TE AsylGH Erkenntnis 2008/08/29 D3 259631-0/2008

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Veröffentlicht am 29.08.2008
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Spruch

D3 259631-0/2008/6E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. Clemens Kuzminski als Vorsitzenden und die Richterin Mag. Ulrike Scherz als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin Mag. Eva Pfleger über die Beschwerde des J.R., geb. 00.00.1987, StA. Kirgisistan, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 03.03.2005, GZ. 04 22.674-BAL, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:

 

Der Beschwerdeführer, ein kirgisischer Staatsangehöriger, gelangte am 10.11.2004, gemeinsam mit seinen Eltern J.T. und K.N. sowie den jüngeren Geschwistern S., D., C. und E. nach Österreich und stellte seine Mutter für den damals Minderjährigen am 11.11.2004 einen Asylantrag.

 

Ohne den damals bereits siebzehnjährigen Antragsteller persönlich einzuvernehmen erließ das Bundesasylamt, Außenstelle Linz, mit 03.03.2005 zur ZI 04 22.974-BAL einen Bescheid, mit dem unter Spruchteil I. der Asylantrag vom 11.11.2004 gemäß § 7 AsylG abgewiesen wurden, unter Spruchteil II. die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Asylwerbers nach Kirgisistan gemäß § 8 AsylG Abs. 1 ausgesprochen wurde und unter Spruchteil III. der Antragsteller gemäß § 8 Abs. 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen wurde. In der Begründung des Bescheides wurden zunächst die Einvernahmen der Mutter wiedergegeben. Auf die Frage, ob ihre Kinder eigene Asylgründe hätten, antwortete die Antragstellerin wohl mit nein, fügte jedoch gleichzeitig hinzu, dass auch ihre Kinder verfolgt würden, wäre der Beschwerdeführer auch Zeuge des Vergewaltigungsversuches an seiner Mutter gewesen und habe auch versucht, ihr zu helfen. Anschließend wurde festgehalten, dass der Beschwerdeführer der Kernfamilie J.T. und der K.N. angehöre, dass die Mutter für ihr Kind keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht habe und dass im gegenständlichen Falle ein Familienverfahren nach § 10 AsylG vorliege. Rechtlich begründend zu Spruchteil I. wurde insbesondere ausgeführt, dass auf Grund der Tatsache, dass es sich um ein Familienverfahren handle und der Asylantrag der Mutter und des Vaters abgewiesen worden sei, ebenfalls mit Abweisung des Asylantrages vorzugehen sei, Ähnliches wurde hinsichtlich des Refoulementschutzes ausgeführt. Zu Spruchteil III. wurde schließlich insbesondere dargelegt, dass kein Familienbezug (Kernfamilie) zu einem dauernd aufenthaltsberechtigten Fremden in Österreich vorliege und der Aufenthalt der Angehörigen ebenso wie jener des Antragstellers nur ein vorübergehender sei und die Ausweisung daher keinen Eingriff in Art. 8 EMRK darstelle. Gegen diesen Bescheid wurde im Rahmen des Familienverfahrens Berufung erhoben. Gegen den Beschwerdeführer sind mehrfach Anzeigen der Polizei wegen Körperverletzung und Diebstahls erfolgt, in einer am 24.07.2007 eingeholten Strafregisterauskunft scheint jedoch keine Verurteilung auf.

 

Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

Gemäß § 75 AsylG 2005 BGBl. I Nr. 100/2005 sind alle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetztes 1997 zu Ende zu führen. § 44 AsylG 1997 gilt.

 

Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde, so der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen.

 

Gemäß Abs. 3 dieser Gesetzesstelle kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315, zur Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG durch den Unabhängigen Bundesasylsenat ausgeführt:

 

"Im Berufungsverfahren vor der belangten Behörde ist gem. § 23 AsylG und Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG (unter anderem) § 66 AVG anzuwenden. Nach § 66 Abs. 1 AVG i.d.F. BGBl. I Nr. 158/1998 hat die Berufungsbehörde notwendige Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens durch eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde durchführen zu lassen oder selbst vorzunehmen. Außer dem in § 66 Abs. 2 AVG erwähnten Fall hat

 

die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, gem. § 66 Abs. 4 AVG immer in der Sache selbst zu entscheiden (vgl. dazu unter dem besonderen Gesichtspunkt der Auslegung der Entscheidungsbefugnis der belangten Behörde im abgekürzten Berufungsverfahren nach § 32 AsylG die Ausführungen im hg. Erkenntnis vom 23.07.1998, Zl. 98/20/0175, Slg. Nr. 14.945/A, die mehrfach vergleichend auf § 66 Abs. 2 AVG Bezug nehmen; zu diesem Erkenntnis siehe auch Wiederin, ZUV 2000/1, 20 f).

 

Thienel (Das Verfahren der Verwaltungssenate 2 [1992] 127 f.), dessen Ausführungen sich insoweit allerdings nicht auf § 66 Abs. 3 AVG, sondern auf die "im § 39 AVG normierten

 

Ermessensdeterminanten" beziehen, vertritt dazu die Ansicht, die Zurückweisung durch einen unabhängigen Verwaltungssenat werde ¿regelmäßig jedenfalls den Geboten der Raschheit und

 

Kostenersparnis zuwiderlaufen' und ¿unnötigen Verwaltungsaufwand' verursachen. Ob andersartige Konstitutionen denkbar seien, wird von Thienel¿ nicht weiterverfolgt'."

 

Nach Ausführungen zur Frage der Anwendbarkeit des § 66 Abs. 2 AVG außerhalb des abgekürzten Berufungsverfahrens mit dem Ergebnis, dass von einer generellen Unzulässigkeit der Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG nicht auszugehen sei, setzt der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315, fort wie folgt:

 

"In diese Richtung gehen auch die Gesetzesmaterialen zu § 38 AsylG (RV 686 BlgNR 20. GP 30), weil diese ausdrücklich die Geltung des AVG für das Verfahren vor dem Unabhängigen

 

Bundesasylsenat betonen und daran anschließend hervorheben, dass die Möglichkeit der ¿Zurückverweisung' durch § 32 AsylG ¿erweitert' worden sei, was in Bezug auf Berufungsverfahren vor der belangten Behörde, in denen § 32 AsylG nicht anzuwenden ist, eine positive Anknüpfung an die in § 66 Abs. 2 AVG vorgesehene Zurückverweisungsmöglichkeit bedeutet (...).

 

Der Verwaltungsgerichthof hat im Erkenntnis vom 27.04.1989, Zl. 86/09/0012, Slg. Nr. 12.917/A, aus einer in den Verwaltungsvorschriften angeordneten zwingenden und ohne Ausnahme bestehenden Verpflichtung zur Durchführung einer Berufungsverhandlung trotz Fehlens einer ausdrücklichen Ausnahme hinsichtlich der Geltung des § 66 Abs. 2 AVG die Unanwendbarkeit dieser Bestimmung in einem solchen Berufungsverfahren gefolgert. Das steht aber zu der hier - für das Verfahren vor der belangten Behörde - zu Grunde gelegten gegenteiligen Auffassung schon deshalb nicht im Widerspruch, weil eine derartige uneingeschränkte Verhandlungspflicht für den Unabhängigen Bundesasylsenat nicht besteht. (...) Die Berufungsbehörde darf eine kassatorische Entscheidung nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes, sondern nur dann treffen, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Die Berufungsbehörde hat dabei zunächst in rechtlicher Gebundenheit zu beurteilen, ob angesichts der Ergänzungsbedürftigkeit des ihr vorliegenden Sachverhaltes die Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unvermeidlich erscheint'. Für die Frage der Unvermeidlichkeit einer mündlichen Verhandlung i.S.d. § 66 Abs. 2 AVG ist es aber unerheblich, ob eine kontradiktorische Verhandlung oder nur eine Vernehmung erforderlich ist (vgl. etwa das Erkenntnis vom 14.03.2001, Zl. 2000/08/0200; zum Begriff ¿mündliche Verhandlung' i.S.d. § 66 Abs. 2 AVG siehe auch die Nachweise im Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2000/20/0084)."

 

Nach der grundsätzlichen Bejahung der Frage der Anwendbarkeit des § 66 Abs. 2 AVG durch den Unabhängigen Bundesasylsenat führte der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315, zur Frage der Gesetzmäßigkeit der Ermessensübung i. S.d. § 66 Abs. 2 und 3 AVG Folgendes aus:

 

"Der Gesetzgeber hat in Asylsachen ein zweiinstanzliches Verfahren (mit nachgeordneter Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts) eingerichtet, wobei der belangten Behörde die Rolle einer ¿obersten Berufungsbehörde' zukommt (Art. 129c Abs. 1 B-VG). In diesem Verfahren hat bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln und es ist gem. § 27 Abs. 1 AsylG grundsätzlich verpflichtet, den Asylwerber dazu persönlich zu vernehmen. Diese Anordnungen des Gesetzgebers würden aber unterlaufen, wenn es wegen des Unterbleibens eines Ermittlungsverfahrens in erster Instanz zu einer Verlagerung nahezu des gesamtenVerfahrens vor die Berufungsbehörde käme und die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen damit zur bloßen Formsache würde. Es ist nicht im Sinne des Gesetzes, wenn die Berufungsbehörde, statt ihre (umfassende) Kontrollbefugnis wahrnehmen zu können, jene Behörde ist, die erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und einer Beurteilung unterzieht..."

 

Bei der Abwägung der für und gegen eine Entscheidung gem. § 66 Abs. 2 AVG sprechenden Gesichtspunkte muss nämlich auch berücksichtigt werden, dass das Asylverfahren nicht nur möglichst kurz sein soll. Zur Sicherung seiner Qualität hat der Gesetzgeber einen Instanzenzug vorgesehen, der zur belangten Behörde und somit zu einer gerichtsähnlichen, unparteilichen und unabhängigen Instanz als besonderem Garanten eines fairen Asylverfahrens führt (vgl. bereits das Erkenntnis vom 16.04.2002, Zl. 99/20/0430). Die der belangten Behörde in dieser Funktion schon nach der Verfassung zukommende Rolle einer¿obersten Berufungsbehörde' (Art. 129c 1 B-VG) wird aber ausgehöhlt und die Einräumung eines Instanzenzuges zur bloßen Formsache degradiert, wenn sich das Asylverfahren einem eininstanzlichen Verfahren vor der Berufungsbehörde nähert, weil es das Bundesasylamt ablehnt, auf das Vorbringen sachgerecht einzugehen und brauchbare Ermittlungsergebnisse in Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen. Diese über die Unvollständigkeit der Einvernahme hinaus gehenden Mängel des

 

erstinstanzlichen Verfahrens sprechen auch bei Bedachtnahme auf die mögliche Verlängerung des Gesamtverfahrens unter dem Gesichtspunkt, dass eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst bei der "obersten Berufungsbehörde" beginnen und zugleich - abgesehen von der im Sachverhalt beschränkten Kontrolle der letztinstanzlichen Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof - bei derselben Behörde enden soll, für die mit der Amtsbeschwerde bekämpfte Entscheidung (so der VwGH in seinem Erkenntnis vom 21.12.200, Zl. 2000/20/0084).

 

Gemäß § 28 AsylG hat die Behörde in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Bescheinigungsmittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Bescheinigungsmittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Bescheinigungsmittel auch von Amts wegen beizuschaffen.

 

Gemäß § 27 Abs. 1 leg. cit. sind Asylwerber persönlich vor dem zur jeweiligen Entscheidung berufenen Organwalter des Bundesasylamtes zu vernehmen, soweit dies ohne unverhältnismäßigen Aufwand möglich ist. Von einer Einvernahme darf abgesehen werden, wann und insoweit die Asylwerber nicht in der Lage sind, durch Aussagen zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes beizutragen.

 

Zunächst ist festzuhalten, dass kein Zweifel daran besteht, dass die oben in der Rechtssprechung des Verwaltungsgerichtshofes dargelegten Grundsätze der Anwendbarkeit des § 66 Abs. 2 AVG auf den Unabhängigen Bundesasylsenat auch für den Asylgerichtshof gelten, zumal dieser nicht - wie der UBAS - ein gerichtsähnlicher unabhängiger Verwaltungssenat, sondern ein Höchstgericht darstellt, dem noch weniger zuzusinnen ist, erstmals mit der ernsthaften Prüfung des Antrages zu beginnen und das gesamte Verfahren von Anbeginn an durchzuführen.

 

Mag auch ein Familienverfahren vorliegen, so hätte die aus § 27 Abs. 1 erfließende Verpflichtung zur persönlichen Einvernahme auch für den im Zeitpunkt der Einvernahme seiner Mutter bereits siebzehnjährigen Beschwerdeführers gegolten, zumal es im Verwaltungsverfahren keine Bestimmung gibt, welche die persönliche Einvernahme Minderjähriger verbietet (Schmidt/Frank. Asylgesetz 1997 E1 zu § 27) und der Siebzehnjährige Asylwerber offenbar durchaus in der Lage gewesen wäre, durch Aussagen zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes beizutragen. Dies umso mehr, als seine gesetzliche Vertreterin in der Einvernahme auf der Erstaufnahmestelle West am 13.04.2004 (siehe Seite 8 des angefochtenen Bescheides) ausdrücklich angegeben hat, dass auch ihre Kinder verfolgt würden und dass der Beschwerdeführer Zeuge des an ihr begangenen Vergewaltigungsversuches gewesen sei.

 

Im Rahmen der von der Behörde erster Instanz im fortgesetzten Verfahren durchzuführenden Einvernahme des numehr längst volljährigen Beschwerdeführers wäre auch auf sein Verhalten in Österreich (mehrfache Anzeigen) einzugehen.

 

Die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung hatte gemäß § 67 d Abs- 2 Z. 1 AVG zu entfallen.

 

Die Rechtssache war daher spruchgemäß an die Behörde erster Instanz zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Schlagworte
Eingriff in sexuelle Selbstbestimmung, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung, Minderjährigkeit
Zuletzt aktualisiert am
17.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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