S11 401.188-1/2008/2E
ERKENNTNIS
Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Mag. Neumann als Einzelrichterin über die Beschwerde des Minderjährigen B.A., geb. 00.00.2003, vertreten durch seine Mutter B.H., geb.00.00.1982, StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 24.07.2008, Zahl: 08 04.788 EAST-Ost, zu Recht erkannt:
Die Beschwerde wird gemäß §§ 5 und 10 AsylG idF BGBl. I Nr. 100/2005 als unbegründet abgewiesen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
I. Verfahrensgang und Sachverhalt:
1. Der Verfahrensgang vor der erstinstanzlichen Behörde ergibt sich aus dem erstinstanzlichen Verwaltungsakt.
Der Beschwerdeführer reiste am 29.05.2008 gemeinsam mit seiner Mutter, B.H., illegal in Österreich ein. Er stellte am 01.06.2008 in der Erstaufnahmestelle Ost durch seine Mutter als gesetzliche Vertreterin einen Antrag auf internationalen Schutz, seine Mutter brachte ebenfalls einen gleichlautenden Antrag ein. Am 02.06.2008 fand vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes eine Erstbefragung der gesetzlichen Vertreterin, sowie am 08.07.2008 eine Einvernahme vor dem Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle Ost, in Gegenwart eines Rechtsberaters, statt.
Am 04.06.2008 richtete das Bundesasylamt aufgrund eines EURODAC-Treffers vom 25.05.2008 an Polen ein Ersuchen um Wiederaufnahme des Beschwerdeführers und seiner Mutter gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (Dublin II-Verordnung), welches am selben Tag elektronisch über DubliNET übermittelt wurde.
Am 05.06.2008 bestätigte die Beschwerdeführerin mit ihrer Unterschrift den Erhalt der Mitteilungen des Bundesasylamtes gemäß § 29 Abs. 3 Z. 4 AsylG, wonach beabsichtigt sei, die Anträge auf internationalen Schutz zurückzuweisen, da Konsultationen mit Polen geführt würden. Die Mitteilung über die Führung von Konsultationen wurde dem Beschwerdeführer sohin innerhalb der 20-Tagesfrist nach der Antragseinbringung, übermittelt.
Mit Schreiben vom 04.06.2008, eingelangt beim Bundesasylamt am 06.06.2008, stimmten die polnischen Behörden der Übernahme des Beschwerdeführers und seiner Mutter zur Prüfung des Asylantrags gem. Art. 16 Abs. 1 lit. c der Dublin II-Verordnung zu.
Der Beschwerdeführer brachte im Verfahren durch seine gesetzliche Vertreterin folgenden entscheidungsrelevanten Sachverhalt vor: Er sei zusammen mit seiner Mutter am 21.05.2008 von Grozny/Russische Föderation aus mit dem Zug nach Moskau und dann über Brest/Belarus nach Teraspol/Polen gefahren. Dort wären sie an der Grenze von den polnischen Behörden angehalten worden. Am 25.05.2008 habe seine Mutter für sich und den Beschwerdeführer Anträge auf internationalen Schutz in Polen eingebracht, habe das Verfahren aber nicht abgewartet und sei am 28. oder 29.05.2008 mit dem Beschwerdeführer in einem Kleinbus über Tschechien nach Österreich gefahren, wo sie vermutlich am 29.05.2008 illegal eingereist seien. Danach hätten sie sich bei Verwandten von Mitreisenden in Wien aufgehalten und am 01.06.2008 in Traiskirchen Anträge auf internationalen Schutz eingebracht. Als Fluchtgrund gab die Mutter des Beschwerdeführers an, dass Russen und Tschetschenen ununterbrochen zu ihr in die Wohnung gekommen wären, da sie wissen hätten wollen, wo ihr seit Dezember 2006 verschollener Mann sei. Der Beschwerdeführer habe unter diesem Stress gelitten. Er habe jedoch keine eigenen Fluchtgründe.
In Österreich lebten eine Tante der Mutter mit ihrer Familie, die sie vor sechs Jahren zuletzt gesehen habe. Am 21.06.2008 habe die Mutter des Beschwerdeführers einen in Österreich anerkannten Flüchtling aus Tschetschenien (in Folge mit N.N. bezeichnet) nach islamischem Recht geheiratet, bei dem sie jetzt mit dem Beschwerdeführer lebe. In Polen hätte der Beschwerdeführer keine Familie.
Eine gutachtliche Stellungnahme gemäß § 10 AsylG 2005 vom 28.06.2008 hielt fest, dass bei der Mutter des Beschwerdeführers keine sicheren Hinweise auf eine belastungsabhängige krankheitswertige psychologische Störung oder Traumatisierung vorliegen.
2. Das Bundesasylamt hat mit Bescheid vom 24.07.2008, zugestellt am 07.08.2008, Zl: 08 04.788, den Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass für die Prüfung des gegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin II-Verordnung Polen zuständig sei. Gleichzeitig wurde der Beschwerdeführer zusammen mit seiner Mutter, deren Antrag ebenfalls zurückgewiesen worden war, gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen und gemäß § 10 Abs. 4 AsylG 2005 festgestellt, dass die Abschiebung nach Polen zulässig sei.
Die Erstbehörde traf in diesem Bescheid Feststellungen zum polnischen Asylverfahren, zur Praxis des Non-Refoulement-Schutzes, der Ausweisung sowie zur Versorgung von Asylwerbern in Polen.
Beweiswürdigend wurde hervorgehoben, dass die Mutter des Beschwerdeführers im eigenen Verfahren und als gesetzliche Vertreterin des Beschwerdeführers keine stichhaltigen Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht habe, dass sie tatsächliche Gefahr liefen, in Polen Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu sein oder ihnen eine Verletzung der in Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte drohe. Eine Verletzung des Art. 8 EMRK sei nicht zu erkennen. Weder liege eine besonders intensive familiäre Bindung zur Großtante des Beschwerdeführers und deren Familie vor, noch wurde von der erstinstanzlichen Behörde eine Eheschließung der Mutter des Beschwerdeführers mit N.N. festgestellt.
3. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht am 20.08.2008 Beschwerde erhoben. Darin wird im Wesentlichen behauptet, dass sehrwohl ein Verstoß gegen Art. 8 EMRK vorliege, da zur Großtante des Beschwerdeführers und deren Familie ein enger Kontakt bestehe. Weiters wurde zur Bestätigung der Eheschließung der Mutter nach islamischem Recht ein Schreiben des Türkisch Islamischen Kulturvereines S. vorgelegt.
4. Die gegenständliche Beschwerde samt erstinstanzlichem Verwaltungsakt langte am 25.07.29008 beim Asylgerichtshof ein.
II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:
1. Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus dem vorliegenden Verwaltungsakt.
2. Rechtlich ergibt sich Folgendes:
Mit Datum 01.01.2006 ist das neue Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG idF BGBl. I Nr. 100/2005) und ist somit auf alle ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.
Am 01.07.2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren sind vom Asylgerichtshof nach Maßgabe des § 75 AsylG 2005 idF. BGBl. I Nr. 4/2008 weiterzuführen.
Gemäß § 23 AsylGHG sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10/1985, in den jeweilig geltenden Fassungen nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51/1991, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.
2.1. Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 ist ein nicht gemäß § 4 AsylG erledigter Asylantrag als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Dublin II-Verordnung zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Asylbehörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG ist die Zurückweisung eines Antrages nach Maßgabe des § 10 Abs. 3 und Abs. 4 AsylG mit einer Ausweisung zu verbinden. Die Dublin II-Verordnung ist eine Verordnung des Gemeinschaftsrechts im Anwendungsbereich der
1. Säule der Europäischen Union (vgl. Art. 63 EGV), die Regelungen über die Zuständigkeit zur Prüfung von Asylanträgen von Drittstaatsangehörigen trifft. Sie gilt also nicht für mögliche Asylanträge von EU-Bürgern, ebenso wenig ist sie auf Personen anwendbar, denen bereits der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Das wesentliche Grundprinzip ist jenes, dass den Drittstaatsangehörigen in einem der Mitgliedstaaten das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Asylverfahren zukommt, jedoch nur ein Recht auf ein Verfahren in einem Mitgliedstaat, dessen Zuständigkeit sich primär nicht aufgrund des Wunsches des Asylwerbers, sondern aufgrund der in der Verordnung festgesetzten hierarchisch geordneten Zuständigkeitskriterien ergibt.
2.1.1. Es ist daher zunächst zu überprüfen, welcher Mitgliedstaat nach den hierarchisch aufgebauten (Art. 5 Abs. 1 Dublin II-Verordnung) Kriterien der Art. 6 bis12 beziehungsweise 14 und Art. 15, beziehungsweise dem Auffangtatbestand des Art. 13 Dublin II-Verordnung zur inhaltlichen Prüfung zuständig ist.
2.1.1.1. Im vorliegenden Fall ist dem Bundesasylamt zuzustimmen, dass eine Zuständigkeit der Republik Polen gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin II-Verordnung kraft vorangegangener erster Asylantragstellung in der Europäischen Union gemäß Art 13 Dublin II-Verordnung besteht. Die erste Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der getroffenen Unzuständigkeitsentscheidung ist somit gegeben und ist diese im Verfahren nicht bestritten worden.
Ebenso unbestrittenermaßen ist im Asylverfahren des Beschwerdeführers noch keine Sachentscheidung in Polen gefallen.
2.1.1.2. Es sind auch aus der Aktenlage keine Hinweise ersichtlich, wonach die Führung der Konsultationen im gegenständlichen Fall derart fehlerhaft erfolgt wäre, sodass von Willkür im Rechtssinn zu sprechen wäre und die Zuständigkeitserklärung des zuständigen Mitgliedstaates wegen Verletzung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundsätze aus diesem Grund ausnahmsweise keinen Bestand haben könnte (Filzwieser, Subjektiver Rechtsschutz und Vollziehung der Dublin II-Verordnung - Gemeinschaftsrecht und Menschenrechte, migraLex, 1/2007, 22ff; vgl auch das Gebot der Transparenz im "Dublin-Verfahren", VwGH 23.11.2006, Zl. 2005/20/0444). Das Konsultationsverfahren erfolgte mängelfrei.
2.1.2. Das Bundesasylamt hat ferner von der Möglichkeit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-Verordnung keinen Gebrauch gemacht. Es war daher noch zu prüfen, ob von diesem Selbsteintrittsrecht im gegenständlichen Verfahren ausnahmsweise zur Vermeidung einer Verletzung der EMRK zwingend Gebrauch zu machen gewesen wäre.
Der VfGH hat mit Erkenntnis vom 17.06.2005, Zl. B 336/05-11 festgehalten, die Mitgliedstaaten hätten kraft Gemeinschaftsrecht nicht nachzuprüfen, ob ein anderer Mitgliedstaat generell sicher sei, da eine entsprechende normative Vergewisserung durch die Verabschiedung der Dublin II-Verordnung erfolgt sei, dabei aber gleichzeitig ebenso ausgeführt, dass eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung im Einzelfall gemeinschaftsrechtlich zulässig und bejahendenfalls das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-Verordnung zwingend geboten sei.
Die Judikatur des VwGH zu den Determinanten dieser Nachprüfung lehnt sich an die Rechtsprechung des EGMR an und lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben werden soll, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen. Wenn keine Gruppenverfolgung oder sonstige amtswegig zu berücksichtigende notorische Umstände grober Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten der EU in Bezug auf Art. 3 EMRK vorliegen (VwGH 27.09.2005, Zl. 2005/01/0313), bedarf es zur Glaubhaftmachung der genannten Bedrohung oder Gefährdung konkreter auf den betreffenden Fremden bezogener Umstände, die gerade in seinem Fall eine solche Bedrohung oder Gefährdung im Fall seiner Abschiebung als wahrscheinlich erscheinen lassen (VwGH 26.11.1999, Zl 96/21/0499, VwGH 09.05.2003, Zl. 98/18/0317; vgl auch VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059): "Davon abgesehen liegt es aber beim Asylwerber, besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vorzubringen und glaubhaft zu machen. Dazu wird es erforderlich sein, dass der Asylwerber ein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art 3 EMRK, nach sich ziehen könnte, und er die Asylbehörden davon überzeugt, dass der behauptete Sachverhalt (zumindest) wahrscheinlich ist." (VwGH 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949).
Die Vorlage allgemeiner Berichte ersetzt dieses Erfordernis in der Regel nicht (vgl. VwGH 17.02.1998, Zl. 96/18/0379; EGMR Mamatkulov & Askarov v Türkei, Rs 46827, 46951/99, 71-77), eine geringe Anerkennungsquote, eine mögliche Festnahme im Falle einer Überstellung ebenso eine allfällige Unterschreitung des verfahrensrechtlichen Standards des Art. 13 EMRK sind für sich genommen nicht ausreichend, die Wahrscheinlichkeit einer hier relevanten Menschenrechtsverletzung darzutun. Relevant wäre dagegen etwa das Vertreten von mit der GFK unvertretbaren rechtlichen Sonderpositionen in einem Mitgliedstaat oder das Vorliegen einer massiv rechtswidrigen Verfahrensgestaltung im individuellen Fall, wenn der Asylantrag im zuständigen Mitgliedstaat bereits abgewiesen wurde (Art. 16 Abs. 1 lit. e Dublin II-Verordnung). Eine ausdrückliche Übernahmeerklärung des anderen Mitgliedstaates hat in die Abwägung einzufließen (VwGH 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582, VwGH 31.05.2005, Zl. 2005/20/0025, VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/19/0673), ebenso andere Zusicherungen der europäischen Partnerstaaten Österreichs (zur Bedeutung solcher Sachverhalte Filzwieser/ Liebminger, Dublin II VO, K13. zu Art 19 Dublin II-Verordnung).
Weiterhin hatte der Asylgerichtshof folgende Umstände zu berücksichtigen:
Bei entsprechender Häufung von Fällen, in denen in Folge Ausübung des Selbsteintrittsrechts die gemeinschaftsrechtliche Zuständigkeit nicht effektuiert werden kann, kann eine Gefährdung des "effet utile" Grundsatzes des Gemeinschaftsrechts entstehen.
Zur effektiven Umsetzung des Gemeinschaftsrechts sind alle staatlichen Organe kraft Gemeinschaftsrechts verpflichtet.
Der Verordnungsgeber der Dublin II-Verordnung, offenbar im Glauben, dass sich alle Mitgliedstaaten untereinander als "sicher" ansehen können, wodurch auch eine Überstellung vom einen in den anderen Mitgliedstaat keine realen Risken von Menschenrechtsverletzungen bewirken könnte (vgl. insbesondere den 2. Erwägungsgrund der Präambel der Dublin II-Verordnung), hat keine eindeutigen verfahrens- oder materiellrechtlichen Vorgaben für solche Fälle getroffen hat, diesbezüglich lässt sich aber aus dem Gebot der menschenrechtskonformen Auslegung des Gemeinschaftsrechts und aus Beachtung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundrechte ableiten, dass bei ausnahmsweiser Verletzung der EMRK bei Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat eine Überstellung nicht stattfinden darf. Die Beachtung des Effizienzgebots (das etwa eine pauschale Anwendung des Selbsteintrittsrechts oder eine innerstaatliche Verfahrensgestaltung, die Verfahren nach der Dublin II-Verordnung umfangreicher gestaltet als materielle Verfahren verbietet) und die Einhaltung der Gebote der EMRK stehen daher bei richtiger Anwendung nicht in Widerspruch (Filzwieser, migraLex, 1/2007, 18ff, Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO, K8-K13. zu Art. 19).
Die allfällige Rechtswidrigkeit von Gemeinschaftsrecht kann nur von den zuständigen gemeinschaftsrechtlichen Organen, nicht aber von Organen der Mitgliedstaaten rechtsgültig festgestellt werden. Der EGMR hat festgestellt, dass der Rechtsschutz des Gemeinschafts-rechtes regelmäßig den Anforderungen der EMRK entspricht (30.06.2005, Bosphorus Airlines v Irland, Rs 45036/98).
Es bedarf sohin europarechtlich eines im besonderen Maße substantiierten Vorbringens und des Vorliegens besonderer vom Antragsteller bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, um die grundsätzliche europarechtlich gebotene Annahme der "Sicherheit" der Partnerstaaten der Europäischen Union als einer Gemeinschaft des Rechts im individuellen Fall erschüttern zu können. Diesem Grundsatz entspricht auch die durch das AsylG 2005 eingeführte gesetzliche Klarstellung des § 5 Abs. 3 AsylG, die Elemente einer Beweislastumkehr enthält. Es trifft zwar ohne Zweifel zu, dass Asylwerber in ihrer besonderen Situation häufig keine Möglichkeit haben, Beweismittel vorzulegen (wobei dem durch das Institut des Rechtsberaters begegnet werden kann), und dies mitzubeachten ist (VwGH, 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949), dies kann aber nicht pauschal dazu führen, die vom Gesetzgeber - im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht - vorgenommene Wertung des § 5 Abs. 3 AsylG überhaupt für unbeachtlich zu erklären (dementsprechend in ihrer Undifferenziertheit verfehlt, Feßl/Holzschuster, AsylG 2005, 225ff). Eine Rechtsprechung, die in Bezug auf Mitgliedstaaten der EU faktisch höhere Anforderungen entwickelte, als jene des EGMR in Bezug auf Drittstaaten wäre jedenfalls gemeinschaftsrechtswidrig.
2.1.2.1. Mögliche Verletzung des Art. 8 EMRK
Eine außergewöhnliche Nahebeziehung im Sinne eines Abhängigkeitsverhältnisses zu der ebenso in Österreich aufhältigen Großtante des Beschwerdeführers und deren Familie wurde vom Bundesasylamt zu Recht nicht festgestellt. Aus den Angaben der gesetzlichen Vertreterin des Beschwerdeführers ergibt sich, dass weder im Heimatland noch in Österreich jemals ein gemeinsamer Haushalt bestand. Im Heimatland bestand lediglich ein loser Kontakt durch monatliche Telefonanrufe, die zugleich auch den Kontakt zur Familien der Großtante abdeckten. Die bloße Behauptung der Mutter des Beschwerdeführers, sie würden von ihrer Tante, beziehungsweise Großtante, in jeder nur möglichen Situation unterstützt, ist nicht nachvollziehbar, da weder zu irgendeiner Zeit eine Wohnungsnahme bei der Tante erfolgte, noch diese oder ein sonstiges Familienmitglied laut Angaben der Mutter bei deren Hochzeit anwesend war.
Hinsichtlich der Verbindung zu N.N. ist Folgendes auszuführen:
Unbestrittenermaßen stellt ein Eingriff in ein bestehendes Eheleben einen nach Art. 8 EMRK relevanten Eingriff in das Privatleben dar. Besteht jedoch eine Ehe erst seit extrem kurzer Zeit und wurde sie überdies noch zu einem Zeitpunkt geschlossen, als die Bertoffenen davon ausgehen mussten, dass eine Abschiebung eines Ehepartners unmittelbar bevorstehen könne, wird die Interessensabwägung zwischen dem Erhalt des bestehenden Privat- und Familienlebens einerseits und dem öffentlichen Interesse an einem geordneten Asylwesen andererseits zumeist zuungunsten der Betroffenen ausgehen, sofern nicht weitere berücksichtigungswürdige Umstände vorliegen.
Im vorliegenden Fall ist zu beachten, dass die von der Mutter des Beschwerdeführers angeführte Eheschließung etwa drei Wochen nach der Einreise und 16 Tage nach der Verständigung der Mutter gemäß § 29 Abs. 3 AsylG 2005 erfolgte. Mutter habe N.N. laut ihren Angaben zwei Wochen vor der Heirat kennengelernt. Er habe sie vor dem Lager Traiskirchen, wo die Beschwerdeführerin untergebracht war, angesprochen. Weshalb sich eine in Leoben wohnhafte Person in Traiskirchen aufhält und aus welchem Grund er die Mutter angesprochen haben soll, wurde von der erstinstanzlichen Behörde zwar nicht hinterfragt, jedoch sind die Angaben der Mutter an sich schon unglaubwürdig und es muss von einer Eheschließung - sollte eine solche stattgefunden haben - ausgegangen werden, die einzig im Versuch durchgeführt wurde, die Überstellung nach Polen zu umgehen.
Zu erwähnen ist ebenfalls, dass keine staatlich anerkannte Hochzeit stattgefunden hat. Ob eine solche überhaupt möglich wäre - einerseits ist die angebliche Scheidung des N.N. mehr als fraglich, andererseits ist der Gatte der Mutter nach ihren Angaben seit 05.12.2006 zwar verschollen, aber wohl auch nach russischem Recht noch immer ihr Gatte - kann in diesem Zusammenhang dahingestellt bleiben.
Weiters merkwürdig scheint dass die Mutter des Beschwerdeführers in der Niederschrift vom 08.07.2008 ausführte, dass die Ehebestätigung in Vorbereitung sei und noch das Rundsiegel fehle. Am 00.00.2008 wurde eine vom Türkisch Islamischen Kulturverein S. am 00.00.2008 ausgestellte "Heiratsurkunde" übermittelt, handgeschrieben, mit Rechtschreibfehlern und ohne Rundsiegel, was jedoch aufgrund des vorliegenden Sachverhaltes nun nicht mehr weiter verfolgt wurde.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass selbst wenn eine aufrechte, legale Ehe vorliegen sollte, was bereits mehr als zweifelhaft ist, wurde diese offensichtlich in der Absicht geschlossen, aufgrund der drohenden Überstellung nach Polen einen Verbleib in Österreich zu erzwingen. Selbst bei einem bestehenden Familienleben im eheüblichen Sinn - von dem aufgrund des vorliegenden Sachverhaltes nicht auszugehen war - ist davon auszugehen, dass aufgrund des extrem kurzen Aufenthaltes in Österreich und des Wissens um den Stand des Verfahrens eine Interessensabwägung zuungunsten der Beschwerdeführerin ausgeht. Von weitere Erhebungen oder Befragungen zur Frage des tatsächlichen Bestehens einer Ehe oder gar eines entsprechenden Familienlebens konnte daher abgesehen werden.
Aus den angeführten Gründen ist auch nicht von einer ausreichen intensiven Bindung des Beschwerdeführers zu N.N. auszugehen. Die lapidare Feststellung in der Beschwerde, "dass sich N.N. um den Beschwerdeführer kümmere" ist nicht dazu geeignet, die Entscheidung der Erstbehörde auch nur ansatzweise in Zweifel zu ziehen.
Vom Vorliegen eines iSd Art. 8 EMRK relevanten, tatsächlichen und hinreichend intensiven Familienlebens oder eines relevantes Abhängigkeitsverhältnisses des Beschwerdeführers zu seinen Verwandten war daher nicht auszugehen, insbesondere ist zu beachten, dass auch die Beschwerde der Mutter des Beschwerdeführers gemäß §§ 5 und 10 AsylG idF BGBl. I Nr. 100/2005 als unbegründet abgewiesen und eine Abschiebung nach Polen als zulässig erachtet wurde.
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2.1.2.2.1 Kritik am polnischen Asylwesen
Hiezu ist einleitend festzuhalten, dass die seinerzeitige Judikatur zu § 4 AsylG 1997 und vor dem Beitritt zur Europäischen Union am 01.04.2006 nicht mehr unmittelbar relevant ist (zuletzt VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/19/0673). Konkretes Vorbringen, das geeignet wäre, anzunehmen, dass Polen in Hinblick auf tschetschenische AsylwerberInnen unzumutbare rechtliche Sonderpositionen vertreten würde, ist nicht erstattet worden. Der bloße Umstand, dass eine Reihe von Asylverfahren negativ endet (wobei in Polen notorischerweise AntragstellerInnen aus Tschetschenien zumindest tolerierten Aufenthalt erhalten) ist mangels Bestehen eines allgemeinen Konsens über eine Gruppenverfolgung von Tschetschenen in Russland (auch in Österreich wird eine solche in der Regel nicht bejaht) und mangels verifizierbarer Angaben über ein Fehlverhalten polnischer Behörden im vorliegenden Fall kein ausreichendes Argument die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG erschüttern zu können.
2.1.2.2.2 Die aktuellen auf Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation beruhenden Feststellungen des Bundesasylamtes zu Polen werden diesem Erkenntnis zugrunde gelegt. Hervorzuheben ist insbesondere, dass bei tschetschenischen AntragstellerInnen aus Tschetschenien aus Polen praktisch keine Abschiebungen in die Russische Föderation erfolgen. Aus einer Mitteilung des Verbindungsbeamten des BMI in Polen vom 23.08.2007 geht hervor, dass die jüngsten Änderungen in der polnischen Gesetzeslage für Fremde und Asylwerber insbesondere die Einführung des subsidiären Schutzes entsprechend gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben betreffen sollen (S. 22 des Bescheides des BAA). Die Einführung des "subsidiären Schutzstatus" neben Flüchtlingsstatus und "tolerated stay" lässt ebenso keine potentielle Gefährdung tschetschenischer Schutzsuchender erkennen, sodass auf die näheren Details des Inkrafttretens der jeweiligen Regelungen und des genauen Inhalts vorangegangener Gesetzesänderungen hier mangels Entscheidungsrelevanz nicht näher einzugehen war, da jedenfalls keine dieser Gesetzesänderungen Grund zur Annahme gibt, dass Polen nunmehr allgemein oder im Besonderen gegenüber tschetschenischen Schutzsuchenden bedenkliche Sonderpositionen verträte.
Verfahrensrelevante Mängel des polnischen Asylverfahrens sind nicht amtsbekannt und wurden in der Beschwerde auch nicht behauptet.
2.1.2.3. Medizinische Krankheitszustände; Behandlung in Polen
Unbestritten ist, dass nach der allgemeinen Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK und Krankheiten, die auch im vorliegenden Fall maßgeblich ist, eine Überstellung nach Polen nicht zulässig wäre, wenn dort wegen fehlender Behandlung sehr schwerer Krankheiten eine existenzbedrohende Situation drohte und diesfalls das Selbsteintrittsrecht der Dublin II-Verordnung zwingend auszuüben wäre.
In diesem Zusammenhang ist vorerst auf das jüngste diesbezügliche Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes (VfGH vom 06.03.2008, Zl: B 2400/07-9) zu verweisen, welches die aktuelle Rechtsprechung des EGMR zur Frage der Vereinbarkeit der Abschiebung Kranker in einen anderen Staat mit Art. 3 EMRK festhält (D. v. the United Kingdom, EGMR 02.05.1997, Appl. 30.240/96, newsletter 1997,93; Bensaid, EGMR 06.02.2001, Appl. 44.599/98, newsletter 2001,26; Ndangoya, EGMR 22.06.2004, Appl. 17.868/03; Salkic and others, EGMR 29.06.2004, Appl. 7702/04; Ovdienko, EGMR 31.05.2005, Appl. 1383/04; Hukic, EGMR 29.09.2005, Appl. 17.416/05; EGMR Ayegh, 07.11.2006; Appl. 4701/05; EGMR Goncharova & Alekseytsev, 03.05.2007, Appl. 31.246/06).
Zusammenfassend führt der VfGH aus, das sich aus den erwähnten Entscheidungen des EGMR ergibt, dass im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder selbstmordgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gibt. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung des Art. 3 EMRK. Solche liegen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben (Fall D. v. the United Kingdom).
Aus diesen Judikaturlinien des EGMR ergibt sich jedenfalls der für das vorliegende Beschwerdeverfahren relevante Prüfungsmaßstab.
Nach der geltenden Rechtslage ist eine Überstellung dann unzulässig, wenn die Durchführung eine in den Bereich des Art. 3 EMRK reichende Verschlechterung des Krankheitsverlaufs oder der Heilungsmöglichkeiten bewirken würde (siehe Feststellungen des Innenausschusses zu § 30 AsylG); dabei sind die von den Asylbehörden festzustellenden Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat als Hintergrundinformation beachtlich, sodass es sich quasi um eine "erweiterte Prüfung der Transportfähigkeit" handelt.
Maßgebliche Kriterien für die Beurteilung der Art. 3 EMRK-Relevanz einer psychischen Erkrankung angesichts einer Abschiebung sind Aufenthalte in geschlossenen Psychiatrien infolge von Einweisungen oder auch Freiwilligkeit, die Häufigkeit, Regelmäßigkeit und Intensität der Inanspruchnahme medizinisch-psychiatrischer Leistungen, die Möglichkeit einer wenn auch gemessen am Aufenthaltsstaat schlechteren medizinischen Versorgung im Zielstaat sowie die vom Abschiebestaat gewährleisteten Garantien in Hinblick auf eine möglichst schonende Verbringung. Rechtfertigen diese Kriterien eine Abschiebung, hat eine denkmögliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes oder ungünstige Entwicklung des Gesundheitszustands außer Betracht zu bleiben, geschweige denn vermag die Verursachung von überstellungsbedingtem mentalen Stress eine Abschiebung unzulässig machen.
Akut existenzbedrohende Krankheitszustände oder Hinweise einer unzumutbaren Verschlechterung der Krankheitszustände im Falle einer Überstellung nach Polen sind der Aktenlage nicht zu entnehmen und wurden in der Beschwerde auch nicht vorgebracht.
Zusammengefasst stellt daher eine Überstellung des Beschwerdeführers nach Polen keinesfalls eine Verletzung des Art. 3 EMRK und somit auch keinen Anlass zur Ausübung des Selbsteintrittsrechtes Österreichs nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-Verordnung dar.
2.1.2.4. Zusammenfassend sieht der Asylgerichtshof im Einklang mit der diesbezüglichen Sichtweise der Erstbehörde keinen Anlass, Österreich zwingend zur Anwendung des Art. 3 Abs. 2 VO 343/2003 infolge drohender Verletzung von Art. 3 oder Art. 8 EMRK zu verpflichten.
2.1.3. Spruchpunkt I der erstinstanzlichen Entscheidung war sohin bei Übernahme der Beweisergebnisse und rechtlichen Würdigung der Erstbehörde mit obiger näherer Begründung zu bestätigen.
2.2. Spruchpunkt II:
Die Erwägungen der Erstbehörde zu Spruchpunkt II waren vollinhaltlich zu übernehmen. Auch im Beschwerdeverfahren sind keine Hinweise hervorgekommen, die eine Aussetzung der Überstellung nach Polen in Vollzug der Ausweisung aus Österreich erforderlich erschienen ließen. Diese erweist sich daher bezogen auf den Entscheidungszeitpunkt als zulässig.
2.3. Gemäß § 41 Abs. 4 AsylG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden. Eine gesonderte Erwägung bezüglich einer allfälligen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung konnte angesichts des Spruchinhaltes entfallen.
Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.