TE AsylGH Erkenntnis 2008/08/28 E11 314039-1/2008

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Veröffentlicht am 28.08.2008
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Spruch

E11 314.039-1/2008-7E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. Friedrich KINZLBAUER als Vorsitzenden und die Richterin Dr. Isabella ZOPF als Beisitzerin im Beisein der Schriftführerin Bettina BIRNGRUBER über die Beschwerde des K. H., geb. 00.00.1987, StA. Türkei, vertreten durch die Rechtsanwälte Dr. Klaus Kocher & Mag. Wilfried Bucher, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 31.07.2007, FZ. 07 03.323-BAG, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Der bekämpfte Bescheid wird behoben und die Angelegenheit gem. § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Türkei, stellte am 04.04.2007 beim Bundesasylamt (BAA) einen Antrag auf internationalen Schutz. Dazu wurde er erstbefragt und zu den im Akt ersichtlichen Daten von einem Organwalter des BAA niederschriftlich einvernommen. Der Verlauf dieser Einvernahmen ist im angefochtenen Bescheid vollständig wieder gegeben, weshalb hierauf verwiesen wird.

 

Als Begründung für das Verlassen seines Herkunftsstaates brachte er im Wesentlichen vor, er sei Kurde und habe in der Türkei keine Rechte, er möchte in der Türkei auf keinen Fall seinen Militärdienst ableisten. Er habe lange Zeit in den Niederlanden bei seiner Mutter gelebt und sich dort in einem kurdischen Verein politisch betätigt. Deswegen werde er in der Türkei gesucht.

 

Der Antrag auf internationalen Schutz wurde folglich mit Bescheid des BAA vom 31.07.2007, FZ. 07 03.323-BAG, gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs 1 Z 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 10 Abs 1 Z 2 AsylG wurde die Ausweisung des BF aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Türkei verfügt (Spruchpunkt III.).

 

Im Rahmen der Beweiswürdigung erachtete die belangte Behörde das Vorbringen des BF in wesentlichen Punkten als nicht glaubwürdig. Glaubhaft sei lediglich sein Vorbringen, dass er aus seiner inneren Einstellung heraus keinen Wehrdienst leisten wolle. Der BF sei ethnisch der türkischen Bevölkerungsgruppe zuzuordnen, sei daher beim türkischen Militär weder einer Benachteiligung, noch einer Verfolgung ausgesetzt, zumal sogar bei kurdischen Wehrdienstpflichtigen von einer solchen Benachteiligung oder Verfolgung gar nicht ausgegangen werde.

 

Gegen diesen Bescheid wurde mit Schriftsatz vom 10.08.2007 innerhalb offener Frist Berufung [jetzt Beschwerde] erhoben. Hinsichtlich des Inhaltes der Beschwerde wird auf den Akteninhalt (vgl. VwGH v. 16. 12. 1999, 99/20/0524) verwiesen.

 

Der Bescheid wurde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften bekämpft. Bei der getroffenen Beweiswürdigung handle es sich bei einer Vielzahl der darin enthaltenen Angaben um persönliche Anschauungen und Vermutungen des Referenten, sowie um absurde Ansichten ohne tragbare Grundlage. Zudem seien die verwendeten Länderquellen veraltet.

 

Dem BF drohten bei einer Rückkehr in die Türkei asylrelevante Nachteile sowohl wegen seiner Weigerung den Militärdienst leisten zu wollen, als auch wegen seiner exilpolitischen Tätigkeit bei einem kurdischen Verein in Holland.

 

Ergänzend zu den im Bescheid verwendeten Länderfeststellungen wurde die Lage in der Türkei aus Sicht des BF - va. im Hinblick auf die dortigen Untergrundbewegungen - dargestellt.

 

Hinsichtlich des weiteren Verfahrensherganges bzw. des Vorbringens im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.

 

II. Der AsylGH hat durch Einsicht in den vorliegenden Verwaltungsakt Beweis erhoben und Folgendes festgestellt:

 

1. Das Bundesasylamt hat es im erstinstanzlichen Verfahren unterlassen, dem BF das Parteiengehör umfassend zu gewähren. Weder wurde dem BF jener Sachverhalt vollständig vorgehalten, von welchem das Bundesasylamt hinsichtlich der allgemeinen Lage in der Türkei ausgeht (mit ihm wurden zwar in der Einvernahme vom 27.07.2007 die Erkenntnisse des Asylamtes betreffend den Militärdienst in der Türkei erörtert; es finden sich im Anschluss an diese Einvernahme auch Feststellungen über die Türkei im erstinstanzlichen Verfahrensakt - dem Akteninhalt ist aber nicht zu entnehmen, dass diese zuletzt genannten Feststellungen dem BF vorgehalten wurden), noch wurden dem BF die Quellen (im beschriebenen Umfang) vorgehalten, woraus das Bundesasylamt jene Feststellungen bezieht. Dem BF wurde auch nicht vorgehalten, wie das Bundesasylamt zu entscheiden beabsichtigt.

 

2. Der Bescheid enthält keine schlüssige Beweiswürdigung.

 

Vom Bundesasylamt wurde im Zuge der Beweiswürdigung ausgeführt, der Asylwerber sei ethnisch der türkischen Bevölkerungsgruppe zuzuordnen. Diesbezüglich hatte der BF angegeben, dass bis zu seinem 7. Lebensjahr seine Großmuter auf ihn geschaut habe, diese - wie seine Mutter - könnte kein Kurdisch; er selbst könne nicht gut Kurdisch, eine Einvernahme in Kurdisch wäre nicht möglich. Die Frage, ob seine Mutter keine Kurdin sei, blieb von ihm unbeantwortet, er gab hingegen an, sein Großvater mütterlicherseits sei Kurde gewesen, ebenso sein Vater. Wie das Bundesasylamt daher zum Ergebnis kommt, der BF sei der türkischen Bevölkerungsgruppe zuzuordnen, ist nicht nachvollziehbar (desgleichen auch nicht, dass seine Mutter keine Kurdin sei, wogegen deren Vater (der Großvater des BF) schon Kurde sein soll). Dass davon auszugehen sei, der Asylwerber sei nicht in kurdischer sondern in türkischer Tradition aufgewachsen, erweist sich als Spekulation, wurde er diesbezüglich konkret nicht befragt. In dieser Hinsicht wurde der Sachverhalt zu unergiebig ermittelt, insbesondere hätte nachgefragt werden müssen, wie seine Mutter spricht, wie sie mit ihm gesprochen hat, welcher Ethnie seine Großmutter mütterlicherseits angehört und welcher Ethnie sich seine Mutter zugehörig fühlt. Gleichzeitig wäre auch das Verhältnis zu seinem Vater bzw. zu dessen Verwandtschaft (wo lebt dieser/diese) näher zu beleuchten gewesen. Die erstinstanzliche Beweiswürdigung ist insoweit unschlüssig.

 

Vom BF wurde im erstinstanzlichen Verfahren auch ein Foto zum Beweis seiner exilpolitischen Tätigkeit vorgelegt, die ihn bei der Teilnahme an einer Demonstration im Jahre 2002 in Strassburg zeige. Es wurde aber von ihm nicht bezeichnet, welche der auf dem Foto ersichtlichen Personen der BF sein solle. Diesbezüglich hätte der Sachverhalt näher erhellt werden müssen, insbes. vor dem Hintergrund, dass der BF zu diesem Zeitpunkt erst 15 Jahre alt war und wie sich die verschiedenen Orte erklären (der BF wohnte zu diesem Zeitpunkt in den Niederlanden). Der Sachverhalt ist auch in einem weiteren Punkt aufklärungsbedürftig. So gibt der BF an, er wäre sechs oder sieben Jahre in Holland in einem kurdischen Verein (dagegen: in der Einvernahme am 11.04.2007: "türkischer Verein") tätig gewesen und habe bei Veranstaltungen als Aufseher fungiert. Gleichzeitig gibt er aber an, nicht Kurdisch zu können. Wie er so als Aufseher fungiert haben will, ist nicht nachvollziehbar und hätte hinterfragt werden müssen.

 

Die Erstbehörde führt weiter Beweis würdigend an, dass der Asylwerber bis dato weder gemustert noch einberufen wurden, wurde dazu aber nicht konkret befragt. Bei dem vorliegenden Sachverhalt - der BF wurde Ende 2006 aus den Niederlanden in die Türkei abgeschoben und hielt sich seinen Angaben zufolge bis 25.03.2007 dort auf - ist aber nicht auszuschließen, dass er zumindest zur Musterung aufgefordert wurde. Die Annahme des Bundesasylamtes ist daher spekulativ.

 

Schließlich hatte der BF behauptet, in Holland eine Firma zu besitzen, wodurch er ein monatliches Einkommen von ¿ 2.000,-- beziehe. Die Erstbehörde übernahm dieses Vorbringen aber ungeprüft und ging von dessen Gegebenheit aus (ihm wurde dies ohne nähere Begründung geglaubt). Aufgrund der Person des BF - er wurde noch nicht ganz zwanzigjährig aus Holland in die Türkei abgeschoben - sind diese Verhältnisse (ein Einundzwanzigjähriger will aus einem Land, aus dem er abgeschoben wurde, ein legales beträchtliches Einkommen beziehen) aber jedenfalls aufklärungsbedürftig, auch vor dem Hintergrund, dass damit seine Versorgtheit und die Zulässigkeit seiner Ausweisung (mit)begründet wurde.

 

Aus den angeführten Gründen ist die Beweiswürdigung der Erstbehörde, das Fluchtvorbringen des BF sei nicht glaubhaft, nicht schlüssig.

 

Das Bundesasylamt hat es verabsäumt, den Sachverhalt umfassend zu ermitteln und nachvollziehbar darzulegen, warum ganz konkret welcher Teil des Vorbringens aufgrund welcher Erwägung als glaubwürdig bzw. nicht glaubwürdig angenommen wird.

 

III. Artikel 151 Abs. 39 Z. 1 und 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) lauten:

 

(39) Art. 10 Abs. 1 Z 1, 3, 6 und 14, Art. 78d Abs. 2, Art. 102 Abs. 2, Art. 129, Abschnitt B des (neuen) siebenten Hauptstückes, Art. 132a, Art. 135 Abs. 2 und 3, Art. 138 Abs. 1, Art. 140 Abs. 1erster Satz und Art. 144a in der Fassung des Bundesverfassungsgesetzes BGBl. I Nr. 2/2008 treten mit 1. Juli 2008 in Kraft. Für den Übergang zur neuen Rechtslage gilt:

 

Z 1: Mit 1. Juli 2008 wird der bisherige unabhängige Bundesasylsenat zum Asylgerichtshof.

 

Z 4: Am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren sind vom Asylgerichtshof weiterzuführen. Beim Verwaltungsgerichtshof oder beim Verfassungsgerichtshof anhängige Verfahren über Beschwerden gegen Bescheide des unabhängigen Bundesasylsenates sind von diesen mit der Maßgabe weiterzuführen, dass als belangte Behörde der Asylgerichtshof gilt.

 

Gemäß § 61 (1) AsylG 2005 BGBl I Nr. 100/2005 idF BGBl I Nr. 4/2008 entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten oder, soweit dies in Abs. 3 vorgesehen ist, durch Einzelrichter über

 

1. Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes und

 

2. [.....]

 

(2) [.....]

 

(3) Der Asylgerichtshof entscheidet durch Einzelrichter über Beschwerden gegen

 

1. zurückweisende Bescheide

 

[......]

 

2. die mit diesen Entscheidungen verbundene Ausweisung.

 

(4) Über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde entscheidet der für die Behandlung der Beschwerde zuständige Einzelrichter oder Senatsvorsitzende.

 

Gem. § 23 des Bundesgesetzes über den Asylgerichtshof, BGBl. I, Nr. 4/2008 (Asylgerichtshofgesetz - AsylGHG) idgF sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr.51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt, weshalb im gegenständlichen Fall im hier ersichtlichen Umfang das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG, BGBl. Nr.51 zur Anwendung gelangt.

 

Gem. § 75 (1) des Asylgesetzes 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG 2005) idgF sind alle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen. § 44 AsylG 1997 gilt. Die §§ 24, 26, 54 bis 57 und 60 dieses Bundesgesetzes sind auf diese Verfahren anzuwenden. § 27 ist auf diese Verfahren mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Behörde zur Erlassung einer Ausweisung zuständig ist und der Sachverhalt, der zur Einleitung des Ausweisungsverfahrens führen würde, nach dem 31. Dezember 2005 verwirklicht wurde. § 57 Abs. 5 und 6 ist auf diese Verfahren mit der Maßgabe anzuwenden, dass nur Sachverhalte, die nach dem 31. Dezember 2005 verwirklicht wurden, zur Anwendung dieser Bestimmungen führen.

 

Gegenständliches Verfahren war am 31.12.2005 nicht anhängig, weshalb es nach den Bestimmungen des AsylG 2005 zu Ende zu führen war.

 

Das erkennende Gericht ist berechtigt, näher bezeichnete Teile des angefochtenen Bescheides zum Inhalt des gegenständlichen Erkenntnisses zu erheben, ohne sie wiederholen zu müssen (vgl. z.B. das Erk. d. VwGH vom 4. 10. 1995, 95/01/0045; VwGH 24. 11. 1999, 99/01/0280; auch VwGH 8. 3. 1999, 98/01/0278), weshalb im gegenständlichen Fall im bereits genannten Umfang auf den erstinstanzlichen Bescheid verwiesen wird.

 

Ebenso ist das erkennende Gericht berechtigt, auf die außer Zweifel stehende Aktenlage (VwGH 16. 12. 1999, 99/20/0524) zu verweisen, weshalb auch hierauf im gegenständlichen Umfang verwiesen wird.

 

Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen. Gemäß Abs. 3 leg. cit. kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.

 

Auch der AsylGH (vorher UBAS) ist zur Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG berechtigt (vgl. dazu VwGH v. 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315 und Zl. 2000/20/0084). Eine kassatorische Entscheidung darf von der Berufungsbehörde nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes, sondern nur dann getroffen werden, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Die Berufungsbehörde hat dabei zunächst in rechtlicher Gebundenheit zu beurteilen, ob angesichts der Ergänzungsbedürftigkeit des ihr vorliegenden Sachverhaltes die Durchführung einer mündlichen Verhandlung als "unvermeidlich erscheint". Für die Frage der Unvermeidlichkeit einer mündlichen Verhandlung i.S.d. § 66 Abs. 2 AVG ist es aber unerheblich, ob eine kontradiktorische Verhandlung oder nur eine Vernehmung erforderlich ist (vgl. etwa VwGH v. 14.03.2001, Zl. 2000/08/0200; zum Begriff "mündliche Verhandlung" i.S.d. § 66 Abs. 2 AVG siehe VwGH v. 21.11.2002, Zl. 2000/20/0084).

 

Im Erkenntnis vom 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315 führte der VwGH zur Frage der Gesetzmäßigkeit der Ermessungsübung im Sinne des § 66 Abs. 2 und 3 AVG folgendes aus:

 

"Der Gesetzgeber hat in Asylsachen ein zweiinstanzliches Verfahren (mit nachgeordneter Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts) eingerichtet, wobei der belangten Behörde die Rolle einer "obersten Berufungsbehörde" zukommt (Art. 129c Abs. 1 B-VG). In diesem Verfahren hat bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln und es ist gemäß § 27 Abs. 1 AsylG grundsätzlich verpflichtet, den Asylwerber dazu persönlich zu vernehmen. Diese Anordnungen des Gesetzgebers würden aber unterlaufen, wenn es wegen des Unterbleibens eines Ermittlungsverfahrens in erster Instanz zu einer Verlagerung nahezu des gesamten Verfahrens vor die Berufungsbehörde käme und die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen damit zur bloßen Formsache würde. Es ist nicht im Sinne des Gesetzes, wenn die Berufungsbehörde, statt ihre (umfassende) Kontrollbefugnis wahrnehmen zu können, jene Behörde ist, die erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und einer Beurteilung unterzieht.

 

Dieser Gesichtspunkt ist nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes - freilich immer unter ausreichender Bedachtnahme auf das Interesse der Partei an einer raschen Erledigung des Asylverfahrens - bei der Ermessensausübung nach § 66 Abs. 2 und 3 AVG auch einzubeziehen. Unter dem Blickwinkel einer Kostenersparnis für die Partei ist dabei vor allem auch zu beachten, dass die Vernehmung vor dem Bundesasylamt dezentral durch die Außenstelle in den Bundesländern erfolgt, während der unabhängige Bundesasylsenat (jetzt AsylGH) - anders als bei den unabhängigen Verwaltungssenaten in den Ländern, für die Vergleichbares auf Landesebene gilt - als zentrale Bundesbehörde in Wien eingerichtet ist (vgl. auch zu das bereits erwähnte Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl.2000/20/0084)."

 

Auch wenn der AsylGH eine Außenstelle in Linz einrichtete, ist auszuführen, dass aufgrund des organisatorischen Aufbaues des AsylGH und des Bundesasylamtes, sowie aufgrund des Aufenthaltsortes des BF und der Geschäftsverteilung des AsylGH für das Jahr 2008 eine Weiterführung des Verfahrens durch den AsylGH im Sinne des § 66 (3) AVG nicht mit einer Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.

 

Im gegenständlichen Fall wurde der entscheidungsrelevante Sachverhalt nicht im erforderlichen Ausmaß ermittelt und gründen sich die Feststellungen des Bundesasylamtes zur Person des BF bzw. zu seinem Fluchtvorbringen auf eine unschlüssige Beweiswürdigung. Es wird daher Sache des Bundesasylamtes sein, die gebotenen Ermittlungstätigkeiten im bereits erörterten Umfang nachzuholen.

 

Zur Verletzung des Parteiengehörs wird auf folgenden Umstand hingewiesen:

 

In verschiedenen Erkenntnissen geht der VwGH davon aus, dass die Verletzung des Parteiengehörs durch die Möglichkeit der Einbringung der Berufung (jetzt Beschwerde) in diesem konkreten Fall als saniert anzusehen ist (vgl. für viele: VwGH vom 11.9.2003, 99/07/0062; VwGH vom 27.2.2003, 2000/18/0040; VwGH vom 26.2.2002, 98/21/0299).

 

Soweit im erstinstanzlichen Asylverfahren das Parteiengehör verletzt wurde, wird angeführt, dass in diesem Fall der BF die Gelegenheit hat, zum Ergebnis des Ermittlungsverfahrens in der Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Bescheid Stellung zu nehmen und es dem BF aufgrund der durch die Verletzung des Parteiengehörs hervorgerufenen Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens [§ 40 (1) 2 AsylG in der hier anzuwendenden Fassung] im Beschwerdeverfahren weiters frei steht, zulässigerweise einen neuen Sachverhalt vorzubringen bzw. neue Bescheinigungsmittel vorzulegen. Hierdurch mag zwar gegenüber dem BF die Verletzung des Parteiengehörs durch die Möglichkeit der Einbringung der Beschwerde als saniert anzusehen sein, dies ändert aber nichts daran, dass dieser Umstand in weiterer Folge die Verpflichtung zur Durchführung einer Verhandlung und somit die Rechtsfolgen des § 66 (2) AVG auslösen kann. Es ist davon auszugehen, dass die Gewährung des Parteiengehörs regelmäßig eine Stellungnahme der Verfahrenspartei zur Folge hat, welche jedenfalls ein amtswegig herbeizuschaffendes Bescheinigungsmittel darstellt. Die Unterlassung dieser Herbeischaffung kann einen Verfahrensmangel im Sinne des § 66 (2) AVG darstellen.

 

Enthält - wie im gegenständlichen Fall - der Bescheid eine nicht auf den sonstigen Inhalt abgestimmte schlüssige Beweiswürdigung, so führt dies in weiterer Folge dazu, dass auch die hierauf aufbauenden Feststellungen letztlich auf einem mangelhaften Verfahren fußen und das Ermittlungsverfahren in seiner Gesamtheit als mangelhaft anzusehen ist. Hätte das Bundesasylamt die Unschlüssigkeit der Beweiswürdigung erkannt, hätte es weitere Erhebungen zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes getätigt, wozu auch eine weitere Befragung des BF, bzw. eine Konfrontation der BF mit dem Ergebnis der Erhebungen erforderlich gewesen wäre.

 

Im Rahmen der nachzuholenden Ermittlungstätigkeiten wird das Bundesasylamt auch den BF ein weiteres Mal zu befragen haben. Ebenso wird es dem BF das Ermittlungsergebnis zur Kenntnis zu bringen und ihm die Gelegenheit einzuräumen zu haben, sich hierzu zu äußern und ihm hinsichtlich der der Entscheidung zu Grunde liegenden Quellen das Parteiengehör zu gewähren haben. In weiterer Folge wird das BAA das Ermittlungsergebnis unter Berücksichtigung sämtlicher bekannter Bescheinigungsmittel einer schlüssigen Beweiswürdigung zu unterziehen und individuelle Feststellungen zu treffen zu haben, welche als Basis für die rechtliche Beurteilung dienen.

Schlagworte
Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung
Zuletzt aktualisiert am
15.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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