TE AsylGH Erkenntnis 2008/08/29 S8 319046-2/2008

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Veröffentlicht am 29.08.2008
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Spruch

S8 319.046-2/2008/4E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Büchele als Einzelrichter über die Beschwerde des A.O., geb. 00.00.1975, StA:

Irak, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 22.07.2008, FZ. 08 04.478-EAST Ost, zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 5, 10 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005, als unbegründet abgewiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

1. Der Beschwerdeführer, ein irakischer Staatsangehöriger, ist am 09.12.2007 illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist und hat am 10.12.2007 erstmals einen Antrag auf internationalen Schutz (in der Folge: Asylantrag) gestellt.

 

2. Bei der Erstbefragung am Tag der Antragstellung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Polizeiinspektion Traiskirchen in Anwesenheit eines Dolmetschers für Arabisch gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, er sei im November 2007 legal mittels Bus von Bagdad nach Istanbul gereist, wo er sich drei Tage aufgehalten habe. Er sei weiter nach Amonia/Griechenland und dann über Italien nach Österreich gereist.

 

3. Aufgrund der Anfrage des Bundesasylamtes stimmte Italien mit Schreiben vom 22.02.2008 gemäß Art. 10 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (kurz: Dublin-Verordnung) zur Übernahme des Beschwerdeführers zu.

 

4. Bei einer Untersuchung des Beschwerdeführers durch eine Ärztin für Allgemeinmedizin und Psychotherapeutische Medizin wurde diagnostiziert, dass der Beschwerdeführer an keiner belastungsabhängigen krankheitswertigen Störung leide.

 

5. Am 04.03.2008 und 02.04.2008 wurde der Beschwerdeführer vom Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle Ost, nach erfolgter Rechtsberatung in Anwesenheit eines Rechtsberaters sowie eines geeigneten Dolmetschers für Arabisch einvernommen. Er gab dabei im Wesentlichen an, dass er körperlich und geistig in der Lage sei, die Einvernahme durchzuführen. Verwandtschaftliche Beziehungen in Österreich habe er keine. Zur geplanten Ausweisung nach Italien gab der Beschwerdeführer an, er wolle nicht nach Italien; ein Asylantrag sei dort nichts wert. Er habe Probleme mit den Unterkünften gehabt und sei bedroht worden. Zum psychologischen Gutachten, wonach er an keiner belastungsabhängigen krankheitswertigen psychischen Störung leide, gab der Beschwerdeführer an, dass er nicht verstehe, dass er nicht krank sei; er habe andere Befunde. Zu den vom Beschwerdeführer vorgelegten Befunden wurde im Protokoll angemerkt, dass diese physische, nicht aber psychische Probleme zum Gegenstand hätten.

 

6. Mit Bescheid vom 08.04.2008, Zahl: 07 11.487-EAST-Ost, entschied das Bundesasylamt gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005, dass der Asylantrag des Beschwerdeführers vom 10.12.2007 als unzulässig zurückzuweisen sei. Für die Prüfung des Asylantrags sei gem. Art. 10 Abs. 1 der Dublin-Verordnung Italien zuständig. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 wurde demzufolge der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Italien ausgewiesen. Die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Italien sei somit gemäß § 10 Abs. 4 AsylG 2005 zulässig. Das Bundesasylamt traf umfangreiche länderkundliche Feststellungen zu Italien, insbesondere zum italienischen Asylverfahren. Beweiswürdigend hielt die Erstbehörde im Wesentlichen fest, dass aus den Angaben des Beschwerdeführers keine stichhaltigen Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht worden seien, dass dieser konkret Gefahr liefe, in Italien verfolgt zu werden. Es drohe ihm keine Verletzung der durch Art. 3 und Art. 8 EMRK gewährleisteten Rechte.

 

7. Der Beschwerdeführer gab in der Folge einen Berufungsverzicht ab; dieser wurde vom Bundesasylamt protokolliert.

 

8. Die mit Schriftsatz vom 22.04.2008 dagegen eingebrachte Berufung wies der Unabhängige Bundesasylsenat mit Bescheid vom 16.05.2008, Zahl: 319.046-1/3E-XVIII/60/08, gemäß § 63 Abs. 4 AVG als unzulässig zurück. Der Bescheid des Bundesasylamtes sei wegen des Rechtsmittelverzichts rechtskräftig. Der Anfechtung des Rechtsmittelverzichts wurde - unter näherer Begründung - durch den Unabhängigen Bundesasylsenat nicht gefolgt.

 

9. Am 24.04.2008 wurde der Asylwerber nach Bari/Italien überstellt.

 

10. Im Mai 2008 reiste der Beschwerdeführer neuerlich illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und brachte am 21.05.2008 wiederum einen Asylantrag ein, der Gegenstand des jetzigen Beschwerdeverfahrens vor dem Asylgerichtshof ist.

 

11. Bei der Erstbefragung am Tag der Antragstellung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Polizeiinspektion Traiskirchen in Anwesenheit eines Dolmetschers für Arabisch gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, dass er bereits am 10.12.2007 in Österreich einen Asylantrag gestellt habe und am 24.04.2008 von Österreich nach Italien überstellt worden sei. Er hätte dann zwei Wochen in Italien auf der Straße verbracht. Er sei von italienischen Polizisten geschlagen worden und auch sonst schlecht behandelt worden, weil er die Zurückschiebung nach Italien akzeptiert habe. Das ursprüngliche Ziel sei die Schweiz gewesen, jedoch sei er in Österreich im Zug kontrolliert und zur Polizeistation mitgenommen worden. Man hätte seine Fingerabdrücke abgenommen und ihn nach Bezahlung einer Geldstrafe in der Höhe von 200,-- Euro mit dem Auftrag wieder nach Italien auszureisen, freigelassen; er sei jedoch nach Wien weiter gereist.

 

12. Am 27.05.2008 wurde ein Aufnahmeersuchen gemäß Art. 10 Abs. 1 Dublin-Verordnung an Italien gestellt. Da Italien nicht in der vorgegebenen Frist antwortete, wurde die zuständige italienische Behörde mit Schreiben vom 13.06.2008 auf die Verfristung nach Art. 18 Abs. 7 der Dublin-Verordnung hingewiesen. Mit Schreiben vom 27.06.2008 erklärte sich Italien gemäß Art. 10 Abs. 1 Dublin-Verordnung für die Wiederaufnahme des Asylwerbers für zuständig.

 

13. Am 16.07.2008 erfolgte eine Untersuchung durch einen Facharzt für Neurologie und Psychiatrie. Dieser stellte in seiner gutachtlichen Stellungnahme neuerlich fest, dass einer Überstellung des Beschwerdeführers nach Italien keine schweren psychischen Störungen entgegenstünden; es sei nicht zu erwarten, dass es dadurch zu einer unzumutbaren Verschlechterung des Gesundheitszustandes kommen werde. Das Vorliegen einer belastungsabhängigen krankheitswertigen psychischen Störung wurde bejaht, eine posttraumatische Belastungsstörung lediglich für möglich gehalten und eine Suizidalität verneint.

 

14. Bei der Befragung des Beschwerdeführers am 10.07.2008 durch Mitarbeiter des Bundesasylamtes gab dieser an, er wolle nicht nach Italien zurück; er sei dort schlecht behandelt worden. Es gäbe dort kein Asylverfahren; man bekomme lediglich einen Zettel und könne dann auf der Straße schlafen. Dem Beschwerdeführer wurden die allgemeinen Ausführungen zum italienischen Asylverfahren vorgehalten. Der Beschwerdeführer gab an, dass er in Österreich keine familiären Beziehungen habe.

 

15. Mit dem beim Asylgerichtshof angefochtenen Bescheid vom 22.07.2008 entschied das Bundesasylamt neuerlich gem. § 5 Abs. 1 AsylG 2005, dass der Asylantrag des Beschwerdeführers vom 21.05.2008 als unzulässig zurückzuweisen sei. Für die Prüfung des Asylantrags sei gem. Art. 10 Abs. 1 der Dublin-Verordnung Italien zuständig. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 wurde der Beschwerdeführer wiederum aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Italien ausgewiesen; eine Abschiebung des Beschwerdeführers nach Italien sei somit gemäß § 10 Abs. 4 AsylG zulässig. Das Bundesasylamt traf umfangreiche länderkundliche Feststellungen zu Italien, insbesondere zum italienischen Asylverfahren und zur Versorgung der Asylwerber. Beweiswürdigend hielt die Erstbehörde im Wesentlichen fest, dass aus den Angaben des Beschwerdeführers keine stichhaltigen Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht worden seien, dass dieser konkret Gefahr liefe, in Italien verfolgt zu werden. Es drohe ihm keine Verletzung der durch Art. 3 und Art. 8 EMRK gewährleisteten Rechte.

 

16. Mit Schriftsatz vom 29.07.2008 wurde in der - fristgerecht eingebrachten - Beschwerde vorgebracht, dass er bei seiner Rückschiebung nach Italien am 24.04.2008 bei seiner Ankunft in Italien unfreundlich behandelt worden sei. Er befürchte, in Italien nicht den benötigten Schutz zu erhalten; deshalb sei er wiederum nach Österreich eingereist. Bezüglich der Länderfeststellungen zu Italien im Bescheid des Bundesasylamts bestünde eine grobe Diskrepanz zur dortigen Realität. Unter der Regierung Berlusconi würden Flüchtlinge ohne Asylverfahren in Staaten abgeschoben, wo sie in der Folge Folter und unmenschlicher Behandlung ausgesetzt seien. Situation in Italien für Asylwerber sei äußerst schwierig (Hinweis auf verschiedene Fundstellen). Da Berlusconi wieder gewählt worden sei, sei zu befürchten, dass unter seiner Regierung neuerlich zu einer Verletzung des Refoulementschutzes kommen werde. Neue Haftzentren würde entgegen einer ursprünglichen Zusage nicht geschlossen, sondern es seien vielmehr neue geplant.

 

II. Der Asylgerichtshof hat durch den zuständigen Richter über die Beschwerde wie folgt erwogen:

 

1. Folgender Sachverhalt wird der Entscheidung zugrunde gelegt:

 

1.1. Der Beschwerdeführer, ein irakischer Staatsangehöriger, wurde am 24.04.2008 mit dem Flugzeug nach Bari/Italien überstellt, nachdem sein Asylantrag wegen Zuständigkeit Italiens und der Zurückweisung seiner Berufung wegen eines Rechtsmittelverzichts ebenfalls zurückgewiesen wurde. Er ist Anfang Mai 2008 abermals illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist und hat am 21.05.2008 einen neuerlichen Asylantrag gestellt, der Gegenstand dieses Verfahrens ist. Weitere Familienangehörige oder Personen, mit denen er in einer familienähnlichen Gemeinschaft lebt, hat der Beschwerdeführer in Österreich, im Gebiet der EU, in Norwegen oder in Island nicht.

 

1.2. Am 27.05.2008 wurde ein Aufnahmeersuchen gemäß Art. 10 Abs. 1 Dublin-Verordnung an Italien gestellt. Nachdem von Italien nicht in der vorgegebenen Frist eine Antwort beim Bundesasylamt eintraf, besteht gemäß Art. 18 Abs. 7 Dublin-Verordnung eine Zuständigkeit Italiens durch Verfristung. Mit Schreiben vom 27.06.2008 (beim Bundesasylamt eingetroffen am selben Tag) erklärte sich Italien gemäß Art. 10 Abs. 1 Dublin-Verordnung ausdrücklich für die Wiederaufnahme des Beschwerdeführers für zuständig.

 

Die in § 28 Abs. 2 AsylG 2005 festgelegte zwanzigtägige Frist zur Erlassung eines zurückweisenden Bescheides nach § 5 AsylG 2005 ist nicht anwendbar, weil dem Beschwerdeführer das Führen von Konsultationen gemäß Dublin-Verordnung binnen Frist mitgeteilt wurde; es ist somit zu keinem Zuständigkeitsübergang an Österreich wegen Fristüberschreitung gekommen.

 

2. Der festgestellte Sachverhalt gründet sich auf folgende Beweiswürdigung:

 

Die oben angeführten Feststellungen ergeben sich aus dem erstinstanzlichen Verwaltungsakt, insbesondere aus den Angaben des Beschwerdeführers bei der Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 21.05.2008 (Aktenseiten 13 - 21), aus der ärztlichen Untersuchungen durch Fachärzte für Neurologie und Psychiatrie (Aktenseiten 99 - 107 im Zurückweisungsverfahren zum ersten Zuständigkeitsverfahren Österreichs sowie Aktenseite 121 - 125 des gegenständlichen zweiten Verfahrens), aus den niederschriftlichen Einvernahmen des Beschwerdeführers vom 10.07.2008 (Aktenseiten 69 - 71 und 101 - 109) und vom 21.07.2008 (Aktenseiten 133 - 141) sowie aus der Zuständigkeitserklärung Italiens vom 27.06.2008 (Aktenseite 93).

 

3. Rechtlich ergibt sich Folgendes:

 

3.1. Gemäß § 5 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 2005 - AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 4/2008, (in der Folge: AsylG 2005) ist ein nicht gemäß § 4 AsylG 2005 erledigter Asylantrag als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Antrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Behörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist.

 

Sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesasylamt oder beim Asylgerichtshof offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, ist davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach § 5 Abs. 1 AsylG 2005 Schutz vor Verfolgung findet (§ 5 Abs. 3 AsylG 2005). Mit dieser Regelung wurde eine teilweise Beweislastumkehr geschaffen. Es trifft zwar ohne Zweifel zu, dass Asylwerber in ihrer besonderen Situation häufig keine Möglichkeit haben, ihr Beschwerdevorbringen zu untermauern (wobei dem auch durch das Institut des Rechtsberaters begegnet werden kann), und dies mitzubeachten ist (VwGH, 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949); dies kann aber nicht pauschal dazu führen, die vom Gesetzgeber - im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht - vorgenommene Wertung in dieser Bestimmung überhaupt für unbeachtlich zu erklären.

 

Die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates nach der Dublin-Verordnung ist als negative Prozessvoraussetzung hinsichtlich des Asylverfahrens in Österreich konstruiert. Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens ist somit die Frage der Zurückweisung des Asylantrages wegen Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates.

 

Nach Art. 3 Abs. 1 Dublin-Verordnung prüfen die Mitgliedstaaten jeden Asylantrag, den ein Drittstaatsangehöriger (eine Person, die nicht Bürgerin oder Bürger der Europäischen Union ist) an der Grenze oder im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin-Verordnung als zuständiger Staat bestimmt wird. Kapitel III enthält in den Artikeln 6 bis 13 die Zuständigkeitskriterien, die nach Art. 5 Abs. 1 "in der in diesem Kapitel genannten Reihenfolge" Anwendung finden.

 

3.2. Art. 10 Abs. 1 Dublin-Verordnung lautet:

 

"(1) Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 18 Absatz 3 genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach Kapitel III der Verordnung (EG) Nr. 2725/2000 festgestellt, dass ein Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig. Die Zuständigkeit endet zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts."

 

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach dem AsylG 2005 mit einer Ausweisung zu verbinden, wenn der Asylantrag zurückgewiesen wird. Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 sind Ausweisungen nach Abs. 1 unzulässig, wenn dem Fremden entweder im Einzelfall ein nicht auf dieses Bundesgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht zukommt oder diese eine Verletzung von Art. 8 EMRK darstellen würden. Gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 ist, wenn die Durchführung der Ausweisung aus Gründen, die in der Person des Asylwerbers liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, gleichzeitig mit der Ausweisung auszusprechen, dass die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben ist. Gemäß § 10 Abs. 4 AsylG 2005 gilt eine Ausweisung, die mit einer Entscheidung gemäß Abs. 1 Z 1 verbunden ist, stets auch als Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den betreffenden Staat. Besteht eine durchsetzbare Ausweisung, hat der Fremde unverzüglich auszureisen.

 

Gemäß § 28 Abs. 2 AsylG 2005 ist der Antrag zuzulassen, wenn das Bundesasylamt nicht binnen zwanzig Tagen nach seiner Einbringung entscheidet, dass er zurückzuweisen ist, es sei denn, es werden Konsultationen gemäß der Dublin-Verordnung oder einem entsprechenden Vertrag geführt. Dass solche Verhandlungen geführt werden, ist dem Asylwerber innerhalb der 20-Tages-Frist mitzuteilen.

 

3.3. Im gegenständlichen Fall ist das Bundesasylamt ausgehend davon, dass dem Beschwerdeführer in Italien am 23.11.2007 und am 29.11.2007 die Fingerabdrücke abgenommen wurden und Italien einer Übernahme des Beschwerdeführers auf Grundlage des Art. 10 Abs. 1 Dublin-Verordnung am 27.06.2008 zustimmte, zu Recht von einer Zuständigkeit Italiens zur Prüfung des Asylantrages ausgegangen.

 

Festzuhalten ist auch, dass die in § 28 Abs. 2 AsylG 2005 normierte 20-tägige Frist im gegenständlichen Fall durch Mitteilung der Konsultationen an den Beschwerdeführer weggefallen ist.

 

3.4. Zu prüfen bleibt daher, ob Österreich im gegenständlichen Fall verpflichtet wäre, im Hinblick auf Art. 3 EMRK oder Art. 8 EMRK von seinem Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin-Verordnung Gebrauch zu machen.

 

3.4.1. Zur möglichen Verletzung des Art. 3 EMRK:

 

Der Verfassungsgerichtshof sprach - noch zur Vorläuferbestimmung im AsylG 1997 - in seinem Erkenntnis VfSlg 16.122/2001, aus, dass § 5 AsylG 1997 nicht isoliert zu sehen sei; das im Dubliner Übereinkommen festgelegte Selbsteintrittsrecht Österreichs verpflichte - als Teil der österreichischen Rechtsordnung - die Asylbehörde unter bestimmten Voraussetzungen zur Sachentscheidung in der Asylsache und damit mittelbar dazu, keine Zuständigkeitsbestimmung im Sinne des § 5 leg.cit. vorzunehmen. Eine strikte, zu einer Grundrechtswidrigkeit führende Auslegung (und somit Handhabung) des § 5 Abs. 1 AsylG 1997 sei durch die Heranziehung des Selbsteintrittsrechtes zu vermeiden (diese Ausführungen wurden mit VfSlg. 17.340/2004 auf das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-Verordnung übertragen). Der Verwaltungsgerichtshof schloss sich mit Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 23.01.2003, Zl. 2000/01/0498, der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes an.

 

Der Verfassungsgerichtshof ergänzte mit VfSlg. 17.586/2005 zur oben wiedergegebene Rechtsprechung, dass die Mitgliedstaaten nicht nachzuprüfen haben, ob ein bestimmter Mitgliedstaat generell sicher sei, da die "entsprechende Vergewisserung" nicht durch die Mitgliedstaaten, sondern durch die Organe der Europäischen Union, im konkreten Fall durch den Rat bei der Erlassung der Dublin-Verordnung erfolgt sei. Die einzelnen Mitgliedstaaten hätten daher nicht nachzuprüfen, ob ein anderer generell sicher ist. Insofern sei auch der Verfassungsgerichtshof an die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben gebunden. Eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung eines Asylwerbers in einen anderen Mitgliedstaat im Einzelfall sei jedoch gemeinschaftsrechtlich zulässig. Sollte diese Überprüfung ergeben, dass Grundrechte des betreffenden Asylwerbers etwa durch eine Kettenabschiebung bedroht sind, sei aus verfassungsrechtlichen Gründen das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-Verordnung zwingend auszuüben.

 

In seinem Erkenntnis vom 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582 (das einen Bescheid zur Zuständigkeit Italiens auf der Grundlage des Dubliner Übereinkommen zum Gegenstand hatte) sowie in dem (bereits zur Dublin-Verordnung) Erkenntnis vom 31.05.2005, Zl. 2005/20/0095, führte der Verwaltungsgerichtshof aus, dass in Zuständigkeitsverfahren wie dem gegenständlichen eine Gefahrenprognose zu treffen ist. Dabei sei zu prüfen, ob eine - über die bloße Möglichkeit hinausgehendes - ausreichend substantiierte reale Gefahr ("real risk") besteht, dass ein aufgrund der Dublin-Verordnung in den zuständigen Mitgliedstaat ausgewiesener Asylwerber trotz berechtigtem Schutzbegehren, also auch im Falle der Glaubhaftmachung des von ihm behaupteten Bedrohungsbildes, im Zielstaat der Gefahr einer - direkten oder indirekten - Abschiebung in den Herkunftsstaat ausgesetzt ist. Dabei sei insbesondere zu prüfen, ob der Zielstaat rechtliche Sonderpositionen vertritt, nach denen auch bei der Zugrundelegung der Behauptungen des Asylwerbers eine Schutzverweigerung zu erwarten wäre. Weiters wurde ausgesprochen, dass geringe Asylanerkennungsquoten im Zielstaat für sich allein genommen keine ausreichende Grundlage dafür sind, um vom Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen.

 

Nach der Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (kurz: EGMR) muss der Betroffene die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer aktuellen und ernsthaften Gefahr schlüssig darstellen (vgl. EGMR, Entsch. vom 07.07.1987 Nr. 12877/87 [Kalema gegen Frankreich], DR 53, S. 254 [264]; zum Maßstab des "real risk" siehe auch die Nachweise in VwGH 31.03.2005, 2002/20/0582).

 

Zur Behauptung einer möglichen Bedrohung des Beschwerdeführers:

 

Im gegenständlichen Fall kann nun nicht gesagt werden, dass der Beschwerdeführer ausreichend substantiiert und glaubhaft dargelegt hätte, dass ihm durch eine Rückverbringung nach Italien die - über eine bloße Möglichkeit hinausgehende - Gefahr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung drohen würde.

 

Vielmehr bezieht sich dieser bei seiner Kritik an Italien auf Aussagen von Einzelpersonen. Etwa die Auskunft bei seiner ersten Einreise in Italien, wonach der Beschwerdeführer zwar Asylantrag einbringen könne, er jedoch damit nicht erfolgreich sein werde. Diese oder andere Aussagen stammen nicht von zur Entscheidung in Asylverfahren befugten Personen, womit diese für einen allfälligen Verfahrensausgang eines Asylverfahrens in Italien unbeachtlich sind.

 

Ebenso scheint aufgrund des bisher relativ kurzen Aufenthalts in Italien (ca. 10 Tage nach dessen erster Einreise und ca. 15 Tage nach der Überstellung aus Österreich) eine zutreffende Prognose des Beschwerdeführers über die Zustände und allfällige Aussichten eines Asylantrages nicht möglich. Zu den in der Beschwerde angeführten Länderberichten ist festzuhalten, dass diese aus dem Jahre 2006 stammen, nahezu zwei Jahre alt und somit veraltet sind. Es besteht für den Asylgerichtshof kein Grund zum Zweifel, dass das italienischen Asylverfahrens rechtstaatlichen Kriterien entspricht und im Einklang mit den Grundsätzen der EMRK steht. In diesem Zusammenhang ist auf die diesbezüglichen Ausführungen im bekämpften Bescheid zu verweisen.

 

Zur Gesundheitsversorgung des Beschwerdeführers:

 

Unbestritten ist, dass nach der allgemeinen Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK und Krankheiten, die auch im vorliegenden Fall maßgeblich ist, eine Überstellung nach Italien nicht zulässig wäre, wenn durch die Überstellung eine existenzbedrohende Situation drohte und in diesem Fall das Selbsteintrittsrecht nach der Dublin-Verordnung zwingend auszuüben wäre.

 

In diesem Zusammenhang ist vorerst auf das diesbezügliche Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes (VfGH vom 06.03.2008, B 2400/07) und die dort wiedergegebene aktuelle Rechtsprechung des EGMR zur Frage der Vereinbarkeit der Abschiebung Kranker in einen anderen Staat mit Art. 3 EMRK zu verweisen. Zusammenfassend führt der Verfassungsgerichtshof aus, dass sich aus den Entscheidungen des EGMR ergäbe, dass im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder selbstmordgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gibt. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung in Art. 3 EMRK. Solche liegen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben (D. v. the United Kingdom, EGMR 02.05.1997, Appl. 30.240/96).

 

Die jüngste Rechtsprechung des EGMR (N. v. UK, 27.05.2008, Appl. 26.565/05) und Literaturmeinungen (Premissl, migraLex 2/2008, 54ff, Schutz vor Abschiebung von Traumatisierten in "Dublin-Verfahren") bestätigen diese Einschätzung, wobei noch darauf hinzuweisen ist, dass EU-Staaten verpflichtet sind, die RL 2003/9/EG vom 27.1.2003 (die sogenannte Aufnahme-RL) umzusetzen und sohin jedenfalls eine begründete Vermutung des Bestehens einer medizinischen Versorgung besteht.

 

Im vorliegenden Fall haben die gutachtlichen Stellungnahmen in beiden Verfahrensgängen, am 26.03.2008 und am 16.07.2008, übereinstimmend festgestellt, dass einer Überstellung nach Italien keine schweren psychischen Störungen entgegenstehen, die bei Durchführung dieser eine unzumutbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes bewirken würden. Bei der zweiten fachärztlichen Untersuchung wurde eine posttraumatische Belastungsstörung lediglich für möglich gehalten, das Vorliegen einer Suizidalität aber verneint. Die Frage, ob eine Überstellung nach Italien eine unzumutbare Verschlechterung des Beschwerdeführers bewirken werde, wurde ebenfalls verneint.

 

Die Auszüge aus dem Ambulanzakt vom AKH halten hinsichtlich der Stichverletzung am rechten Handgelenk fest, dass durch eine physikalische Therapie eine Operation wahrscheinlich vermeidbar wäre und die Funktion von Hand und Handgelenk ohne Befund wären.

 

Auch der Arztbrief vom 08.07.2008, welcher der Beschwerde beigelegt war, spricht lediglich von einer befürchteten Verschlechterung des Zustandes und das auch nur bei einer Überstellung des Beschwerdeführers in den Irak; Gegenstand des Verfahrens ist aber die Zuständigkeit Österreichs für einen Asylantrag des Beschwerdeführers und dessen mögliche Überstellung nach Italien. Auch die Kopie der Ambulanzkarte vom 18.07.2008 bestätigt das Vorliegen einer Gastritis des Beschwerdeführers, welche aber medikamentös zu behandeln sei (ebenso die fachärztlichen Diagnose Landesklinikum Baden vom 24.03.2008).

 

Das nachträglich ergänzend zur Beschwerde vorgelegte Schreiben des AKH, Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, brachte keine wesentlichen Neuigkeiten. Es wird die Vermutung der zweiten fachärztlichen Begutachtung im Auftrag des Bundesasylamtes bestätigt, und eine posttraumatische Belastungsstörung festgestellt. Weiters wird eine Verschlechterung des Zustandes des Beschwerdeführers bei einer allfälligen Rückführung wiederum in den Irak für wahrscheinlich gehalten. Da eine solche nicht Ergebnis des vorliegenenden Verfahrens ist und in Italien ausreichende und gut ausgestattete Kliniken auf europäischem Niveau vorhanden sind, kann von einer adäquaten medizinischen Versorgung des Beschwerdeführers ausgegangen werden. In diesem Zusammenhang ist auch auf die Feststellungen des Bundesasylamtes zur medizinischen Versorgung in Italien zu verweisen.

 

Somit konnte der Beschwerdeführer keine akut existenzbedrohenden Krankheitszustände im Sinne der oben wiedergegebenen Rechtsprechung belegen, respektive die Notwendigkeit weiterer Erhebungen seitens des Asylgerichtshofes. Ein außergewöhnlicher komplexer Krankheitszustand, der möglicherweise im Einzelfall eine andere Beurteilung angezeigt erscheinen ließe (vgl. die Entscheidung des UBAS vom 09.07.2007, Zl. 308.595-3/2E-XV/53/07), liegt hier jedenfalls nicht vor.

 

Zusammengefasst stellt daher eine Überstellung des Beschwerdeführers nach Italien keine Verletzung des Art. 3 EMRK; es besteht somit auch kein Anlass zur Ausübung des Selbsteintrittsrechtes Österreichs nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-Verordnung.

 

3.4.2. Zur möglichen Verletzung nach Art. 8 EMRK

 

Nach den Angaben des Beschwerdeführers gibt es keine Angehörigen in Österreich. Die diesbezüglichen Ausführungen der belangten Behörde treffen zu; diesen ist in der Beschwerde auch nicht entgegengetreten worden. Es liegen auch sonst keine Hinweise auf eine bereits erfolgte außergewöhnliche Integration in Österreich, etwa aufgrund sehr langer Verfahrensdauer, vor (vgl. VfGH 26.02.2007, Zl. B 1802, 1803/06).

 

3.4.3. Zusammenfassend kann daher gesagt werden, dass kein Anlass für einen Selbsteintritt Österreichs gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin-Verordnung aufgrund einer drohenden Verletzung der durch Art. 3 und Art. 8 EMRK gewährleisteten Rechte besteht.

 

3.5. Hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides ist noch auszuführen, dass keine Hinweise für eine Unzulässigkeit der Ausweisung im Sinne des § 10 Abs. 2 AsylG 2005 ersichtlich sind, da weder ein nicht auf das AsylG 2005 gestütztes Aufenthaltsrecht aktenkundig ist noch der Beschwerdeführer in Österreich über Angehörige im Sinne des Art. 8 EMRK verfügt. Darüber hinaus sind auch keine Gründe für einen Durchführungsaufschub gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 ersichtlich.

 

Was schließlich den seitens des Bundesasylamtes in dem Bescheidspruch aufgenommenen Ausspruch über die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Italien anbelangt, so ist darauf hinzuweisen, dass die getroffene Ausweisung, da diese mit einer Entscheidung gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 verbunden ist, gemäß § 10 Abs. 4 erster Satz AsylG 2005 schon von Gesetzes wegen als Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den betreffenden Staat gilt.

 

3.6. Von der Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung konnte gemäß § 41 Abs. 4 AsylG 2005 abgesehen werden.

Schlagworte
Ausweisung, gesundheitliche Beeinträchtigung, medizinische Versorgung, real risk, Überstellungsrisiko (ab 08.04.2008)
Zuletzt aktualisiert am
15.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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