C6 219.895-0/2008/19E
H.K.
geb. 00.00.1979 auch 00.00.1979 auch 00.00.1974, StA: Afghanistan;
SCHRIFTLICHE AUSFERTIGUNG
DES VOM UNABHÄNGIGEN BUNDESASYLSENAT IN DER MÜNDLICHEN VERHANDLUNG
AM 9.11.2007 VERKÜNDETEN BESCHEIDS
SPRUCH
Der unabhängige Bundesasylsenat hat durch das Mitglied Mag. Judith PUTZER gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm § 38 Abs.1 des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 (AsylG) idgF, entschieden:
Der Berufung von H.K. vom 16.11.2000 gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 3.11.2000, Zahl 00 06.588-BAT, wird stattgegeben und H.K. gemäß § 7 AsylG Asyl gewährt. Gemäß § 12 leg. cit. wird festgestellt, dass H.K. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
BEGRÜNDUNG
I. Verfahrensgang:
Am 5.6.2000 stellte Herr H.K. in Österreich einen Antrag auf Gewährung von Asyl. Der Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 3.11.2000, Zahl: 00 06.588-BAT, gemäß § 7 AsylG 1997 idgF abgewiesen. Unter Spruchpunkt II dieses Bescheides wurde festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Berufungswerbers nach Afghanistan zulässig ist. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Berufung.
Die Berufungsbehörde erhob Beweis durch die Einsichtnahme in folgende Dokumente:
Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan vom 17.3.2007 [Stand Februar 2007]
Austria Presse Agentur (APA), Berichte über Kampfhandlungen in Afghanistan vom 13.4.2007, 11.4.2007, 9.4.2007, 8.4.2007, 27.3.2007 u. v.a.
International Crises Group, "Afghanistan's Endangered Compact", 29. Jänner 2007
Zeit-Fragen, schweizer Wochenzeitung, Nr. 28 vom 28.7.2003; "Und wer denkt an die Menschen in Afghanistan? Katastrophale hygienische Zustände in den Städten und Spitälern"
Gutachten des Sachverständigen Dr. S.R. in der mündlichen Berufungsvorhandlung vom 9.11.2007 für den unabhängigen Bundesasylsenat
und die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung am 27.1.2005, 20.5.2005, 13.8.2007 und am 9.11.2007. An der Berufungsverhandlung nahm das Bundesasylamt nicht teil. Das Bundesasylamt hatte die Abweisung der Berufung beantragt.
II. Der unabhängige Bundesasylsenat hat erwogen:
1. Folgender Sachverhalt wird festgestellt:
1.1. Zum Berufungswerber:
Der Berufungswerber ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Hazare an und stammt aus der Provinz Ghazni. Er wurde am 00.00.1974 in J. geboren. Der Berufungswerber besuchte drei Jahre eine Schule im Gebiet von D.; danach sieben Jahre eine Religionsschule. Sein Vater war bei der Hezb-e Wahdat, beim Kommandanten K.S., Leiter war Y.. Im Zusammenhang mit der Gründung einer Schule kam es zu Streitigkeiten mit der Akbari Fraktion. Der Berufungswerber ist mit der Enkelin von K.S. verheiratet. Der Berufungswerber war von 1994 bis 1996 Mitglied der Hezb-e Wahdat und aktiver Kämpfer. Ein Verwandter von S. hat zur Tarnung die Mitglieder Akbari zu sich nach K. eingeladen. Grund hierfür war, dass man diese zur Abgabe der Waffen bewegen wollte. In der Folge kam zu einem Streit und gab X in seiner Funktion als Gruppenleiter den Schießbefehl; es kamen mehrere Menschen ums Leben. Der Berufungswerber war 15 bis 20 Minuten vom Geschehen entfernt; er hatte für die Sicherheit des Basars zu sorgen.
1.2. Zur Situation in Afghanistan:
1.2.1. Politische Lage:
Afghanistan befindet sich mit seinen über 20 Millionen Einwohnern in einem langwierigen Wiederaufbauprozess. Grundvoraussetzung für die weitere Entwicklung ist die Gewährleistung von Sicherheit im gesamten Land. In weiten Teilen des Landes herrscht aber nach wie vor kein Friede.
Am 26. Januar 2004 trat in Afghanistan eine neue Verfassung in Kraft. Sie wurde im Rahmen einer Verfassungsgebenden Großen Ratsversammlung ("Constitutional Loya Jirga") in Kabul verabschiedet. Die Verfassung sieht allerdings in Art 130 für den Fall, dass keine andere gesetzliche Norm anwendbar ist, die Anwendung der Scharia in den Grenzen der Verfassung vor. Afghanistan ist eine islamische Republik. Staatsreligion ist der Islam (Art. 2). Allerdings räumt dieser Artikel auch das Recht zur Ausübung anderer Religionen innerhalb der Grenzen der einfachgesetzlichen Bestimmungen ein.
Am 19. Dezember 2005 trat das Parlament zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen. Das Parlament hat ein Mitsprachrecht bei der Besetzung des Kabinetts und der Richterposten am Obersten Gerichtshof. Bei der Kabinettsumbildung im Frühjahr 2006 haben nicht alle vorgeschlagenen Kandidaten Bestätigung durch das Parlament gefunden. Trotz dieser Entscheidungen, bei denen das Parlament Selbstbewusstsein bewiesen hat, ist es ihm insgesamt im ersten Jahr seines Bestehens nicht gelungen, sich als Institution mit Gewicht zu etablieren. Die parlamentarische Arbeit ist über die Monate immer stärker durch den verbreiteten Absentismus der Abgeordneten beeinträchtigt worden, so dass bei Abstimmungen regelmäßig das erforderliche Quorum (50% der Abgeordneten) nicht zustande kommt.
(Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan [Stand: Februar 2007], 17. März 2007, Seite 6-7)
1.2.2. Sicherheitslage:
Die Sicherheitslage variiert von Distrikt zu Distrikt. Während terroristische Aktivitäten im Süden und Osten des Landes aus zumeist ideologischen Motiven direkt gegen die Zentralregierung und die Präsenz der internationalen Gemeinschaft gerichtet sind, kann die Sicherheitslage im Norden und Westen (aber nicht nur hier) insbesondere durch Rivalitäten zwischen lokalen Machthabern und Milizenführer, die häufig in Drogenhandel und andere kriminelle Machenschaften verstrickt sind, beeinträchtigt werden. Die Sicherheitssituation wird von der wachsenden Unzufriedenheit weiter Bevölkerungskreise mit der bisherigen Regierungspolitik, einem Wiedererstarken der Taliban und der - insbesondere mit der Drogenwirtschaft verbundenen - zunehmenden Kriminalität und den Aktivitäten illegaler Milizen bestimmt. Nach den Angaben verschiedener Quellen ist es im Jahr 2006 zu rund 120 Selbstmordattentaten gekommen.
Im Jahr 2005 belief sich die Zahl auf ca. 20 Attentate.
Zur Sicherheitslage in den einzelnen Regionen:
Im Raum Kabul bleibt sie weiter fragil, auch wenn sie aufgrund der ISAF-Präsenz im regionalen Vergleich zufrieden stellend ist. Sie wurde vom United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR) seit Mitte 2002 für freiwillige Rückkehrer als "ausreichend sicher" bezeichnet. Gelegentlich kommt es in Kabul zu Raketenbeschuss. Es gibt Übergriffe von Polizei und Sicherheitskräften auf die Zivilbevölkerung. Angehörige der Sicherheitskräfte stellen sich gelegentlich als Täter von bewaffneten Raubüberfällen oder Diebstählen heraus.
Mitte März 2006 kam es in der Nähe der Universität in Kabul zu einem Autobombenanschlag gegen den Fahrzeugkonvoi von Sibghatullah Modjadeddi, dem ehemaligen Präsidenten und jetzigen Vorsitzenden des Oberhauses im afghanischen Parlament. Modjadeddi ist ebenfalls Leiter der Versöhnungskommission, die sich um die Aussöhnung zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban-Rebellen bemüht. Fünf Menschen wurden getötet, er selbst erlitt leichte Verletzungen. Ende Mai 2006 kam es in Kabul nach einem Verkehrsunfall eines US Konvois, bei dem eine Reihe von Zivilisten getötet wurden, zu Ausschreitungen in weiten Teilen der Innenstadt. Dabei wurden Autos von Ausländern mit Steinen beworfen und Häuser geplündert. Im September 2006 kam es in Kabul zu mehreren Selbstmordattentaten. Ein Selbstmordattentäter fuhr nahe der US Botschaft in einen ISAF Konvoi. Ein weiterer Attentäter sprengte sich zu Arbeitsbeginn vor dem Eingang des Innenministeriums in die Luft. Bei beiden Anschlägen kam es zu Toten und Verletzten.
Die Anti-Terror-Koalition bekämpft die radikal-islamistischen Kräfte vor allem im Osten, Südosten und Süden von Afghanistan. Nach übereinstimmenden Quellen sickern islamistische Kräfte (u.a. Taliban) aus dem pakistanischen Paschtunengürtel weiter nach Afghanistan ein.
Vor allem im Süden, aber auch im Südosten wurde 2006 ein deutlicher Anstieg von Anschlägen auf Einrichtungen der Provinzregierung und Hilfsorganisationen verzeichnet. Gleichzeitig halten Kämpfe zwischen rivalisierenden Milizen weiter an. Dies schließt Stammesfehden ein, die unter anderem für paschtunisch geprägte Gebiete des Südens typisch sind.
Die Reinfiltration von Taliban/Islamisten ist ebenfalls in den westlichen Provinzen Ghor (Westteil), Farah und Nimruz zu verzeichnen. Im Nordwesten kommt es immer wieder zu interfraktionellen Kämpfen und erheblichen Spannungen. Die Hauptakteure sind hier Jamiat-e- Islami (tadschikisch), Jumbesh-e-Milli (usbekisch), Hezb-e-Wahdat (hazaritisch). 2006 kam es wiederholt zu Übergriffen auf Mitarbeiter von internationalen Hilfsorganisationen bzw. internationalem Militär: Anfang März 2006 verübten die Taliban in der Provinz Kandahar einen Anschlag auf einen kanadischen Militärkonvoi. Der Angreifer kam dabei ums Leben. Anfang Mai 2006 wurden zwei italienische Soldaten getötet und drei verletzt, als sie mit ihrem gepanzerten Fahrzeug auf dem Weg, einen Anschlag auf den Polizeichef der Provinz Ghazni zu untersuchen, auf eine Mine auffuhren.
Auch in 2006 gab es Fälle von Entführungen und Ermordungen von Mitarbeitern internationaler (Hilfs)organisationen: Im Februar 2006 wurden zwei nepalesische Mitarbeiter einer Sicherheitsfirma entführt. Einer von ihnen starb während der Geiselhaft infolge einer Krankheit. Mitte März 2006 wurden vier internationale Mitarbeiter der Firma Ecolog im Grenzgebiet zwischen Helmand und Kandahar entführt und umgebracht. Die Tat wird den Taliban zugerechnet. Im Oktober 2006 wurden zwei deutsche Journalisten in der Provinz Baghlan ermordet aufgefunden.
(Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan [Stand: Februar 2007], 17. März 2007, Seite 9-10)
1.2.3. Staatliche Strukturen:
Die rechtsprechende Gewalt ist laut Verfassung unabhängig. Ihr höchstes Organ ist das Oberste Gericht, das nicht nur in zivil-, straf- und verwaltungsrechtlichen Fällen als letzte Instanz entscheidet, sondern auch die Funktion eines Verfassungsgerichts ausübt. Auf Antrag der Regierung oder eines Gerichts kann das Oberste Gericht die Vereinbarkeit von Gesetzen und Verordnungen sowie von internationalen Verträgen mit der Verfassung überprüfen. Dem Obersten Gericht kommt somit in der Gestaltung der Rechts- und Verfassungswirklichkeit Afghanistans eine herausragende Bedeutung zu.
In der Rechtswirklichkeit ist das staatliche Justizsystem noch nicht funktionsfähig. Trotz bereits laufender Aus- und Fortbildungsmaßnahmen für Richter und Staatsanwälte wird es noch etliche Jahre dauern, bis das Gerichtssystem dem Anspruch der Verfassung genügen wird. Neben dem formellen staatlichen Gerichtswesen besteht weiterhin die traditionelle Gerichtsbarkeit. Vor allem auf dem Land wird die Richterfunktion in der Regel von lokalen Räten (Schuras) übernommen. Bei Gericht sind oft nicht einmal Texte der wichtigsten afghanischen Gesetze vorhanden. Einigkeit über die Gültigkeit und Anwendbarkeit von kodifizierten Rechtssätzen besteht meist nicht. Mangelnde Rechtskenntnis und die mangelnde Fähigkeit zur Auslegung verschärfen die Situation. Tatsächlich nehmen Gerichte, soweit sie ihre Funktion ausüben, eher auf Gewohnheitsrecht, auf Vorschriften des islamischen Rechts und auf die (nicht selten willkürliche) Überzeugung des einzelnen Richters als auf gültige Gesetze Bezug. Zudem fehlt es an einer Ausstattung mit Sachmitteln und geeignetem Personal sowohl bei der Staatsanwaltschaft als auch bei den Gerichten. Korruption wird allgemein als großes Problem im Justiz- und Verwaltungsbereich wahrgenommen. Grundsätze eines fairen Verfahrens nach rechtstaatlichen Prinzipien werden von Gerichten oftmals nicht beachtet. Das Verfahren vor dem nationalen Sicherheitsgericht gegen den früheren Milizenführer Abdullah Shah wegen mindestens zwanzigfacher Tötung (Oktober 2002, die Hinrichtung erfolgte am 20. April 2004) wurde von der VN-Sonderberichterstatterin zu extralegalen, willkürlichen und summarischen Tötungen, Asma Jahangir, als nicht fair bezeichnet. So habe der Angeklagte gegen seinen Willen über keinen Verteidiger verfügt, es habe keine sorgfältige Vorbereitung der Verhandlung gegeben, die Zeugenvernehmung habe Defizite in der Verfahrensweise aufgezeigt. Die Richter hätten einen juristisch nicht geschulten Eindruck gemacht. Eine vergleichbare Bilanz haben unabhängige Beobachter in dem Verfahren der ersten Instanz gegen den ehemaligen Chef des Geheimdienstes Assadullah Sarwari gezogen.
Im Frühjahr 2006 schlug der Präsident eine Neubesetzung der Richter am Obersten Gerichtshof vor. Das Parlament forderte in Ausübung seines Mitspracherechts von drei der neun vorgeschlagenen Kandidaten den bis zu diesem Zeitpunkt nicht vorgelegten Nachweis über den Abschluss der höheren Bildung in der Rechtswissenschaft oder im islamischen Recht, das nach Artikel 118 der Verfassung u.a. Voraussetzung für eine Ernennung darstellt. Dies betraf unter anderem den Vorsitzenden Richter am Obersten Gerichtshof, der schließlich vom Parlament abgelehnt wurde.
Der praktisch landesweit bestehende Zustand weitgehender Rechtlosigkeit des Einzelnen ist trotz institutioneller Fortschritte (wie z. B. der Einrichtung einer unabhängigen Menschenrechtskommission und deren verfassungsrechtlicher Verankerung) noch nicht überwunden. Institutionen existieren zwar in der einen oder anderen Form, allerdings nicht landesweit. Nicht alle Streitigkeiten kommen mindestens vor ein Schura-Gericht. Viele Fälle werden durch das Recht des Stärkeren geregelt. Zudem ist davon auszugehen, dass insbesondere Schuras die Rechte von Frauen nicht achten. Schließlich entscheiden Gerichte oft willkürlich ohne Bezug auf die Gesetzeslage. Menschenrechtsverletzungen bleiben meistens ungeahndet. Eine Strafverfolgung außerhalb Kabuls wegen mutmaßlicher Menschenrechtsverletzungen ist praktisch nicht möglich.
Die Regierung scheute bisher davor zurück, ein Gesetz zur Regelung der besetzten Privatgrundstücke und Wasserquellen (Opfer sind typischerweise Auslandsafghanen/Rückkehrer) zu verabschieden. Weil es kein Katasterwesen gibt, kann der Nachweis des Eigentums letztlich nicht geführt werden.
Seit August 2002 besteht eine beim Obersten Gerichtshof angesiedelte spezielle "Abteilung zur Bekämpfung des Lasters" (Departement for the Prevention of Vice). Ihre wesentliche Funktion soll in der Vermittlung sog. "afghanischer Werte" bestehen.
Die Reform der 34 Provinz- und etwa 400 Distriktverwaltungen ist noch nicht abgeschlossen. In vielen Regionen befinden sie sich weiter in der Hand bewaffneter Gruppen, die diese nach dem Sturz der Taliban übernommen hatten. Viele hohe Positionen in den Verwaltungen werden nach wie vor von unqualifizierten, ineffektiven und z.T. korrupten Ex-Mudschahedin eingenommen. Die afghanische Regierung hat bisher wenig politischen Willen gezeigt, Spitzenfunktionäre in Provinzen und Distrikten durch kompetente Beamte zu ersetzen.
(Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan [Stand: Februar 2007], 17. März 2007, Seite 8-9)
1.2.4. Menschenrechtssituation:
Die Menschenrechtssituation verbessert sich nur langsam. Dies gilt auch für die Lage der Frauen in Afghanistan, selbst wenn die gegen sie gerichteten Verbote aus der Taliban-Zeit
formal aufgehoben sind. Die größte Bedrohung der Menschenrechte geht von lokalen Machthabern und Kommandeuren aus. Die Zentralregierung kann diese Täter weder kontrollieren noch ihre Taten untersuchen oder sie vor Gericht bringen. Entscheidend ist daher die angestrebte Ausdehnung des Machtbereichs der Zentralregierung auf das gesamte Land. Noch verfügt die Zentralregierung nicht über das Machtmonopol, um die Bürger ausreichend zu schützen.
Die Verfassung enthält einen umfangreichen Menschenrechtskatalog, der politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte umfasst. Auch die Justizgrundrechte (nulla poena sine lege, keine Sippenhaft, Unschuldsvermutung, etc.) und die Unabhängigkeit der Justiz werden gewährleistet. Viele Grundrechte stehen allerdings unter Gesetzesvorbehalt. Gemäß Art. 22 haben Männer und Frauen gleiche Rechte und Pflichten. Artikel 83 sieht zudem mindestens zwei weibliche Abgeordnete pro Provinz im Unterhaus vor. Präsident Karzai stellte allerdings klar, dass insbesondere die Verwirklichung der Frauenrechte von der weiteren rechtlichen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklung des Landes abhängen wird. Artikel 3 der Verfassung enthält einen Islamvorbehalt, wonach Gesetze nicht "dem Glauben und den Bestimmungen" des Islam zuwiderlaufen dürfen. Auf die Scharia wird hingegen nicht ausdrücklich Bezug genommen. Die Verfassung sieht allerdings in Art 130 für den Fall, dass keine andere gesetzliche Norm anwendbar ist, die Anwendung der Scharia in den Grenzen der Verfassung vor. Afghanistan ist eine islamische Republik. Staatsreligion ist der Islam (Art. 2). Allerdings räumt dieser Artikel auch das Recht zur Ausübung anderer Religionen innerhalb der Grenzen der einfachgesetzlichen Bestimmungen ein.
Die im Jahr 2002 eingerichtete Unabhängige Afghanische Menschenrechtskommission (AIHRC) genießt verfassungsrechtlichen Status (Art. 58). Die Kommission nimmt Individualbeschwerden an, kann Fälle von Menschenrechtsverletzungen an die Justiz weitergeben und bei der Verteidigung der Rechte von Beschwerdeführern Unterstützung leisten. Eine nähere Ausgestaltung durch Gesetz ist im Mai 2005 erfolgt. Am 6. Juni 2002 wurde die Afghanische Unabhängige Menschenrechtskommission (AIHRC) unter Vorsitz der früheren Ministerin für Frauenangelegenheiten Dr. Sima Samar eingesetzt. Fünf der insgesamt elf Kommissionsmitglieder sind Frauen. Die Mitglieder der AIHRC wurden zunächst interimsweise für zwei Jahren gewählt. Ihr Auftrag ist im Jahr 2004 abgelaufen, eine Neubestimmung der Kommissionsmitglieder durch Präsident Karzai aber bisher nicht erfolgt. Bis zur Neubestimmung der Mitglieder setzt die Kommission ihre Arbeit zwar auf der Grundlage einer faktischen Verlängerung des alten Mandats fort. Gleichwohl wird die Position der AIHRC hierdurch erheblich geschwächt. Die AIHRC ist landesweit tätig. Dependancen sind in Herat, Mazar-i-Sharif, Faizabad, Kandahar, Jalalabad, Bamyian und Ghazni errichtet worden. Arbeitsschwerpunkte sind Menschenrechtserziehung, Frauen- und Kinderrechte, Beobachtung der Menschenrechtslage sowie Behandlung von Beschwerden und das besonders sensible Thema der Aufarbeitung vergangener Menschenrechtsverletzungen. Die Kommission hat Verfassungsrang (Art. 58 der Verfassung). Sie nimmt Individualbeschwerden an, kann Fälle von Menschenrechtsverletzungen an die Justiz weitergeben und bei der Verteidigung der Rechte von Beschwerdeführern Unterstützung leisten. Im Mai 2005 wurde ein Gesetz erlassen, das Mandat, Struktur und Aufgaben der AIHRC detailliert regelt. Am 30. April 2003 wurde im Innenministerium eine Menschenrechtsabteilung eingerichtet. Sie hat zur Aufgabe, missbräuchlichem Verhalten der Polizei entgegenzuwirken und das Bewusstsein für die Beachtung der Menschenrechte im Strafverfahren und bei der Strafvollstreckung zu schaffen. Auch das Außenministerium besitzt seit September 2003 eine Arbeitseinheit für Menschen- und Frauenrechte. Ihr kommt insbesondere die Aufgabe zu, den Menschenrechtsdialog zwischen den verschiedenen afghanischen Ministerien aufrechtzuerhalten und Beziehungen unter dem Aspekt der Menschenrechte zum Ausland zu pflegen.
In Afghanistan sind eine ganze Reihe von nationalen und internationalen Nichtregierungsorganisationen tätig, u.a. die Afghan Professional Alliance for Minority Rights (APAMR), die landesweit tätige Afghan Organisation for Human Rights and Environmental Protection (AOHREP), die Foundation for Culture and Civil Society, die sich um den Kontakt zu Minderheiten und den Aufbau der Zivilgesellschaft kümmert, die International Crisis Group, die International Legal Foundation, die die Ausbildung von Strafverteidigern und Durchsetzung der Beachtung von Verfahrensgrundsätzen übernommen hat, die National Commission of Human Rights of Afghanistan, die unter anderem eine Menschenrechtszeitung herausgibt. Auch Medica Mondiale, die die Ausbildung von Strafverteidigern im Zusammenhang mit sog. zina crimes (Ehebruch, vorehelicher Geschlechtsverkehr, etc.) und den Schutz von Frauenrechten zum Schwerpunkt ihrer Arbeit hat, die Afghanistan Research and Evaluation Unit, eine Organisation, die Berichte zu menschenrechtsrelevanten und allgemein-politischen Themen verfasst sowie die Organisation Global Rights (früher: International Human Rights Law Group), die Menschenrechtsaktivisten ausbildet. Mehrere afghanische Menschenrechtsorganisationen haben sich zum so genannten Human Rights Research and Advocacy Consortium (HRRAC) zusammengeschlossen, das vor den Parlamentswahlen 2005 verstärkt in Erscheinung trat.
Die Aufarbeitung der Menschenrechtsverbrechen der Vergangenheit wird in Afghanistan unter dem Begriff "transitional justice" zusammengefasst. Die staatliche Menschenrechtskommission AIHRC veröffentlichte am 29. Januar 2005 einen Bericht zur Problematik der Verbrechen aus der Zeit 1979 bis 2001. Staatspräsident Karzai bekannte sich öffentlich zu dem Bericht. Im Juli 2005 stellte die NRO "Afghanistan Justice Project" einen ähnlichen Bericht vor. Er führt systematisch die im gesamten Konfliktverlauf von 1978 bis 2001 begangenen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf. Er nennt die Namen der Täter und der politisch Verantwortlichen und zeigt die dahinter liegenden Befehls- und Entscheidungsstrukturen auf. Ebenfalls im Juli 2005 veröffentlichte Human Rights Watch einen Bericht mit dem Titel "Blood-Stained Hands:
Past Atrocitites in Kabul and Afghanistan's Legacy of Impunity". Der Bericht befasst sich mit einer besonders blutigen Phase des afghanischen Bürgerkriegs, der Zeit nach dem Sturz des von der Sowjetunion gestützten Najibullah-Regimes (April 1992 bis März 1993). Auch dieser Bericht nennt offen Namen von Verantwortlichen. Der frühere Verteidigungsminister Fahim, dessen Name ebenfalls in dem Bericht auftaucht, kritisierte ihn öffentlich als politische Verschwörung und intendierte Diffamierung von Mudschahedin-Führern. Per Präsidialdekret wurde am 10. Dezember 2005 der "Transitional Justice Action Plan" erlassen und am 10. Dezember 2006 durch Präsident Karzai öffentlich verkündet. Der Plan sieht eine Reihe von Maßnahmen zur Aufarbeitung der Vergangenheit vor. Im Januar 2007 verabschiedete das afghanische Unterhaus eine Resolution, die eine Amnestie für alle Taten im Zusammenhang mit den bewaffneten Auseinandersetzungen in Afghanistan während der vergangenen Jahrzehnte erklärt. Die zum Inkrafttreten der Amnestie erforderliche Zustimmung des Oberhauses liegt noch nicht vor. Die Amnestieregelung würde den Inhalten und Zielen des Transitional Justice Action Plans zuwiderlaufen.
In Paktika wurde im September 2005 ein Massengrab entdeckt, in dem mehr als 500 Soldaten, die dem kommunistischen Regime untreu geworden sein sollen, vermutet werden. Die Regierung hat zunächst eine Untersuchungskommission zur Begutachtung der Stelle entsandt. Heshamuddin Hesam und Habibullah Jalalzoy, zwei ehemalige afghanische Generäle, die während der Zeit des kommunistischen Regimes hohe Positionen im Geheimdienst unterhielten, wurden im September 2005 in Den Haag vor einem Distriktsgericht wegen Folter und Kriegsverbrechen angeklagt. Bereits im Juli 2005 wurde Sarwar Zardad Faryadi in Großbritannien wegen Folter und Geiselnahme zwischen den Jahren 1992 und 1996 verurteilt. Im Dezember 2005 begann in Kabul der Prozess gegen Assadullah Sarwari, der während des prokommunistischen Regimes 1978-79 Chef des afghanischen Geheimdienstes war und in dieser Funktion für erhebliche Menschenrechtsverletzungen wie Mord und Folter an politischen Gefangenen verantwortlich gemacht wird. Sarwari befand sich zum Zeitpunkt des Prozeßbeginns bereits seit 13 Jahren in extralegaler Haft einer afghanischen Fraktion und wurde erst Ende 2001 nach Kabul überstellt. Die Anklage gegen ihn lautet jedoch nicht auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit o.ä., sondern auf Hochverrat und Verschwörung gegen den islamischen Staat (der zu seiner Amtszeit noch nicht existierte). Das Verfahren wurde mehrfach verschoben. Ende Februar 2006 wurde Sarwari in erster Instanz zum Tode verurteilt. Die AIHRC und andere MR-Organisationen befürchten, dass sich das Verfahren wegen der schwach fundierten Anklage als auch einer Reihe von Verfahrensfehlern eine negative Auswirkung auf den weiteren Prozess des "Transitional Justice" haben wird.
Die afghanische Verfassung verbietet Folter. Dem EU-Bericht zu Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder herabwürdigender Behandlung vom Mai 2003, Erkenntnissen von Amnesty International sowie des IKRK (Internationales Komitee für das Rote Kreuz) zufolge gibt es Fälle von Folter durch Angehörige der regulären Polizei, Gefängnispersonal, militärische Kräfte sowie den Inlandsgeheimdienst NDS (National Department for Security). Berichten des IKRK zufolge gibt es jedoch keine Erkenntnisse über eine (früher bei den Bürgerkriegsparteien, d.h. Taliban wie Nordallianz übliche) systematische Anwendung von Folter durch Staatsorgane. Es ist davon auszugehen, dass Folterungen auch von Warlords und Milizenführer vorgenommen werden. Frauen und Kinder in Polizeigewahrsam und Gefängnissen sind besonderen Gefahren gravierender Misshandlung ausgesetzt.
(Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan [Stand: Februar 2007], 17. März 2007, Seiten 5, 8, 21, 22)
1.2.5. Repressionen Dritter:
Die größte Gefahr für die Nichtbeachtung der Menschenrechte geht von lokalen Machthabern und Kommandeuren aus. Es handelt sich hierbei meist um Milizführer, die nicht mit staatlichen Befugnissen ausgestattet sind. Die Zentralregierung hat auf viele dieser Menschenrechtsverletzer praktisch keinen Einfluss. Sie kann diese Täter weder kontrollieren, noch ihre Taten untersuchen oder sie verurteilen. Wegen des desolaten Zustands des Verwaltungs- und Rechtswesens bleiben Menschenrechtsverletzungen häufig ohne Sanktionen. Die Opposition gegen Warlords, Drogenbarone, Regionalkommandeure und Milizenführer wird in deren Machtbereich unterdrückt und führt oft zu harten Sanktionen. Lokale Machthaber (Clanchefs, Milizenführer) inhaftieren politisch Andersdenkende ohne förmliches Gerichtsverfahren und sollen geheime ¿persönliche' Gefängnisse unterhalten, z.T. um politische Gegner einzuschüchtern, z. T. um Lösegelder zu erpressen.
(Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan [Stand: Februar 2007], 17. März 2007, Seite 19)
1.2.6. Ausweichmöglichkeiten innerhalb des Landes:
Die Lebensbedingungen sind landesweit schlecht. Die Gefährdung des Einzelnen, zu einem Opfer von Gewalt oder einer Menschenrechtsverletzung zu werden, ist im gesamten Land gegeben. Die Sicherheitslage stellt sich regional sehr unterschiedlich dar und wirkt sich dementsprechend auf die Gefährdungssituation des Einzelnen aus. Ob eine Person sich einer möglichen Gefährdung durch ein Ausweichen im Land entziehen kann, hängt maßgeblich von dem Grad ihrer familiären, tribalen und sozialen Vernetzung ab.
(Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan [Stand: Februar 2007], 17. März 2007, Seite 19)
1.2.7. Versorgungssituation:
Die Vereinten Nationen versorgen weiterhin noch Millionen von Afghanen mit Nahrungsmitteln und Hilfsgütern. Die Versorgungslage hat sich in Kabul und zunehmend auch in den anderen großen Städten zwar grundsätzlich verbessert, wegen mangelnder Kaufkraft profitieren jedoch längst nicht alle Bevölkerungsschichten von der verbesserten Lage. Die Versorgung mit Wohnraum ist unzureichend. Das Angebot an Wohnraum ist knapp und nur zu hohen Preisen erhältlich. In vielen Gebieten Afghanistans muss die Versorgungslage mit Lebensmitteln auch weiterhin als nicht zufrieden stellend bezeichnet werden. Humanitäre Nothilfeleistungen wurden 2006 in verschiedenen Landesteilen notwendig, z.T. wegen Dürre, z.T. wegen schweren Überschwemmungen. Eine Versorgung der Notstandsgebiete ist oftmals, bedingt durch fehlende oder schlecht ausgebaute Verkehrswege, sehr schwierig, im Winter häufig überhaupt nicht mehr möglich. Hinzu kommt die Gefahr von kriminell motivierten Überfällen und vor allem Landminen. Die Arbeit der Hilfsorganisationen wird vor allem im Süden und Osten durch Sicherheitsprobleme erschwert.
Die medizinische Versorgung ist in Afghanistan aufgrund fehlender Medikamente, Geräte und Ärzte und mangels ausgebildeten Hilfspersonals völlig unzureichend. Afghanistan gehört zu den Ländern mit der höchsten Kindersterblichkeitsrate in der Welt. Die Lebenserwartung der afghanischen Bevölkerung liegt bei etwa 45 Jahren. Auch in Kabul, wo mehr Krankenhäuser als im übrigen Afghanistan angesiedelt sind, ist für die afghanische Bevölkerung noch keine hinreichende medizinische Versorgung gegeben.
Staatliche soziale Sicherungssysteme sind nicht bekannt. Renten-, Arbeitslosen- und Krankenversicherungen gibt es nicht. Familien und Stämme übernehmen die soziale Absicherung. Rückkehrer, die außerhalb des Familienverbandes oder nach einer längeren Abwesenheit im westlich geprägten Ausland zurückkehren, stoßen auf größere Schwierigkeiten als Rückkehrer, die in größeren Familienverbänden geflüchtet sind oder in einen solchen zurückkehren (vor allem aus Iran und Pakistan), wenn ihnen das notwendige soziale oder familiäre Netzwerk, sowie die notwendigen Kenntnisse der örtlichen Verhältnisse fehlen. Sie können auf übersteigerte Erwartungen hinsichtlich ihrer finanziellen Möglichkeiten treffen, so dass von ihnen überhöhte Preise gefordert werden. Von den "Zurückgebliebenen" werden sie häufig nicht als vollwertige Afghanen akzeptiert. Andererseits bringen Afghanen, die in den Kriegs- und Bürgerkriegsjahren im westlichen Ausland Zuflucht gesucht haben, von dort in der Mehrzahl der Fälle einen bessere finanziellen Rückhalt, eine qualifiziertere Ausbildung und umfangreichere Fremdsprachenkenntnisse mit als Afghanen, die in die Nachbarländer geflüchtet sind. Derartige Qualifikationen verschaffen ihnen bei der Reintegration einen deutlichen Vorteil. Zudem ist die Mehrheit der "Intelligenzia" während der Kriegs- und Bürgerkriegsjahre überwiegend nach Europa und Nordamerika geflüchtet. Prinzipiell könnten die Fähigkeiten dieser Personen eine erhebliche Ressource für das Land darstellen, denn es mangelt an ausgebildeten Facharbeitern und Akademikern.
(Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan [Stand: Februar 2007], 17. März 2007, Seiten 24-25)
1.3. Situation des Berufungswerbers im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan:
Der Berufungswerber hat gemeinsam mit seinem Vater, einem Mitglied von S., auf Seiten der Y. Gruppe aktiv an Kampfhandlungen ua gegen die Akbari Fraktion teilgenommen. Im Zuge dieser Kampfhandlungen sind seine Gegner zu Schaden gekommen. Der Berufungswerber ist seinen Gegnern auch persönlich bekannt. Im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan besteht für den Berufungswerber die Gefahr, auf Grund der "Schutzunfähigkeit" der gegenwärtigen afghanischen Regierung, selber Opfer eines von Seiten der ehemaligen gegnerischen Personen ausgehenden Übergriffs bzw. einer Menschenrechtsverletzung zu werden. Es kommt in relativ kurzen Abständen zu Tötungen auf Grund von Racheakten, die ihren Ursprung in aus dem Bürgerkrieg herrührenden Feindschaften haben und sich gegen aktiv in den damaligen Konflikt verwickelte Personen richten. Es besteht vor diesem Hintergrund keine Möglichkeit für den Berufungswerber, in Afghanistan angesichts der ihn bedrohenden Gefährdung ausreichenden und wirksamen Schutz zu finden.
2. Die obigen Feststellungen ergeben sich aus folgender Beweiswürdigung:
2.1. Die Feststellungen zur Person des Berufungswerbers ergeben sich aus dem erstinstanzlichen Akt, der Berufung, den Angaben des Berufungswerbers in der mündlichen Verhandlung und dem vor diesem Hintergrund erstatteten Gutachten des Sachverständigen.
Die Angaben des Berufungswerbers bezüglich seiner Herkunft und der handelnden Personen wurden vom der Verhandlung beigezogenen Sachverständigen als zutreffend beurteilt. Insbesondere geht der Sachverständigen in seinem mündlich erstatteten Gutachten vom 9.11.2007 von folgenden Schlussfolgerungen aus: "Die heutigen Angaben waren authentisch. Dies deshalb, weil während des Konfliktes zwischen X und A. woanders, nämlich im Basar eingesetzt war, damit die Akbari-Leute den Basar nicht angreifen, d.h. es war eine gespannte Situation, so dass X alle seine Kämpfer, einschließlich seinen Sohn, zur Bereitschaft gerufen hatte. Der BW [Berufungswerber] hat auch sein Alter heute richtig gesagt und authentisch vorgebracht, dass sein Vater tatsächlich nach Pakistan geflüchtet ist. Dies entspricht auch dem Ergebnis meiner Nachforschungen in Afghanistan, nämlich, dass der Vater der BW und der BW selber bewaffnet waren und zu Gruppe S. angehörten. In den Kämpfen, wo der Vater und der BW selber tätig waren, sind mehrere Leute von der gegnerischen Partei umgekommen, welches zur Feindschaft zwischen der Familie des BW und der Familien der Getöteten geführt hat. Diese Situation hat auch dazu geführt, dass der Vater des BW samt seiner Familie und seinem Bruder nach Pakistan geflüchtet sind, schon seit der Taliban-Zeit verschollen sind, aber gemäß den Erzählungen der Bevölkerung von R., muss A.H., sein Bruder und andere Mitglieder der Familie in Pakistan sein. Aus dem Ergebnis der Forschung ergibt sich, dass der BW eine Konfliktsperson ist. Nicht nur sein Vater war im Krieg beteiligt und hat Feindschaften hinterlassen, sondern er war selber am Bürgerkrieg beteiligt. In diesem Jahr 2007 hat die Schwelle der Ausführungen der Racheakte sich in Afghanistan gesenkt, da der Staat völlig geschwächt ist und seine ganze Kraft für die Bekämpfung der Taliban verwendet. Die Behörde in Afghanistan hat völlig versagt, so dass die verfeindeten Familien und Gruppen in verschiedenen Teilen, einschließlich in D. in J. ohne Furcht vor der Behörde ihre Feindschaft austragen. Die damaligen Hazara-Gruppen, die für die Taliban gearbeitet haben, wie z. B. die Akbari-Gruppe, sind vom Staat rehabilitiert worden und sie können in ihre Regionen zurückkehren. Sogar sind sie teilweise auch bewaffnet. Akbari selber ist möglicherweise ein Mitglied des afghanischen Senates.
2.2. Die Feststellungen zur aktuellen Situation in Afghanistan beruhen auf den jeweils angeführten Quellen. Die beigeschafften Dokumente, die von - teilweise vor Ort agierenden - Personen und Organisationen hoher Reputation stammen, enthalten substantiierte Darstellungen der Situation und ergeben in ihren Aussagen ein übereinstimmendes nachvollziehbares Gesamtbild.
2.3. Für die Berufungsbehörde ergibt sich daraus, dass für den Berufungswerber auf Grund seiner Mitgliedschaft zur K. Fraktion und der Teilnahme an Kampfhandlungen ua gegen die Akbari Gruppe, die Gefahr besteht, im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan Opfer einer Menschenrechtsverletzung zu werden, die von Seiten der Opfer und der Angehörigen der Opfer unter den Akbari ausgeht. Dies ergibt sich aus den Festsstellungen zur Menschenrechtssituation (vgl Punkt 1.2.4.) und aus den Feststellungen zu Repressionen durch Dritte (vgl Punkt 1.2.5.), die auf den Berichten des deutschen Auswärtigen Amtes beruhen; schließlich aus den Ausführungen des der mündlichen Verhandlung beigezogenen Sachverständigen. Die Feststellung, dass der Berufungswerber in Afghanistan keinen ausreichenden Schutz vor einer solchen Gefährdung finden würde, ergibt sich aus den Feststellungen unter Punkt 1.2.3. ("Staatliche Strukturen").
3. Rechtlich folgt:
3.1. Mit 1.7.2008 wurde der Asylgerichtshof als unabhängige Kontrollinstanz in Asylsachen eingerichtet. Die maßgeblichen verfassungsmäßigen Bestimmungen bezüglich der Einrichtung des Asylgerichtshofes befinden sich in den Art 129c ff B-VG.
Gemäß Art 151 Abs 39 Z 1 B-VG wird mit 1.7.2008 der bisherige unabhängige Bundesasylsenat zum Asylgerichtshof. Gemäß Z 4 leg cit sind am 1.7.2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren vom Asylgerichtshof weiterzuführen.
Bereits aufgrund der genannten Bestimmungen und der in ihnen erkennbar vom Verfassungsgesetzgeber vorgesehenen Kontinuität ergibt sich, dass der Asylgerichtshof auch für die schriftliche Ausfertigung von mündlich verkündeten Bescheiden des unabhängigen Bundesasylsenates zuständig ist. Da die ausfertigende Richterin des Asylgerichtshofes dieselbe Person wie das für das Berufungsverfahren vor dem unabhängigen Bundesasylsenat zuständige Senatsmitglied ist, ergeben sich auch aus dem Grundsatz der richterlichen Unmittelbarkeit keine Bedenken. Im vorliegenden Fall wurde der Berufungsbescheid mit oa Spruch am 9.11.2007 und damit vor Einrichtung des Asylgerichtshofes beschlossen und öffentlich verkündet.
3.2. Gemäß § 44 Abs. 1 AsylG werden Verfahren zur Entscheidung über Asylanträge und Asylerstreckungsanträge, die bis zum 30. April 2004 gestellt wurden, nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997, BGBl I Nr 76/1997 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 126/2002 geführt.
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG begehren Fremde, die in Österreich Schutz vor Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) suchen, mit einem Asylantrag die Gewährung von Asyl.
Gem § 7 AsylG hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.
Der verwiesene Art 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention lautet: Im Sinne dieses Abkommens findet der Ausdruck "Flüchtling" auf jede Person Anwendung, die ... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Gesinnung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will; ...
3.3. Zur Dartuung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt wurden; eine solche ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn Verfolgungshandlungen im Lichte der speziellen Situation des Flüchtlings unter Berücksichtigung der Gesamtsituation im Verfolgerstaat mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu befürchten wären (VwGH v. 26. 2. 1997 Zl: 95/01/0454). Nicht erforderlich ist, dass bereits tatsächlich Verfolgungshandlungen gegen den oder die Betroffene stattgefunden haben, da die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - sich nicht auf vergangene Ereignisse bezieht (vgl VwGH 10.9.1997, 96/21/0424), sondern eine Prognose erfordert (vgl auch VwGH 5.11.1992, 92/01/792).
3. Die Furcht des Berufungswerbers vor Verfolgung im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan ist begründet:
3.1. Aus den Feststellungen ergibt sich, dass der Berufungswerber im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan der Gefährdung von Racheakten seitens der ehemals gegnerischen Gruppierung für den Fall einer Rückkehr in seine Herkunftsregion ist der Berufungswerber - wie unter Punkt 1.3. ausgeführt - der Gefahr ausgesetzt, Opfer einer Menschenrechtsverletzung zu werden; angesichts der ihn im Fall einer Rückkehr in sein Herkunftsgebiet betreffenden Gefährdung ist es dem Berufungswerber nicht möglich, ausreichenden Schutz im Herkunftsstaat in Anspruch zu nehmen. Im Berufungsverfahren ist auch nicht hervorgekommen, dass der Berufungswerber gegenwärtig über ein persönliches Netzwerk in Afghanistan verfügt, das ihm ein ausreichendes Maß an persönlicher Sicherheit bieten würde.
3.2. Der in seiner Intensität asylrelevante Eingriff in die vom Staat schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Artikel 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft. Im Fall des Berufungswerbers steht die Verfolgungsgefahr in einem engen Konnex zu der Tatsache, dass er aktives Mitglied in der K. Fraktion (= Teil der Hezb-e Wahdit) war. Die den Berufungsweber treffende Gefährdung hat ihren Grund daher in der dem Berufungswerber zugeschrieben politischen Gesinnung (politisch militärischer Hintergrund des Berufungswerbers).
3.3. Das Bestehen einer inländischen Schutzalternative in anderen Gebieten Afghanistans ist im Fall des Berufungswerbers schon deshalb zu verneinen, weil auf Grund der katastrophalen wirtschaftlichen und humanitären Situation und der angespannten Sicherheitslage, dem Berufungswerber eine Aufenthaltnahme in anderen Gebieten (Zonen) außerhalb seiner Herkunftsprovinz nicht zugemutet werden kann, weil sie den Berufungswerber in eine ausweglose Situation brächte (zur Zumutbarkeit der Aufenthaltnahme vgl zB VwGH 8.9.1999, 98/01/0614). Ein Gebiet in Afghanistan, in dem der Berufungswerber in zumutbarer Weise frei von der geltend gemachten Furcht leben könnte - und somit eine inländische Schutzalternative -, ist vor diesem Hintergrund nicht ersichtlich (vgl. zur inländischen Schutzalternative VwGH 21.03.2002, 99/20/0401).
3.4. Zusammenfassend wird festgehalten, dass sich der Berufungswerber aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner (ihm unterstellten) politischen Gesinnung außerhalb Afghanistans aufhält und auch keiner der in Artikel 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.
4. Gemäß § 12 AsylG war die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Dieser Beschied wurde in der öffentlichen mündlichen Verhandlung am 9.11.2007 verkündet.