TE AsylGH Erkenntnis 2008/08/27 D7 246789-0/2008

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Veröffentlicht am 27.08.2008
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Spruch

D7 246789-0/2008/42E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Mag. Loitsch als Einzelrichterin über die Beschwerde der M. D., geb. 1964, Staatsangehörigkeit Russland, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 28.01.2004, Zahl 02 11.875-BAL, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 23.10.2007 zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde wird stattgegeben und M. D. gemäß § 66 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl. Nr. 51/1991 (AVG), in Verbindung mit

 

§ 7 Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 (AsylG 1997), Asyl gewährt.

Gemäß

 

§ 12 AsylG 1997 wird festgestellt, dass M. D. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt

 

I.1. Die (nunmehr) Beschwerdeführerin, Staatsangehörigkeit Russland, reiste unter Umgehung der Grenzkontrolle zusammen mit ihren damals minderjährigen Söhnen in das Bundesgebiet und brachte am 06.05.2002 beim Bundesasylamt einen Asylantrag ein.

 

Die Asylwerberin wurde am 25.03.2003 vor dem Bundesasylamt zu ihren Fluchtgründen befragt.

 

Mit Schreiben des Bundesasylamtes vom 02.04.2003 wurde eine Anfrage bei der Österreichischen Botschaft in Moskau gestellt.

 

Mit Email vom 29.04.2003 wurde das Schreiben des Bundesasylamtes vom 02.04.2003 von einem Mitarbeiter der Österreichischen Botschaft in Moskau beantwortet.

 

Am 21.01.2004 wurde die Asylwerberin ein weiters Mal vor dem Bundesasylamt niederschriftlich befragt.

 

Mit Bescheid vom 28.01.2004, Zahl: 01 11.875-BAL, wies das Bundesasylamt den Asylantrag in Spruchpunkt I. gemäß § 7 AsylG 1997, BGBl. I 1997/76 (AsylG) idgF ab und erklärte in Spruchpunkt II. des Bescheides die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Asylwerberin in die Russische Föderation gemäß § 8 leg. cit. für zulässig. Das Bundesasylamt ging in seinem Bescheid im Wesentlichen kurz zusammengefasst davon aus, dass die Asylwerberin Staatsangehörige von Russland sei und keine aktuelle Verfolgung in Sinne des Asylgesetzes 1997 glaubhaft machen habe können. Die Asylwerberin sei in ihrem Herkunftsstaat keiner Gefahr im Sinne des § 57 Abs. 1 und 2 FrG ausgesetzt. Dem Vorbringen der Asylwerberin werde die Glaubwürdigkeit zur Gänze abgesprochen. Begründend wurde ausgeführt, dass sich im Zuge der durchgeführten Einvernahme in Zusammenhang mit der durchgeführten Anfrage an die Österreichische Botschaft in Moskau derartig massive, entscheidungsrelevante Widersprüche ergeben hätten, die das Bundesasylamt dazu veranlasst hätten, dem Vorbringen der Asylwerberin insgesamt keinen Glauben zu schenken. So habe die Asylwerberin im Zuge der Ernstniederschrift ausgeführt, dass sie als außerordentliche Reporterin einer Zeitung sehr aktiv gewesen sei. In ihrer Region im Nordwesten Russlands und in Karelien sei ihr Name sehr bekannt. Diese Behauptungen entsprächen jedoch keinesfalls den durchgeführten Erhebungen der Österreichischen Botschaft in Moskau. Nachdem der Asylwerberin dies in der mit ihr aufgenommenen ergänzenden Befragung vorgehalten worden sei, habe diese plötzlich angegeben, dass sie lediglich Zeitungsartikel in ihrer Freizeit verfasst habe, wobei sie über die Probleme der Frauen geschrieben hätte und ihr Name unbekannt sei. Auch den während der ergänzenden Befragung von der Asylwerberin behaupteten sexuellen Übergriffen durch Polizeibeamte, welche ihr Exehegatte zu ihr geschickt hätte, werde keine Glaubwürdigkeit oder Asylrelevanz beigemessen, da die Asylwerberin dies nach Ansicht des Bundesasylamtes, wäre dies tatsächlich geschehen, wohl schon bei ihrer ersten Einvernahme angeführt hätte. Da die Asylwerberin auf Grund ihrer Angaben keinerlei Gründe einer ihr drohenden unmenschlichen Behandlung oder Verfolgung glaubhaft machen habe können, zumal der Asylwerberin die Glaubwürdigkeit zur Gänze abgesprochen worden sei, ziehe das Bundesasylamt den Schluss, dass die Abschiebung der Asylwerberin gemäß § 8 AsylG 1997 idgF iVm § 57 Abs. 1 und Abs. 2 Fremdengesetz idgF in ihren Herkunftsstaat zulässig sei.

 

I.2.Gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 28.01.2004, Zahl: 02 11.875-BAL, zugestellt am 30.01.2004, richtete sich gegenständliche fristgerecht am 12.02.2004 eingebrachte Beschwerde.

 

Am 11.08.2004 langte die erste Beschwerdeergänzung beim damals zuständigen Unabhängigen Bundesasylsenat ein.

 

Am 24.09.2004 langte eine Vollmachtsbekanntgabe beim Unabhängigen Bundesasylsenat ein.

 

Am 24.11.2004, 03.12.2004, 13.12.2004, 22.02.2005, 22.04.2005, 06.05.2005, 10.05.2005, 02.09.2005, 29.09.2005, 25.11.2005 und 17.02.2006 langten teilweise wirre Schreiben der Beschwerdeführerin, darunter auch einige Katzenfotos der österreichischen Hauskatze der Beschwerdeführerin, beim Unabhängigen Bundesasylsenat ein.

 

Mit Schreiben vom 04.04.2006 wurde die Vollmacht, eingelangt am 24.09.2004, zurückgelegt.

 

Weitere Schreiben der Beschwerdeführerin langten am 03.07.2006, 04.07.2006, 21.09.2006, 16.10.2006 und 06.11.2006 beim Unabhängigen Bundesasylsenat ein.

 

Am 12.12.2006 brachte die Beschwerdeführerin eine Bestätigung eines Psychotherapeuten vom 20.10.2006 in Vorlage.

 

Am 14.12.2006 langte eine Vollmachtsanzeige eines Rechtsanwaltes beim Unabhängigen Bundesasylsenat ein.

 

Am 13.03.2007 brachte die Beschwerdeführerin zwei weitere, inhaltsgleiche Schreiben mit unterschiedlichen Beilagen beim Unabhängigen Bundesasylsenat in Vorlage. Einem der Schreiben war eine fachärztliche Stellungnahme von Herrn Dr. Med. F. R., Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, vom 22.01.2007 beigelegt. Der bevollmächtigte Rechtsanwalt schien in den Schreiben der Beschwerdeführerin nicht auf.

 

Die Beschwerdeführerin brachte am 15.03.2007, ohne ihren bevollmächtigten Rechtsanwalt, ein Schreiben beim Unabhängigen Bundesasylsenat in Vorlage.

 

Für den 23.10.2007 wurde zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Unabhängigen Bundesasylsenat anberaumt, an welcher die Beschwerdeführerin teilnahm. Das Bundesasylamt wurde ordnungsgemäß geladen, teilte jedoch mit Schreiben vom 03.05.2007 mit, dass kein Vertreter zur öffentlichen mündlichen Verhandlung entsandt werde und stellte zugleich den Antrag, gegenständlichem Beschwerdeantrag nicht stattzugeben. Der Vertreter der Beschwerdeführerin wurde ebenfalls ordnungsgemäß zur Verhandlung geladen, erschien jedoch nicht.

 

In der Verhandlung starrte die Beschwerdeführerin die Verhandlungsleiterin unentwegt an, war sehr aufgeregt und wurde laut, sodass auf Grund von Zweifeln an der Verhandlungsfähigkeit die Verhandlung zwecks Erstellung eines psychiatrisch-neurologischen Gutachtens auf unbestimmte Zeit vertagt werden musste. Die Beschwerdeführerin weigerte sich, die Verhandlungsschrift zu unterfertigen und meinte nach Ende der Verhandlung wörtlich, dass die Verhandlungsleiterin "nicht dicht" sei, was nach der Verhandlung von der Verhandlungsleiterin in einem Aktenvermerk dokumentiert wurde.

 

Mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 26.11.2007 wurde Herr Univ. Prof. Dr. G. P., Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger, zum medizinischen Sachverständigen im Beschwerdeverfahren bestellt und mit Schreiben vom selben Tag ersucht, ein Gutachten zu erstellen.

 

Am 30.01.2008 langte ein psychiatrisch-neurologisches Gutachten von Herrn Univ. Prof. Dr. G. P. vom 17.01.2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat ein.

 

I.3. Mit 01.07.2008 wurde die ursprünglich zuständige Berufungsbehörde, der Unabhängige Bundesasylsenat, aufgelöst und an seine Stelle trat der neu eingerichtete Asylgerichtshof. Nach der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes wurde gegenständlicher Verwaltungsakt der nunmehr zuständigen Richterin zur Weiterführung des Beschwerdeverfahrens zugewiesen.

 

Zur Wahrung des Parteiengehörs wurden dem Vertreter der Beschwerdeführerin und dem Bundesasylamt mit Schreiben des Asylgerichtshofes vom 23.07.2008, Zahl

 

D7 246789-0/2008/40Z, Länderberichte zur aktuellen Lage in Russland übermittelt und den Parteien eine Frist von zwei Wochen ab Zustellung zur Abgabe einer Stellungnahme eingeräumt.

 

Am 08.08.2008 langte eine schriftliche Stellungnahme des Vertreters der Beschwerdeführerin vom 04.08.2008 beim Asylgerichthof ein. Eine Stellungnahme des Bundesasylamtes langte bis dato nicht ein.

 

II. Der Asylgerichtshof hat über die zulässige Beschwerde erwogen:

 

II.1. Gemäß § 28 Abs. 1 des Bundesgesetzes über den Asylgerichtshof (Asylgerichtshofgesetz - AsylGHG), Art. 1 Asylgerichtshof-Einrichtungsgesetz, BGBl. I Nr. 4/2008, tritt dieses Bundesgesetz mit 1. Juli 2008 in Kraft. Gleichzeitig tritt das Bundesgesetz über den unabhängigen Bundesasylsenat - UBASG, BGBl. I Nr. 77/1997, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 100/2005, außer Kraft.

 

Gemäß § 22 Abs. 1 Asylgesetz 2005, Art. 2 Asylgerichtshof-Einrichtungsgesetz, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG 2005), in der Fassung BGBl. I Nr. 4/2008, ergehen Entscheidungen des Asylgerichtshofes in der Sache selbst in Form eines Erkenntnisses, alle anderen in Form eines Beschlusses. Die Entscheidungen des Bundesasylamtes und des Asylgerichtshofes haben den Spruch und die Rechtsmittelbelehrung auch in einer dem Asylwerber verständlichen Sprache zu enthalten.

 

Gemäß § 75 Abs. 7 AsylG 2005, in der Fassung BGBl. I Nr. 4/2008, sind am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren vom Asylgerichtshof nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen weiterzuführen:

 

Mitglieder des unabhängigen Bundesasylsenates, die zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannt worden sind, haben alle bei ihnen anhängige Verfahren, in denen bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, als Einzelrichter weiterzuführen.

 

Verfahren gegen abweisende Bescheide, in denen eine mündliche Verhandlung noch nicht stattgefunden hat, sind von dem nach der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes zuständigen Senat weiterzuführen.

 

Verfahren gegen abweisende Bescheide, die von nicht zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannten Mitgliedern des unabhängigen Bundesasylsenates geführt wurden, sind nach Maßgabe der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes vom zuständigen Senat weiterzuführen.

 

Gegenständliches Verfahren war am 30.06.2008 bzw. 01.07.2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängig und ist daher vom Asylgerichtshof weiterzuführen. Es handelt sich um ein Beschwerdeverfahren gegen einen abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes, in dem eine mündliche Verhandlung vor dem Unabhängigen Bundesasylsenat stattgefunden hat. Das ursprünglich zur Entscheidung berufene Mitglied des Unabhängigen Bundesasylsenates wurde zur Richterin des Asylgerichtshofes ernannt, ihr wurde nach der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes das Beschwerdeverfahren zugeteilt und sie hat daher dieses Verfahren gemäß § 75 Abs. 7 Z 1 AsylG 2005, in der Fassung BGBl. I Nr. 4/2008, als Einzelrichter weiterzuführen.

 

II.2. Gemäß § 23 AsylGHG sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

Gemäß § 73 Abs. 1 AsylG 2005 tritt dieses Bundesgesetz mit 1. Jänner 2006 in Kraft.

 

Das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 1997 - AsylG), BGBl. I Nr. 76/1997 tritt mit Ausnahme des § 42 Abs. 1 mit Ablauf des 31. Dezember 2005 außer Kraft

 

(§ 73 Abs. 2 AsylG 2005).

 

Gemäß § 75 Abs. 1 AsylG 2005, in der Fassung BGBl. I Nr. 4/2008, sind alle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen. § 44 AsylG 1997 gilt. Die §§ 24, 26, 54 bis 57 und 60 dieses Bundesgesetzes sind auf diese Verfahren anzuwenden. § 27 ist auf diese Verfahren mit der Maßgabe anzuwenden, dass das Bundesasylamt oder der Asylgerichtshof zur Erlassung einer Ausweisung zuständig ist und der Sachverhalt, der zur Einleitung des Ausweisungsverfahrens führen würde, nach dem 31. Dezember 2005 verwirklicht wurde. § 57 Abs. 5 und 6 ist auf diese Verfahren mit der Maßgabe anzuwenden, dass nur Sachverhalte, die nach dem 31. Dezember 2005 verwirklicht wurden, zur Anwendung dieser Bestimmungen führen.

 

Gemäß § 44 Abs. 1 Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76/1997, in der Fassung BGBl. I Nr. 101/2003, werden Verfahren zur Entscheidung über Asylanträge und Asylerstreckungsanträge, die bis zum 30. April 2004 gestellt wurden, nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 126/2002 geführt.

 

Gemäß § 44 Abs. 2 AsylG 1997, in der Fassung BGBl. I Nr. 101/2003, werden Asylanträge, die ab dem 1. Mai 2004 gestellt werden, nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 in der jeweils geltenden Fassung geführt.

 

Gegenständlicher Asylantrag wurde am 06.05.2002 gestellt, weshalb dieses Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 (AsylG 1997), in der Fassung Bundesgesetz BGBl. I Nr. 126/2002, zu führen ist.

 

II.3.1. Frau M. D. ist Staatsangehörige von Russland. In ihrem Herkunftsstaat hat die Beschwerdeführerin eine Ausbildung als Kindergärtnerin abgeschlossen. Die Beschwerdeführerin hat in Russland die Universität besucht und spricht vier Sprachen.

 

II.3.2. Vor ihrer Ausreise aus Russland verdiente die Beschwerdeführerin ihren Lebensunterhalt zunächst als Hilfskrankenschwester, später als Verkäuferin und war auch, jedoch ohne den Beruf erlernt zu haben, als Journalistin tätig. Die Beschwerdeführerin trat bei ihrer journalistischen Arbeit nicht persönlich im Fernsehen oder namentlich als Verfasserin von Zeitungsartikeln in Erscheinung, sondern beschränkte ihre Tätigkeit auf Hintergrundrecherchearbeiten. Die Beschwerdeführerin wurde, weil sie in Russland als Hilfsreporterin arbeitete und mit Tschetschenen Kontakt hatte, von Polizisten vergewaltigt.

 

Die Beschwerdeführerin hat seit ihrer Ausreise aus Russland rezidivierende Alpträume und Flashbacks mit Inhalten politischer Verfolgung und Gewalt. Sie erwacht nächtens angsterfüllt und braucht Zeit um sich von Trauminhalten zu distanzieren und zurück in die Realität zu finden. Gelegentlich hört sie Schritte in der Nähe ihres Hauses im Sinne Vorstellungskonkretisierung als Verarbeitungsmodus real erlebter Bedrohung.

 

Bei der Beschwerdeführerin finden psychiatrische Auffälligkeiten, die diagnostisch schwer zuordenbar sind. Es findet sich im psychopathologischen Querschnittsbefund eine Denkstörung mit einem zeitweise inkohärenten sprunghaften Sprach- und Gedankengang mit paralogischem Denken, d.h. nicht immer nachvollziehbaren Angaben und Erklärungen sowie möglichen Wahneinfällen und einer paranoiden Erlebnisverarbeitung. Betreffend der Wahneinfälle ist, was die Wahnkriterien anbelangt, die Unmöglichkeit des Inhaltes aus psychiatrischer Sicht nicht mit Sicherheit überprüfbar. Die Symptomatik der Denkstörung, die auch mit einem parathymen, d.h. nicht zu den Gedankeninhalten passenden Affektäußerungen verbunden ist, wäre am ehesten einem maniformen Bild bei einer möglichen leicht ausgeprägten schizoaffektiven Störung (ICD-10: F25.0) zuzuordnen. Es ist jedenfalls die fassbare psychiatrische Symptomatik als eine krankheitswertige psychische Störung anzusehen. In einer Verhandlung könnten Angaben im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Asylverfahren auch durch die Verminderung des Realitätsbezuges und die paranoide Erlebnisverarbeitung beeinflusst sein und von der Betroffenen selbst mit der so genannten subjektiven Gewissheit gesehen werden, aber nicht unbedingt einer externen Realitätsprüfung standhalten.

 

II.3.3. Zur aktuellen Lage in Russland wird festgestellt:

 

Die große Mehrheit der russischen Bevölkerung verbindet mit der siebenjährigen Amtszeit Präsident Putins überwiegend positive Erfahrungen und ist an Kontinuität interessiert. Nach den Dumawahlen vom 02.12.2007 bestimmen nun die im März 2008 anstehenden Präsidentschaftswahlen das politische Klima in Russland.

 

Präsident Putin hat gegenüber der Öffentlichkeit mehrfach dargelegt, dass er für eine dritte Amtszeit nicht mehr zur Verfügung steht. Statt dessen ist mit seiner Unterstützung Dmitrij Medwedjew als Nachfolgekandidat präsentiert worden, dessen Kandidatur - zusammen mit einem in Aussicht gestellten zukünftigen Einsatz Putins als Premierminister - für einen geordneten "Übergang der Macht" sorgen soll.

 

Die Regierung ist bemüht, die Missstände im Justizsystem durch eine umfassende Justiz und Rechtsreform zu beheben (bisher u.a. neue Straf- und Zivilprozessordnungen, Reform des Strafgesetzbuches). Auch wenn die Strafprozessreform aus den Jahren 2002 und 2004 die Stellung der Richter deutlich gestärkt hat, bleibt in der Praxis die Macht der Staatsanwaltschaft beträchtlich. Im September 2007 ist eine weitere Reform der Strafprozessordnung in Kraft getreten, die Aufgaben der Staatsanwaltschaft im Vorfeld der Hauptverhandlung (Ermittlungen, Verfahrenseinstellungen, Anklageerhebung) einem neugeschaffenen Untersuchungskomitee überträgt. Ob diese Aufgabenteilung auch zu einer Teilung der Macht der Generalstaatsanwaltschaft führen wird, ist zur Zeit noch nicht absehbar (Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland vom 13.01.2008, Seite 6).

 

Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Meinungs- und Pressefreiheit sind verfassungsrechtlich garantiert, durch Gesetzgebung und Exekutive jedoch zahlreichen Einschränkungen unterworfen (Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland vom 13.01.2008, Seite 7).

 

Die Tendenz zu starker staatlicher Kontrolle der Medien hat sich fortgesetzt. Das "Zentrum für Journalismus in Extremsituationen" (Oleg Panfilow) erfasst regelmäßig Fälle "staatlicher Restriktionen gegen Journalisten" und von "Druck auf die Medien". Sie reichen von Einschüchterungsversuchen bis zu Einbestellungen und Gerichtsverfahren. Die allermeisten Fälle sind in den Regionen (d.h. außerhalb größerer Städte) angesiedelt.

 

Der Mord an der Journalistin Anna Politkowskaja, die in Tschetschenien recherchierte und u.a. in der regierungskritischen Nowaja Gaseta veröffentlichte, wird weiter untersucht. Generalstaatsanwaltschaft Tschajka hat am 27.8.07 bekannt gegeben, dass mehrere Mordverdächtige verhaftet wurden und dass "nur Personen im Ausland an der Beseitigung von Politkowskaja interessiert gewesen sein konnten". Anklage wegen Mordes ist noch nicht erhoben, die Untersuchungen dauern an.

 

Die Untersuchungen über den Mord an Paul Chlebnikow, Chefredakteur der russischen Ausgabe von "Newsweek", sowie den Mord an Ilja Simin, Journalist des Fernsehsenders "NTW", dauern ebenfalls noch an (Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland vom 13.01.2008, Seite 8).

 

Government pressure continued to weaken freedom of expression and media independence, particularly of the major television networks. Unresolved killings of journalists remained a problem. The government restricted media freedom through direct ownership of media outlets, influencing the owners of major outlets, and harassing and intimidating journalists into practicing self-censorship. Local governments tried to limit freedom of assembly, and police sometimes used violence to prevent groups from engaging in peaceful protest. The government used the law on extremism to limit freedom of expression and association. Government restrictions on religious groups were a problem in some regions. There were incidents of discrimination, harassment, and violence against religious and ethnic minorities. There were some incidents of anti-Semitism (U.S. Department of State, March 11, 2008,

 

page 1).

 

Russland befindet sich seit dem Ende der Sowjetunion in einem umfassenden und schwierigen Transformationsprozess. Die rechtlichen Grundlagen für den Menschenrechtsschutz haben sich seit den 90er Jahren einerseits erheblich verbessert. Die Umsetzung vieler rechtlicher Normen lässt andererseits weiterhin zu wünschen übrig. Der Menschenrechtsbeauftragte der Russischen Föderation, Wladimir Lukin, übt in seinem Jahresbericht 2006 wie schon im Vorjahr in vorsichtig abwägender Sprache Kritik u.a. an Willkür und Folter, Duldung rechtsextremistischer Gruppierungen und fast vollständiger Medienkontrolle durch die Polizei und Innenbehörden. Insbesondere beklagt er dieses Mal die fehlende konkrete Umsetzung der beschlossenen Reformen im Justizwesen, die zunehmende Lücke zwischen Arm und Reich, die verminderten Zugangsmöglichkeiten zu kostenloser Bildung sowie die mangelnde Unterstützung für Kinder und Behinderte (Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland vom 13.01.2008, Seite 22).

 

The constitution provides for freedom of speech and of the press; however, in practice government pressure on the media persisted, resulting in numerous infringements of these rights. The government used direct ownership or ownership by large private companies with links to the government to control or influence the major media outlets, especially television; many media organizations saw their autonomy further weaken. The government used its controlling ownership in major national television and radio stations, as well as the majority of influential regional ones, to restrict access to information about issues deemed sensitive, including coverage of opposition political parties, particularly during the parliamentary elections campaign. The OSCE representative on freedom of the media, during the State Duma election, highlighted numerous press freedom abuses, including harassment of media outlets, legislative limitations, lack of equal access, and arbitrary application of rules. Unresolved killings of journalists remained a problem. Mistreatment of journalists by authorities included reported cases of abuse, including physical assault. The government severely restricted coverage by all media of events in Chechnya. There were indications that government pressure led reporters to engage in self-censorship, particularly on issues critical of the government.

 

While the government generally respected citizens' rights to freedom of expression, it sometimes restricted this right with regard to issues such as the conduct of federal forces in Chechnya, human rights, and criticism of the administration. Some regional and local authorities took advantage of the judicial system's procedural weaknesses to detain persons for expressing views critical of the government. With some exceptions, judges appeared unwilling to challenge powerful federal and local officials who sought to prosecute journalists. These proceedings on occasion resulted in stiff fines.

 

Three of the 14 national newspapers are owned by the government or state-owned companies, as are more than 60 percent of the country's 45,000 registered local newspapers and periodicals. The government continued selective attempts to influence the reporting of independent publications. While the largest daily newspaper, Moskovskiy Komsomolets, is independent, other influential national newspapers, including Izvestiya, and Rossiyskaya Gazeta and Kommersant are owned by the government, persons affiliated with the government, or state-owned companies. Additionally, the Ministry of Defense owns the newspaper Krasnaya Zvezda. Although Kommersant changed editors and several journalists left after the change in ownership and the paper replaced its opinion and comment page with its "no comment" page where it reprints articles on key foreign policy issues from international papers, there has not been a discernible shift in Kommersant's editorial position since the change in ownership in August 2006. Izvestiya has increasingly avoided controversial topics and assumed a more pro-Kremlin stance on key policy issues, but not on every topic. In 2006 United Russia Duma deputy Aleksandr Lebedev and former Soviet leader Mikhail Gorbachev purchased 49 percent of Novaya Gazeta, an independent investigative weekly. Both men indicated that they did not intend to interfere with editorial policy and by year's end there was no indication that they had. One analysis of this ownership trend was offered by media freedom advocates, who considered it to be evidence of government efforts to expand control of media beyond national television before the 2007-08 parliamentary and presidential elections (U.S. Department of State, March 11, 2008, pages 16f).

 

Mistreatment of journalists by authorities was not limited to Caucasus-related coverage. The Glasnost Defense Fund (GDF) and other media freedom monitoring organizations reported cases of abuse of journalists by police and other security personnel elsewhere, including physical assault and vandalism of equipment. In most instances, the mistreatment appeared to have been at the initiative of local officials (U.S. Department of State, March 11, 2008, page 18).

 

Most high-profile cases of journalists killed or kidnapped in earlier years remained unsolved (U.S. Department of State, March 11, 2008, page 19).

 

According to the GDF, 74 journalists were physically attacked during the year and eight journalists were killed during the year, nine were killed in 2006. In most cases authorities and observers were unable to establish a direct link between an assault and the persons who reportedly had taken offense at the reporting in question. Independent media NGOs still characterized beatings of journalists by unknown assailants as "routine," noting that those who pursued investigative stories on corruption and organized crime found themselves at greatest risk. The foundation reported that, in some cases, the killings appeared to be related to the journalists' work (U.S. Department of State, March 11, 2008, page 18).

 

Behandlung von Rückkehrern: Dem Auswärtigen Amt sind keine Fälle bekannt, in denen russische Staatsangehörige allein deshalb bei ihrer Rückkehr nach Russland staatlich verfolgt wurden, weil sie zuvor im Ausland einen Asylantrag gestellt hatten (Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland vom 13.01.2008, Seite 26).

 

Die russische Verfassung lässt die Todesstrafe ausdrücklich zu, sofern die Verurteilung durch ein Geschworenengericht erfolgt. Das russische Verfassungsgericht entschied 1999, dass solange keine Todesurteile ergehen dürfen, bis im ganzen Land Geschworenengerichte eingeführt sind. Da es in Tschetschenien noch keine Geschworenengerichte gibt - ihre Einführung wurde auf das Jahr 2010 verschoben - darf derzeit in ganz Russland die Todesstrafe aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht verhängt werden. Das Strafgesetzbuch, in dem die Todesstrafe seit 1997 für schwere Kapitalverbrechen vorgesehen ist, findet insoweit keine Anwendung. Bereits seit 1996 gilt zusätzlich ein mehrfach bekräftigtes Moratorium des Staatspräsidenten, das sich gegen die Vollstreckung von Todesurteilen richtet.

 

Russland hatte sich mit Beitritt zum Europarat verpflichtet, bis 1999 dem 6. Protokoll der EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe beizutreten. Dieser Pflicht ist es bisher nicht nachgekommen. Eine Gesetzesvorlage zur Ratifikation des Protokolls ist seit Dezember 2001 in der Duma anhängig, wurde aber bisher nicht zur Abstimmung gebracht, weil sich keine Mehrheit abzeichnet. Die Bevölkerung ist, nicht zuletzt wegen der terroristischen Bedrohung, mehrheitlich für die Beibehaltung der Todesstrafe (Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland vom 13.01.2008, Seite 23).

 

Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist gewährleistet. Allerdings leben immer noch - trotz erheblicher sozialpolitischer Fortschritte - rund 20 Mio. Russen (knapp 15% der Bevölkerung) unter dem statistischen Existenzminimum. Es gibt staatliche Unterstützung (z.B. Sozialhilfe für bedürftige Personen auf sehr niedrigem Niveau), die jedoch faktisch noch nicht einmal den Grundbedarf deckt. Im Rahmen der sog. "Nationalen Projekte", die der Steigerung des Lebensstandards breiter Bevölkerungsschichten dienen sollen, wurden die zugewiesenen Haushaltsmittel für Projekte in den Bereichen Bildung, Gesundheit und sozialer Wohnungsbau im Jahre 2007 auf insgesamt 239,8 Milliarden Rubel (ca. 6,8 Milliarden Euro) erhöht (Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland vom 13.01.2008, Seite 25).

 

Jeder russische Staatsangehörige hat an seinem registrierten Wohnort ein grundsätzliches Anrecht auf kostenlose medizinische Versorgung. Allerdings ist es im öffentlichen Gesundheitssystem üblich, an Ärzte und medizinisches Personal "Freiwillige Zahlungen" zu leisten. Zudem sind Medikamente in den meisten Fällen von den Patienten zu bezahlen (Anfragenbeantwortung des Auswärtigen Amtes, Zahl 508-516.80/45630, vom 26.02.2008).

 

Die medizinische Grundversorgung in Russland ist grundsätzlich ausreichend. Zumindest in den Großstädten, wie Moskau und St. Petersburg, sind auch das Wissen und die technischen Möglichkeiten für einige anspruchsvollere Behandlungen vorhanden. Nach Einschätzung westlicher Nichtregierungsorganisationen ist das Hauptproblem jetzt weniger die fehlende technische oder finanzielle Ausstattung, sondern ein gravierender Ärztemangel.

 

Theoretisch hat jeder russische Bürger das Anrecht auf eine kostenfreie medizinische Grundversorgung, doch in der Praxis erfolgen zumindest aufwändigere Behandlungen erst nach privater Bezahlung. Dabei zeigt sich im Alltag häufig, dass von mittellosen und wenig verdienenden Personen nichts bzw. wenig an Zusatzzahlungen verlangt wird, bei normal bis gut verdienenden Personen hingegen mehr. Private Praxen nehmen in den Mittel- und Großstädten deutlich zu.

 

Die Versorgung mit Medikamenten ist zumindest in den Großstädten gut, aber nicht kostenfrei. Neben russischen Produkten sind gegen entsprechende Bezahlung auch viele importierte Medikamente erhältlich. Allerdings sind Medikamentenfälschungen relativ häufig. Große Teile der Bevölkerung können sich teure Arzneimittel nicht leisten (Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland vom 13.01.2008, Seite 25).

 

II.4.1. Gemäß § 66 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 51/1991 (AVG), hat die Berufungsbehörde außer in dem in Abs. 2 erwähnten Fall, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung (§ 60) ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

 

Die Staatsangehörigkeit und Identität der Beschwerdeführerin (II.3.1.) konnten bereits vom Bundesasylamt in seinem Bescheid auf Grund der Vorlage eines Reisepasses festgestellt werden.

 

II.4.2. Die Feststellungen zum Ausreisegrund der Beschwerdeführerin (II.3.2.) beruhen auf dem schließlich doch noch im Lauf des Beschwerdeverfahrens glaubhaft gemachten Vorbringen der Beschwerdeführerin.

 

Gemäß der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist es Aufgabe des Asylwerbers, durch ein in sich stimmiges und widerspruchsfreies Vorbringen, allenfalls durch entsprechende Bescheinigungsmittel, einen asylrelevanten Sachverhalt glaubhaft zu machen (VwGH E vom 25.03.1999, Zl. 98/20/0559).

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat in mehreren Erkenntnissen betont, dass die Aussage des Asylwerbers die zentrale Erkenntnisquelle darstellt und daher der persönliche Eindruck des Asylwerbers für die Bewertung der Glaubwürdigkeit seiner Angaben von Wichtigkeit ist (VwGH E vom 24.06.1999, Zl. 98/20/0453; VwGH E vom 25.11.1999, Zl. 98/20/0357).

 

Das Bundesasylamt geht in seinem Bescheid auf Grund von Widersprüchen davon aus, dass die Angaben der Asylwerberin zu ihren Ausreisegründen unglaubwürdig waren (siehe dazu Bescheid des Bundesasylamtes, Seiten 20f bzw. erstinstanzlicher Verwaltungsakt, Seiten 73 und 74).

 

Auf Grund der zahlreichen, umfassenden und teilweise wirren Beschwerdeergänzungen wird an dieser Stelle von einer Zusammenfassung des Inhaltes der Beschwerde und der ergänzenden Schreiben vom 11.08.2004, 24.11.2004, 03.12.2004, 13.12.2004, 22.02.2005, 22.04.2005, 06.05.2005, 10.05.2005, 02.09.2005, 29.09.2005, 25.11.2005, 17.02.2006, 03.07.2006, 04.07.2006, 21.09.2006, 16.10.2006 und 06.11.2006, 12.12.2006, 13.03.2007 und 15.03.2007 abgesehen und auf den Akt verwiesen.

 

Am 23.10.2007 fand vor dem Unabhängigen Bundesasylsenat eine öffentliche mündliche Verhandlung statt. Die Beschwerdeführerin starrte die Verhandlungsleiterin unentwegt an, war extrem aufgeregt, wurde laut, meinte nicht nachvollziehbar, dass die Verhandlungsleiterin lügen würde und dass die Verhandlungsleiterin psychische Probleme hätte, sodass auf Grund ernsthafter Zweifel an der Verhandlungsfähigkeit der Beschwerdeführerin die Verhandlung zwecks Erstellung eines psychiatrisch-neurologischen Gutachtens auf unbestimmte Zeit vertagt werden musste.

 

Im seinem psychiatrisch-neurologischen Gutachten vom 17.01.2008 führt Herr Univ. Prof. Dr. G. P. im Wesentlichen sehr kurz zusammengefasst aus, dass sich bei der Beschwerdeführerin psychiatrische Auffälligkeiten finden würden. Es finde sich im psychopathologischen Querschnittsbefund eine Denkstörung mit einem zeitweise inkohärenten sprunghaften Sprach- und Gedankengang mit paralogischem Denken, d.h. nicht immer nachvollziehbaren Angaben und Erklärungen sowie möglichen Wahneinfällen und einer paranoiden Erlebnisverarbeitung. In einer Verhandlung könnten Angaben im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Asylverfahren auch durch die Verminderung des Realitätsbezuges und die paranoide Erlebnisverarbeitung beeinflusst sein und von der Betroffenen selbst mit der so genannten subjektiven Gewissheit gesehen werden, aber nicht unbedingt einer externen Realitätsprüfung standhalten müssen.

 

Die Beschwerdeführerin steigerte ihr Vorbringen im Lauf der vielen schriftlichen Beschwerdeergänzungen, wobei jedoch auf Grund des persönlichen Eindrucks der Verhandlungsleiterin in der Verhandlung in Verbindung mit dem psychiatrisch-neurologischen Gutachten vom 17.01.2008 von Herrn Univ. Prof. Dr. G. P. und einer fachärztlichen Stellungnahme vom 22.01.2007 davon auszugehen ist, dass die Beschwerdeführerin nicht (mehr) zwischen Realität und Steigerung ihres Vorbringens zu den Ausreisegründen unterscheiden kann. Die Beschwerdeführerin ist somit nicht in der Lage, realitätsbezogene Angaben zu den Gründen für ihre Ausreise aus Russland zu machen, weshalb die Fortführung der vertagten Verhandlung nicht zur Ermittlung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes beitragen könnte und deshalb darauf verzichtet wurde.

 

Dem Bundesasylamt ist zuzustimmen, dass höchst wahrscheinlich Teile des Vorbringens der Beschwerdeführerin erfunden sind. Auf Grund der psychischen Verfassung der Beschwerdeführerin, wonach sie auch bezüglich eingebildeter Erlebnisse die subjektive Gewissheit verspürt, diese tatsächlich erlebt zu haben, kann jedoch nicht mit der nötigen Gewissheit festgestellt werden, welche Teile ihres Vorbringens den Tatsachen entsprechen bzw. welche nicht mit der Realität übereinstimmen.

 

Der Asylgerichtshof geht auf Grund des Gesundheitszustandes der Beschwerdeführerin daher im Zweifel zu Gunsten der Beschwerdeführerin davon aus, dass das Vorbringen der Beschwerdeführerin vor dem Bundesasylamt nicht als unglaubwürdig zu werten war.

 

Die Feststellungen zur psychischen Verfassung der Beschwerdeführerin (II.3.2.) beruhen auf einem elf Seiten unfassenden psychiatrisch-neurologischen Gutachten vom 17.01.2008 von Herrn Univ. Prof. Dr. G. P., Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger und einer fachärztlichen Stellungnahme vom Herrn Dr. Med. F. R., Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, vom 22.01.2007.

 

II.4.3. Die Feststellungen zur aktuellen Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin (II.3.3.) beruhen auf folgenden dem Vertreter der Beschwerdeführerin und dem Bundesasylamt mit Schreiben des Asylgerichtshofes vom 23.07.2008 übermittelten Länderberichten:

 

¿ Anfragenbeantwortung des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik Deutschland für das Verwaltungsgericht Köln, Zahl 508-516.80/45465, vom 05.11.2007)

 

¿ Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, Stand: Dezember 2007 (Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland vom 13.01.2008)

 

¿ Anfragenbeantwortung des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik Deutschland für das Verwaltungsgericht Köln, Zahl 508-516.80/45630, vom 26.02.2008)

 

¿ Country Report on Human Rights Practices in Russia (U.S. Department of State, Released by the Bureau of Democracy, Human Rights, and Labor, March 11, 2008)

 

Die Parteien des Beschwerdeverfahrens haben keine Einwände gegen die Heranziehung der ihnen schriftlich zur Kenntnis gebrachten Informationsquellen erhoben. Die herangezogenen Berichte und Informationsquellen stammen großteils von staatlichen Institutionen oder diesen nahestehenden Einrichtungen und es gibt keine Anhaltspunkte dafür, Zweifel an deren Objektivität und Unparteilichkeit aufkommen zu lassen. Die inhaltlich übereinstimmenden Länderberichte befassen sich mit der aktuellen Lage in Russland. Soweit möglich, wurden in den Feststellungen deutschsprachige Berichte zitiert, die inhaltlich nicht von teilweise ergänzenden, englischsprachigen Berichten abweichen.

 

II.5. Gemäß § 3 Abs. 1 1. Satz AsylG 1997 begehren Fremde, die in Österreich Schutz vor Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) suchen, mit einem Asylantrag die Gewährung von Asyl.

 

Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention definiert, dass als Flüchtling im Sinne dieses Abkommens anzusehen ist, wer sich infolge von vor dem 01. Jänner 1951 eingetretenen Ereignissen aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

 

Gemäß § 7 AsylG 1997 hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung

 

(Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in

 

Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

 

Zentraler Aspekt der dem § 7 AsylG 1997 zugrundeliegenden, in

 

Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH E vom 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; VwGH E vom 19.04.2001, Zl. 99/20/0273).

 

Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH E vom 19.10.2000, Zl. 98/20/0233).

 

Auf Grund der aktuellen Lage in Russland (siehe Länderfeststellungen II.3.3.) ist derzeit nicht mit der erforderlichen Sicherheit auszuschließen, dass die Beschwerdeführerin, die selbst davon überzeugt ist bzw. glaubhaft machen konnte, dass sie vor ihrer Ausreise aus Russland als Journalistin tätig war und mit Tschetschenen Kontakt hatte und deswegen von Polizisten vergewaltigt wurde, im Fall ihrer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat um ihre körperliche Integrität fürchten müsste.

 

Wegen der glaubhaft gemachten konkreten Gefährdung der Beschwerdeführerin konnte in ihrem Fall keine innerstaatliche Fluchtalternative im Herkunftsstaat ermittelt werden.

 

Die Beschwerdeführerin hat somit glaubhaft machen können, dass ihr wegen ihrer zumindest unterstellten politischen Gesinnung in ihrem Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des

 

Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht. Es sind keine Hinweise hervorgekommen, wonach einer der in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigung- oder Ausschlusstatbestände eingetreten sein könnte.

 

Gemäß § 12 AsylG 1997 ist die Entscheidung, mit der Fremden von Amts wegen, auf Grund Asylantrages oder auf Grund Asylerstreckungsantrages Asyl gewährt wird, mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

 

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Eingriff in sexuelle Selbstbestimmung, gesundheitliche Beeinträchtigung, Lebensgrundlage, medizinische Versorgung, Sicherheitslage, soziale Gruppe
Zuletzt aktualisiert am
05.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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