TE AsylGH Erkenntnis 2008/08/29 S6 318570-2/2008

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.08.2008
beobachten
merken
Spruch

S6 318.570-2/2008/2E

 

S6 318.571-2/2008/2E

 

S6 318.572-2/2008/2E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Singer als Einzelrichterin über die Beschwerde der D. M., 00.00.1970 geb., gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 22.07.2008, FZ. 08 01.744-BAT,

 

des minderjährigen D. A., 00.00.1992 geb., vertreten durch die Kindesmutter, D. M., gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 22.07.2008, FZ. 08 01.745-BAT,

 

der minderjährigen I. H., 00.00.2000 geb., vertreten durch die Kindesmutter, D. M., gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 22.07.2008, FZ. 08 01.746-BAT,

 

alle StA Russische Föderation, alle vertreten durch SPRAKUIN Integrationsverein, Landstraßer Hauptstraße 173-175/15/2, 1030 Wien

 

zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerden werden gemäß §§ 5, 10 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

Der Verfahrensgang vor der erstinstanzlichen Behörde gibt sich aus dem erstinstanzlichen Verwaltungsakt.

 

Die Erstbeschwerdeführerin D. M., eine Staatsangehörige der Russischen Föderation, reiste mit ihren beiden minderjährigen Kindern, D. A. und I. H. am 18.2.2008 in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag die Anträge, ihr und ihren minderjährigen Kindern, internationalen Schutz zu gewähren.

 

In ihren Einvernahmen vom 18.2.2008 und 4.3.2008 gab sie an, dass sie Polen für ihre Kinder nicht sicher halte, da es sehr leicht sei, von Tschetschenien nach Polen zu gelangen. Tschetschenien musste sie verlassen, da sie Probleme wegen der politischen Tätigkeiten ihres ersten Mannes (= Vater ihres Sohnes) gehabt hätte. Sie hätte auch in Polen schon Leute im Lager und beim Spazieren in Warschau gesehen, die wissen würden, dass man nach ihrem Mann suchen würde. Diese hätten auch sie und ihre Kinder gesehen und mit den Fingern auf sie gezeigt. Sie wisse, könne es aber nicht beweisen, dass diese Leute nach Tschetschenien melden, dass sie und ihre Kinder in Polen wären. An die polnischen Sicherheitsbehörden hätte sie sich nicht gewandt, da sie sowieso nicht dort bleiben wollte.

 

In einem Schriftsatz vom 05.03.2008 führt die Beschwerdeführerin ergänzend aus, dass diese Leute zu ihr gesagt hätten, dass "sie sie früher oder später finden würden, wenn sie nicht sagen würde, wo der Vater ihres Sohnes sei."

 

Weiters brachte sie darin vor, dass sie auf beiden Augen eine Sehschwäche hätte, sehe auf einem Auge überhaupt nicht, auch die Kinder wären krank. Ihr Sohn, D. A., hätte Herzschmerzen, er hätte Stress und Kopfschmerzen, ihre Tochter, I. H., hätte Nierenschmerzen.

 

Weiters brachte sie vor, dass sie in Österreich eine Tante hätte, zu der sie im Dezember 2007 zuletzt telefonischen Kontakt hatte. Ca. 1 Jahr hätten sie bei dieser 1996/1997 im Heimatland gewohnt. Finanzielle Abhängigkeit bestehe keine.

 

Der Zweitbeschwerdeführer D. A. gab in seinen Einvernahmen vom 18.02.2008 sowie 04.03.2008 an, dass Polen gefährlich sei, drei Personen in Warschau auf ihn, seine Halbschwester und seine Mutter, gezeigt hätten. Er wisse nicht, warum diese Männer auf sie gezeigt hätten, nimmt aber an, dass es wegen seines Vaters gewesen sei. Sie wären von den Männern jedoch nicht angesprochen oder verfolgt worden. Zu seinen Fluchtgründen befragt gab er an, von der russischen Polizei geschlagen worden zu sein, da sie von seiner Mutter und ihm hätten wissen wollen, wo sein Vater sei. Im Alter von 3 Jahren habe er seinen Vater zum letzten Mal gesehen. Um ihn zu schützen sei seine Mutter mit ihm und seiner Halbschwester ausgereist.

 

Seine Tante hätte er zuletzt vor 3-4 Jahren gesehen, seitdem hätten sie 3-4 Mal miteinander telefoniert, finanzielle Zuwendungen habe er in dieser Zeit keine erhalten, sie hätten nie im gemeinsamen Haushalt gelebt.

 

Die Drittbeschwerdeführerin wurde aufgrund ihres Alters nicht gesondert vernommen.

 

Am 19.02.2008 richtete das Bundesasylamt ein Wiederaufnahmegesuch für die drei Beschwerdeführer an Polen, das sich auf Art. 16 Abs 1 lit.c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003 und auf EURODAC-Treffer stützte.

 

Am 21.02.2008 wurde der Erstbeschwerdeführerin sowie als gesetzliche Vertreterin auch für ihre minderjährigen Kinder, mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, ihre Anträge auf internationalen Schutz zurückzuweisen.

 

Mit Schreiben vom 21.02.2008, einlangend beim Bundesasylamt am 25.02.2008, teilte die polnische Asylbehörde mit, dass Polen zur Rückübernahme der Beschwerdeführerin, D. M. und deren minderjährigen Kinder, D. A. und I. H., gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 zustimmt.

 

Mit Bescheiden vom 13.3.2008 wies das Bundesasylamt die Anträge gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurück; stellte fest, dass für die Prüfung des Antrages gemäß Art. 16 Abs. 1 lit.c Dublin VO Polen zuständig sei, wies die Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z1 AsylG dorthin aus und sprach überdies aus, dass gemäß § 10 Abs 4 AsylG die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung dorthin zulässig sei.

 

Die Erstbehörde traf in diesen Bescheiden Feststellungen zum polnischen Asylverfahren, zur Versorgung von Asylwerbern, zur Praxis des Nonrefoulementschutzes betreffend Tschetschenen und stellte weiters fest, dass die Angaben der Erstbeschwerdeführerin lediglich darauf abzielen würden, eine Sicherheit in Polen in Zweifel zu ziehen, welche sich jedoch als gänzlich unglaubwürdig gestalteten, zumal sie völlig vage und unsubstantiiert in den Raum gestellt worden wären. Auch das vorgelegte Schreiben der Erstbeschwerdeführerin hätte das Ziel, alles noch dramatischer erscheinen zu lassen, die Angaben, die drei Männer hätten sie angesprochen, wird als gänzlich unglaubwürdig bewertet, da auch ihr minderjähriger Sohn dezitiert angab, von den drei Männern nicht angesprochen worden zu sein. Weiters würde weder eine schwere körperliche oder ansteckende Krankheit, noch eine schwere psychische Störung, die bei einer Überstellung/Abschiebung nach Polen eine unzumutbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes bewirken würde vorliegen, weder bei der Erstbeschwerdeführerin, noch bei ihren minderjährigen Kindern. Die Erstbeschwerdeführerin sei nicht wegen der Gesundheit nach Österreich gekommen, sondern wegen der Sicherheit ihrer Kinder.

 

Gegen alle drei Bescheide richtete sich eine gemeinsam ausgeführte Berufung vom 28.03.2008 (einlangend), worin im wesentlichen behauptet wird, dass Polen kein sicherer Drittstaat sei, dass das polnische Asylverfahren im krassen Missverhältnis zu Menschenrechtsstandard stehe und humanitäre Gründe (die Erstbeschwerdeführerin leide an einer posttraumatischen Belastungsstörung nach serieller Traumatisierung und an anderen schwerwiegenden Krankheiten) einer Abschiebung entgegenstehen.

 

Mit Bescheid vom 07.04.2008 GZ 318.571-1/2E-X/28/08 des Unabhängigen Bundesasylsenats wurde der Berufung des minderjährigen D. A. gemäß § 41 Abs 3 AsylG stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben. In der Begründung wird ausgeführt, dass es nicht nachvollziehbar sei, warum im Rahmen des erstinstanzlichen Verfahrens der minderjährige D. A. nicht durch einen Facharzt für Neurologie und Psychiatrie untersucht wurde, zumal der Berufungswerber anlässlich der Erstbefragung angab, von russischen Polizisten geschlagen worden zu sein, sowie er an Stress sowie Kopfschmerzen leide und nervlich angespannt sei. Die Erstbehörde hätte daher hinsichtlich des entscheidungswesentlichen Umstands, ob eine Überstellung des Berufungswerbers aus psychiatrischer Sicht möglich ist, nicht die notwendigen Ermittlungen durchgeführt.

 

Mit Bescheiden des selben Datums, GZ 318.572-1/2E-X/28/08 sowie GZ 318.570-1/2E-X/28/08 des Unabhängigen Bundesasylsenats wurde den Berufungen der minderjährigen I. H. sowie der Mutter D. M. ebenso gemäß § 41 Abs 3 AsylG stattgegeben und die bekämpften Bescheide behoben. Dies mit der Begründung, dass alle Familienangehörigen gemäß § 34 Abs. 4 AsylG den gleichen Schutzumfang erhalten.

 

Das bei der gerichtlich beeideten Sachverständigen Frau DDr. W., Fachärztin für Psychiatrie, folglich in Auftrag gegebene Gutachten hat ergeben, dass bei D. A. keinerlei Anhaltspunkte für eine schwere psychische Erkrankung festgestellt werden konnten. Die psychosomatische Erkrankung könnte auch den Strapazen der Flucht zugeordnet werden. Gemäß Sachverständigen Gutachten wäre der minderjährige D. A. aus medizinischer Sicht jederzeit in ein sicheres Drittland überstellungsfähig, wobei jedes Beförderungsmittel geeignet wäre.

 

Das Gutachten der selben Sachverständigen zur Mutter, D. M., ergab, dass auch bei der Mutter, D. M., eine Rückschiebung nach Polen aus medizinischer Sicht kein Risiko darstelle. Die geschilderten psychischen Symptome seien einerseits Ausdruck einer seelischen Belastung, andererseits aber vom geschilderten Ausmaß her psychiatrischerseits nicht nachvollziehbar. Die psychischen Probleme wären auch auf die Strapazen der Flucht zurückzuführen, auch bei D. M. hielt die Sachverständige DDr. W. explizit fest, dass die Asylwerberin aus medizinischer Sicht derzeit in ein sicheres Drittland überstellungsfähig wäre, wobei jedes Beförderungsmittel geeignet wäre. Eine psychologische Betreuung wäre, soweit gutachterlicherseits beurteilbar, auch in einem sicheren Drittland durchführbar, eine medikamentöse Behandlung erschiene derzeit nicht erforderlich, wäre diese aber auch in einem sicheren Drittland möglich.

 

In der darauf folgenden Einvernahme vom 21.07.2008 vor dem Bundesasylamt hält die Erstbeschwerdeführerin D. M. wiederholt fest, dass die Sicherheit in Polen lang nicht so gegeben wäre wie hier in Österreich, sie Angst habe, in Polen ihren Sohn zu verlieren. Mit ihrer Tante in Graz namens M. B., halte sie telefonischen Kontakt, finanziell werde sie von ihr nicht unterstützt.

 

In Polen habe sie sich wegen ihrer gesundheitlichen Probleme an keinen Arzt gewandt, weder wegen ihrer Probleme mit den Augen, noch wegen psychischer Probleme. Diese Probleme wären zweitrangig gewesen, sei wollte nur ihre Kinder retten.

 

In der am selben Tage vorgenommenen Einvernahme des minderjährigen Sohnes der Erstbeschwerdeführerin, D. A., hält dieser fest, dass sie im polnischen Lager mit Lebensmitteln nur schlecht versorgt wurden, weiters es Bedrohungen durch Wahabiten gegeben habe, weshalb seine Mutter beschlossen habe mit ihm und seiner kleinen Schwester Polen zu verlassen. Übergriffe auf ihn hätte es nicht gegeben. Er wolle nicht nach Polen zurück wegen der Sicherheit, die ihm in Österreich zu Teil wird.

 

Die Tante, die in Graz lebt, sehe er nicht sehr oft, seine Mutter telefoniere aber mit ihr.

 

In Polen wäre er nie ernsthaft krank gewesen, weshalb er dort auch nie einen Arzt aufsuchte.

 

Mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom 22.07.2008 wurden die Anträge auf internationalen Schutz vom 18.02.2008 ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG abermals als unzulässig zurückgewiesen und wurde Polen für die Prüfung der Anträge gemäß Art 16 Abs. 1 lit.c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (Dublin II VO) für zuständig erklärt. Gleichzeitig wurden die Beschwerdeführer gemäß 10 Abs. 1 Z1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen und unter einem ausgesprochen, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Antragssteller nach Polen gemäß § 10 Abs. 4 zulässig ist (Zahl 08 01.744-BAT für Erstbeschwerdeführerin D. M., Aktenzahl 08 01.745-BAT für minderjährigen D. A. und 08 01.746-BAT für minderjährige I. H.).

 

Gegen diese Bescheide, welche die Erstbeschwerdeführerin und ihre beiden minderjährigen Kinder betreffen, richtete sich die vorliegende gemeinsam ausgeführte und fristgerechte Beschwerde, darin wird im wesentlichen behauptet, dass Tschetschenen in Polen allgemein als Last vom Staat angesehen würden, Essen und Unterbringung in den polnischen Lagern sehr schlecht wäre, das Pobyt nur ein theoretisches Arbeitsrecht wäre. Die Erstbeschwerdeführerin hätte Selbstmordgedanken, welche sie jedoch bisher nicht äußerte und der echte Gesundheitszustand der Erstbeschwerdeführerin daher auch der sachverständigen Psychiaterin verborgen geblieben sei. Überdies sei das Asylgesetz in den Bestimmungen, die die Ausweisung betreffen (keine Befassung der fremdenpolizeilichen Behörde mehr) verfassungswidrig.

 

Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

II. Der Asylgerichtshof hat durch den zuständigen Richter über die gegenständliche Beschwerde wie folgt erwogen:

 

1. Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus dem vorliegenden Verwaltungsakt.

 

2. Rechtlich ergibt sich Folgendes:

 

Mit Datum 01.01.2006 ist das neue Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG idF BGBL. I Nr. 100/2005) und ist somit auf alle ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.

 

Gemäß § 23 AsylGHG sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

2.1. Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 AsylG erledigter Asylantrag als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18.02.2003 zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Asylbehörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 10 Abs 1 Z 1 AsylG ist die Zurückweisung eines Antrages nach Maßgabe der § 10 Abs 3 und Abs 4 AsylG mit einer Ausweisung zu verbinden. Die Dublin II VO ist eine Verordnung des Gemeinschaftsrechts im Anwendungsbereich der 1. Säule der Europäischen Union (vgl Art. 63 EGV), die Regelungen über die Zuständigkeit zur Prüfung von Asylanträgen von Drittstaatsangehörigen trifft. Sie gilt also nicht für mögliche Asylanträge von EU-Bürgern, ebenso wenig ist sie auf Personen anwendbar, denen bereits der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Das wesentliche Grundprinzip ist jenes, dass den Drittstaatsangehörigen in einem der Mitgliedstaaten das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Asylverfahren zukommt, jedoch nur ein Recht auf ein Verfahren in einem Mitgliedstaat, dessen Zuständigkeit sich primär nicht aufgrund des Wunsches des Asylwerbers, sondern aufgrund der in der Verordnung festgesetzten hierarchisch geordneten Zuständigkeitskriterien ergibt.

 

2.1.1. Es ist daher zunächst zu überprüfen, welcher Mitgliedstaat nach den hierarchisch aufgebauten (Art. 5 Abs 1 Dublin II VO) Kriterien der Art. 6-12 bzw 14 und Art. 15 Dublin II VO, beziehungsweise dem Auffangtatbestand des Art. 13 Dublin II VO zur inhaltlichen Prüfung zuständig ist.

 

2.1.1.1. Im vorliegenden Fall ist dem Bundesasylamt zuzustimmen, dass eine Zuständigkeit der Republik Polen gemäß Art. 16 Abs 1 lit c Dublin II VO kraft vorangegangener erster Asylantragstellung in der Europäischen Union gemäß Art 13 Dublin II VO weiterhin besteht. Die erste Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der getroffenen Unzuständigkeitsentscheidung ist somit gegeben und ist diese im Verfahren nicht bestritten worden.

 

Ebenso unbestrittenermaßen ist im Asylverfahren der Beschwerdeführer noch keine Sachentscheidung in Polen gefallen.

 

2.1.1.2. Es sind auch aus der Aktenlage keine Hinweise ersichtlich, wonach die Führung der Konsultationen im gegenständlichen Fall derart fehlerhaft erfolgt wäre, sodass von Willkür im Rechtssinn zu sprechen wäre und die Zuständigkeitserklärung des zuständigen Mitgliedstaates wegen Verletzung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundsätze aus diesem Grund ausnahmsweise keinen Bestand haben könnte (Filzwieser, Subjektiver Rechtsschutz und Vollziehung der Dublin II VO - Gemeinschaftsrecht und Menschenrechte, migraLex, 1/2007, 22ff; vgl auch das Gebot der Transparenz im "Dublin-Verfahren", VwGH 23.11.2006, Zl. 2005/20/0444). Das Konsultationsverfahren erfolgte mängelfrei.

 

Im Lichte des Art. 7 VO 1560/2003 ergibt sich auch keine Verpflichtung seitens der beteiligten Mitgliedstaaten oder seitens der Regelungen der Dublin II VO, dass die Überstellung in einer Weise durchgeführt wird, die potentiell belastenden Zwangscharakter aufweist.

 

2.1.2. Das Bundesasylamt hat ferner von der Möglichkeit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs 2 Dublin II VO keinen Gebrauch gemacht. Es war daher noch zu prüfen, ob von diesem Selbsteintrittsrecht im gegenständlichen Verfahren ausnahmsweise zur Vermeidung einer Verletzung der EMRK zwingend Gebrauch zu machen gewesen wäre.

 

Der VfGH hat mit Erkenntnis vom 17.06.2005, Zl. B 336/05-11 festgehalten, die Mitgliedstaaten hätten kraft Gemeinschaftsrecht nicht nachzuprüfen, ob ein anderer Mitgliedstaat generell sicher sei, da eine entsprechende normative Vergewisserung durch die Verabschiedung der Dublin II VO erfolgt sei, dabei aber gleichzeitig ebenso ausgeführt, dass eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung im Einzelfall gemeinschaftsrechtlich zulässig und bejahendenfalls das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs 2 Dublin II VO zwingend geboten sei.

 

Die Judikatur des VwGH zu den Determinanten dieser Nachprüfung lehnt sich richtigerweise an die Rechtsprechung des EGMR an und lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben werden soll, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen. Wenn keine Gruppenverfolgung oder sonstige amtswegig zu berücksichtigende notorische Umstände grober Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten der EU in Bezug auf Art. 3 EMRK vorliegen (VwGH 27.09.2005, Zl. 2005/01/0313), bedarf es zur Glaubhaftmachung der genannten Bedrohung oder Gefährdung konkreter auf den betreffenden Fremden bezogener Umstände, die gerade in seinem Fall eine solche Bedrohung oder Gefährdung im Fall seiner Abschiebung als wahrscheinlich erscheinen lassen (VwGH 26.11.1999, Zl 96/21/0499, VwGH 09.05.2003, Zl. 98/18/0317; vgl auch VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059): "Davon abgesehen liegt es aber beim Asylwerber, besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vorzubringen und glaubhaft zu machen. Dazu wird es erforderlich sein, dass der Asylwerber ein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art 3 EMRK, nach sich ziehen könnte, und er die Asylbehörden davon überzeugt, dass der behauptete Sachverhalt (zumindest) wahrscheinlich ist." (VwGH 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949).

 

Die Vorlage allgemeiner Berichte ersetzt dieses Erfordernis in der Regel nicht (vgl VwGH 17.02.1998, Zl. 96/18/0379; EGMR Mamatkulov & Askarov v Türkei, Rs 46827, 46951/99, 71-77), eine geringe Anerkennungsquote, eine mögliche Festnahme im Falle einer Überstellung ebenso eine allfällige Unterschreitung des verfahrensrechtlichen Standards des Art. 13 EMRK sind für sich genommen nicht ausreichend, die Wahrscheinlichkeit einer hier relevanten Menschenrechtsverletzung darzutun. Relevant wäre dagegen etwa das Vertreten von mit der GFK unvertretbaren rechtlichen Sonderpositionen in einem Mitgliedstaat oder das Vorliegen einer massiv rechtswidrigen Verfahrensgestaltung im individuellen Fall, wenn der Asylantrag im zuständigen Mitgliedstaat bereits abgewiesen wurde (Art. 16 Abs 1 lit. e Dublin II VO). Eine ausdrückliche Übernahmeerklärung des anderen Mitgliedstaates hat in die Abwägung einzufließen (VwGH 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582, VwGH 31.05.2005, Zl. 2005/20/0025, VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/19/0673), ebenso andere Zusicherungen der europäischen Partnerstaaten Österreichs (zur Bedeutung solcher Sachverhalte Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO, K13. zu Art 19 Dublin II VO).

 

Weiterhin hatte der Asylgerichtshof folgende Umstände zu berücksichtigen:

 

Bei entsprechender Häufung von Fällen, in denen in Folge Ausübung des Selbsteintrittsrechts die gemeinschaftsrechtliche Zuständigkeit nicht effektuiert werden kann, kann eine Gefährdung des "effet utile" Grundsatzes des Gemeinschaftsrechts entstehen.

 

Zur effektiven Umsetzung des Gemeinschaftsrechts sind alle staatlichen Organe kraft Gemeinschaftsrechts verpflichtet.

 

Der Verordnungsgeber der Dublin II VO, offenbar im Glauben, dass sich alle Mitgliedstaaten untereinander als "sicher" ansehen können, wodurch auch eine Überstellung vom einen in den anderen Mitgliedstaat keine realen Risken von Menschenrechtsverletzungen bewirken könnte (vgl. insbesondere den 2. Erwägungsgrund der Präambel der Dublin II VO), hat keine eindeutigen verfahrens- oder materiellrechtlichen Vorgaben für solche Fälle getroffen hat, diesbezüglich lässt sich aber aus dem Gebot der menschenrechtskonformen Auslegung des Gemeinschaftsrechts und aus Beachtung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundrechte ableiten, dass bei ausnahmsweiser Verletzung der EMRK bei Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat eine Überstellung nicht stattfinden darf. Die Beachtung des Effizienzgebots (das etwa eine pauschale Anwendung des Selbsteintrittsrechts oder eine innerstaatliche Verfahrensgestaltung, die Verfahren nach der Dublin II VO umfangreicher gestaltet als materielle Verfahren verbietet) und die Einhaltung der Gebote der EMRK stehen daher bei richtiger Anwendung nicht in Widerspruch (Filzwieser, migraLex, 1/2007, 18ff, Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO², K8-K13. zu Art. 19).

 

Die allfällige Rechtswidrigkeit von Gemeinschaftsrecht kann nur von den zuständigen gemeinschaftsrechtlichen Organen, nicht aber von Organen der Mitgliedstaaten rechtsgültig festgestellt werden. Der EGMR hat jüngst festgestellt, dass die Rechtsschutz des Gemeinschaftsrechts regelmäßig den Anforderungen der EMRK entspricht (30.06.2005, Bosphorus Airlines v Irland, Rs 45036/98).

 

Es bedarf sohin europarechtlich eines im besonderen Maße substantiierten Vorbringens und des Vorliegens besonderer vom Antragsteller bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, um die grundsätzliche europarechtlich gebotene Annahme der "Sicherheit" der Partnerstaaten der Europäischen Union als einer Gemeinschaft des Rechts im individuellen Fall erschüttern zu können. Diesem Grundsatz entspricht auch die durch das AsylG 2005 eingeführte gesetzliche Klarstellung des § 5 Abs 3 AsylG, die Elemente einer Beweislastumkehr enthält. Es trifft zwar ohne Zweifel zu, dass Asylwerber in ihrer besonderen Situation häufig keine Möglichkeit haben, Beweismittel vorzulegen (wobei dem durch das Institut des Rechtsberaters begegnet werden kann), und dies mitzubeachten ist (VwGH, 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949), dies kann aber nicht pauschal dazu führen, die vom Gesetzgeber - im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht - vorgenommene Wertung des § 5 Abs 3 AsylG überhaupt für unbeachtlich zu erklären (dementsprechend in ihrer Undifferenziertheit verfehlt, Feßl/Holzschuster, AsylG 2005, 225ff). Eine Rechtsprechung, die in Bezug auf Mitgliedstaaten der EU faktisch höhere Anforderungen entwickelte, als jene des EGMR in Bezug auf Drittstaaten wäre jedenfalls gemeinschaftsrechtswidrig.

 

2.1.2.1. Mögliche Verletzung des Art. 8 EMRK

 

Nach den Angaben der Beschwerdeführer lebt seit ca. 5 Jahren eine "Tante" in Österreich, zu der sie jedoch nach eigenen Angaben nur sporadischen telefonischen Kontakt hatten; finanzielle Abhängigkeit besteht keine. Es kann somit im vorliegenden Fall weder von einer intensiv sozialen oder finanziellen Bindung im Sinne eines Abhängigkeitsverhältnisses ausgegangen werden. Folglich würden die Beschwerdeführer bei einer Überstellung nach Polen in ihren durch Art. 8 EMRK verfassungsrechtlich gewährleistetem Recht auf Achtung und Privat- und Familienlebens nicht verletzt werden. Es liegen auch sonst keine Hinweise auf eine bereits erfolgte außergewöhnliche Integration in Österreich, etwa aufgrund sehr langer Verfahrensdauer, vor (vgl VfGH vom 29.09.2007, Zl. B 1150/07, VfGH vom 01.10.2007, Zl. G 179, 180/07).

 

2.1.2.2. Kritik am polnischen Asylwesen

 

Hiezu ist einleitend festzuhalten, dass die seinerzeitige Judikatur zu § 4 AsylG 1997 und vor dem Beitritt zur Europäischen Union am 01.04.2006 nicht mehr unmittelbar relevant ist (zuletzt VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/19/0673). Konkretes Vorbringen, das geeignet wäre, anzunehmen, dass Polen in Hinblick auf tschetschenische AsylwerberInnen unzumutbare rechtliche Sonderpositionen vertreten würde, ist nicht erstattet worden. Der bloße Umstand, dass eine Reihe von Asylverfahren negativ endet (wobei in Polen notorischerweise AntragstellerInnen aus Tschetschenien zumindest tolerierten Aufenthalt erhalten) ist mangels Bestehen eines allgemeinen Konsens über eine Gruppenverfolgung von Tschetschenen in Russland (auch in Österreich wird eine solche in der Regel nicht bejaht) und mangels verifizierbarer Angaben über ein Fehlverhalten polnischer Behörden im vorliegenden Fall kein ausreichendes Argument die Regelvermutung des § 5 Abs 3 AsylG erschüttern zu können.

 

2.1.2.2.1 Hervorzuheben ist insbesondere, dass bei tschetschenischen AntragstellerInnen aus Tschetschenien aus Polen praktisch keine Abschiebungen in die Russische Föderation erfolgen (siehe in den Bescheiden vom 22.7.2008 "C. Feststellungen zur Lage im Mitgliedstaat"). Die Einführung des "subsidiären Schutzstatus" neben Flüchtlingsstatus und "tolerated stay" lässt ebenso keine potentielle Gefährdung tschetschenischer Schutzsuchender erkennen, sodass auf die näheren Details des Inkrafttretens der jeweiligen Regelungen und des genauen Inhalts vorangegangener Gesetzesänderungen hier mangels Entscheidungsrelevanz nicht näher einzugehen war, da jedenfalls keine dieser Gesetzesänderungen Grund zur Annahme gibt, dass Polen nunmehr allgemein oder im Besonderen gegenüber tschetschenischen Schutzsuchenden bedenkliche Sonderpositionen verträte.

 

2.1.2.3. Bedrohung durch russische/tschetschenische Staatsangehörige in Polen

 

Bezüglich der von der Beschwerdeführerin in den Raum gestellten Sicherheitsbedenken in Polen (Angst vor Leuten, welche sie wegen ihres 1. Mannes suchen und Angst davor von den Verfolgern aufgrund der geographischen Nähe Polens zu Russland aufgefunden zu werden) schließt sich der Asylgerichtshof der diesbezüglich schlüssigen Beweiswürdigung des Bundesasylamtes an. Dem wurde auch in der Berufungsschrift nichts Konkretes entgegengesetzt. Im Übrigen hat sich die Erstbeschwerdeführerin weder in ihrem noch im Namen ihrer Kinder wegen der behaupteten Verfolgung in Polen an die polnische Polizei gewandt, im Gegenteil sagt sie in ihrer Einvernahme v. 4.3.2008, dass sie "sowieso nicht dort bleiben wollte. Ich wollte weiter weg.". Jedenfalls wäre die Beschwerdeführerin allfällig befürchteten Angriffen nicht wehrlos ausgesetzt, sondern es steht ihr die Möglichkeit offen, allfällige gegen sie gerichtete kriminelle Handlungen in Polen bei der Polizei zur Anzeige zu bringen und dort staatlichen Schutz in Anspruch zu nehmen. Somit kann im konkreten Fall bei einer Rückkehr insgesamt kein reales Risiko für die Beschwerdeführerin erblickt werden.

 

2.1.2.4. Medizinische Krankheitszustände; Behandlung in Polen

 

Unbestritten ist, dass nach der allgemeinen Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK und Krankheiten, die auch im vorliegenden Fall maßgeblich ist, eine Überstellung nach Polen nicht zulässig wäre, wenn durch die Überstellung eine existenzbedrohende Situation drohte und diesfalls das Selbsteintrittsrecht der Dublin II VO zwingend auszuüben wäre.

 

In diesem Zusammenhang ist vorerst auf das jüngste diesbezügliche Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes (VfGH vom 06.03.2008, Zl: B 2400/07-9) zu verweisen, welches die aktuelle Rechtsprechung des EGMR zur Frage der Vereinbarkeit der Abschiebung Kranker in einen anderen Staat mit Art. 3 EMRK festhält (D. v. the United Kingdom, EGMR 02.05.1997, Appl. 30.240/96, newsletter 1997,93; Bensaid, EGMR 06.02.2001, Appl. 44.599/98, newsletter 2001,26; Ndangoya, EGMR 22.06.2004, Appl. 17.868/03; Salkic and others, EGMR 29.06.2004, Appl. 7702/04; Ovdienko, EGMR 31.05.2005, Appl. 1383/04; Hukic, EGMR 29.09.2005, Appl. 17.416/05; EGMR Ayegh, 07.11.2006; Appl. 4701/05; EGMR Goncharova & Alekseytsev, 03.05.2007, Appl. 31.246/06).

 

Zusammenfassend führt der VfGH aus, das sich aus den erwähnten Entscheidungen des EGMR ergibt, dass im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder selbstmordgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gibt. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung in Art. 3 EMRK. Solche liegen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben (Fall D. v. the United Kingdom).

 

Jüngste Rechtsprechung des EGMR (N vs UK, 27.05.2008) und Literaturmeinungen (Premiszl, Migralex 2/2008, 54ff, Schutz vor Abschiebung von Traumatisierten in "Dublin-Verfahren") bestätigen diese Einschätzung, wobei noch darauf hinzuweisen ist, dass EU-Staaten verpflichtet sind, die Aufnahmerichtlinie umzusetzen und sohin jedenfalls eine begründete Vermutung des Bestehens einer medizinischen Versorgung besteht.

 

Aus diesen Judikaturlinien des EGMR ergibt sich jedenfalls der für das vorliegende Beschwerdeverfahren relevante Prüfungsmaßstab.

 

Nach der geltenden Rechtslage ist eine Überstellung dann unzulässig, wenn die Durchführung eine in den Bereich des Art 3 EMRK reichende Verschlechterung des Krankheitsverlaufs oder der Heilungsmöglichkeiten bewirken würde; dabei sind die von den Asylbehörden festzustellenden Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat als Hintergrundinformation beachtlich, sodass es sich quasi um eine "erweiterte Prüfung der Transportfähigkeit" handelt.

 

Maßgebliche Kriterien für die Beurteilung der Art. 3 EMRK-Relevanz einer psychischen Erkrankung angesichts einer Abschiebung sind Aufenthalte in geschlossenen Psychiatrien infolge von Einweisungen oder auch Freiwilligkeit, die Häufigkeit, Regelmäßigkeit und Intensität der Inanspruchnahme medizinisch-psychiatrischer Leistungen, die Möglichkeit einer wenn auch gemessen am Aufenthaltsstaat schlechteren medizinischen Versorgung im Zielstaat sowie die vom Abschiebestaat gewährleisteten Garantien in Hinblick auf eine möglichst schonende Verbringung. Rechtfertigen diese Kriterien eine Abschiebung, hat eine denkmögliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes oder ungünstige Entwicklung des Gesundheitszustands außer Betracht zu bleiben, geschweige denn vermag die Verursachung von überstellungsbedingtem mentalen Stress eine Abschiebung unzulässig machen.

 

Akut existenzbedrohende Krankheitszustände oder Hinweise einer unzumutbaren Verschlechterung der Krankheitszustände im Falle einer Überstellung nach Polen sind der Aktenlage nicht zu entnehmen. Im Rahmen des ersten Berufungsverfahrens gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 13.3.2008 wurde ein psychotherapeutischer Kurzbericht von K., Psychotherapeut, vorgelegt, in dem bei der Erstbeschwerdeführerin eine Anpassungsstörung, aufsitzend auf einer posttraumatischen Belastungsstörung nach serieller Traumatisierung, festgestellt wurde. Nach Behebung dieses Bescheides durch den Unabhängigen Bundesasylsenat vom 7.4.2008 wurde ein psychiatrisch/neurologisches Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben, welches Fr. DDr. W., Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie, für psychotherapeutische Medizin, gerichtlich beeidete und zertifizierte Sachverständige in umfangreicher Weise erstellte. Demnach leide die Erstbeschwerdeführerin an Anpassungsstörungen, ausgelöst durch einen Zustand von subjektivem Leiden und emotionaler Beeinträchtigung nach einer entscheidenden Lebensveränderung und einer belastenden Lebenssituation. Das angegebene Augenleiden könne mit einer seelischen Belastung nicht in Zusammenhang gebracht werden, die geschilderten psychischen Symptome wären einerseits sicherlich Ausdruck einer seelischen Belastung, andererseits aber vom geschilderten Ausmaß her psychiatrischerseits nicht nachvollziehbar.

 

Aus medizinischer Sicht wäre die Erstbeschwerdeführerin jedoch derzeit in ein sicheres Drittland überstellungsfähig.

 

Zu den teilweisen Widersprüchlichkeiten des Sachverständigengutachtens zum psychotherapeutischen Kurzbericht von K. wird festgehalten, dass der Asylgerichtshof schon des Umfanges der Untersuchung wegen (die Sachverständige untersuchte psychiatrisch, testpsychologisch und grobklinisch-neurologisch) neben den auch offensichtlichen Befähigungsunterschieden dem Untersuchungsergebnis der beauftragten Sachverständigen DDr. W. gefolgt ist.

 

Zur Frage der Suizidalität hält die Sachverständige in ihrem Gutachten fest: "Psychiatrischerseits imponiert die Asylwerberin durch appellativ-manipulatives Verhalten. Sie erweist sich als bewusstseinsklar, in allen Qualitäten voll orientiert, inhaltlich oder formale Denkstörungen sind nicht fassbar. Die Stimmungslage ist in den negativen Skalenbereich verschoben, eine latente oder manifeste Suizidalität lässt sich nicht objektivieren, die von der Asylwerberin in den Raum gestellte Suizidabsicht im Falle einer Rückschiebung nach Polen ist aus psychiatrischer Sicht als manipulativ zu werten. Die Affektlage ist labil, die affektive Resonanz überwiegt im negativen Skalenbereich. Die Noopsyche ist unbeeinträchtigt, Schlafstörungen werden angegeben."

 

Nach den schon oben erwähnten Judikaturrichtlinien des EGMR würde eine Traumatisierung gemessen am hohen Eingriffsschwellenwert ("high threshold") von Art. 3 EMRK einer Überstellung nach Polen nicht einmal im Falle einer akuten Suizidalität der Beschwerdeführerin entgegenstehen.

 

Wendet man die einschlägige Judikatur des EGMR auf den gegenständlichen Fall an, so kann der Asylgerichtshof in der Diagnose von der Fachärztin DDr. W. keinen Grund für einen zwingenden Selbsteintritt nach Art. 3 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates erkennen. Ebenso wenig handelt es sich bei der Erstbeschwerdeführerin um eine Person, die regelmäßig und in einer intensiven Art und Weise medizinisch-psychiatrische Leistungen in Österreich in Anspruch genommen hat oder deren Erkrankung einen Aufenthalt in einer geschlossenen Psychiatrie notwendig gemacht hätte. Des Weiteren bestehen für den Asylgerichtshof keine Zweifel, dass die Erstbeschwerdeführerin und ihre minderjährigen Kinder unter möglichster Schonung ihrer Personen überstellt werden, wofür die zuständige Fremdenpolizeibehörde Sorge und Verantwortung tragen wird.

 

Das Gutachten derselben ärztlichen Sachverständigen den Zweitbeschwerdeführer D. A. betreffend kam auch hier zum Schluss, dass dieser aus medizinischer Sicht jederzeit in ein sicheres Drittland überstellungsfähig wäre. Beim Zweitbeschwerdeführer lasse sich im Rahmen der durchgeführten Untersuchungen kein krankheitswertiges psychiatrisches Störungsbild erheben, sehr wohl aber diverse Ängste und angstbesetzte Fantasieausgestaltungen. Als primär ursächlich dafür werde eine äußerst negative und ängstigende Beeinflussung seitens der Mutter angesehen.

 

Bei der Drittbeschwerdeführerin I. H. wurden keine relevanten Erkrankungen vorgebracht.

 

Es ist aber zu betonen, dass im gegenständlichen Zusammenhang nicht relevant ist, ob PTSD oder eine andere psychische Krankheit bei den Beschwerdeführern vorliegen, sondern ob die Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat der EU unzumutbare, Art. 3 EMRK verletzende Auswirkungen hat.

 

Auf Basis der Aktenlage ist ferner festzuhalten, dass auch die Ausführungen in der Beschwerde, wonach Personen, die in Polen Asyl beantragen, durch mangelhafte Versorgung existentiell bedroht wären (dies, in einem Mitgliedstaat der EU) das reale Bild grob überzeichnen (siehe insbesondere die im Erstbescheid wiedergegebene Anfragebeantwortung der ÖB Warschau vom 12.12.2006, der ebenso nicht substantiiert entgegnet wurde; siehe "C. Feststellungen zur Lage im Mitgliedsstaat" in den Bescheiden v. 22.7.2008).

 

Jedenfalls war dieses pauschale unsubstantiierte Vorbringen ohne konkreten individuellen Bezug nicht geeignet eine mögliche Verletzung der EMRK durch Polen darzutun.

 

Es stellt daher eine Überstellung des Beschwerdeführers nach Polen keinesfalls eine Verletzung des Art. 3 EMRK und somit auch keinen Anlass zur Ausübung des Selbsteintrittsrechtes Österreichs nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO dar.

 

2.1.2.5. Zusammenfassend sieht der Asylgerichtshof im Einklang mit der diesbezüglichen Sichtweise der Erstbehörde keinen Anlass, Österreich zwingend zur Anwendung des Art 3 Abs 2 VO 343/2003 infolge drohender Verletzung von Art 3 oder Art 8 EMRK zu verpflichten.

 

2.1.3. Spruchpunkt I der erstinstanzlichen Entscheidung war sohin bei Übernahme der Beweisergebnisse und rechtlichen Würdigung der Erstbehörde mit obiger näherer Begründung zu bestätigen.

 

2.2. Spruchpunkt II:

 

Die Erwägungen der Erstbehörde zu Spruchpunkt II waren vollinhaltlich zu übernehmen. Auch im Beschwerdeverfahren sind keine Hinweise hervorgekommen, die eine Aussetzung der Überstellung der Beschwerdeführerin erforderlich erscheinen ließen. Diese erweist sich daher bezogen auf den Entscheidungszeitpunkt als zulässig.

 

Gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG ist "Familienangehöriger" iSd AsylG ua. der Elternteil eines minderjährigen Kindes, der Ehegatte oder das zum Zeitpunkt der Antragstellung unverheiratete minderjährige Kind eines Asylwerbers. Gemäß § 34 Abs. 1 Z 3 AsylG gilt der Antrag des Familienangehörigen (das Gesetz verweist auf § 2 Z 22 - gemeint ist § 2 Abs. 1 Z 22 - AsylG) eines Asylwerbers auf internationalen Schutz als "Antrag auf Gewährung desselben Schutzes". Die Behörde hat gemäß § 34 Abs. 4 AsylG Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind "unter einem" zu führen, und es erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang.

 

Die Beschwerdeführer sind Familienangehörige (iSd § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG) des jeweils anderen, alle haben einen Asylantrag gestellt, keinem wurde bisher Asyl oder subsidiärer Schutz gewährt, das Verfahren keines von ihnen wurde bisher zugelassen. Daher sind die Abs. 1 Z 3 und Abs. 4 des § 34 AsylG anzuwenden.

 

Gemäß § 34 Abs. 4 AsylG erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur - insoweit vergleichbaren - Vorgängerbestimmung (§ 10 Abs. 5 AsylG 1997) bedeutet dies auch, dass dann, wenn das Verfahren auch nur eines Familienangehörigen zuzulassen ist, dies auch für die Verfahren aller anderen gilt (VwGH 18.10.2005, 2005/01/0402). Sollte daher der Asylantrag eines Familienangehörigen der Beschwerdeführer zuzulassen sein, so würde dies auch für den Antrag der übrigen Beschwerdeführer gelten.

 

Die Beschwerdeverfahren, welche die Mutter und ihre beiden minderjährigen Kinder betreffen, haben nicht ergeben, dass ihre Verfahren zuzulassen wären. Daher ergibt sich auch daraus nicht, dass das Verfahren der einzelnen Beschwerdeführer gemäß § 34 Abs. 4 AsylG zuzulassen wäre.

 

2.3. Gemäß § 41 Abs 4 AsylG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden. Eine gesonderte Erwägung bezüglich einer allfälligen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung konnte angesichts des Spruchinhaltes entfallen.

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Abhängigkeitsverhältnis, Ausweisung, familiäre Situation, Familienverfahren, gesundheitliche Beeinträchtigung, Intensität, medizinische Versorgung, real risk, Überstellungsrisiko (ab 08.04.2008)
Zuletzt aktualisiert am
15.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten