TE AsylGH Erkenntnis 2008/08/27 D8 400174-1/2008

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Veröffentlicht am 27.08.2008
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Spruch

D8 400174-1/2008/5E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Gollegger als Vorsitzende und den Richter Mag. Kanhäuser als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin Thurner über die Beschwerde des Z. G., geb. 1965, StA. Georgien, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 06.06.2008, FZ. 07 07.077-BAE, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz, BGBl. Nr. 51/1991 in der Fassung BGBl. I Nr. 158/1998, zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt

 

1.1 Der (nunmehrige) Beschwerdeführer reiste am 29.07.2007 in das Bundesgebiet ein und stellte am 03.08.2007 beim Bundesasylamt (BAA) einen Antrag auf internationalen Schutz. Er gab an, den Namen G. Z. zu führen, Staatsangehöriger von Georgien und 1965 geboren zu sein. Anlässlich einer niederschriftlichen Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 03.08.2007 gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, dass er auf Grund seines gesundheitlichen Zustandes geflüchtet sei. Er benötige dringend ärztliche Behandlung und habe dafür in seinem Herkunftsland keine Möglichkeit. Da ihm sein kleines Lebensmittelgeschäft weggenommen worden sei, habe er sich die ärztliche Behandlung nicht mehr leisten können. Vom 29.07.2007 bis 03.08.2007 war der Beschwerdeführer in stationärer Behandlung im Landesklinikum auf Grund seiner Niereninsuffizienz.

 

In seiner Einvernahme vor dem BAA, EAST-Ost, am 08.08.2007 gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, dass er die letzten drei Jahre wegen seiner Krankheit nicht arbeiten hätte können und deshalb von seinem Bruder und Bekannten unterstützt worden sei. Weiters gab er an, einen Lebensmittelladen geführt zu haben; im April 2007 sei ihm das Geschäft von staatlicher Seite weggenommen worden. Er sei in Georgien zur Dialyse gegangen, aber Geld für Medikamente hätte er keines gehabt.

 

Nach Zulassung des Verfahrens wurde der Beschwerdeführer am 20.09.2007 einer Einvernahme vor dem BAA, Außenstelle Eisenstadt, unterzogen, bei welcher er im Wesentlichen angab, seine Heimat auf Grund seiner Krankheit verlassen zu haben. Er habe die Krankheit vor ca. 3 1/2 Jahren bekommen, stehe seit ca. 3 Jahren in Behandlung und müsse eine Dialyse durchführen. Er sei seit Ende November 2004 zweimal in der Woche in Tbilisi in einem Spital in Behandlung gewesen. Medikamente hätte er keine eingenommen, da er sich diese nicht hätte leisten können. Den Lebensunterhalt hätte er sich bis zur Ausreise mit seinem Geschäft verdient. Im April 2006 habe er mit dem Handel begonnen, habe zwei Angestellte, und das Geschäft bis März 2007 geführt. Dann seien Personen von einer Behörde, er glaube von der Steuerinspektion gekommen, die ihm gesagt hätten, dass die "Dokumente" nicht in Ordnung seien, weshalb sein Geschäft geschlossen worden sei. Bescheid habe er keinen bekommen. Der Beschwerdeführer führte weiter aus, dass er zu Beginn der Dialyse, zwei Monate zur Gänze und dann für ein Jahr die Hälfte der Behandlungskosten selbst zahlen hätte müssen. Die Behandlungen hätte er sich deshalb leisten können, da er früher gearbeitet und sein Bruder ihn unterstützt habe. Betreffend seines Geschäftes gab er an, dass sich ein Verwandter um den Einkauf und die Geschäftsführung gekümmert habe. Seine Mutter lebe in seinem Herkunftsstaat. Der Beschwerdeführer gab weiters an, nie einer konkreten Verfolgung auf Grund seiner Rasse, Nationalität oder politischen Überzeugung ausgesetzt gewesen zu sein.

 

Am 07.05.2008 fand eine weitere Einvernahme vor dem BAA, Außenstelle Eisenstadt, statt, in der der Beschwerdeführer angab, dass er in Österreich jeden zweiten Tag ins Spital zur Dialyse gehen und Medikamente gegen seinen Bluthochdruck nehmen müsse. Auf Grund der Dialyse nehme er keine Medikamente. In seinem Heimatland sei 3 1/2 Jahre jeden zweiten Tag eine Dialyse durchgeführt worden. Die ersten 3 Monate hätte er die Behandlung selbst gezahlt, danach seien die Kosten vom Staat übernommen worden.

 

1.2 Mit Bescheid vom 06.06.2008, Z 07 07.077-BAE, wies das BAA den Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs.1 AsylG 2005, BGBl. I 100/2005 idgF, ab und erklärte, dass der Status des Asylberechtigten nicht zuerkannt werde (Spruchpunkt I). In Spruchpunkt II. wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Georgien gemäß § 8 Abs.1 Z 1 AsylG nicht zuerkannt und in Spruchpunkt III. wurde der Antragsteller gemäß § 10 Abs.1 Z 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Georgien ausgewiesen. Das BAA stellte fest, dass die Identität des Antragstellers nicht feststehe; festgestellt wurde, dass der Beschwerdeführer Staatsangehöriger von Georgien ist. Der Zeitpunkt der illegalen Einreise und die Art und Weise, wie diese erfolgte, konnten vom BAA ebenfalls nicht festgestellt werden, weshalb auch nicht festgestellt werden konnte, wie lange sich der Beschwerdeführer tatsächlich schon in Österreich aufhalte. Nicht festgestellt werden konnte weiters, dass der Beschwerdeführer auf Grund seiner Erkrankung keine Möglichkeit hätte, diese in Georgien behandeln zu lassen und dass der Beschwerdeführer in Georgien asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt gewesen wäre bzw. im Falle einer etwaigen Rückkehr nach Georgien asylrelevante Verfolgung zu befürchten hätte oder mit einer solchen konfrontiert wäre. Festgestellt wurde vom BAA weiters, dass keine stichhaltigen Gründe bestünden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Georgien einer Gefahr im Sinne des § 50 FPG ausgesetzt wäre. Anschließend traf das BAA Länderfeststellungen zur aktuellen Situation in Georgien bezüglich der allgemeinen Lage, der Grundversorgung, der medizinischen Versorgung und zu HIV/Hepatitis C. Das BAA führte sodann als Beweiswürdigung im Wesentlichen - in Bezug auf die Krankheit des BF - aus:

 

"Der Antragsteller gab an, Georgien auf Grund seiner Krankheit verlassen zu haben. Der ASt. würde seit 3 Jahren Dialysebehandlungen durchführen lassen und würde der ASt. außerdem Nephritis leiden. Der ASt. würde im Spital in Tbilisi zweimal in der Woche behandelt werden [...] Der ASt. brachte bei der Einvernahme bei der Polzeiinspektion Traiskirchen vor, deshalb die Heimat verlassen zu haben, da dieser mittellos wäre und sich deshalb die medizinischen Behandlungen nicht mehr leisten könne. Bei der Einvernahme beim BAA, Außenstelle Eisenstadt, brachte der ASt. vor, dass dieser, zu Beginn der Behandlung, die ersten 2 Monate und dann nach 2005 die Hälfte der Behandlungskosten in der Höhe von LARI 90,-- ca. ¿ 50,-- "selbst" tragen hätte müssen. Bei der Einvernahme beim BAA, Außenstelle Eisenstadt, brachte der ASt. vor, dass dieser lediglich zu Beginn der Behandlung, die ersten 3 Monate die Behandlungskosten tragen hätte müssen und danach wäre ihm die Behandlung vom Staat finanziert worden. Auf Grund des Vorbringens des ASt. wird auf die h. o. vorliegenden aktuellen Feststellungen verwiesen. Die kostendeckende Bezahlung der medizinischen Behandlungen ist nicht in allen Fällen möglich, jedoch ist die Kostenübernahme bei Geburten, Krebs, psychiatrische Behandlung, Tuberkulose und Lebensbedrohung möglich. Einige Krankenhäuser, die mit internationaler humanitärer Hilfe unterstützt werden, behandeln besonders bedürftige Patienten kostenlos. Die grundlegendste medizinische Notfallversorgung ist in Georgien für jedermann gewährleistet. In Georgien können fast alle Erkrankungen wie in Westeuropa zufrieden stellend behandelt werden. Hepatitis B und C sind in Georgien ebenfalls in speziellen Abteilungen behandelbar. Die Krankenanstalten in Tiflis sind auch im staatlichen Bereich mit den erforderlichen grundlegenden Apparaturen und Einrichtungen gut ausgestattet. Es gibt eigene Dialysestationen und gibt es bei der Dialyse ein staatliches Programm, über welches man zu einer kostenfreien Dialysebehandlung kommen kann. Personen, die nicht von diesem Programm erfasst sind, müssen für die (sehr teure) Behandlung selbst aufkommen, jedoch trifft dies beim ASt. nicht zu, da diesem die Behandlungen bezahlt wurden und dieser somit in diesem Programm erfasst war. Hinzu kommt, dass bei Nichtaufnahme in die staatlichen Finanzierungsprogramme erhebliche Kosten bei der medizinischen Versorgung entstehen können, die jedoch teilweise durch NGOs oder sonstige Organisationen abgedeckt werden können; insbesondere bei besonderer Bedürftigkeit. Außerdem sind absolut erforderliche Notfallbehandlungen sichergestellt, ohne dies von den finanziellen Ressourcen der betroffenen Personen abhängig zu machen. Fast alle gängigen Nachsorgeuntersuchungen gehen jedoch zu Lasten des Patienten."

 

Bei der rechtlichen Beurteilung des festgestellten Sachverhaltes ging das BAA von folgender Gesetzeslage aus:

 

Die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz in Spruchpunkt I des o.a. Bescheides begründet das BAA im Wesentlichen damit, dass der Beschwerdeführer Verfolgung oder drohende Verfolgung aus Gründen, wie in der Genfer Flüchtlingskonvention taxativ aufgezählt, ebenso wenig glaubhaft machen konnte, wie die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung im Sinne der Grundaussage dieser internationalen Norm. Dass der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Georgien nicht zuerkannt wird (Spruchpunkt II), begründet das BAA im Wesentlichen damit, dass die Voraussetzungen des § 50 Abs. 2 FPG bereits unter Spruch I geprüft und verneint worden seien. Bei Prüfung der Frage, ob im Falle der Verbringung des Beschwerdeführers nach Georgien Art. 2 oder 3 EMRK oder das Protokoll Nr. 6 oder 13 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder ob bei dem Beschwerdeführer als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes bestehe, vertrat das BAA die Auffassung, dass sich für den Beschwerdeführer gegenwärtig kein Abschiebungshindernis nach Georgien ergebe, weil eine landesweite allgemeine extreme Gefährdungslage, in der jeder Asylwerber im Falle seiner Abschiebung dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert werden würde, nicht gegeben sei. Anschließend führt das BAA die Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) hinsichtlich einer Verletzung von Art. 3 EMRK in Verbindung mit einer Abschiebung aus. Das BAA fährt fort, dass soweit die mit einer Behandlung verbundene finanzielle Belastung vom Asylwerber ins Treffen geführt werde, kein im vorliegenden Fall unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 EMRK wesentlicher Aspekt angesprochen werde. Dem Umstand, dass der Asylwerber auch unter medizinischen Gesichtspunkten schwierigere Verhältnisse vorfinden würde als in Österreich, komme unter dem Blickwinkel des Art. 3 EMRK keine entscheidende Bedeutung zu. Davon, dass praktisch jedem, der nach Georgien abgeschoben werde, Gefahr für Leib und Leben in einem Maße drohe, dass die Abschiebung gemäß Art. 3 EMRK unzulässig erschiene, könne auf Grund der getroffenen Feststellungen nicht die Rede sein. Auch aus dem sonstigen Ergebnis des Ermittlungsverfahrens hätten sich unter Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen keine Hinweise auf das Vorliegen eines Sachverhaltes, welcher gemäß § 8 AsylG zur Gewährung von subsidiärem Schutz führen würde, ergeben. Spruchpunkt III. des o.a. Bescheides begründet das BAA im Wesentlichen damit, dass keine Hinweise auf familiäre Anknüpfungspunkte in Österreich bestünden und dass keine Hinweise vorlägen, welche den Schluss zuließen, dass durch eine Ausweisung auf sonstige Weise unzulässigerweise in das Privatleben des Antragstellers eingegriffen werde.

 

1.3 Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 10.06.2008 (beim BAA am 20.06.2008 eingelangt) fristgerecht Berufung (nunmehr Beschwerde), in der er im Wesentlichen geltend macht, dass er sein Heimatland verlassen musste, da er schwer krank und in Georgien der Zugang zur medizinischen Versorgung nicht gewährleistet sei. Er sei seit einigen Jahren Dialysepatient, sei in seiner Heimat zwar behandelt worden, aber es sei für ihn aus finanziellen und organisatorischen Gründen kaum möglich gewesen, die notwendige Behandlung zu bekommen. Der von ihm geführte Name, Geburtsdatum und seine Adresse seien nicht korrekt, es sei ihm auch nicht möglich, Dokumente über seine wahre Identität beizubringen. Wahr sei, dass er aus T. stamme, allerdings habe er nie in Tiflis gelebt und sei dort nie in Behandlung gewesen. Er habe die Dialyse in einem Spital in K. durchführen lassen müssen. Diese Stadt sei ca. 100 km von seinem Heimatort entfernt und von dort schwer zu erreichen, weil es eine gebirgige Region sei. Es sei für ihn sehr beschwerlich und oft unmöglich, das Krankenhaus zweimal wöchentlich aufzusuchen. Aus finanziellen Gründen sei die Behandlung in Georgien nicht gesichert. Es sei dort seine Hepatitis C-Erkrankung nicht erkannt worden, sondern erst in Österreich diagnostiziert worden. Selbst wenn die Krankheit erkannt worden wäre, wäre es auf Grund der Umstände nicht möglich gewesen, diese zu behandeln. Weiters führt er betreffend die Behandlung von Hepatitis C einen Auszug aus einem Dokument der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, SFH, Juni 2005, Georgien: Behandlungsmöglichkeiten von Hepatitis C und der Umgang mit Drogensüchtigen, sowie eine Anfragebeantwortung von ACCORD zu "AIDS/HIV/Hepatitis C" vom 20.03.2007 an. Da er aus einer abgelegenen Region komme und über kein Einkommen verfüge, hätte er keinen Zugang zu einer Hepatitis C Behandlung. Sein Zustand hätte sich im Laufe der Jahre zusehends verschlechtert und er müsse in T. auf Grund der inadäquaten Behandlung mit einem frühzeitigen Tod rechnen, da dort auch keine Chance auf eine Nierentransplantation bestünde. Im Falle einer Abschiebung nach Georgien bestünde eine erhebliche und konkrete Gesundheitsgefahr und es bestünden stichhaltige Gründe für die Annahme, dass sein Leben im Sinne des Art. 33 GFK bedroht sei. Es würden daher Abschiebungshindernisse im Sinne des § 50 FPG vorliegen. Ein Abschiebungshindernis im Sinn des Art. 3 EMRK in Verbindung mit § 8 AsylG liege in seinem Fall vor. Er stellt die Anträge, 1) ihm nach Verfahrungsergänzung in Österreich Asyl gemäß § 3 AsylG 2005 zu gewähren, 2) ihm in eventu den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen und 3) den Spruchpunkt III. ersatzlos zu beheben.

 

2. Der Asylgerichtshof hat gemäß Art. 151 Abs. 39 Z 4 des Bundes-Verfassungsgesetzes (B-VG), BGBl. 1/1930 (WV) idF BGBl. I 2/2008, ab 01.07.2008 die beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängigen Verfahren weiterzuführen. An die Stelle des Begriffs "Berufung" tritt gemäß § 23 des Asylgerichtshofgesetzes (AsylGHG), BGBl. I 4/2008, mit Wirksamkeit ab 01.07.2008 der Begriff "Beschwerde".

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Rechtslage:

 

1.1 Mit 01.07.2008 wurde die ursprünglich zuständige Berufungsbehörde, der Unabhängige Bundesasylsenat, aufgelöst, an seine Stelle trat der neu eingerichtete Asylgerichtshof.

 

Gemäß § 28 Abs. 1 des Bundesgesetzes über den Asylgerichtshof (Asylgerichtshofgesetz - AsylGHG), Art. 1 Asylgerichtshof-Einrichtungsgesetzes, BGBl. I 4/2008, tritt dieses Bundesgesetz mit 01.07.2008 in Kraft. Gleichzeitig tritt das Bundesgesetz über den unabhängigen Bundesasylsenat - UBASG, BGBl. I 77/1997, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I 100/2005, außer Kraft.

 

Gemäß § 22 Abs. 1 des Art. 2 des Asylgerichtshof-Einrichtungsgesetzes, Änderung des Asylgesetzes 2005, BGBl. I 100/2005 in der Fassung BGBl. I 4/2008 (AsylG 2005 idF der AsylG-Nov. 2008), ergehen Entscheidungen des Asylgerichtshofes in der Sache selbst in Form eines Erkenntnisses, alle anderen in Form eines Beschlusses. Die Entscheidungen des Bundesasylamtes und des Asylgerichtshofes haben den Spruch und die Rechtsmittelbelehrung auch in einer dem Asylwerber verständlichen Sprache zu enthalten.

 

Gemäß § 61 Abs. 1 AsylG 2005 idF der AsylG-Nov. 2008 entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten oder, soweit dies in Abs. 3 vorgesehen ist, durch Einzelrichter über

 

Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes und

 

Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesasylamtes.

 

Gemäß § 23 AsylGHG sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. 1/1930 dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. 10, nichts anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

Nach § 66 Abs. 4 AVG, BGBl. I 51/1991, hat die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

 

Im gegenständlichen Fall handelt es sich um ein Beschwerdeverfahren, das gemäß § 61 Abs. 1 AsylG 2005 idF der AsylG-Nov. 2008 von dem nach der Geschäftsverteilung zuständigen Senat zu entscheiden ist.

 

1.2 Gemäß § 73 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl I 100/2005 (AsylG 2005), tritt dieses Bundesgesetz mit 1. Jänner 2006 in Kraft. Das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 1997), BGBl. I. 76/1997 tritt mit Ausnahme des § 42 Abs. 1 mit Ablauf des 31. Dezember 2005 außer Kraft (§ 73 Abs. 2 AsylG 2005). Gemäß § 75 AsylG 2005 idF der AsylG-Nov. 2008 sind alle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen. § 44 AsylG 1997 gilt. Die §§ 24, 26, 54 bis 57 und 60 dieses Bundesgesetzes sind auf diese Verfahren anzuwenden. § 27 ist auf diese Verfahren mit der Maßgabe anzuwenden, dass das Bundesasylamt oder der Asylgerichtshof zur Erlassung einer Ausweisung zuständig ist und der Sachverhalt, der zur Einleitung des Ausweisungsverfahrens führen würde, nach dem 31.12.2005 verwirklicht wurde. § 57 Abs. 5 und 6 ist auf diese Verfahren mit der Maßgabe anzuwenden, dass nur Sachverhalte, die nach dem 31.12.2005 verwirklicht wurden, zur Anwendung dieser Bestimmungen führen.

 

Im gegenständlichen Fall wurde der Antrag auf internationalen Schutz am 03.08.2007 gestellt, weshalb das AsylG 2005 iVm dem AsylG 2005 idF der AsylG-Nov. 2008 zur Anwendung gelangt.

 

1.3 Gemäß § 66 Abs. 2 AVG, BGBl. 51/1991 idF BGBl. I 158/1998, kann die Berufungsbehörde, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen. Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits in mehreren Erkenntnissen ausgeführt hat, macht es keinen Unterschied, ob es sich bei der "Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung" um eine kontradiktorische Verhandlung oder um eine bloße Einvernahme handelt (VwGH 21.11.2002, 2000/20/0084; 21.11.2002, 2002/20/0315; 11.12.2003, 2003/07/0079).

 

Gemäß Abs. 3 leg. cit. kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.

 

2. In der Sache:

 

2.1 Zur Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG hat der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 21. 11. 2002, Z 2002/20/0315 ausgeführt:

 

"Im Berufungsverfahren vor der belangten Behörde ist gemäß § 23 AsylG und Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG (unter anderem) § 66 AVG anzuwenden. Nach § 66 Abs. 1 AVG in der Fassung BGBl. I Nr. 158/1998 hat die Berufungsbehörde notwendige Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens durch eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde durchführen zu lassen oder selbst vorzunehmen. Außer dem in § 66 Abs. 2 AVG erwähnten Fall hat die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, gemäß § 66 Abs. 4 AVG immer in der Sache selbst zu entscheiden (vgl. dazu unter dem besonderen Gesichtspunkt der Auslegung der Entscheidungsbefugnis der belangten Behörde im abgekürzten Berufungsverfahren nach § 32 AsylG die Ausführungen im hg. Erkenntnis vom 23. 07. 1998, Zl. 98/20/0175, Slg. Nr. 14.945/A, die mehrfach vergleichend auf § 66 Abs. 2 AVG Bezug nehmen; zu diesem Erkenntnis siehe auch Wiederin, ZUV 2000/1, 20 f).

 

Der Verwaltungsgerichthof hat im Erkenntnis vom 27. 04. 1989, Zl. 86/09/0012, Slg. Nr. 12.917/A, aus einer in den Verwaltungsvorschriften angeordneten zwingenden und ohne Ausnahme bestehenden Verpflichtung zur Durchführung einer Berufungsverhandlung trotz Fehlens einer ausdrücklichen Ausnahme hinsichtlich der Geltung des § 66 Abs. 2 AVG die Unanwendbarkeit dieser Bestimmung in einem solchen Berufungsverfahren gefolgert. Das steht aber zu der hier - für das Verfahren vor der belangten Behörde - zu Grunde gelegten gegenteiligen Auffassung schon deshalb nicht im Widerspruch, weil eine derartige uneingeschränkte Verhandlungspflicht für den Unabhängigen Bundesasylsenat nicht besteht. (...) Die Berufungsbehörde darf eine kassatorische Entscheidung nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes, sondern nur dann treffen, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Die Berufungsbehörde hat dabei zunächst in rechtlicher Gebundenheit zu beurteilen, ob angesichts der Ergänzungsbedürftigkeit des ihr vorliegenden Sachverhaltes die Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unvermeidlich erscheint. Für die Frage der Unvermeidlichkeit einer mündlichen Verhandlung im Sinne des § 66 Abs. 2 AVG ist es aber unerheblich, ob eine kontradiktorische Verhandlung oder nur eine Vernehmung erforderlich ist (vgl. etwa das Erkenntnis vom 14. 03. 2001, Zl. 2000/08/0200; zum Begriff "mündliche Verhandlung" im Sinne des § 66 Abs. 2 AVG siehe auch die Nachweise im Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2000/20/0084)."

 

Nach der grundsätzlichen Bejahung der Frage der Anwendbarkeit des § 66 Abs. 2 AVG führte der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 21. 11. 2002, Z 2002/20/0315, zur Frage der Gesetzmäßigkeit der Ermessensübung im Sinne des § 66 Abs. 2 und 3 AVG Folgendes aus:

 

"Der Gesetzgeber hat in Asylsachen ein zweiinstanzliches Verfahren (mit nachgeordneter Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts) eingerichtet, wobei der belangten Behörde die Rolle einer "obersten Berufungsbehörde" zukommt (Art. 129c Abs. 1 B-VG). In diesem Verfahren hat bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln und es ist gemäß § 27 Abs. 1 AsylG grundsätzlich verpflichtet, den Asylwerber dazu persönlich zu vernehmen. Diese Anordnungen des Gesetzgebers würden aber unterlaufen, wenn es wegen des Unterbleibens eines Ermittlungsverfahrens in erster Instanz zu einer Verlagerung nahezu des gesamten Verfahrens vor die Berufungsbehörde käme und die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen damit zur bloßen Formsache würde. Es ist nicht im Sinne des Gesetzes, wenn die Berufungsbehörde, statt ihre (umfassende) Kontrollbefugnis wahrnehmen zu können, jene Behörde ist, die erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und einer Beurteilung unterzieht [...]"

 

2.2 Gemäß Art. 129c Z 1, Art. 1 des Bundesverfassungsgesetzes, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz geändert und ein Erstes Bundesverfassungsrechtsbereinigungsgesetz erlassen wird, BGBl. I 1/1930 in der Fassung BGBl. I 2/2008, erkennt der Asylgerichtshof - und nicht mehr der Unabhängige Bundesasylsenat als "oberste Berufungsbehörde" - nach Erschöpfung des Instanzenzuges über Bescheide der Verwaltungsbehörden in Asylsachen. Der Asylgerichtshof sieht keinen Grund dafür, dass sich die o.a. Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht auf die neue Rechtslage übertragen ließe. Es ist weiterhin in Asylsachen ein zweiinstanzliches Verfahren vorgesehen. In diesem Verfahren hat bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz relevanten Sachverhalt zu ermitteln. Unterbliebe ein umfassendes Ermittlungsverfahren in erster Instanz, würde nahezu das gesamte Verfahren vor die Berufungsbehörde verlagert werden, sodass die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen zur bloßen Formsache würde. Es liegt nicht im Sinne des Gesetzes, dass der Asylgerichtshof erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermitteln und beurteilen muss und damit seine umfassende Kontrollbefugnis nicht wahrnehmen kann. Eine ernsthafte Prüfung des Antrages soll nicht erst bei der letzten Instanz beginnen und zugleich enden (abgesehen von der - im Bundesverfassungsgesetz, BGBl. I 1/1930 in der Fassung BGBl. 2/2008, neu eingefügten Art. 144a B-VG vorgesehenen - Kontrolle des Verfassungsgerichtshofes).

 

2.3 Das BAA hat sich nicht ordnungsgemäß mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers auseinandergesetzt und dementsprechende Ermittlungen nicht durchgeführt. Dem Akt liegt lediglich eine Aufenthaltsbestätigung des Landesklinikums über die stationäre Krankenhausbehandlung vom 29.07. bis 03.08.2007 des Beschwerdeführers sowie ein Arztbrief an den behandelnden Arzt vor. Im Arztbrief steht bei der Diagnose "Terminale Niereninsuffizienz (dialysepflichtig seit 3 Jahren laut Pat. wegen Glomerononephritis), Hypertensive Krise bei arterieller Hypertonie, Shunt linker Unterarm". In diesem Arztbrief steht weiters "In der Hepatitis-Serologie zeigen sich positive HCV Antikörper und HBC Antikörper im Sinne einer Hepatitis C und einer St. p. Hepatitis B. Die Hepatitis C PCR wurde auf der Dialysestation abgenommen (Befund noch ausständig)". In einem Blutbildbefund des Beschwerdeführers findet sich weiters, "HCV - ak. reaktiv! Einsendung eines Serumtrenngelröhrchens an das Institut für Virologie an der Uni Wien zur weiteren Abklärung (PCR) empfohlen".

 

Obwohl das BAA über die schwere dialysepflichtige Erkrankung und über die Hepatitis C-Erkrankung des Beschwerdeführers Bescheid wusste, hat das BAA den aktuellen gesundheitlichen Zustand des Beschwerdeführers bei der Prüfung nicht umfassend erhoben. Es hätte genaue Ermittlungen zum aktuellen Gesundheitszustand des Beschwerdeführers treffen müssen, ein fachärztliches Gutachten in Bezug auf den aktuellen gesundheitlichen Zustand des Beschwerdeführers sowohl hinsichtlich der Hepatitis C-Erkrankung als auch hinsichtlich der Nierenerkrankung einzuholen gehabt, um zu ermitteln, welches Stadium die Erkrankung erreicht hat, ob bzw. welche Medikamente in Bezug auf beide Erkrankungen einzunehmen sind, welche Behandlungen notwendig sind, inwiefern die Notwendigkeit einer Leber- oder/und Nierentransplantation gegeben ist und ob im Falle der Notwendigkeit einer Operation bzw. Transplantation in Georgien diese Möglichkeiten überhaupt gegeben sind; weiters inwiefern eine ständige Überwachung und regelmäßige Dialysebehandlungen lebensnotwendig notwendig sind und ob bei nicht regelmäßiger Behandlung der Beschwerdeführer in einen lebensbedrohlichen Zustand geraten könnte. Das BAA hätte Ermittlungen dahingehend treffen müssen, ob aus aktueller Sicht einer Überstellung überhaupt zumutbar ist und ob durch die Überstellung eine unzumutbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes aus ärztlicher Sicht bewirkt werden könnte. Das BAA hätte somit insbesondere prüfen müssen, ob auf Grund des gesundheitlichen Zustands im Hinblick auf Art. 3 EMRK die Abschiebungsmaßnahme selbst möglich oder nicht möglich ist und ob durch die Überstellung eine unzumutbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes eintreten könnte.

 

Das BAA hat den o.a. Bescheid mit schwerer Mangelhaftigkeit belastet, weil der durchaus bedenkliche Gesundheitszustand des Beschwerdeführers nicht umfassend in das Ermittlungsverfahren einbezogen wurde und diesbezüglich keine ausreichenden Feststellungen im Bescheid getroffen wurden. Das Bundesasylamt hat es somit unterlassen, brauchbare Ermittlungsergebnisse in das Verfahren einzuführen. Das BAA wird sich daher im fortgesetzten Verfahren mit den o.a. Fragen auseinanderzusetzen haben, dementsprechende Ermittlungen zu führen und diese Ergebnisse unter anderem mit dem Beschwerdeführer in einer Vernehmung zu erörtern haben, um den Sachverhalt weiter zu erhellen und schließlich die rechtliche Konsequenzen ziehen müssen.

 

Die fehlenden Ermittlungen zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers und die dementsprechend mangelhaften Feststellungen sowie die Abklärung im Herkunftsstaat Georgien stellen im gegenständlichen Fall eine schwere Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Asylverfahrens dar. Die aufgezeigte Mangelhaftigkeit ist wesentlich, weil vorweg nicht ausgeschlossen werden kann, dass deren Vermeidung für den Beschwerdeführer zu einem günstigeren Ergebnis hätte führen können. Aus den dargelegten Gründen ist gemäß § 66 Abs. 2 AVG der o.a. Bescheid zu beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung/Einvernahme und Erlassung eines neuen Bescheides an das BAA zurückzuverweisen.

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
gesundheitliche Beeinträchtigung, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung, Überstellungsrisiko (ab 08.04.2008)
Zuletzt aktualisiert am
20.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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