E11 319.473-1/2008-7E
ERKENNTNIS
Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. Friedrich KINZLBAUER als Vorsitzenden und die Richterin Dr. Isabella ZOPF als Beisitzerin im Beisein der Schriftführerin Bettina BIRNGRUBER über die Beschwerde des Y.K., geb. 00.00.1984, StA. Türkei, vertreten durch Rechtsanwalt MMag. Salih Sunar, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 07.05.2008, FZ. 08 02.046-EAST West, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Der bekämpfte Bescheid wird behoben und die Angelegenheit gem. § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
I. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Türkei, stellte am 28.02.2008 beim Bundesasylamt (BAA) einen Antrag auf internationalen Schutz. Dazu wurde er erstbefragt und zu den im Akt ersichtlichen Daten von einem Organwalter des BAA niederschriftlich einvernommen. Der Verlauf dieser Einvernahmen ist im angefochtenen Bescheid vollständig wieder gegeben, weshalb hierauf verwiesen wird.
Als Begründung für das Verlassen seines Herkunftsstaates brachte er im Wesentlichen vor, dass er als Kurde in seinem Dorf diskriminiert und auch festgenommen worden sei. Im Jahre 2002 sei er nach Istanbul gegangen und habe dort Flugblätter für die DTP verteilt. Sie seien dabei von der Polizei observiert worden. Einmal habe die Polizei versucht, sie dabei festzunehmen. Er habe davonlaufen können, ein Freund sei an diesem Tag verschwunden und seither nicht wieder aufgetaucht. Er habe daher Angst bekommen und sei ins Ausland geflüchtet. Weil er Kurde sei, habe er keine Rechte.
Der Antrag auf internationalen Schutz wurde folglich mit Bescheid des BAA vom 07.05.2008, FZ. 08 02.046-EAST West, gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs 1 Z 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 10 Abs 1 Z 2 AsylG wurde die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Türkei verfügt (Spruchpunkt III.).
Im Rahmen der Beweiswürdigung erachtete die belangte Behörde das Vorbringen des BF in wesentlichen Punkten als glaubwürdig. Die vom BF vorgetragene befürchtete Verfolgung sei nicht aus einem der Konventionsgründe erfolgt; ein asylrechtlich relevanter Sachverhalt habe nicht festgestellt werden können.
Gegen diesen Bescheid wurde mit Schriftsatz vom 21.05.2008 innerhalb offener Frist Berufung [jetzt Beschwerde] erhoben. Hinsichtlich des Inhaltes der Beschwerde wird auf den Akteninhalt (vgl. VwGH v. 16. 12. 1999, 99/20/0524) verwiesen.
Im Wesentlichen wurde vorgebracht, dass der BF, wie alle kurdischen Staatsbürger, von offenen und verdeckten Repressalien der türkischen Sicherheitsbehörden betroffen sei. Entgegen der Ansicht der Erstbehörde sei seine Furcht begründet und das Verschwindenlassen seines Freundes durch die Polizei auch als unmittelbare Verfolgungshandlung gegen seine Person zu werten. Ein Verbleib in der Türkei sei für ihn unerträglich gewesen, weil er politisch tätig gewesen und durch seine politische Tätigkeit der ständigen Verfolgung und Beobachtung der Polizei ausgesetzt gewesen sei. In der kurdischen Frage sei in der Türkei vielmehr von einer Eskalation der Situation, als von Deeskalation, zu sprechen.
Hinsichtlich des weiteren Verfahrensherganges bzw. des Vorbringens im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II. Der AsylGH hat durch Einsicht in den vorliegenden Verwaltungsakt Beweis erhoben und Folgendes festgestellt:
1. Das Bundesasylamt hat es im erstinstanzlichen Verfahren unterlassen, dem BF das Parteiengehör umfassend zu gewähren. Weder wurde dem BF jener Sachverhalt vollständig vorgehalten, von welchem das Bundesasylamt hinsichtlich der allgemeinen Lage in der Türkei ausgeht (ihm wurden zwar in der Einvernahme vom 18.04.2008 Länderfeststellungen vorgehalten - die Feststellungen im Bescheid gehen aber darüber hinaus), noch wurden dem BF die Quellen (im oben genannten Umfang) vorgehalten, woraus das Bundesasylamt jene Feststellungen bezieht.
2. Der Bescheid enthält keine schlüssige Beweiswürdigung.
Obwohl im erstinstanzlichen Verfahren Widersprüche, Ungereimtheiten und auch Unplausibilitäten des Fluchtvorbringens hervorkamen, wurde dieses in wesentlichen Teilen, ohne diese Hinweise entsprechend zu würdigen, bzw. durch eine genaue Befragung des BF diese Widersprüche, Unplausibilitäten näher aufzuklären bzw. zu hinterfragen, als glaubwürdig erachtet.
So hatte der BF beispielsweise im Zuge der Einvernahme angegeben, dass er einige Male angehalten worden sei (vgl. AS 141); an anderer Stelle hatte er behauptet, er sei einmal in Polizeigewahrsam gewesen, er sei einmal im Dorf angehalten worden (vgl. AS 141). Zu dieser Anhaltung im Dorf hatte er angegeben, das sei noch im Jahr 2003 gewesen, als er kurz mitgenommen und eine Nacht angehalten worden sei. Dem widersprechend hatte er zuvor angegeben, er sei Ende 2002 nach Istanbul gezogen (AS 141).
Bei der Befragung hatte er weiter behauptet, er bekomme als Kurde keine Arbeit, demgegenüber hatte er vorher in der Einvernahme angegeben, er habe in Istanbul gearbeitet und sich dabei die ¿ 1.500,--, die er dem Schlepper bezahlt habe, erspart (vgl. AS 141, 139) - hatte also doch Arbeit bekommen.
Im Zuge der Einvernahme am 18.04.2008 war der BF gefragt worden, ob ihm ausreichend Zeit eingeräumt worden sei, seine Probleme vollständig und so ausführlich, wie er es wollte, habe schildern können; dies hatte er mit ja beantwortet. Gleichzeitig wurde er auch befragt, ob er noch etwas angeben wolle, dass ihm wichtig erschiene oder er nicht gefragt worden sei. Diese Frage wurde von ihm verneint. Dagegen wurde von ihm in der nächsten Einvernahme am 05.05.2008 sehr wohl ein weiteres Vorbringen hinzugefügt und stellt sich dieses weitere Vorbringen als Steigerung gegenüber den früheren Einvernahmen dar. Abgesehen davon ist dieses weitere Vorbringen jedenfalls auch unplausibel, soweit es sein Vorbringen betreffend eines Freundes, der von Soldaten umgebracht worden sei, angeht. Auf die Frage, wann sich diese Geschichte mit seinem Freund abgespielt habe, hatte der BF - nachdem er überlegt hatte - "1982, nein 1992" geantwortet. Der BF selbst ist aber 1984 geboren, war also 1982 noch gar nicht auf der Welt und 1992 ein Kind von acht Jahren. Zudem hatte der BF behauptet, dies hätte sich an der nordirakischen Grenze in Sirnak/Silopi zugetragen. Hier wäre jedenfalls der persönliche Bezug des BF zu dieser Örtlichkeit abzuklären gewesen.
Während der Einvernahme am 05.05.2008 wurden dem BF Fragen zur Partei DTP gestellt, die er teilweise unrichtig beantwortete. In der Folge wurde ihm vorgehalten, dass ihm nicht geglaubt werde, dass er ein Naheverhältnis zu dieser Partei habe oder gehabt habe, weil seine Angaben zur Partei DTP nicht stimmen würden (vgl. AS 183). In der Begründung des Bescheides führt die Erstbehörde aber aus, dass ihm Glauben geschenkt werde, dass er Flugblätter und Werbematerial für die Jugendorganisation der DTP verteilt habe und dass er aufgrund seiner Mitarbeit bei der Jugendorganisation der DTP durch die Polizei observiert worden sei, weil er dies schlüssig und widerspruchsfrei vorgebracht habe. Warum das Bundesasylamt zu dieser konträren Argumentation kommt, wird ebenso wenig dargelegt, wie der Vorhalt der Unglaubwürdigkeit während der Einvernahme vom 05.05.2008 Erwähnung findet; die Beweiswürdigung der Erstbehörde ist folglich insofern unschlüssig.
Wenn das Bundessaylamt folgert, dass das Fehlen grundlegender Kenntnisse über die DTP und der BF nicht einmal Parteimitglied gewesen sei sondern nur Propagandamaterial verteilt habe, nur den Schluss zulasse, dass er höchstwahrscheinlich keinen ernstzunehmenden Amtshandlungen durch die Behörden ausgesetzt gewesen sei, so ist hier entgegenzuhalten, dass dieser Schluss nicht zwingend ist, kann doch auch das Gegenteil der Fall sein.
Ebenso wenig zwingend ist die Ansicht der Erstbehörde, dass die vom Amtragsteller befürchtete Verfolgung nicht aus einem der Konventionsgründe erfolgen würde, sondern sich von den staatlichen Motiven her im Rahmen eines legitimen hoheitlichen Strafanspruches bewegten, ist dies aufgrund des Vorgebrachten doch reine Spekulation (in dieser Hinsicht wurde der Sachverhalt zu unergiebig ermittelt, um diesen Schluss daraus ziehen zu können).
Zum Vorbringen des Verschwindens eines Freundes ist jedenfalls anzuführen dass er diesen Vorbringensteil für ein glaubwürdiges Vorbringen jedenfalls zu vage und zu wenig detailreich geschildert hat. Im Übrigen wurde von ihm lediglich behauptet, dass ein Freund an diesem Tag verschwand und seitdem nicht mehr aufgetaucht sei, dass dieser von der Polizei festgenommen wurde, ist seiner Aussage nicht zu entnehmen. Falls es diesen Freund gibt und er tatsächlich verschwunden ist, so kann dieses Verschwinden folglich auch andere Ursachen haben.
Aus den angeführten Gründen ist die Beweiswürdigung der Erstbehörde, das Fluchtvorbringen des BF sei (in wesentlichen Punkten) glaubhaft, nicht schlüssig.
Das Bundesasylamt hat es verabsäumt, den Sachverhalt umfassend zu ermitteln und nachvollziehbar darzulegen, warum ganz konkret welcher Teil des Vorbringens aufgrund welcher Erwägung als glaubwürdig bzw. nicht glaubwürdig angenommen wird.
Der BF hatte Verfolgung aufgrund eines Naheverhältnisses bzw. aufgrund von Tätigkeiten für die Partei DTP (und damit wegen seiner politischen Gesinnung) durch staatliche Organe (die Polizei) behauptet; damit besteht sehr wohl ein Anknüpfungspunkt zur GFK. Die Schlussfolgerung, die vom Antragsteller befürchtete Verfolgung sei nicht aus einem Konventionsgrund erfolgt, ist daher insofern unrichtig.
III. Artikel 151 Abs. 39 Z. 1 und 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) lauten:
(39) Art. 10 Abs. 1 Z 1, 3, 6 und 14, Art. 78d Abs. 2, Art. 102 Abs. 2, Art. 129, Abschnitt B des (neuen) siebenten Hauptstückes, Art. 132a, Art. 135 Abs. 2 und 3, Art. 138 Abs. 1, Art. 140 Abs. 1erster Satz und Art. 144a in der Fassung des Bundesverfassungsgesetzes BGBl. I Nr. 2/2008 treten mit 1. Juli 2008 in Kraft. Für den Übergang zur neuen Rechtslage gilt:
Z 1: Mit 1. Juli 2008 wird der bisherige unabhängige Bundesasylsenat zum Asylgerichtshof.
Z 4: Am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren sind vom Asylgerichtshof weiterzuführen. Beim Verwaltungsgerichtshof oder beim Verfassungsgerichtshof anhängige Verfahren über Beschwerden gegen Bescheide des unabhängigen Bundesasylsenates sind von diesen mit der Maßgabe weiterzuführen, dass als belangte Behörde der Asylgerichtshof gilt.
Gemäß § 61 (1) AsylG 2005 BGBl I Nr. 100/2005 idF BGBl I Nr. 4/2008 entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten oder, soweit dies in Abs. 3 vorgesehen ist, durch Einzelrichter über
1. Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes und
2. [.....]
(2) [.....]
(3) Der Asylgerichtshof entscheidet durch Einzelrichter über Beschwerden gegen
1. zurückweisende Bescheide
[......]
2. die mit diesen Entscheidungen verbundene Ausweisung.
(4) Über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde entscheidet der für die Behandlung der Beschwerde zuständige Einzelrichter oder Senatsvorsitzende.
Gem. § 23 des Bundesgesetzes über den Asylgerichtshof, BGBl. I, Nr. 4/2008 (Asylgerichtshofgesetz - AsylGHG) idgF sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr.51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt, weshalb im gegenständlichen Fall im hier ersichtlichen Umfang das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG, BGBl. Nr.51 zur Anwendung gelangt.
Gem. § 75 (1) des Asylgesetzes 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG 2005) idgF sind alle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen. § 44 AsylG 1997 gilt. Die §§ 24, 26, 54 bis 57 und 60 dieses Bundesgesetzes sind auf diese Verfahren anzuwenden. § 27 ist auf diese Verfahren mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Behörde zur Erlassung einer Ausweisung zuständig ist und der Sachverhalt, der zur Einleitung des Ausweisungsverfahrens führen würde, nach dem 31. Dezember 2005 verwirklicht wurde. § 57 Abs. 5 und 6 ist auf diese Verfahren mit der Maßgabe anzuwenden, dass nur Sachverhalte, die nach dem 31. Dezember 2005 verwirklicht wurden, zur Anwendung dieser Bestimmungen führen.
Gegenständliches Verfahren war am 31.12.2005 nicht anhängig, weshalb es nach den Bestimmungen des AsylG 2005 zu Ende zu führen war.
Das erkennende Gericht ist berechtigt, näher bezeichnete Teile des angefochtenen Bescheides zum Inhalt des gegenständlichen Erkenntnisses zu erheben, ohne sie wiederholen zu müssen (vgl. z.B. das Erk. d. VwGH vom 4. 10. 1995, 95/01/0045; VwGH 24. 11. 1999, 99/01/0280; auch VwGH 8. 3. 1999, 98/01/0278), weshalb im gegenständlichen Fall im bereits genannten Umfang auf den erstinstanzlichen Bescheid verwiesen wird.
Ebenso ist das erkennende Gericht berechtigt, auf die außer Zweifel stehende Aktenlage (VwGH 16. 12. 1999, 99/20/0524) zu verweisen, weshalb auch hierauf im gegenständlichen Umfang verwiesen wird.
Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen. Gemäß Abs. 3 leg. cit. kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.
Auch der AsylGH (vorher UBAS) ist zur Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG berechtigt (vgl. dazu VwGH v. 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315 und Zl. 2000/20/0084). Eine kassatorische Entscheidung darf von der Berufungsbehörde nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes, sondern nur dann getroffen werden, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Die Berufungsbehörde hat dabei zunächst in rechtlicher Gebundenheit zu beurteilen, ob angesichts der Ergänzungsbedürftigkeit des ihr vorliegenden Sachverhaltes die Durchführung einer mündlichen Verhandlung als "unvermeidlich erscheint". Für die Frage der Unvermeidlichkeit einer mündlichen Verhandlung i.S.d. § 66 Abs. 2 AVG ist es aber unerheblich, ob eine kontradiktorische Verhandlung oder nur eine Vernehmung erforderlich ist (vgl. etwa VwGH v. 14.03.2001, Zl. 2000/08/0200; zum Begriff "mündliche Verhandlung" i.S.d. § 66 Abs. 2 AVG siehe VwGH v. 21.11.2002, Zl. 2000/20/0084).
Im Erkenntnis vom 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315 führte der VwGH zur Frage der Gesetzmäßigkeit der Ermessungsübung im Sinne des § 66 Abs. 2 und 3 AVG folgendes aus:
"Der Gesetzgeber hat in Asylsachen ein zweiinstanzliches Verfahren (mit nachgeordneter Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts) eingerichtet, wobei der belangten Behörde die Rolle einer "obersten Berufungsbehörde" zukommt (Art. 129c Abs. 1 B-VG). In diesem Verfahren hat bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln und es ist gemäß § 27 Abs. 1 AsylG grundsätzlich verpflichtet, den Asylwerber dazu persönlich zu vernehmen. Diese Anordnungen des Gesetzgebers würden aber unterlaufen, wenn es wegen des Unterbleibens eines Ermittlungsverfahrens in erster Instanz zu einer Verlagerung nahezu des gesamten Verfahrens vor die Berufungsbehörde käme und die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen damit zur bloßen Formsache würde. Es ist nicht im Sinne des Gesetzes, wenn die Berufungsbehörde, statt ihre (umfassende) Kontrollbefugnis wahrnehmen zu können, jene Behörde ist, die erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und einer Beurteilung unterzieht.
Dieser Gesichtspunkt ist nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes - freilich immer unter ausreichender Bedachtnahme auf das Interesse der Partei an einer raschen Erledigung des Asylverfahrens - bei der Ermessensausübung nach § 66 Abs. 2 und 3 AVG auch einzubeziehen. Unter dem Blickwinkel einer Kostenersparnis für die Partei ist dabei vor allem auch zu beachten, dass die Vernehmung vor dem Bundesasylamt dezentral durch die Außenstelle in den Bundesländern erfolgt, während der unabhängige Bundesasylsenat (jetzt AsylGH) - anders als bei den unabhängigen Verwaltungssenaten in den Ländern, für die Vergleichbares auf Landesebene gilt - als zentrale Bundesbehörde in Wien eingerichtet ist (vgl. auch zu das bereits erwähnte Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl.2000/20/0084)."
Auch wenn der AsylGH eine Außenstelle in Linz einrichtete, ist auszuführen, dass aufgrund des organisatorischen Aufbaues des AsylGH und des Bundesasylamtes, sowie aufgrund des Aufenthaltsortes des BF und der Geschäftsverteilung des AsylGH für das Jahr 2008 eine Weiterführung des Verfahrens durch den AsylGH im Sinne des § 66 (3) AVG nicht mit einer Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.
Im gegenständlichen Fall wurde der entscheidungsrelevante Sachverhalt nicht im erforderlichen Ausmaß ermittelt und gründen sich die Feststellungen des Bundesasylamtes zur Person des BF und zu seinem Fluchtvorbringen auf eine unschlüssige Beweiswürdigung. Es wird daher Sache des Bundesasylamtes sein, die gebotenen Ermittlungstätigkeiten im bereits erörterten Umfang nachzuholen.
Zur Verletzung des Parteiengehörs wird auf folgenden Umstand hingewiesen:
In verschiedenen Erkenntnissen geht der VwGH davon aus, dass die Verletzung des Parteiengehörs durch die Möglichkeit der Einbringung der Berufung (jetzt Beschwerde) in diesem konkreten Fall als saniert anzusehen ist (vgl. für viele: VwGH vom 11.9.2003, 99/07/0062; VwGH vom 27.2.2003, 2000/18/0040; VwGH vom 26.2.2002, 98/21/0299).
Soweit im erstinstanzlichen Asylverfahren das Parteiengehör verletzt wurde, wird angeführt, dass in diesem Fall der BF die Gelegenheit hat, zum Ergebnis des Ermittlungsverfahrens in der Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Bescheid Stellung zu nehmen und es dem BF aufgrund der durch die Verletzung des Parteiengehörs hervorgerufenen Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens [§ 40 (1) 2 AsylG in der hier anzuwendenden Fassung] im Beschwerdeverfahren weiters frei steht, zulässigerweise einen neuen Sachverhalt vorzubringen bzw. neue Bescheinigungsmittel vorzulegen. Hierdurch mag zwar gegenüber dem BF die Verletzung des Parteiengehörs durch die Möglichkeit der Einbringung der Beschwerde als saniert anzusehen sein, dies ändert aber nichts daran, dass dieser Umstand in weiterer Folge die Verpflichtung zur Durchführung einer Verhandlung und somit die Rechtsfolgen des § 66 (2) AVG auslösen kann.
Im gegenständlichen Fall wurde in der Berufung kein neuer Sachverhalt vorgebracht, doch wäre davon auszugehen, dass die Gewährung des Parteiengehörs regelmäßig eine Stellungnahme der Verfahrenspartei zur Folge hat, welche jedenfalls ein amtswegig herbeizuschaffendes Bescheinigungsmittel darstellt. Die Unterlassung dieser Herbeischaffung kann einen Verfahrensmangel im Sinne des § 66
(2) AVG darstellen.
Enthält - wie im gegenständlichen Fall - der Bescheid eine nicht auf den sonstigen Inhalt abgestimmte schlüssige Beweiswürdigung, so führt dies in weiterer Folge dazu, dass auch die hierauf aufbauenden Feststellungen letztlich auf einem mangelhaften Verfahren fußen und das Ermittlungsverfahren in seiner Gesamtheit als mangelhaft anzusehen ist. Hätte das Bundesasylamt die Unschlüssigkeit der Beweiswürdigung erkannt, hätte es weitere Erhebungen zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes getätigt, wozu auch eine weitere Befragung des BF, bzw. eine Konfrontation des BF mit dem Ergebnis der Erhebungen erforderlich gewesen wäre.
Im Rahmen der nachzuholenden Ermittlungstätigkeiten wird das Bundesasylamt auch den BF ein weiteres Mal zu befragen haben. Ebenso wird es dem BF das Ermittlungsergebnis zur Kenntnis zu bringen und ihm die Gelegenheit einzuräumen zu haben, sich hierzu zu äußern und ihm hinsichtlich der der Entscheidung zu Grunde liegenden Quellen das Parteiengehör zu gewähren haben. In weiterer Folge wird das BAA das Ermittlungsergebnis unter Berücksichtigung sämtlicher bekannter Bescheinigungsmittel einer schlüssigen Beweiswürdigung zu unterziehen und individuelle Feststellungen zu treffen zu haben, welche als Basis für die rechtliche Beurteilung dienen.