TE Vwgh Erkenntnis 2001/4/3 96/08/0231

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Veröffentlicht am 03.04.2001
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §37;
AVG §45 Abs3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Strohmayer und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde des F in Wien, vertreten durch Dr. Joachim Meixner, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Rotenturmstraße 17/2/15, gegen den Bescheid des Bundesministers für Arbeit und Soziales (nunmehr soziale Sicherheit und Generationen) vom 5. Juli 1996, Zl. 120.796/1-7/96, betreffend Versicherungspflicht nach dem ASVG und AlVG (mitbeteiligte Parteien: B OHG, 1010 Wien, vertreten durch Dr. Karl Schleinzer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Führichgasse 6;

2.

Wiener Gebietskrankenkasse, Wienerbergstraße 15-19, 1103 Wien;

3.

Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien; 4. Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Adalbert-Stifter-Straße 65, 1200 Wien;

              5.              Arbeitsmarktservice, Landesgeschäftsstelle Wien, Weihburggasse 30, 1011 Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid vom 16. Oktober 1992, Zl. VA-VR 9331603/92-Le/Ro/We, sprach die Wiener Gebietskrankenkasse aus, dass der Beschwerdeführer auf Grund seiner Beschäftigung als kaufmännischer Angestellter bei der erstmitbeteiligten Gesellschaft in der Zeit vom 1. Juni 1983 bis 31. Dezember 1989 gemäß § 4 Abs. 1 Z 1 ASVG und § 1 Abs. 1 lit. a AlVG der Voll-(Kranken-, Unfall-, Pensions- und Arbeitslosen)Versicherungspflicht unterliege. Nach der Begründung sei der Beschwerdeführer vom Jahre 1969 bis 31. Dezember 1982 unter dem Beitragskonto der G.OHG in Wien und vom 1. Jänner 1983 bis 31. Mai 1983 unter dem Beitragskonto der erstmitbeteiligten Gesellschaft zur Sozialversicherung gemeldet gewesen. Die (daran anschließende) "Werkvertragstätigkeit" des Beschwerdeführers als "Konsulent in Zollsachen" sei in einem arbeitsgerichtlichen Verfahren gegen die G.OHG und die erstmitbeteiligte Gesellschaft als Angestelltentätigkeit beurteilt worden (Urteil des OGH vom 9. Oktober 1991, 9 Ob A 171/91). Die Gebietskrankenkasse habe dazu den Beschwerdeführer, den bei der G.OHG und der erstmitbeteiligten Gesellschaft tätigen Alleinprokuristen sowie deren Steuerberater einvernommen. Nach Auffassung der Gebietskrankenkasse seien die für den Bestand der Voll- und Arbeitslosenversicherungspflicht erforderlichen Voraussetzungen auch bei der Beschäftigung des Beschwerdeführers bei der erstmitbeteiligten Partei in der Zeit von 1. Juni 1983 bis 31. Dezember 1989 gegeben.

Die erstmitbeteiligte Gesellschaft erhob Einspruch. Darin brachte sie im Wesentlichen vor, mit dem Beschwerdeführer sei nach Beendigung seines Dienstverhältnisses ein Konsulentenvertrag abgeschlossen worden, in dem vereinbart worden sei, dass der Beschwerdeführer ausschließlich auf selbstständiger Basis tätig werden sollte. Sein Tätigkeitsbereich habe sich ab diesem Zeitpunkt erheblich verändert und eingeschränkt. Er habe sich seine Arbeitszeit völlig frei einteilen und sein Tätigkeitsfeld selbst bestimmen können. Darüber hinaus habe er uneingeschränkt für beliebige Dritte tätig sein können. Er sei völlig weisungsungebunden gewesen und keinerlei Ordnungsvorschriften oder Kontrollrechten unterlegen. Er sei auch berechtigt gewesen, sich bei den übernommenen Arbeitspflichten durch Dritte vertreten zu lassen. Unabhängig von der aufgewendeten Zeit seien Pauschalhonorare vereinbart worden.

Mit Bescheid vom 2. Februar 1995 wies der Landeshauptmann von Wien den Einspruch ab und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid. Begründet wurde dies im Wesentlichen mit den Angaben des Beschwerdeführers, die der Einspruchsbehörde glaubwürdig erschienen. Daraus ergebe sich, dass der Beschwerdeführer weisungsgebunden gewesen sei, die Betriebsmittel zur Verfügung gestellt bekommen habe und sich nicht habe vertreten lassen können. Es habe zwar keine fixen Arbeitszeiten gegeben, der Beschwerdeführer sei jedoch unbestrittenermaßen an die Einhaltung der Termine für die Zollabfertigung gebunden gewesen. Außerdem müsse davon ausgegangen werden, dass eine Kontrolle seiner Tätigkeit durch den Dienstgeber erfolgt sei, da firmeneigene Aufzeichnungen über die geleisteten Arbeitsstunden existierten. Der Beschwerdeführer habe anfallende Arbeiten nicht bei sich zu Hause, sondern im Büro der erstmitbeteiligten Gesellschaft erledigt. Im Übrigen schloss sich die Einspruchsbehörde der im genannten arbeitsgerichtlichen Verfahren getroffenen Beurteilung der Beschäftigung des Beschwerdeführers als Dienstverhältnis an.

Die erstmitbeteiligte Gesellschaft erhob gegen den Bescheid des Landeshauptmannes Berufung. Gerügt wurde vor allem das Fehlen der für die Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und das Fehlen eines Ermittlungsverfahrens.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung Folge und stellte in Abänderung des Bescheides des Landeshauptmannes fest, dass der Beschwerdeführer in der Zeit vom 1. Juni 1983 bis 31. Dezember 1989 auf Grund seiner Tätigkeit als Zollkonsulent der erstmitbeteiligten Partei der Pflicht(Voll-)Versicherung in der Kranken-, Pensions- und Unfallversicherung sowie der Arbeitslosenversicherung nicht unterlegen sei bzw. unterliege. In der Begründung verwies die belangte Behörde auf die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens betreffend die Versicherungspflicht auf Grund der Tätigkeit des Beschwerdeführers bei der G.OHG, die auch für das gegenständliche Verfahren herangezogen hätten werden können, da die gleiche Honorarhöhe zusammen mit den getätigten Aussagen darauf schließen lassen, dass der Beschwerdeführer dieselbe Tätigkeit für beide Unternehmen verrichtet habe.

In dem von der belangten Behörde für die Begründung ihrer Beweiswürdigung herangezogenen (Parallel-)Verfahren hat die Wiener Gebietskrankenkasse in erster Instanz ebenfalls mit Bescheid vom 16. Oktober 1992, Zl. VA-VR 9221883/92, die Versicherungspflicht des Beschwerdeführers auf Grund seiner Beschäftigung als kaufmännischer Angestellter bei der G.OHG für den selben Zeitraum wie in diesem Verfahren festgestellt und dies inhaltsgleich wie in dem eingangs genannten, die Versicherungspflicht aufgrund der Beschäftigung bei der erstmitbeteiligten Gesellschaft bejahenden Bescheid begründet. Auch im Parallelverfahren hat der Landeshauptmann von Wien mit Bescheid vom 6. April 1993 den Einspruch der G.OHG abgewiesen, wogegen die belangte Behörde mit Bescheid vom 1. Juni 1994 der dagegen erhobenen Berufung der G.OHG Folge gegeben und in Abänderung des Bescheides des Landeshauptmannes die Voll- und Arbeitslosenversicherungspflicht des Beschwerdeführers in der Zeit vom 1. Juni 1983 bis 31. Dezember 1989 auf Grund seiner Tätigkeit als Zollkonsulent der G.OHG verneint hat. Die als Grundlage für diese Beurteilung von der belangten Behörde getroffenen Feststellungen sind bis auf nicht entscheidungserhebliche Unterschiede mit jenen identisch, die die belangte Behörde im nunmehr bekämpften Bescheid getroffen hat. Auch die Beweiswürdigung ist in beiden Bescheiden - bis auf unerhebliche Abweichungen - gleich lautend.

Im Parallelverfahren hat der Verwaltungsgerichtshof infolge der von der auch in diesem Verfahren beschwerdeführenden Partei erhobenen, zur Zl. 94/08/0160 protokollierten Beschwerde den angefochtenen Bescheid mit Erkenntnis vom 8. September 1998 wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. Die belangte Behörde sei in der Bescheidbegründung mit keinem Wort auf die Stellungnahme des Beschwerdeführers vom 22. Dezember 1993 eingegangen. Darin habe sich der Beschwerdeführer unter Anschluss zahlreicher Beilagen ausführlich mit den Ermittlungsergebnissen auseinander gesetzt. Auch seien eine Reihe von Beweisanträgen gestellt worden, auf welche die belangte Behörde nicht eingegangen sei. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Berücksichtigung des Vorbringens in der genannten Stellungnahme sowie der Ergebnisse des arbeitsgerichtlichen Verfahrens eine andere rechtliche Beurteilung zur Folge gehabt hätte.

Gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 5. Juli 1996 richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt, jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand genommen. Die erstmitbeteiligte Gesellschaft und die mitbeteiligte Pensionsversicherungsanstalt haben jeweils eine Gegenschrift erstattet, in der sie - erkennbar - die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 4 Abs. 2 ASVG in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung ist Dienstnehmer im Sinne dieses Bundesgesetzes, wer in einem Verhältnis persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegen Entgelt beschäftigt wird; hiezu gehören auch Personen, bei deren Beschäftigung die Merkmale persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegenüber den Merkmalen selbstständiger Ausübung der Erwerbstätigkeit überwiegen.

Hinsichtlich der unterscheidungskräftigen Merkmale persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit im Sinne dieser gesetzlichen Bestimmung wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das Erkenntnis vom 22. Oktober 1996, 94/08/0052, und die darin angeführte Vorjudikatur verwiesen.

Die Beschwerde rügt unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung von Verfahrensvorschriften, dass die belangte Behörde Feststellungen getroffen habe, die von denen der Vorinstanzen in wesentlichen Punkten abgewichen seien, jedoch kein eigenes Ermittlungsverfahren durchgeführt habe. Die abweichenden Feststellungen gründe die belangte Behörde ausschließlich auf Zeugenaussagen und Vorbringen im Parallelverfahren. Es gehe nicht an, dass die belangte Behörde im Berufungsverfahren plötzlich neue Beweisergebnisse erstmals heranziehe, ohne dem Beschwerdeführer dazu die Möglichkeit zur Stellungnahme zu bieten. Die belangte Behörde habe sich weder mit der am 4. Juli 1994 abgelegten Aussage des Beschwerdeführers noch mit dem Ergebnis des arbeitsgerichtlichen Verfahrens auseinander gesetzt.

Dem Parteiengehör unterliegt grundsätzlich der gesamte Inhalt des Ergebnisses der Beweisaufnahme. Will die Berufungsbehörde ihrer Entscheidung in wesentlichen Punkten einen anderen Sachverhalt unterstellen als die erstinstanzliche Behörde, muss sie zur Wahrung des Parteiengehörs der Partei Gelegenheit geben, sich zu den neuen Sachverhaltsannahmen zu äußern (vgl. das Erkenntnis vom 22. November 1995, 95/21/0061). Insbesondere ist die Berufungsbehörde verpflichtet, die beabsichtigte Änderung bzw. Ergänzung im festzustellenden Sachverhalt gemäß § 45 Abs. 3 AVG den Parteien vorzuhalten (vgl. das Erkenntnis vom 19. September 1995, 93/05/0162).

In Verletzung dieser Verfahrensgrundsätze hat die belangte Behörde dem Beschwerdeführer keine Möglichkeit gegeben, sich zu den von ihr als Grundlage der Feststellungen herangezogenen Ermittlungsergebnissen zu äußern. Die Beweiswürdigung der belangten Behörde hält aber auch einer Schlüssigkeitsprüfung nicht stand, weil sie nicht alle in Betracht kommenden Umstände vollständig berücksichtigt hat. Weder wurde auf die in der Beschwerde erwähnte Aussage des Beschwerdeführers am 4. Juli 1994 vor der Einspruchsbehörde noch auf das arbeitsgerichtliche Verfahren Bezug genommen. Dazu kommt, dass die belangte Behörde auch in diesem Fall die im Parallelverfahren abgegebene Stellungnahme nicht berücksichtigte. Dazu wäre sie schon deshalb verhalten gewesen, weil sie ihre Beweiswürdigung auf die selben Ermittlungsergebnisse und Erwägungen stützt. Die mangelnde Berücksichtigung dieser Stellungnahme sowie der Ergebnisse des arbeitsgerichtlichen Verfahrens führten aber schon im Parallelverfahren zur Aufhebung des dort von der belangten Behörde erlassenen Bescheides.

Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Einhaltung der von der belangten Behörde außer Acht gelassenen Verfahrensvorschriften eine andere rechtliche Beurteilung zur Folge gehabt hätte, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Stempelgebührenersatz war wegen der sachlichen Abgabenfreiheit (vgl. § 110 ASVG) nicht zuzusprechen.

Wien, am 3. April 2001

Schlagworte

Parteiengehör RechtsmittelverfahrenParteiengehör Erhebungen Ermittlungsverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:1996080231.X00

Im RIS seit

28.08.2001

Zuletzt aktualisiert am

22.04.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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