TE AsylGH Bescheid 2008/08/28 C6 221877-0/2008

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Veröffentlicht am 28.08.2008
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Spruch

C6 221.877-0/2008/32E

 

R.D.;

 

geb. 00.00.1977, StA: Afghanistan

 

SCHRIFTLICHE AUSFERTIGUNG

 

DES VOM UNABHÄNGIGEN BUNDESASYLSENAT IN DER MÜNDLICHEN VERHANDLUNG

AM 1.2.2007 VERKÜNDETEN BESCHEIDS

 

SPRUCH

 

Der unabhängige Bundesasylsenat hat durch das Mitglied Mag. Judith PUTZER gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm § 38 Abs.1 des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 (AsylG) idgF, entschieden:

 

Der Berufung von R.D. vom 2.4.2001 gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 28.3.2001, Zahl 01 04.492-BAE, wird stattgegeben und R.D. gemäß § 7 AsylG Asyl gewährt. Gemäß § 12 leg cit wird festgestellt, dass R.D. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Text

BEGRÜNDUNG

 

I. Verfahrensgang:

 

Am 1.3.2001 stellte Herr R.D. in Österreich einen Antrag auf Gewährung von Asyl. Der Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 28.3.2001, Zahl 01 04.492-BAE, gemäß § 7 AsylG 1997 abgewiesen. Unter Spruchpunkt II dieses Bescheides wurde festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Berufungswerbers nach Afghanistan zulässig ist. Begründend wurde ausgeführt, dass es dem Berufungswerber nicht gelungen sei, eine konkret gegen ihn gerichtete Verfolgungshandlung aus den im Artikel 1 Abschnitt A Zif 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe glaubhaft zu machen.

 

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Berufung.

 

Die Berufungsbehörde erhob Beweis durch die Einsichtnahme in folgende Dokumente:

 

Bericht des Auswärtigen Amtes in Berlin über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im islamischen Übergangsstaat Afghanistan, Stand: Mai 2006;

 

Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan, Update über die Entwicklungen bis Februar 2004;

 

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Religionsfreiheit in ausgewählten islamischen Ländern, Juni 2006;

 

Spiegel online 29.3.2006,

www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,druck-408529,00.html;

 

http://www.afghan-aid.de/afghanische_christen.htm;

 

UK Home Office, Operational Guidance Note, Afghanistan, 01.2006;

Amnesty International -Stellungnahme zum Fall Abdul Rahman, 23. März 2006/Basler Zeitung, 4. April 2006;

 

U.S. Department of State, Afghanistan. International Religious Freedom Report 2006;

 

Gutachten des Sachverständigen Dr. S.R. vom 1.2.2007 für den unabhängigen Bundesasylsenat;

 

und die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung am 28.4.2004, 19.7.2004 und am 1.2.2007. An der Berufungsverhandlung nahm das Bundesasylamt nicht teil. Das Bundesasylamt hatte die Abweisung der Berufung beantragt.

 

II. Der unabhängige Bundesasylsenat hat erwogen:

 

1. Folgender Sachverhalt wird festgestellt:

 

1.1. Zum Berufungswerber:

 

Der Berufungswerber ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Hazara an; er stammt aus der Provinz G.. Der Berufungswerber ist J. geboren und lebte dort bis zum Jahr 1992; er besuchte von 1987 bis 1988 die Grundschule in J. und arbeitete in der Landwirtschaft und im Geschäft seines Vaters. Der Berufungswerber war von 1996 bis 02.2001 in J. als selbständiger Transportunternehmer tätig.

 

Der Berufungswerber wurde vom 00.00.1997 bis 00.00.1998 im Gefängnis der Taliban angehalten. Grund für die Inhaftierung war die Zugehörigkeit des Berufungswerbers zur Minderheit Hazara. In dieser Zeit (Sommer 1998) floh der Bruder des Berufungswerbers R.A. aus einem Lager der Wahdat-Partei. Der Vater des Berufungswerbers wurde ebenfalls im selben Jahr von der Wahdat-Partei mitgenommen und kam dabei ums Leben; die genaue Todesursache blieb unklar. Am 00.00.2001 wurde der Berufungswerber - unter dem Vorwurf der Kooperation mit der Wahdat-Partei - von den Taliban festgenommen; tags darauf gelang ihm die Flucht. Die Ehefrau und der Sohn des Berufungswerbers flohen 2002 nach Pakistan.

 

Der Berufungswerber gehörte ursprünglich der Religionsgemeinschaft der Schiiten an. Er ist in Österreich im Jahr 2002 durch Bekannte, die dem christlichen Glauben angehören, in Kontakt mit dieser Glaubensrichtung gekommen. In weiterer Folge besuchte er regelmäßig die Sonntagsmessen und bekam Taufunterricht; 2005 empfing er sowohl das hl. Sakrament der Taufe als auch das der Firmung. Hinsichtlich des Übertritts des Berufungswerbers zum Christentum konnte nicht festgestellt werden, dass es sich um eine Scheinkonversion handelt. Die Konversion des Berufungswerbers zum Christentum ist vielen afghanischen Staatsanghörigen in Österreich bekannt geworden; aber auch in seiner Heimat wurde dies bekannt. Er erzählte seiner Ehefrau am Telefon, dass er zum christlichen Glauben übergetreten ist. Dieses Gespräch wurde mitgehört und wurde die Ehefrau seitdem diskriminiert; schließlich verließ sie Pakistan und lebt seither im Iran.

 

1.2. Zur Situation in Afghanistan:

 

1.2.1. Politische Lage:

 

Afghanistan befindet sich mit seinen über 20 Millionen Einwohnern in einem langwierigen Wiederaufbauprozess. Grundvoraussetzung für die weitere Entwicklung ist die Gewährleistung von Sicherheit im gesamten Land. In weiten Teilen des Landes herrscht aber nach wie vor kein Friede.

 

Am 26. Januar 2004 trat in Afghanistan eine neue Verfassung in

Kraft. Sie wurde im Rahmen einer verfassungsgebenden Großen

Ratsversammlung ("Constitutional Loya Jirga") in Kabul

verabschiedet. ... Die Verfassung enthält einen umfassenden

Menschenrechtskatalog. ... Viele Grundrechte stehen allerdings unter

Gesetzesvorbehalt. ... Art 3 der Verfassung enthält einen

Islamvorbehalt, wonach Gesetze nicht "dem Glauben und den Bestimmungen" des Islam zuwiderlaufen dürfen. Auf die Scharia wird hingegen nicht ausdrücklich Bezug genommen. Die Verfassung sieht allerdings in Art 130 für den Fall, dass keine andere Norm gesetzlich anwendbar ist, die Anwendung der Scharia in den Grenzen der Verfassung vor. Afghanistan ist eine islamische Republik. Staatsreligion ist der Islam (Art 2). Allerdings räumt dieser Artikel auch das Recht zur Ausübung anderer Religionen innerhalb der Grenzen der einfachgesetzlichen Bestimmungen ein.

 

1.2.2 Religionsfreiheit:

 

Nach offiziellen Schätzungen sind etwa 84 % der afghanischen Bevölkerung sunnitische Muslime, ca. 15 % schiitische Muslime. Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften (wie z. B. Sikhs, Hindus, Christen) machen nicht mehr als einen Prozent der Bevölkerung aus. In Afghanistan gibt es keine alteingesessenen christlichen Gemeinden. Heute handelt es sich bei afghanischen Christen nach Erkenntnisses des Auswärtigen Amts im Wesentlichen um vom Islam konvertierte Christen. Wie in anderen islamischen Ländern auch, sehen sich die Christen häufig einer ablehnenden Haltung ihrer Gesellschaften gegenüber, da der Islam den Abfall vom Glauben verbietet.

 

1.2.2.1. Allgemeines:

 

Artikel 2 der neuen afghanischen Verfassung bestimmt in Absatz 1, dass der Islam Staatsreligion Afghanistans ist. Die in Artikel 2 Absatz 2 der Verfassung verankerte Glaubensfreiheit kommt nach dem Wortlaut allerdings nur für die "Anhänger anderer Religionen" (als dem Islam) und "im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen" zum Tragen. Laut Art 3 der Verfassung "darf kein Gesetz dem Glauben und den Bestimmungen des Islam widersprechen". Demnach besteht Glaubensfreiheit, die auch die freie Religionswahl beinhaltet, nicht für Muslime. Im Gegensatz hierzu steht jedoch Art 7. der Verfassung, in dem die Gültigkeit der von Afghanistan ratifizierten internationalen Verträge, also auch der Allgemeinen Menschenrechtserklärung, festgeschrieben ist. Ob die noch junge afghanische Rechtsprechung den völkerrechtlichen Verpflichtungen Afghanistans entspricht und somit auch vom Islam konvertierten Christen die Ausübung ihrer Religion gestattet, bleibt abzuwarten. Am 17.9.2003 hat Präsident Karzai die Einsetzung eines islamischen religiösen Rates (Shura) per Dekret genehmigt. Die Shura, in der Religionsgelehrte aller Provinzen vertreten sein sollen, umfasst rund 2.600 Mitglieder. Die Religionsgelehrten sollen dafür Sorge tragen, dass die Gebote des Islam eingehalten werden und insbesondere auch der Propaganda entgegenwirken, die zum Heiligen Krieg gegen die Regierung aufruft. Im Religionsministerium wurde eine Abteilung zur "Überwachung der Einhaltung religiöser Vorschriften" mit fünf Unterabteilungen (Ursprung islamischer Wissenschaften, "Einladung zum Islam und Hinweisung", soziale Reformen, Erkennen von Unglauben sowie "Einladung zum Islam und Hinweisung für Frauen") gegründet. Die Abteilung verfügt nicht über polizeiliche Befugnisse. Als Schwerpunkt ihrer Arbeit sieht die Abteilung die Informierung von Bürgern über Fragen der Hygiene, des Umweltschutzes, des Zusammenlebens in der Familie ua an wie auch die Rechte und Pflichten in der Gesellschaft auf der Grundlage des Islam. Als Leitlinie wurde zudem die Verhinderung der Diskriminierung von Frauen und Ermutigung zu ihrer Fortbildung und stärkerer Teilnahme an der Gesellschaft genannt.

 

1.2.2.2. Situation der Konvertiten:

 

Die Zahl der zum Christentum konvertierten Afghanen kann nicht annähernd verlässlich geschätzt werden, da Konvertiten sich hierzu nicht öffentlich bekennen. Konversion wird nach der Scharia als Verbrechen am Staat betrachtet, für das die Todesstrafe droht. Für christliche Afghanen gibt es keine offene Möglichkeit der Religionsausübung außerhalb des häuslichen Rahmens. Selbst zu Gottesdiensten, die in Privathäusern von internationalen NROen regelmäßig abgehalten werden, erscheinen sie nicht. Ihre Situation hängt letztlich davon ab, wo und unter welchen Umständen diese in Afghanistan leben. Laut der MRK sind Repressionen gegen Konvertiten in städtischen Gebieten wegen der größeren Anonymität weniger zu befürchten als in Dorfgemeinschaften. Ausländische Christen (z.B. Mitarbeiter internationaler Organisationen und ausländischer Institutionen) üben ihre Religion grundsätzlich ebenfalls zurückhaltend aus. Gottesdienste in Privathäusern werden zwar regelmäßig abgehalten, die Orte des Zusammentreffens wechseln jedoch stets. In ihrer Arbeit begegnen kirchliche Hilfseinrichtungen in Afghanistan dagegen keinen Repressionen. Es gibt nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amts nur zwei Kirchen in Afghanistan, die sich beide in Kabul befinden: eine auf dem Gelände der italienischen Botschaft, die andere ist eine kleine spanische Kapelle in dem etwas außerhalb gelegenen ISAF-Lager "Camp Warehouse". Mitte März 2006 wurde ein afghanischer Staatsangehöriger wegen Konvertierung zum Christentum angeklagt. Seinen eigenen Angaben zufolge war er vor ca. 16 Jahren in Pakistan zum Christentum übergetreten, hatte einige Jahre in Europa gelebt und war 2003 schließlich freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt. Seine Familie hatte sich afghanischen Behörden gegenüber im Rahmen Familienstreits auf seine Konversion berufen, worauf ein Verfahren gegen Abdul Rahman wegen Apostasie eröffnet wurde. Infolge internationalen Drucks wurde er Ende März 2006 freigelassen. Er fand Exil in Italien, das sich zu seiner Aufnahme bereiterklärt hatte. Die Entscheidung zur Freilassung von Abdul Rahman führte zu einer heftigen Debatte im afghanischen Parlament. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses Sayyaf sprach von der Verschwörung einer "ungläubigen Organisation", der einige fremde Staaten, eine Anzahl von Konvertiten und auch Parlamentsmitglieder angehören sollen. Im Unterhaus wurde eine Resolution angenommen, die die Freilassung des Abdul Rahman als rechtswidrig beschrieb und für ihn ein Verbot zum Verlassen des Landes aussprach. Gleichzeitig wurden der Rechtsausschuss und der Ausschuss für die Umsetzung der Gesetze aufgefordert, eine Untersuchung in der Angelegenheit vorzunehmen und dem Parlament Bericht zu erstatten. Während der Zeit der Inhaftierung kam es zu einigen wenigen Demonstrationen gegen die Freilassung von Abdul Rahman. Auch in den Freitagsgebeten wurde der Fall z.T. aufgegriffen. Dies blieben allerdings isolierte Fälle.

 

Zur täglichen Lebenssituation:

 

In Afghanistan besteht kein staatliches soziales Netz, die soziale Absicherung erfolgt über die jeweilige Großfamilie. Für Rückkehrer, die nicht in den Verband einer Großfamilie zurückkehren können, ergeben sich erhebliche Probleme bei der Unterkunftnahme, einerseits auf Grund des relativ kleinen Marktes an intakten Wohnungen, der zu einem hohen Preisniveau geführt hat und andererseits, weil von (aus dem Westen kommenden) Rückkehrern angenommen wird, dass diese wohlhabend sind, was zu einer zusätzlichen Preiserhöhung führt. Auch ist es sehr schwierig, an eine bezahlte Arbeitsstelle zu kommen, auch wenn viele Afghanen ihr Auskommen als - von der Polizei manchmal zumindest schikanös behandelte - Straßenhändler finden. Theoretisch ist ein Krankenhausaufenthalt gratis, allerdings wird mit der Behandlung zumeist erst begonnen, wenn entsprechende Bestechungsgelder bezahlt wurden. Nur wenige Medikamente werden zur Verfügung gestellt, die restlichen Medikamente müssen vom Patienten erworben werden. Allerdings sind Medikamente westlichen Standards kaum erhältlich, es werden zumeist nachgemachte Medikamente (in Originalverpackung der "Vorbilder") verkauft, deren Wirkung oftmals zwischen unwirksam und gefährlich einzustufen ist.

 

1.3. Zur Situation von Rückkehrern:

 

Die Asylantragstellung an sich führt zu keinen Sanktionen seitens der afghanischen Regierung. Die Versorgung mit Wohnraum ist allerdings unzureichend und auch die Lebensmittelversorgung ist nicht zufrieden stellend. Es gibt keine hinreichende medizinische Versorgung in Kabul, obwohl diese besser ist als im Rest des Landes. Daher stoßen Rückkehrer, die nicht in einen Familienverband zurückkehren können oder nach einem längeren Aufenthalt im westlichen Ausland auf größere Schwierigkeiten als solche, die in einem Familienverband Aufnahme finden können.

 

Die Zahl der mit Unterstützung durch UNHCR freiwillig Zurückgekehrten ging im Jahr 2006 deutlich zurück. Ein Teil der Afghanen scheut die Rückkehr auch aus Furcht vor einer möglichen Verwicklung in Kampfhandlungen oder wegen der Vernichtung der Existenzgrundlagen (insbesondere ungeklärte Grundstücksfragen erhöhen die Schwierigkeiten, in Afghanistan wieder Fuß zu fassen).

 

Im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan hätte der Berufungswerber keine Möglichkeit, die christliche Religion sanktionsfrei auszuüben. In diesem Fall drohen dem Berufungswerber nach Scharia Verhaftung und schwere Strafen bis zum Todesurteil bzw die gesellschaftliche Ächtung und Ausgrenzung.

 

2. Die obigen Feststellungen ergeben sich aus folgender Beweiswürdigung:

 

2.1. Die Feststellungen zur Person des Berufungswerbers ergeben sich aus dem erstinstanzlichen Akt, der Berufung und den Angaben des Berufungswerbers in der mündlichen Verhandlung; weiters aus den Angaben der Zeugen, 1. J.W., Sozialpädagoge (bei diesem wohnt der Berufungswerber und handelt es sich hierbei um den Taufpaten des Berufungswerber) und 2. G.M., Pfarrer in Pension (dieser hat dem Berufungswerber die christlichen Lehren näher gebracht und den Taufunterricht abgehalten sowie ihm das Sakrament der Taufe und der Firmung gespendet); die (Negativ-)Feststellung, dass es sich beim Übertritt des Berufungswebers zum Christentum um, keine Scheinkonversion handelt, beruht auf den Ausführungen des Berufungswerbers und der Darstellung der Zeugen, die in längerem persönlichen Kontakt zum Berufungswerber stehen. Beweisergebnisse dahingehend, dass im vorliegenden Fall eine Scheinkonversion vorliegen, sind nicht hervorgekommen (vgl zu den Erfordernissen einer schlüssigen Gesamtbeurteilung dahingehend, dass eine Scheinkonversion vorliegt VwGH 14.11.2007, Zl 2004/20/0215; VwGH 14.11.2007, Zl 2004/20/0485).

 

2.2. Die Feststellungen zur aktuellen Situation in Afghanistan beruhen auf den jeweils angeführten Quellen. Die beigeschafften Dokumente, die von - teilweise vor Ort agierenden - Personen und Organisationen hoher Reputation stammen, enthalten substantiierte Darstellungen der Situation und ergeben in ihren Aussagen ein übereinstimmendes nachvollziehbares Gesamtbild.

 

2.3. Die Feststellungen unter 1.3. ergeben sich aus den Feststellungen zu 1.1. und 1.2. sowie den Ausführungen des der mündlichen Verhandlung beigezogenen Sachverständigen:

 

"Die afghanische Gesellschaft ist in den letzten 30 Jahren des Bürgerkriegs sehr konservativ geworden. Die islamische Geistlichkeit ist mehr an den internationalen Fundamentalismus gebunden. Deshalb ist das Leben für afghanische Christen in Afghanistan gefährlich geworden. In den islamischen Gesellschaften gibt es Christen, wie die Armenier im Iran, die als solche akzeptiert werden, während die Christen, die vom Islam abfallen, schwerst verfolgt werden. Bei diesen Personen steht die Todesstrafe an der Tagesordnung. In der afghanischen Gesellschaft bleibt das nicht auf der theoretischen Ebene, sondern wird es praktiziert, wenn ein vom Islam übergetragener Christ erwischt wird. Allerdings ist das noch nicht eingetreten, aber es gab einen Fall, dass ein afghanischer Christ in Afghanistan von seiner Familie bei der Polizei angezeigt wurde. Darauf hin hat das höchste Gericht in Afghanistan für die Todesstrafe verlangt, es sei denn, dass er wieder die islamische Religion annimmt und aus der christlichen Religion annimmt (siehe Beilage vom März 2006). Wenn jemand in der afghanischen Gesellschaft nicht bekannt gibt, dass er Christ oder ihn dort niemand verrät, dann besteht die Gefahr nicht, dass er verfolgt wird. Eine solche Person kann allerdings verraten werden und auf Grund des Verrates von Personen verfolgt werden. Im Fall des BW hat sein Eintritt in die christliche Kirche eine Öffentliche erfahren. Es ist nicht ausgeschlossen, dass der T., der mit vielen Hazaras zu tun hat, den Übertritt des BW anderen Hazaras erzählt. Es gibt nach Schätzungen der Deutschen in Afghanistan etwa 0,9 % Christen, die alle ihre Religion verstecken, sie geben sich nach außen als Muslime aus. Eine ausführliche Erklärung zu den Christen, geht aus Beilage 2 und 3 hevor. Es ist bekannt, dass einige Afghanen bzw. afghanische Familien, die in Afghanistan und Pakistan bekannt geworden ist, dass sie die christliche Religion angenommen haben, sie in Afghanistan und Pakistan verfolgt wurden und das Land Richtung Europa verlassen mussten (Beilage 4). Bei den Schiiten gilt das Prinzip von Taqia, nämlich, dass die Schiiten in Krisenzeiten, in denen sie selbst und ihre Religion in Gefahr sind, sich "umwandeln" und sich an jene Gesellschaft, wo sie sich befinden, anpassen. Dieses "Taqia" ist eine Sache, die am Anfang des Islams, als die Schiiten verfolgt wurden, praktiziert wurde. Jetzt gibt es keine diesbezüglichen Erfahrungen bzw. Praxis."

 

3. Rechtlich folgt:

 

3.1. Mit 1.7.2008 wurde der Asylgerichtshof als unabhängige Kontrollinstanz in Asylsachen eingerichtet. Die maßgeblichen verfassungsmäßigen Bestimmungen bezüglich der Einrichtung des Asylgerichtshofes befinden sich in den Art 129c ff B-VG.

 

Gemäß Art 151 Abs 39 Z 1 B-VG wird mit 1.7.2008 der bisherige unabhängige Bundesasylsenat zum Asylgerichtshof. Gemäß Z 4 leg cit sind am 1.7.2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren vom Asylgerichtshof weiterzuführen.

 

Bereits aufgrund der genannten Bestimmungen und der in ihnen erkennbar vom Verfassungsgesetzgeber vorgesehenen Kontinuität ergibt sich, dass der Asylgerichtshof auch für die schriftliche Ausfertigung von mündlich verkündeten Bescheiden des unabhängigen Bundesasylsenates zuständig ist. Da die ausfertigende Richterin des Asylgerichtshofes dieselbe Person wie das für das Berufungsverfahren vor dem unabhängigen Bundesasylsenat zuständige Senatsmitglied ist, ergeben sich auch aus dem Grundsatz der richterlichen Unmittelbarkeit keine Bedenken. Im vorliegenden Fall wurde der Berufungsbescheid mit oa Spruch am 7.4.2008 und damit vor Einrichtung des Asylgerichtshofes beschlossen und öffentlich verkündet.

 

Gem § 75 Abs 1 AsylG 2005 sind alle am 31.12.2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des AsylG 1997 zu Ende zu führen.

 

3.2. Gemäß § 44 Abs. 1 AsylG werden Verfahren zur Entscheidung über Asylanträge und Asylerstreckungsanträge, die bis zum 30. April 2004 gestellt wurden, nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997, BGBl I Nr 76/1997 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 126/2002 geführt.

 

Da gemäß § 44 Abs. 1 AsylG 1997 idF BGBI I Nr 101/2003 auf den Zeitpunkt der Asylantragstellung abzustellen ist, war gegenständlich auch über die Berufung gemäß § 7 AsylG 1997, BGBl I Nr 76/1997 idF BGBI I Nr 126/2002 abzusprechen.

 

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG begehren Fremde, die in Österreich Schutz vor Verfolgung (Art 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) suchen, mit einem Asylantrag die Gewährung von Asyl.

 

3.3. Gem § 7 AsylG hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

 

Der verwiesene Art 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention lautet: Im Sinne dieses Abkommens findet der Ausdruck "Flüchtling" auf jede Person Anwendung, die ... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Gesinnung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will; ...

 

3.4. Zur Dartuung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt wurden; eine solche ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn Verfolgungshandlungen im Lichte der speziellen Situation des Flüchtlings unter Berücksichtigung der Gesamtsituation im Verfolgerstaat mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu befürchten wären (VwGH v. 26. 2. 1997 Zl: 95/01/0454). Nicht erforderlich ist, dass bereits tatsächlich Verfolgungshandlungen gegen den oder die Betroffene stattgefunden haben, da die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - sich nicht auf vergangene Ereignisse bezieht (vgl VwGH 10.9.1997, 96/21/0424), sondern eine Prognose erfordert (Vgl auch VwGH 5.11.1992, 92/01/792).

 

3.5. Die Furcht des Berufungswerbers vor Verfolgung im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan ist begründet:

 

3.5.1. Nach der Rspr des VwGH kommt es im Fall der Konversion darauf an, ob die betreffende Person im Fall einer Rückkehr in das Heimatland in der Lage ist, die von ihr gewählte Religion frei auszuüben. Bei einer im Ausland erfolgten Konversion ist darauf abzustellen, ob die Konversion "nur zum Schein erfolgt" ist. Wenn die Konversion aus "innerem Entschluss" erfolgt ist, kommt es darauf an, ob die betreffende Person bei "weiterer Ausübung ihres behaupteten inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsste, aus diesem Grund mit einer die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktion belegt zu werden (vgl VwGH 24.10.2001/99/20/0550; 19.12.2001, 2000/20/0369; 17.10.2002, 2000/20/0102).

 

Im Fall des Berufungswerbers ist davon auszugehen, dass der erfolgte Glaubenswechsel aus einem inneren Entschluss erfolgt ist; für das Vorliegen einer Scheinkonversion gibt es keinen Anhaltspunkt. Dem Berufungswerber drohen im Fall der Ausübung der christlichen Religion schwere Sanktionen in seinem Heimatstaat, die sowohl von staatlicher Seite (Sanktionen gem Scharia) als auch von privater Seite (völlige gesellschaftliche Ächtung) ausgehen. Es ist weiters nicht auszuschließen, dass der Berufungswerber - selbst wenn er dies in Kauf nehmen würde - den Umstand seines Glaubenswechsels nicht dauerhaft geheim halten könnte, da dieser bereits einer Vielzahl von afghanischen Staatstangehörigen in Österreich als auch höchstwahrscheinlich in seiner Heimat (ein Telefongespräch zwischen ihm und seiner Ehefrau - in diesem hat er ihr von seiner Konversion erzählt - wurde abgehört) bekannt geworden ist.

 

3.5.2. Der in seiner Intensität asylrelevante Eingriff in die vom Staat schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Artikel 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft. Im Fall des Berufungswerbers steht die Verfolgungsgefahr in einem Konnex zu seinem Glaubenswechsel und daher zum Konventionsgrund der "Religion".

 

3.5.3. Das Bestehen einer inländischen Schutzalternative in anderen Gebieten Afghanistans ist im Fall des Berufungswerber zu verneinen, weil die vom Berufungswerber geltend gemachte Furcht vor Verfolgung im gesamten afghanischen Staatgebiet besteht.

 

3.6. Zusammenfassend wird festgehalten, dass sich der Berufungswerber aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Religion außerhalb Afghanistans aufhält und auch keiner der in Artikel 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

 

4. Gemäß § 12 AsylG war die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Schlagworte
gesamte Staatsgebiet, Konversion, Minderheiten-Zugehörigkeit, Nachfluchtgründe, Religion, Todesstrafe
Zuletzt aktualisiert am
31.12.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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