommt diese Aufgabe primär dem Bundesasylamt zu. Die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen würde sonst zur bloßen Formsache degradiert. Es ist nicht im Sinne des Gesetzgebers, wenn die Berufungsbehörde, statt ihre "umfassende" Kontrollbefugnis wahrnehmen zu können, jene Behörde ist, die erstmals den gesamten entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und einer Beurteilung unterzieht. Dies spricht auch bei Bedachtnahme auf die mögliche Verlängerung des Gesamtverfahrens unter dem Gesichtspunkt, dass eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst bei der "obersten Berufungsbehörde" beginnen und zugleich - abgesehen von der im Sachverhalt beschränkten Kontrolle der letztinstanzlichen Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof (nunmehr nur beim Verfassungsgerichtshof) - bei derselben Behörde enden soll, für ein Vorgehen nach § 66 Abs. 2 AVG (vgl. VwGH 21.11.2002, 2000/20/0084; 21.11.2002, 2002/20/0315).
Ausgehend von diesen Überlegungen war im vorliegenden Fall das dem Asylgerichtshof gemäß § 66 Abs. 2 und 3 AVG eingeräumte Ermessen im Sinne einer kassatorischen Entscheidung zu üben. Besondere Gesichtspunkte, die aus der Sicht des Beschwerdeführers gegen eine Kassation des erstinstanzlichen Bescheides sprechen würden, sind im vorliegenden Fall nicht erkennbar.