B4 221.018-0/2008/12E
ERKENNTNIS
Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Florian NEWALD als Vorsitzender und die Richterin Mag. Karin WINTER als Beisitzerin über die Beschwerde des H.H., geboren am 00.00.1978, serbischer Staatsangehöriger, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 29.12.2000, Zl. 00 14.689-BAT, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
In Erledigung der Beschwerde wird der Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
1. Der Beschwerdeführer ist serbischer Staatsangehöriger albanischer Volksgruppen-zugehörigkeit und muslimischen Glaubens und stammt aus dem in Südserbien gelegenen Ort D.. Er reiste am 24.10.2000 unter Umgehung der Grenzkontrolle nach Österreich ein und begehrte am 25.10.2000 die Gewährung von Asyl.
2. Bei seiner Befragung vor dem Bundesasylamt am 27.12.2000 gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen Folgendes an: Sein Heimatdorf liege nahe der Grenze zum Kosovo. Es lebten dort ganz überwiegend Angehörige der albanischen Volksgruppe. Innerhalb der letzten Jahre sei es immer wieder zu willkürlichen Festnahmen und Hausdurchsuchungen bei Bewohnern der albanischen Volksgruppe durch die serbische Polizei oder das Militär gekommen; auch seien Angehörige der albanischen Volksgruppe misshandelt worden. Im September 2000 habe es bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen der UCPMB und serbischen Einheiten gegeben. Nahezu alle Bewohner des Dorfes seien geflohen, so auch der Beschwerdeführer, der sich zu seiner in B. lebenden Tante begeben habe. Später seien seine Eltern und Geschwister gefolgt und hätten erzählt, dass alle Häuser des Heimatdorfes von der serbischen Polizei geplündert worden seien. Daraufhin habe er das Herkunftsland von B. aus verlassen. Er habe sich niemals politisch betätigt, befürchte aber, dass auch er eines Tages zum Beitritt zur UCPMB aufgefordert werden könnte. Weiters fürchte er, dass er zu Unrecht vom serbischen Militär oder der Polizei festgenommen und misshandelt werden könnte.
3. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Berufungswerbers gemäß § 7 AsylG 1997 idF BGBl. I Nr. 126/2002 ab (Spruchpunkt I.) und erklärte gemäß § 8 leg.cit seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung "in die BR Jugoslawien, Provinz Kosovo". für zulässig (Spruchpunkt II). Begründend führte das Bundesasylamt aus, dass seit 20.6.1999 eine asylrelevante Verfolgung von Angehörigen der albanischen Volksgruppe im Kosovo durch die BR Jugoslawien "mangels effektiver Machtapparate" nachhaltig unwahrscheinlich sei. Das Bundesasylamt sei daher der Auffassung, dass der Beschwerdeführer im Kosovo keine Verfolgung zu befürchten habe und dass dort und für ihn eine inländische Fluchtalternative bestehe; dies umso mehr, als der Beschwerdeführer angegeben habe, dass seine Eltern und seine Geschwister sich im Kosovo aufhielten. Aus diesem Grund hätten seine Aussagen über die Gewaltakte der serbischen Polizei und des serbischen Militärs in der Region von B. nicht zu einer Asylgewährung führen können.
4. Gegen beide Spruchpunkte dieses Bescheides richtete sich die vorliegende, fristgerechte, nun als Beschwerde (vgl. dazu weiter unten) zu behandelnde (und daher in der Folge so bezeichnete) Berufung.
5. Mit Bescheid vom 24.10.2001, Zl. 221.018/1-III/12/01, wies der unabhängige Bundesasylsenates diese Berufung gemäß § 7 AsylG in der genannten Fassung ab und stellte gemäß § 8 leg.cit. fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung und Abschiebung des Beschwerdeführers "in die unter internationaler Verwaltung stehende, vormalig autonome Provinz Kosovo (BR Jugoslawien)" zulässig sei. Auch der unabhängige Bundesasylsenat ging davon aus, dass für den Beschwerdeführer im Kosovo eine interne Relokationsmöglichkeit bestehe.
6. Mit Erkenntnis vom 17.9.2002, Zl. 2002/01/0055-6, hob der Verwaltungsgerichtshof den zuletzt genannten Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf. In der Begründung verwies er auf sein Erkenntnis vom 9.7.2002, Zl. 2001/01/0550, auf das unten näher eingegangen werden wird.
II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:
1.1. Gemäß § 75 Abs. 1 Asylgesetz 2005 sind "[A]lle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren [...] nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen. § 44 AsylG 1997 gilt."
Gemäß § 44 Abs. 1 AsylG 1997 idF der AsylG-Novelle 2003 sind Verfahren über Asylanträge, die bis zum 30.4.2004 gestellt worden sind, nach den Bestimmungen des AsylG idF BG BGBl. I 126/2002 zu führen.
Der Beschwerdeführer hat seinen Asylantrag vor dem 1.5.2004 gestellt; das Verfahren ist daher nach dem AsylG idF BG BGBl. I 126/2002 zu führen.
1.2. Gemäß § 23 Asylgerichtshofgesetz (Asylgerichtshof-Einrichtungsgesetz; Art. 1 BG BGBl. I 4/2008) sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.
Die Zuständigkeit des Asylgerichtshofes stützt sich auf § 38 AsylG 1997. Diese Bestimmung spricht zwar vom "unabhängigen Bundesasylsenat" und ist durch das AsylGH-EinrichtungsG nicht geändert worden; auch die Übergangsbestimmungen des AsylG 2005 ergeben insoweit nichts. Da jedoch gemäß Art. 151 Abs. 39 Z 1 B-VG der unabhängige Bundesasylsenat am 1. Juli 2008 zum Asylgerichtshof geworden ist und dieses Gericht gemäß Art. 151 Abs. 39 Z 4 B-VG die am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängigen Verfahren weiterzuführen hat, ist davon auszugehen, dass sich § 38 AsylG 1997 nunmehr auf den Asylgerichtshof bezieht. Ebenso ist davon auszugehen, dass sich jene Bestimmungen des AsylG 1997, die von "Berufungen" sprechen, nunmehr auf Beschwerden beziehen (vgl. dazu AsylGH 12.8.2008, C5 251.212-0/2008/11E).
2.1. Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen. Gemäß Abs. 3 leg. cit. kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist. Bei der Aufhebung nach § 66 Abs. 2 AVG handelt es sich um eine verfahrensrechtliche Entscheidung (vgl. VwGH 21.6.1989, 89/01/0061).
2.2. Wie der Verwaltungsgerichtshof in seiner bisherigen Rechtsprechung (VwGH 21.11.2002, 2000/20/0084; 21.11.2002, 2002/20/0315; ähnlich auch VwGH 12.12.2002, 2000/20/0236; 30.9.2004, 2001/20/0135; ebenso der Sache nach zu einem Verfahren, in dem der unabhängige Bundesasylsenat einen nach § 5 AsylG 1997 idF der AsylGNov. 2003 ergangenen Bescheid nach § 66 Abs. 2 AVG aufgehoben hatte: VwGH 9.5.2006, 2005/01/0141) ausgeführt hat, war in Asylsachen ein zweiinstanzliches Verfahren (mit nachgeordneter Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts) eingerichtet; dabei kam dem unabhängigen Bundesasylsenat - einer gerichtsähnlichen, unparteilichen und unabhängigen Instanz als besonderem Garanten eines fairen Asylverfahrens - die Rolle einer "obersten Berufungsbehörde" zu (Art. 129 c Abs. 1 B-VG idF vor Art. 1 Z 5 BG BGBl. I 100/2005). In diesem Verfahren hatte bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln, und es war gemäß § 27 Abs. 1 AsylG 1997 grundsätzlich verpflichtet, den Asylwerber dazu persönlich zu vernehmen. Diese Anordnungen würden aber - so die Rechtsprechung zu dieser Rechtslage - unterlaufen, wenn ein Ermittlungsverfahren in erster Instanz unterbliebe und somit nahezu das gesamte Verfahren vor die Berufungsbehörde - den unabhängigen Bundesasylsenat - verlagert würde, sodass die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen zur bloßen Formsache würde. Das wäre etwa der Fall, wenn es das Bundesasylamt ablehnte, auf das Vorbringen des Asylwerbers sachgerecht einzugehen und - so die Beispiele der Rechtsprechung - brauchbare Ermittlungsergebnisse in Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen. Es liegt nicht im Sinne des Gesetzes, wenn es die Berufungsbehörde ist, die erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und beurteilt, sodass sie ihre umfassende Kontrollbefugnis nicht wahrnehmen kann. Eine ernsthafte Prüfung des Antrages soll nicht erst bei der "obersten Berufungsbehörde" beginnen und zugleich enden, sieht man von der im Sachverhalt beschränkten Kontrolle ihrer Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof ab. Aauch bei Bedachtnahme auf eine mögliche Verlängerung des Gesamtverfahrens konnte dies dafür sprechen, nach § 66 Abs. 2 AVG vorzugehen.
Diese Erwägungen müssen umso mehr für das Verfahren vor dem Asylgerichtshof, der als Gericht nach Erschöpfung des Instanzenzuges (ua.) "über Bescheide der Verwaltungsbehörden in Asylsachen" erkennt, gelten (vgl. dazu ausführlich AsylGH 12.8.2008, C5 251.212-0/2008/11E).
3.1. Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem - bereits oben erwähnten - Erkenntnis vom 9.7.2002, Zl. 2001/01/0550, ausgeführt hat, ist bei Personen mit (ehemaliger) jugoslawischer Staatsangehörigkeit, die wie der Beschwerdeführer nicht aus dem Kosovo stammen, das Gebiet des Kosovo nicht als Teil ihres "Herkunftsstaates" in Betracht zu ziehen (bzw. war dies schon vor der Unabhängigkeit des Kosovo nicht der Fall). Daher scheidet im vorliegenden Fall die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative im Kosovo schon aus rechtlichen Gründen aus. Somit hat es das Bundesasylamt unterlassen, sich mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers, in Serbien (früher: ohne Kosovo) Verfolgung befürchten zu müssen, hinreichend auseinanderzusetzen. Insbesondere hat es keine ausreichenden Ermittlungen zur Situation der albanischen Minderheit in Serbien nach den vom Beschwerdeführer darlegten bewaffneten Auseinandersetzungen angestellt.
3.2. Da der Beschwerdeführer zum Ergebnis dieser Ermittlungen zu hören ist, ist die Durchführung einer mündlichen Verhandlung iSd § 66 Abs. 2 AVG unvermeidlich, wobei es unerheblich ist, ob eine Verhandlung oder nur eine Vernehmung erforderlich ist.
3.3. Auf Grund der unter Punkt 2.2. angestellten Erwägungen kann auch nicht gesagt werden, dass die unmittelbare Beweisaufnahme durch den Asylgerichtshof bei einer Gesamtbetrachtung zu einer Ersparnis an Zeit und Kosten führen würde.
4. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.