TE AsylGH Erkenntnis 2008/08/27 S6 401086-1/2008

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Veröffentlicht am 27.08.2008
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Spruch

GZ. S6 401.086-1/2008/2E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. Singer als Einzelrichter über die Beschwerde der P.L., geb. 00.00.1978, StA. Armenien, vertreten durch Mag. Sabine MARTIN, Diakonie - Flüchtlingsdienst, Steinergasse 3, 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 01.08.2008, GZ. 08 04.831, zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 5, 10 AsylG idF BGBL. I Nr. 100/2005 als unbegründet abgewiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

Der Verfahrensgang vor der erstinstanzlichen Behörde ergibt sich aus dem erstinstanzlichen Verwaltungsakt.

 

Die nunmehrige Beschwerdeführerin reiste am 02.06.2008 illegal, mit dem Zug aus Stockholm kommend, in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte noch am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

Im Rahmen ihrer niederschriftlichen Einvernahmen gab die Beschwerdeführerin an, sie wolle nicht nach Schweden zurück, da Schweden sie nach Armenien abschieben würde und würde in Armenien ihre Krankheit nicht behandelt werden. Schweden habe der Beschwerdeführerin medizinisch sehr geholfen und sei ihre Krankheit, "familiäres Mittelmeerfieber", überhaupt erst in Schweden diagnostiziert worden. In Armenien sei die Beschwerdeführerin zwar ständig krank gewesen aber hätte niemand gewusst, dass sie an dieser Krankheit leide. In Schweden hätten die Ärzte bis zum letzten Moment für die im Betreff Genannte gekämpft und hätten sie der Asylbehörde bestätigt, dass sie ohne medizinische Behandlung nicht leben könne. Trotzdem habe die Beschwerdeführerin die Ausweisung aus Schweden erhalten. Persönliche Gründe, die gegen eine Ausweisung nach Schweden sprechen, habe die Beschwerdeführerin nicht.

 

Die erkennungsdienstlichen Behandlungen ergaben, dass die Beschwerdeführerin bereits in Schweden am 04.02.2004 sowie am 17.02.2006 jeweils einen Asylantrag stellte.

 

Das Führen von Konsultationsverfahren mit Schweden wurde der Beschwerdeführerin am 11.06.2008 mitgeteilt.

 

Schweden hat am 12.06.2008 seine Zustimmung zur Wiederaufnahme der Beschwerdeführerin gemäß Art. 16 Abs 1 lit e VO 343/2003 erklärt.

 

Den Befunden des Landesklinikums B. zufolge, leidet die im Betreff Genannte an der Krankheit "familiäres Mittelmeerfieber" und werden ihr von ärztlicher Seite regelmäßige Kontrollen beim Hausarzt beziehungsweise beim Internisten empfohlen.

 

Laut gutachterlicher Stellungnahme von Dr. med. I.H., liegt aus aktueller Sicht zwar eine belastungsabhängige krankheitswertige Störung bei der Beschwerdeführerin vor, jedoch stehen der Überstellung der im Betreff Genannten nach Schweden keine schweren psychischen Störungen entgegen, die eine unzumutbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes aus ärztlicher Sicht bewirken würden.

 

Das Bundesasylamt hat mit Bescheid vom 01.08.2008, Zl: 08 04.831, den Antrag auf internationalen Schutz der nunmehrigen Beschwerdeführerin ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass für die Prüfung des gegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. e Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates Schweden zuständig sei. Gleichzeitig wurde die Beschwerdeführerin gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Schweden ausgewiesen und gemäß § 10 Abs. 4 AsylG festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der im Betreff Genannten nach Schweden zulässig sei.

 

Die Erstbehörde traf in diesem Bescheid Feststellungen zum schwedischen Asylverfahren, zur Praxis des Non-Refoulement-Schutzes und zur Versorgung von Asylwerbern in Schweden welche ergaben, dass Asylwerbern in Schweden ein faires Asylverfahren offen steht.

 

Beweiswürdigend wurde hervorgehoben, dass eine in Schweden über den Asylantrag der Beschwerdeführerin negative Entscheidung, eine durchaus mögliche Beendigung eines rechtskonformen Asylverfahrens ist, die in jedem Mitgliedstaat der EU erlassen werden kann. Es sei kein hinreichend konkretes Vorbringen dahingehend erstattet worden und liege auch keine notorische Information vor, dass der rechtliche und faktische Standard der schwedischen Asylverfahren per se die Verletzung der EMRK im Falle der Effektuierung eines negativen Verfahrensausganges wahrscheinlich erscheinen ließe.

 

Gegen diesen Bescheid wurde am 13.08.2008 fristgerecht Beschwerde erhoben. Darin wird zunächst die Krankheit der Beschwerdeführerin beschrieben. Zu diesem Zweck werden der Beschwerde im Anhang Erläuterungen über die Krankheit "familiäres Mittelmeerfieber" beigefügt. In weiterer Folge wird in der Beschwerde Art. 3 EMRK thematisiert und werden Quellen angegeben, die den Mangel an medizinischer Behandlung für Patienten in Armenien bezeugen sollen. Zudem wird bemängelt, dass die Erstbehörde es unterließ, die Akten der schwedischen Asylbehörden beizuschaffen, da zwingend vom Selbsteintrittsrecht Österreichs Gebrauch zu machen gewesen wäre. Weiters stelle die Ausweisung der im Betreff Genannten einen unzulässigen Eingriff in ihr Privat- und Familienleben gem. Art. 8 EMRK dar.

 

II. Der Asylgerichtshof hat durch den zuständigen Richter über die gegenständliche Beschwerde wie folgt erwogen:

 

Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus dem vorliegenden Verwaltungsakt.

 

Rechtlich ergibt sich Folgendes:

 

Mit Datum 01.01.2006 ist das neue Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG idF BGBL. I Nr. 100/2005) und ist somit auf alle ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.

 

Am 01. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren sind vom Asylgerichtshof nach Maßgabe des § 75 AsylG 2005 idF. BGBl. I Nr. 4/2008 weiterzuführen.

 

Gemäß § 23 AsylGHG sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 AsylG erledigter Asylantrag als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18.02.2003 zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Asylbehörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 10 Abs 1 Z 1 AsylG ist die Zurückweisung eines Antrages nach Maßgabe der § 10 Abs 3 und Abs 4 AsylG mit einer Ausweisung zu verbinden. Die Dublin II VO ist eine Verordnung des Gemeinschaftsrechts im Anwendungsbereich der 1. Säule der Europäischen Union (vgl Art. 63 EGV), die Regelungen über die Zuständigkeit zur Prüfung von Asylanträgen von Drittstaatsangehörigen trifft. Sie gilt also nicht für mögliche Asylanträge von EU-Bürgern, ebenso wenig ist sie auf Personen anwendbar, denen bereits der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Das wesentliche Grundprinzip ist jenes, dass den Drittstaatsangehörigen in einem der Mitgliedstaaten das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Asylverfahren zukommt, jedoch nur ein Recht auf ein Verfahren in einem Mitgliedstaat, dessen Zuständigkeit sich primär nicht aufgrund des Wunsches des Asylwerbers, sondern aufgrund der in der Verordnung festgesetzten hierarchisch geordneten Zuständigkeitskriterien ergibt.

 

Es ist daher zunächst zu überprüfen, welcher Mitgliedstaat nach den hierarchisch aufgebauten (Art. 5 Abs 1 Dublin II VO) Kriterien der Art. 6-12 bzw 14 und Art. 15 Dublin II VO, beziehungsweise dem Auffangtatbestand des Art. 13 Dublin II VO zur inhaltlichen Prüfung zuständig ist.

 

Im vorliegenden Fall ist dem Bundesasylamt zuzustimmen, dass eine Zuständigkeit Schwedens gemäß Art. 16 Abs 1 lit e Dublin II VO besteht. Aufgrund der plausiblen Angaben der Beschwerdeführerin zu ihrem Reiseweg, nahm das Bundesasylamt das Konsultationsverfahren mit Schweden auf und erklärte sich Schweden zur Wiederaufnahme der im Betreff Genannten gemäß Art. 16 Abs 1 lit e Dublin II VO bereit. Die erste Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der getroffenen Unzuständigkeitsentscheidung ist somit gegeben und ist diese im Verfahren nicht bestritten worden.

 

Es sind auch aus der Aktenlage keine Hinweise ersichtlich, wonach die Führung der Konsultationen im gegenständlichen Fall derart fehlerhaft erfolgt wäre, sodass von Willkür im Rechtssinn zu sprechen wäre und die Zuständigkeitserklärung des zuständigen Mitgliedstaates wegen Verletzung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundsätze aus diesem Grund ausnahmsweise keinen Bestand haben könnte (Filzwieser, Subjektiver Rechtsschutz und Vollziehung der Dublin II VO - Gemeinschaftsrecht und Menschenrechte, migraLex, 1/2007, 22ff; vgl auch das Gebot der Transparenz im "Dublin-Verfahren", VwGH 23.11.2006, Zl. 2005/20/0444). Das Konsultationsverfahren erfolgte mängelfrei.

 

Das Bundesasylamt hat ferner von der Möglichkeit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs 2 Dublin II VO keinen Gebrauch gemacht. Es war daher noch zu prüfen, ob von diesem Selbsteintrittsrecht im gegenständlichen Verfahren ausnahmsweise zur Vermeidung einer Verletzung der EMRK zwingend Gebrauch zu machen gewesen wäre.

 

Der VfGH hat mit Erkenntnis vom 17.06.2005, Zl. B 336/05-11 festgehalten, die Mitgliedstaaten hätten kraft Gemeinschaftsrecht nicht nachzuprüfen, ob ein anderer Mitgliedstaat generell sicher sei, da eine entsprechende normative Vergewisserung durch die Verabschiedung der Dublin II VO erfolgt sei, dabei aber gleichzeitig ebenso ausgeführt, dass eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung im Einzelfall gemeinschaftsrechtlich zulässig und bejahendenfalls das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs 2 Dublin II VO zwingend geboten sei.

 

Die Judikatur des VwGH zu den Determinanten dieser Nachprüfung lehnt sich richtigerweise an die Rechtsprechung des EGMR an und lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben werden soll, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen. Wenn keine Gruppenverfolgung oder sonstige amtswegig zu berücksichtigende notorische Umstände grober Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten der EU in Bezug auf Art. 3 EMRK vorliegen (VwGH 27.09.2005, Zl. 2005/01/0313), bedarf es zur Glaubhaftmachung der genannten Bedrohung oder Gefährdung konkreter auf den betreffenden Fremden bezogener Umstände, die gerade in seinem Fall eine solche Bedrohung oder Gefährdung im Fall seiner Abschiebung als wahrscheinlich erscheinen lassen (VwGH 26.11.1999, Zl 96/21/0499, VwGH 09.05.2003, Zl. 98/18/0317; vgl auch VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059): "Davon abgesehen liegt es aber beim Asylwerber, besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vorzubringen und glaubhaft zu machen. Dazu wird es erforderlich sein, dass der Asylwerber ein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art 3 EMRK, nach sich ziehen könnte, und er die Asylbehörden davon überzeugt, dass der behauptete Sachverhalt (zumindest) wahrscheinlich ist." (VwGH 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949).

 

Die Vorlage allgemeiner Berichte ersetzt dieses Erfordernis in der Regel nicht (vgl VwGH 17.02.1998, Zl. 96/18/0379; EGMR Mamatkulov & Askarov v Türkei, Rs 46827, 46951/99, 71-77), eine geringe Anerkennungsquote, eine mögliche Festnahme im Falle einer Überstellung ebenso eine allfällige Unterschreitung des verfahrensrechtlichen Standards des Art. 13 EMRK sind für sich genommen nicht ausreichend, die Wahrscheinlichkeit einer hier relevanten Menschenrechtsverletzung darzutun. Relevant wäre dagegen etwa das Vertreten von mit der GFK unvertretbaren rechtlichen Sonderpositionen in einem Mitgliedstaat oder das Vorliegen einer massiv rechtswidrigen Verfahrensgestaltung im individuellen Fall, wenn der Asylantrag im zuständigen Mitgliedstaat bereits abgewiesen wurde (Art. 16 Abs 1 lit. e Dublin II VO). Eine ausdrückliche Übernahmeerklärung des anderen Mitgliedstaates hat in die Abwägung einzufließen (VwGH 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582, VwGH 31.05.2005, Zl. 2005/20/0025, VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/19/0673), ebenso andere Zusicherungen der europäischen Partnerstaaten Österreichs (zur Bedeutung solcher Sachverhalte Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO, K13. zu Art 19 Dublin II VO).

 

Weiterhin hatte der Asylgerichtshof folgende Umstände zu berücksichtigen:

 

Bei entsprechender Häufung von Fällen, in denen in Folge Ausübung des Selbsteintrittsrechts die gemeinschaftsrechtliche Zuständigkeit nicht effektuiert werden kann, kann eine Gefährdung des "effet utile" Grundsatzes des Gemeinschaftsrechts entstehen.

 

Zur effektiven Umsetzung des Gemeinschaftsrechts sind alle staatlichen Organe kraft Gemeinschaftsrechts verpflichtet.

 

Der Verordnungsgeber der Dublin II VO, offenbar im Glauben, dass sich alle Mitgliedstaaten untereinander als "sicher" ansehen können, wodurch auch eine Überstellung vom einen in den anderen Mitgliedstaat keine realen Risken von Menschenrechtsverletzungen bewirken könnte (vgl. insbesondere den 2. Erwägungsgrund der Präambel der Dublin II VO), hat keine eindeutigen verfahrens- oder materiellrechtlichen Vorgaben für solche Fälle getroffen hat, diesbezüglich lässt sich aber aus dem Gebot der menschenrechtskonformen Auslegung des Gemeinschaftsrechts und aus Beachtung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundrechte ableiten, dass bei ausnahmsweiser Verletzung der EMRK bei Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat eine Überstellung nicht stattfinden darf. Die Beachtung des Effizienzgebots (das etwa eine pauschale Anwendung des Selbsteintrittsrechts oder eine innerstaatliche Verfahrensgestaltung, die Verfahren nach der Dublin II VO umfangreicher gestaltet als materielle Verfahren verbietet) und die Einhaltung der Gebote der EMRK stehen daher bei richtiger Anwendung nicht in Widerspruch (Filzwieser, migraLex, 1/2007, 18ff, Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO², K8-K13. zu Art. 19).

 

Die allfällige Rechtswidrigkeit von Gemeinschaftsrecht kann nur von den zuständigen gemeinschaftsrechtlichen Organen, nicht aber von Organen der Mitgliedstaaten rechtsgültig festgestellt werden. Der EGMR hat jüngst festgestellt, dass der Rechtsschutz des Gemeinschaftsrechts regelmäßig den Anforderungen der EMRK entspricht (30.06.2005, Bosphorus Airlines v Irland, Rs 45036/98).

 

Es bedarf sohin europarechtlich eines im besonderen Maße substantiierten Vorbringens und des Vorliegens besonderer vom Antragsteller bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, um die grundsätzliche europarechtlich gebotene Annahme der "Sicherheit" der Partnerstaaten der Europäischen Union als einer Gemeinschaft des Rechts im individuellen Fall erschüttern zu können. Diesem Grundsatz entspricht auch die durch das AsylG 2005 eingeführte gesetzliche Klarstellung des § 5 Abs 3 AsylG, die Elemente einer Beweislastumkehr enthält. Es trifft zwar ohne Zweifel zu, dass Asylwerber in ihrer besonderen Situation häufig keine Möglichkeit haben, Beweismittel vorzulegen (wobei dem durch das Institut des Rechtsberaters begegnet werden kann), und dies mitzubeachten ist (VwGH, 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949), dies kann aber nicht pauschal dazu führen, die vom Gesetzgeber - im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht - vorgenommene Wertung des § 5 Abs 3 AsylG überhaupt für unbeachtlich zu erklären (dementsprechend in ihrer Undifferenziertheit verfehlt, Feßl/Holzschuster, AsylG 2005, 225ff). Eine Rechtsprechung, die in Bezug auf Mitgliedstaaten der EU faktisch höhere Anforderungen entwickelte, als jene des EGMR in Bezug auf Drittstaaten wäre jedenfalls gemeinschaftsrechtswidrig.

 

Mögliche Verletzung des Art. 8 EMRK

 

Familiäre Bezüge in Österreich sind im Verfahren nicht hervorgekommen, ebenso wenig - schon aufgrund der relativ kurzen Aufenthaltsdauer - schützenswerte Aspekte des Privatlebens wie beispielsweise eine bereits erfolgte außergewöhnliche Integration in Österreich etwa aufgrund sehr langer Verfahrensdauer (vgl. VfGH 26.02.2007, Zl 1802, 1803/06-11). Derartige Umstände sind auch von der Beschwerdeführerin zu keinem Zeitpunkt behauptet worden.

 

Kritik am schwedischen Asylwesen/der Situation in Schweden

 

Hiezu ist festzuhalten, dass kein konkretes Vorbringen ergangen ist, das geeignet wäre anzunehmen, dass der rechtliche und faktische Standard der schwedischen Asylverfahren, eine Verletzung fundamentaler Menschenrechte erkennen ließe.

 

Konkretes detailliertes Vorbringen, das geeignet wäre, anzunehmen, dass Schweden in Hinblick auf armenische AsylwerberInnen unzumutbare rechtliche Sonderpositionen vertreten würde, ist nicht erstattet worden. Hinweise auf konkrete individuelle Vulnerabilität im Verhältnis der schwedischen Asylbehörde zu gerade dieser Beschwerdeführerin sind weder aus der Aktenlage ersichtlich noch wurde diese im Beschwerdeschriftsatz vorgebracht. Offenkundige Zweifel der Integrität der so mit der Beschwerdeführerin durchgeführten Asyl - und fremdenrechtlichen Verfahren ergeben sich aus der individuellen Aktenlage daher nicht.

 

Das Asyl- und Refoulmentschutzverfahren in Schweden und die Situation von Asylwerbern dort geben keinen Anlass, ein "real risk" einer Verletzung von Art. 3 EMRK zu befürchten.

 

Medizinische Krankheitszustände; Behandlung in Schweden

 

Unbestritten ist, dass nach der allgemeinen Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK und Krankheiten, die auch im vorliegenden Fall maßgeblich ist, eine Überstellung nach Schweden nicht zulässig wäre, wenn durch den Überstellungsvorgang eine existenzbedrohende Situation drohte und diesfalls das Selbsteintrittsrecht der Dublin II VO zwingend auszuüben wäre.

 

In diesem Zusammenhang ist vorerst auf das jüngste diesbezügliche Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes (VfGH vom 06.03.2008, Zl: B 2400/07-9) zu verweisen, welches die aktuelle Rechtsprechung des EGMR zur Frage der Vereinbarkeit der Abschiebung Kranker in einen anderen Staat mit Art. 3 EMRK festhält (D. v. the United Kingdom, EGMR 02.05.1997, Appl. 30.240/96, newsletter 1997,93; Bensaid, EGMR 06.02.2001, Appl. 44.599/98, newsletter 2001,26; Ndangoya, EGMR 22.06.2004, Appl. 17.868/03; Salkic and others, EGMR 29.06.2004, Appl. 7702/04; Ovdienko, EGMR 31.05.2005, Appl. 1383/04; Hukic, EGMR 29.09.2005, Appl. 17.416/05; EGMR Ayegh, 07.11.2006; Appl. 4701/05; EGMR Goncharova & Alekseytsev, 03.05.2007, Appl. 31.246/06).

 

Zusammenfassend führt der VfGH aus, dass sich aus den erwähnten Entscheidungen des EGMR ergibt, dass im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder selbstmordgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gibt. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung in Art. 3 EMRK. Solche liegen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben (Fall D. v. the United Kingdom).

 

Jüngste Rechtsprechung des EGMR (N vs UK, 27.05.2008) und Literaturmeinungen (Premiszl, Migralex 2/2008, 54ff, Schutz vor Abschiebung von Traumatisierten in "Dublin-Verfahren") bestätigen diese Einschätzung, wobei noch darauf hinzuweisen ist, dass EU-Staaten verpflichtet sind, die Aufnahmerichtlinie umzusetzen und sohin jedenfalls eine begründete Vermutung des Bestehens einer medizinischen Versorgung besteht.

 

Aus diesen Judikaturlinien des EGMR ergibt sich jedenfalls der für das vorliegende Beschwerdeverfahren relevante Prüfungsmaßstab.

 

Nach der geltenden Rechtslage ist eine Überstellung dann unzulässig, wenn die Durchführung eine in den Bereich des Art 3 EMRK reichende Verschlechterung des Krankheitsverlaufs oder der Heilungsmöglichkeiten bewirken würde; dabei sind die von den Asylbehörden festzustellenden Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat als Hintergrundinformation beachtlich, sodass es sich quasi um eine "erweiterte Prüfung der Transportfähigkeit" handelt.

 

Maßgebliche Kriterien für die Beurteilung der Art. 3 EMRK-Relevanz einer psychischen Erkrankung angesichts einer Abschiebung sind Aufenthalte in geschlossenen Psychiatrien infolge von Einweisungen oder auch Freiwilligkeit, die Häufigkeit, Regelmäßigkeit und Intensität der Inanspruchnahme medizinisch-psychiatrischer Leistungen, die Möglichkeit einer wenn auch gemessen am Aufenthaltsstaat schlechteren medizinischen Versorgung im Zielstaat sowie die vom Abschiebestaat gewährleisteten Garantien in Hinblick auf eine möglichst schonende Verbringung. Rechtfertigen diese Kriterien eine Abschiebung, hat eine denkmögliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes oder ungünstige Entwicklung des Gesundheitszustands außer Betracht zu bleiben, geschweige denn vermag die Verursachung von überstellungsbedingtem mentalen Stress eine Abschiebung unzulässig machen.

 

Akut existenzbedrohende Krankheitszustände oder Hinweise einer unzumutbaren Verschlechterung der Krankheitszustände im Falle einer Überstellung nach Schweden sind der Aktenlage, insbesonders der gutachterlichen Stellungnahme von Dr. med. I.H. , nicht zu entnehmen. Im Gegenteil, deponierte doch die Beschwerdeführerin selbst, dass ihre Krankheit in Schweden erstmals diagnostiziert und fachgerecht behandelt worden wäre.

 

Asylwerber haben in Schweden kostenlosen Zugang zu medizinischer Notversorgung und zu Zahnärzten.

 

Zusammengefasst stellt daher eine Überstellung der Beschwerdeführerin nach Schweden keinesfalls eine Verletzung des Art. 3 EMRK und somit auch keinen Anlass zur Ausübung des Selbsteintrittsrechtes Österreichs nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO dar.

 

Spruchpunkt I der erstinstanzlichen Entscheidung war sohin bei Übernahme der Beweisergebnisse und rechtlichen Würdigung der Erstbehörde mit obiger näherer Begründung zu bestätigen.

 

Spruchpunkt II:

 

Die Erwägungen der Erstbehörde zu Spruchpunkt II waren vollinhaltlich zu übernehmen. Auch sind im Beschwerdeverfahren keine Hinweise hervorgekommen, die eine Aussetzung der Überstellung der Beschwerdeführerin erforderlich erscheinen ließen. Diese erweist sich daher bezogen auf den Entscheidungszeitpunkt als zulässig.

 

Gemäß § 41 Abs 4 AsylG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden. Eine gesonderte Erwägung bezüglich einer allfälligen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung konnte angesichts des Spruchinhaltes entfallen.

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Ausweisung, gesundheitliche Beeinträchtigung, medizinische Versorgung, real risk, Überstellungsrisiko (ab 08.04.2008)
Zuletzt aktualisiert am
17.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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