TE AsylGH Erkenntnis 2008/08/29 C5 307471-1/2008

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Veröffentlicht am 29.08.2008
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Spruch

307.471-C1/X/47/2006/21E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. SCHADEN als Einzelrichter über die Beschwerde des Herrn N.Z., geb. 00.00.1987 alias 1981 alias 00.00.1982 alias 00.00.1987, StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 3.11.2006, 06 10.942-EAST Ost, zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde wird gemäß § 41 Abs. 3 Asylgesetz 2005, Art. 2 BG BGBl. I Nr. 100/2005, stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

1.1.1.1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 27.6.2003 den Antrag, ihm Asyl zu gewähren. In der Niederschrift über seine Einvernahme vor der Bezirkshauptmannschaft Güssing wird als sein Geburtsdatum der 00.00.1964 angegeben; sein Name wird mit J.A. angegeben. Bei einer Einvernahme vor dem Bundesasylamt (Außenstelle Eisenstadt) am 6.8.2003 gab der Beschwerdeführer seinen Namen mit A.Z. und sein Geburtsjahr mit 1981 an. Er habe Afghanistan im April 2003 verlassen. Von 1988 bis 1990 habe er in Kabul die Grundschule besucht, von 1997 bis 2000 Militärdienst geleistet.

 

Im Akt des Bundesasylamtes finden sich zwei gleichlautende Aktenvermerke vom 7.8.2003 (dem Tag nach der Einvernahme) und vom 12.8.2003 (dem Tag nach jenem des Bescheiddatums und vor der Zustellung durch Hinterlegung, vgl. Pt. 1.1.1.2), nach denen Frau Mag. H. am jeweiligen Tag "in gegenständlichem Asylakt unter Berufung auf § 10 Absatz 4 AVG Akteneinsicht genommen" habe.

 

1.1.1.2. Mit Bescheid vom 11.8.2003, 03 19.136-BAE, wies das Bundesasylamt den Asylantrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997 BGBl. I 76 (in der Folge: AsylG 1997) idF BG BGBl. I 126/2002 ab (Spruchpunkt I); gemäß § 8 AsylG 1997 erklärte es, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan sei zulässig (Spruchpunkt II). (Ob die Erledigung wirksam zugestellt worden und daher tatsächlich ein Bescheid zustandegekommen ist, wird Gegenstand der rechtlichen Beurteilung sein. Soweit daher hier der Einfachheit halber von einem Bescheid oder von einem Bescheid vom 11.8.2003 die Rede ist, wird damit nichts über den Bescheidcharakter der Erledigung ausgesagt.)

 

Das Bescheidkonzept weist als "Zustelladresse" eine Anschrift in Wien (eine Unterkunft des Evangelischen Hilfswerkes) aus, an welcher der Beschwerdeführer am 14.7.2003 auch eine Ladung übernommen hatte. Nach einem Vermerk auf diesem Konzept wurde der Bescheid am 11.8.2003 per RSa an den Beschwerdeführer abgefertigt. Sodann findet sich im Akt ein Umschlag ("Formular 3/1 zu § 22 des Zustellgesetzes"), der dieselbe Anschrift trägt und offenbar am 11.8. 2003 in Eisenstadt (dem Sitz der Außenstelle des Bundesasylamtes, die das Verfahren geführt hatte) und am 12.8.2003 in Wien von der Post abgestempelt worden ist. Der Umschlag langte am 13.8.2003 beim Bundesasylamt (Außenstelle Eisenstadt) ein. Er enthält keine Angaben über Zustellversuche oder über eine Hinterlegung, aber einen handschriftlichen Vermerk, der als "verzogen" gelesen werden kann. Am 13.8.2003 wurde der Bescheid gemäß § 23 Abs. 2 iVm § 8 Abs. 2 Zustellgesetz (ZustellG) ohne vorhergehenden Zustellversuch durch Hinterlegung bei der Behörde zugestellt. Gegen diesen Bescheid brachte der Beschwerdeführer kein Rechtsmittel ein.

 

1.1.2.1. Am 7.3.2006 stellte der Beschwerdeführer - unter dem Namen N.D. - einen Antrag auf internationalen Schutz (in der Folge auch als Asylantrag bezeichnet), nachdem er am selben Tag, aus dem Vereinigten Königreich kommend, entsprechend dem Dubliner Übereinkommen (di. dem Übereinkommen über die Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften gestellten Asylantrages BGBl. III 165/1997) nach Österreich überstellt worden war.

 

Bei seinen Einvernahmen vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes (Stadtpolizeikommando Schwechat) am 7.3.2006 und vor dem Bundesasylamt (Erstaufnahmestelle Ost in Traiskirchen) am 10.3.2006 und am 16.3.2006 gab der Beschwerdeführer an, er sei 2003 nach Österreich gekommen und hier erkennungsdienstlich behandelt und einvernommen worden. Dann sei er nach Belgien und sodann nach England gereist, wo er 2003 einen Asylantrag gestellt und dann bis zu seiner Überstellung nach Österreich etwa zweieinhalb Jahre gelebt habe. - Die Taliban hätten den Beschwerdeführer zwangsrekrutiert und für drei Monate an die Front geschickt. Dort sei er von einem Kommandanten mit der Waffe fotografiert worden. Dieser Kommandant sei nach dem Sturz der Taliban zu Karsai gewechselt, habe die Bilder bei der Polizei abgegeben und behauptet, der Beschwerdeführer sei Talib und sei gegen die Bevölkerung vorgegangen. Er habe den Vater des Beschwerdeführers unter Druck gesetzt, den Beschwerdeführer der Regierung zu übergeben; der Vater habe sich geweigert und sei für sechs Monate eingesperrt worden. Der Kommandant habe den Beschwerdeführer vernichten und beseitigen wollen, weil sein Vater Großgrundbesitzer sei. Er habe deshalb Angst gehabt, auch selbst festgenommen zu werden, und sein Land verlassen.

 

Der Beschwerdeführer legte zwei Fotos vor, die nach seinen Angaben seinerzeit vom Kommandanten gemacht worden seien. Dem Beschwerdeführer wurde vorgehalten, er trage auf diesen Fotos keine Waffen und sehe darauf nicht wie ein Fünfzehnjähriger aus. Die Angaben zu seinem Alter und zu seiner Ausbildung seien nicht glaubwürdig. Zum Vorhalt, es könne nicht zutreffen, dass er erst 18 Jahre alt sei, gab der Beschwerdeführer an, er sage die Wahrheit. Als Geburtsdatum des Beschwerdeführers wird in der Niederschrift der Erstbefragung "00.00.1987 alias 00.00.1987 [...] alias 1981" angegeben.

 

1.1.2.2. Mit Bescheid vom 24.3.2006, 06 02.767-EAST Ost, wies das Bundesasylamt diesen - zweiten - Asylantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück (Spruchpunkt I) und wies den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 Asylgesetz 2005 (Art. 2 BG BGBl. I 100/2005 - in der Folge: AsylG) aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan aus (Spruchpunkt II). Im Kopf dieses Bescheides wird als Geburtsdatum angegeben: "00.00.1987 alias 00.00.1981 alias 00.00.1982 alias 00.00.1987". In der Begründung heißt es ua., das äußere Erscheinungsbild des Beschwerdeführers auf den von ihm vorgelegten Fotos sei mit dem von ihm behaupteten Alter - er müsste zum Zeitpunkt der Aufnahmen etwa sechzehn Jahre alt gewesen sein - nicht in Einklang zu bringen.

 

Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 27.3.2006 persönlich ausgefolgt und damit zugestellt. Er brachte dagegen kein Rechtsmittel ein.

 

Im Akt des Bundesasylamtes finden sich dann Unterlagen über eine bevorstehende Übernahme des Beschwerdeführers durch Österreich entsprechend der Dublin-V (di. der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrages zuständig ist, ABl. 2003 Nr. L 50 ff.); die Überstellung aus dem Vereinigten Königreich war für den 8.8.2006 angekündigt.

 

1.2.1. Am 12.10.2006 stellte der Beschwerdeführer - unter dem Namen N.Z. - einen weiteren Asylantrag, nachdem er am selben Tag, aus Frankreich kommend, entsprechend der Dublin-V nach Österreich überstellt worden war. Bei seinen Einvernahmen vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes (Stadtpolizeikommando Schwechat) am 13.10.2006 und vor dem Bundesasylamt (Erstaufnahmestelle Ost in Traiskirchen) am 25.10.2006 und am 30.10.2006 gab er an, er sei am 00.00.1987 geboren.

 

Mit dem angefochtenen Bescheid wies das Bundesasylamt diesen - dritten - Asylantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück (Spruchpunkt I) und wies den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan aus (Spruchpunkt II). Im Kopf dieses Bescheides findet sich wieder das Geburtsdatum "00.00.1987 alias 00.00.1981 alias 00.00.1982 alias 00.00.1987". Begründend heißt es ua., das erste Asylverfahren sei am 28.8.2003, das zweite am 11.4.2006 rechtskräftig abgeschlossen worden. In diesen beiden Verfahren seien alle jeweils bis dahin entstandenen Sachverhalte berücksichtigt worden. Es könne kein neuer entscheidungsrelevanter Sachverhalt festgestellt werden. Abschließend begründete das Bundesasylamt seine Ausweisungsentscheidung.

 

Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 3.11.2006 persönlich ausgefolgt und damit zugestellt; am 6.11.2006 wurde er seiner damaligen Vertreterin zugestellt.

 

1.2.2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, fristgerechte, nun als Beschwerde (vgl. Pt. 2.1.2) zu behandelnde (und daher in der Folge so bezeichnete) Berufung vom 20.11.2006, in der vorgebracht wird, der Beschwerdeführer habe in seinem Antrag vom 13.10.2006 einen neuen entscheidungsrelevanten Sachverhalt vorgebracht. Eine ausführliche Berufungsergänzung werde nachgereicht werden. Eine solche Ergänzung ist bisher nicht eingelangt.

 

1.3. Mit Bescheid vom 25.1.2007, 307.471-C1/E1-II/06/06, behob der unabhängige Bundesasylsenat in Erledigung dieser Beschwerde den angefochtenen Bescheid und verwies die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurück. Mit Erkenntnis vom 26.9.2007, 2007/19/0153, hob der Verwaltungsgerichtshof diesen Bescheid auf, sodass sich das Verfahren wieder im Stande der Beschwerde befindet.

 

2. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

2.1.1.1. Der Bescheid des Bundesasylamtes vom 11.8.2003 wurde dem Beschwerdeführer am 13.8.2003 durch Hinterlegung ohne vorhergehenden Zustellversuch zugestellt; ob die Zustellung wirksam ist, wird noch zu erörtern sein (unten Pt. 2.2.2.1.2). Der Bescheid des Bundesasylamtes vom 24.3.2006 wurde dem Beschwerdeführer am 7.3.2006 persönlich ausgefolgt und damit zugestellt. Da er dagegen kein Rechtsmittel einbrachte, wurde dieser Bescheid am 21.3.2006 rechtskräftig.

 

2.1.1.2. Gemäß § 73 Abs. 1 AsylG ist das AsylG am 1.1.2006 in Kraft getreten; es ist gemäß § 75 Abs. 1 AsylG auf alle Verfahren anzuwenden, die am 31.12.2005 noch nicht anhängig waren.

 

Das vorliegende Verfahren war am 31.12.2005 nicht anhängig; es ist daher nach dem AsylG zu führen.

 

2.1.2. Gemäß § 23 Asylgerichtshofgesetz (in der Folge: AsylGHG, Art. 1 Asylgerichtshof-Einrichtungsgesetz BGBl. I 4/2008) ist auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof grundsätzlich das AVG mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt. Gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm § 23 AsylGHG hat der Asylgerichtshof, sofern die Beschwerde nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Er ist berechtigt, im Spruch und in der Begründung seine Anschauung an die Stelle jener des Bundesasylamtes zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

 

Die Zuständigkeit des Einzelrichters ergibt sich aus § 61 Abs. 3 Z 1 lit. c und Z 2 AsylG.

 

§ 41 Abs. 3 AsylG lautet: "In einem Verfahren über eine Berufung gegen eine zurückweisende Entscheidung und die damit verbundene Ausweisung ist § 66 Abs. 2 AVG nicht anzuwenden. Ist der Berufung gegen die Entscheidung des Bundesasylamts im Zulassungsverfahren statt zu geben, ist das Verfahren zugelassen. Der Berufung gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch statt zu geben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint."

 

2.2.1.1. Gemäß § 68 Abs. 1 AVG iVm § 23 AsylGHG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Beschwerde nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, wenn die Behörde nicht Anlass zu einer Verfügung gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG findet. Diesem ausdrücklichen Begehren auf Abänderung steht ein Ansuchen gleich, das bezweckt, eine Sache erneut inhaltlich zu behandeln, die bereits rechtskräftig entschieden ist (VwGH 30.9.1994, 94/08/0183; 30.5.1995, 93/08/0207; 9.9.1999, 97/21/0913; 7.6.2000, 99/01/0321).

 

2.2.1.2. Aus § 68 AVG ergibt sich, dass Bescheide mit Eintritt ihrer Unanfechtbarkeit auch prinzipiell unwiderrufbar werden, sofern nicht anderes ausdrücklich normiert ist. Über die mit einem rechtskräftigen Bescheid erledigte Sache darf nicht neuerlich entschieden werden. Bei der Prüfung, ob Identität der Sache vorliegt, ist vom rechtskräftigen Vorbescheid auszugehen, ohne seine sachliche Richtigkeit - nochmals - zu überprüfen; die Rechtskraftwirkung besteht gerade darin, dass die von der Behörde einmal untersuchte und entschiedene Sache nicht neuerlich untersucht und entschieden werden darf (vgl. zB VwGH 15.10.1999, 96/21/0097; 25.4.2002, 2000/07/0235). Vergleichsbescheid ist jener Bescheid, mit dem zuletzt "materiell in der Sache" entschieden worden ist (VwGH 16.7.2003, 2000/01/0440). Gibt es mehrere Vorbescheide, so ist Vergleichsbescheid jener, "in welchem letztmalig materiell über die Sache abgesprochen" (VwGH 15.11.2000, 2000/01/0184) bzw. "mit dem zuletzt materiell in der Sache entschieden" (VwGH 16.7.2003, 2000/01/0440) worden ist (vgl. weiters VwGH 13.10.2006, 2006/01/0323; 25.4.2007, 2004/20/0100; vgl. auch schon VwGH 4.5.1990, 90/09/0016; 19.10.1995, 93/09/0502: nicht eine Formalentscheidung [Zurückweisung wegen entschiedener Sache], sondern ein materiellrechtlicher Abspruch ist maßgeblich). Bescheide, mit denen ein Asylantrag wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wird, scheiden daher als Vergleichsbescheide aus. Auch die Auseinandersetzung mit der Glaubwürdigkeit eines neuen Vorbringens bei der Prüfung, ob ein Folgeantrag zulässig ist - iSd der Ausführungen zum "glaubhaften Kern" -, führt nicht dazu, "dass aus der Zurückweisung eines Folgeantrages dessen inhaltliche Erledigung wird" (VwGH 26.7.2005, 2005/20/0226).

 

2.2.1.3. "Sache" des Rechtsmittelverfahrens ist nur die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung, die Rechtsmittelbehörde darf demnach nur darüber entscheiden, ob die Vorinstanz den Antrag zu Recht zurückgewiesen hat oder nicht. Sie hat daher entweder - falls entschiedene Sache vorliegt - das Rechtsmittel abzuweisen oder - falls dies nicht zutrifft - den bekämpften Bescheid ersatzlos zu beheben, dies mit der Konsequenz, dass die erstinstanzliche Behörde, gebunden an die Auffassung der Rechtsmittelbehörde, den Antrag nicht neuerlich wegen entschiedener Sache zurückweisen darf. Die Rechtsmittelbehörde darf aber über den Antrag nicht selbst meritorisch entscheiden (VwGH 30.5.1995, 93/08/0207).

 

2.2.2.1. Sache des vorliegenden Beschwerdeverfahrens iSd § 66 Abs. 4 AVG iVm § 23 AsylGHG ist somit nur die Frage, ob das Bundesasylamt zu Recht den dritten Asylantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen hat.

 

2.2.2.1.1. Wie oben (Pt. 2.2.1.2) dargestellt, ist von mehreren Vorbescheiden jener der Vergleichsbescheid, "in welchem letztmalig materiell über die Sache abgesprochen" bzw. "mit dem zuletzt materiell in der Sache entschieden" worden ist. Bescheide, mit denen ein Asylantrag wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wird, scheiden daher als Vergleichsbescheide aus. Im vorliegenden Verfahren ist daher, wenn beide Vorbescheide des Bundesasylamtes zugestellt worden sein sollten, jener vom 11.8.2003 maßgeblich, weil mit dem Bescheid vom 24.3.2006 nur eine Formalentscheidung getroffen worden ist. Dies setzt voraus, dass der Bescheid vom 11.8.2003 wirksam zugestellt worden ist.

 

Dies ist daher zu untersuchen.

 

2.2.2.1.2.1. Der Beschwerdeführer behauptet nunmehr (wie schon in seinem zweiten Asylverfahren), er sei 1987 geboren und daher 2003 noch minderjährig gewesen. Sollte dies zutreffen, so wäre die Zustellung an ihn persönlich schon deshalb nicht wirksam gewesen, weil sie nur an seinen gesetzlichen Vertreter zulässig gewesen wäre. Die Einschätzung des Bundesasylamtes im Bescheid vom 24.3.2006, dass die Altersangabe des Beschwerdeführers nicht zutreffen könne, ist nicht ausreichend begründet. Seine Überlegungen, die sich bloß auf das äußere Erscheinungsbild stützen, überzeugen für sich genommen nicht. Der Asylgerichtshof verweist auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16.4.2007, 2005/01/0463, in dem dieser Gerichtshof zunächst seine bisherige Rechtsprechung zu Alterseinschätzungen bei Asylwerbern zusammenfasst; darin heißt es ua.:

 

"Im Erkenntnis vom 23. November 2006, Zl. 2005/20/0547, wurde ein Verfahrensmangel in diesem Beschwerdefall mit der Begründung verneint, die Altereinschätzung des Bundesasylamtes habe sich nicht allein auf den ¿persönlichen Eindruck (optisches Erscheinungsbild und Auftreten bei der Behörde)', sondern auch auf weitere, nachvollziehbar dargestellte Umstände (gravierende Widersprüche in Bezug auf eine zeitliche Einordnung einzelner Ereignisse im Verhältnis zum angeblich jeweiligen Alter dieses Asylwerbers) gestützt."

 

Sodann fährt der Gerichtshof fort:

 

"Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung ist im vorliegenden Beschwerdefall zunächst festzuhalten, dass die Alterseinschätzung der belangten Behörde nicht wie im genannten Erkenntnis Zl. 2005/20/0547 auf ¿weitere, nachvollziehbar dargestellte Umstände' gestützt wurde; ein dieser Entscheidung vergleichbarer Fall liegt daher nicht vor.

 

Die allein auf eine Einschätzung der Verhandlungsleiterin bei der öffentlichen mündlichen Verhandlung gestützte Begründung (äußeres Erscheinungsbild, persönliche Ausstrahlung und reifes Auftreten des Beschwerdeführers bei seiner Befragung) ist aber auch nicht hinreichend, um die Alterseinschätzung schlüssig zu begründen.

 

Im vorliegenden Beschwerdefall bestehen keine Anhaltspunkte dafür, die Altersangaben des Beschwerdeführers seien offenkundig unrichtig. Dies würde nämlich voraussetzen, dass diese Tatsache entweder allgemein bekannt (also notorisch) sei, oder von jedermann bereits ohne besondere Fachkenntnisse erkannt werden könnte [...].

 

Die belangte Behörde argumentierte zwar, ihr entscheidendes Mitglied verfüge über eine ¿mehrjährige Erfahrung im Umgang mit afrikanischen Asylwerbern', die es ¿erlaube, entsprechende Alters- und Reifevergleiche' herzustellen. Damit wird jedoch dem in der bisherigen Rechtsprechung aufgestellten Erfordernis einer ¿besonderen fachlichen Qualifikation' nicht entsprochen, weil sich zum einen die nicht näher dargestellten Vergleichsfälle einer nachprüfenden Kontrolle entziehen [...], zum anderen die Alterseinschätzung eines Asylwerbers in der Regel medizinisches Fachwissen voraussetzt, das durch bloßen ¿Umgang' mit Asylwerbern - im Rahmen von Einvernahmen oder Verhandlungen - nicht erlangt werden kann. Aus diesem Grund reicht es auch nicht aus, wenn die belangte Behörde ergänzend darauf verwiesen hat, ihre Einschätzung sei auch vom Einvernahmeleiter im erstinstanzlichen Verfahren und vom Vertreter des Jugendwohlfahrtsträgers geteilt worden.

 

Um daher eine Alterseinschätzung in derartigen Fällen überprüfbar zu machen, bedarf es im Regelfall einer Untersuchung und Beurteilung durch geeignete (zumeist wohl medizinische) Sachverständige.

 

Derartige Ermittlungen hat die belangte Behörde im gegenständlichen Fall ausgehend von ihrer vom Verwaltungsgerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht, zur selbständigen Alterseinschätzung berufen zu sein, unterlassen. [...]

 

Für das fortgesetzte Verfahren sieht sich der Verwaltungsgerichtshof noch zu folgenden Ausführungen veranlasst:

 

An der für das Sachverständigengutachten notwendigen Befundaufnahme muss der Asylwerber mitwirken. Eine Weigerung des Asylwerbers, an der Klärung des Sachverhaltes mitzuwirken, wäre von der Behörde - innerhalb der Grenzen der Mitwirkungspflicht, die einem Asylwerber zumutbar ist - in der Beweiswürdigung zu berücksichtigen.

 

Der Verwaltungsgerichtshof verkennt weiters nicht, dass auch nach Einholung eines Sachverständigengutachtens im Einzelfall über das Alter (Volljährigkeit oder Minderjährigkeit) eines Asylwerbers nicht hinreichend gesicherte Aussagen bzw. eine Aussagesicherheit nur innerhalb einer Bandbreite möglich sind. In einem solchen Zweifelsfall wäre dann von dem vom Antragsteller (Asylwerber) angegebenen Geburtsdatum (Alter) auszugehen [...]."

 

Bei dieser Ansicht blieb der Verwaltungsgerichtshof auch in seiner folgenden Rechtsprechung (VwGH 16.4.2007, 2004/01/0488; 16.4.2007, 2004/01/0534; 16.4.2007, 2005/01/0466; 26.6.2007, 2005/01/0061; 22.8.2007, 2005/01/0271; 22.8.2007, 2007/01/0472; 24.10.2007, 2007/21/0370).

 

2.2.2.1.2.2. Im vorliegenden Verfahren kann es aber im Ergebnis auf sich beruhen, ob der Beschwerdeführer 2003 minderjährig war, da die Zustellung des Bescheides vom 11.8.2003 an ihn persönlich, auch wenn er damals bereits volljährig gewesen sein sollte, aus einem anderen Grund nicht wirksam gewesen ist:

 

Gemäß § 21 AVG und § 1 ZustellG sind Zustellungen nach dem ZustellG vorzunehmen.

 

Das Bundesasylamt hat den ersten Bescheid gemäß § 8 Abs. 2 und § 23 ZustellG durch Hinterlegung ohne vorhergehenden Zustellversuch zugestellt. Diese Vorgangsweise war nur zulässig, wenn "eine Abgabestelle nicht ohne Schwierigkeiten festgestellt werden" konnte (§ 8 Abs. 2 ZustellG). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. die Entscheidungen bei Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens6 [2004] 1865 - 1867, E 15 c, d, f, j, k und l zu § 8 ZustellG) setzt dies jedenfalls voraus, dass die Behörde eine Meldeauskunft einholt. Dies hat das Bundesasylamt nicht getan. Es wäre - iSd § 8 Abs. 2 ZustellG - "ohne Schwierigkeiten" möglich gewesen, eine Abfrage durchzuführen. Darüber hinaus wäre es nahegelegen, Frau Mag. H., die am 7.8.2003 und am 12.8.2003 (am Tag vor der Hinterlegung) Akteneinsicht genommen hatte, nach einer Abgabestelle zu fragen. Sie hatte sich offenbar auf eine ihr erteilte Vollmacht (iSd § 10 Abs. 4 AVG) berufen. Ob diese Vollmacht etwa auch eine Zustellvollmacht umfasste, sodass ohnedies ihr und nicht dem Beschwerdeführer zuzustellen gewesen wäre, ist dem Akt des Bundesasylamtes nicht zu entnehmen.

 

Die Voraussetzungen des § 8 Abs. 2 ZustellG lagen daher nicht vor. Daran ändert es nichts, dass eine Abfrage mit den richtigen Daten möglicherweise ebenfalls keine Abgabestelle ergeben hätte (vgl. die Entscheidungen bei Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens6 [2004] 1866, E 15 g zu § 8 ZustellG). Dieser Zustellmangel ist bisher auch nicht geheilt worden. Dass ein Vertreter Akteneinsicht nahm - und dabei möglicherweise den Bescheidentwurf zu Gesicht bekam -, führte jedenfalls nicht zur Heilung des Mangels (vgl. zB VwGH 12.4.1999, 98/11/0289; 30.9.1999, 99/02/0102; 27.6.2000, 99/11/0193; 28.6.2001, 99/11/0155; 31.3.2004, 2004/18/0013 uva.).

 

2.2.2.1.3. Der (erste) Bescheid (vom 11.8.2003) ist somit nicht wirksam zugestellt und daher nicht erlassen worden, weil er entweder nicht an den (unterstelltermaßen damals minderjährigen) Beschwerdeführer zugestellt werden durfte oder weil die Voraussetzungen einer Hinterlegung ohne vorhergehenden Zustellversuch nicht vorlagen. Voraussetzung für eine Zurückweisung wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG im zweiten Asylverfahren wäre aber gewesen, dass die Sache rechtskräftig entschieden worden war. Da der Antrag vom 27.6.2003 bis dahin nicht erledigt worden war, durfte der zweite Antrag nicht nach § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen werden; vielmehr hätte das Bundesasylamt das Verfahren über den ersten Antrag weiterführen und darin den zweiten Antrag als Ergänzung im laufenden Verfahren berücksichtigen müssen (vgl. VwGH 16.9.1999, 99/20/0310; 24.2.2000, 98/20/0590; 12.4.2005, 2004/01/0491). Das ändert freilich nichts an der Rechtskraft des Bescheides, der im zweiten Verfahren ergangen ist, nämlich des Bescheides vom 24.3.2006.

 

Es liegt sohin nur ein Vorbescheid vor, nämlich jener vom 24.3.2006. Mit diesem Bescheid wurde ein Asylantrag wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Da Vergleichsbescheid nur ein Bescheid sein kann, mit dem inhaltlich abgesprochen worden ist, scheidet auch dieser Bescheid als Vergleichsbescheid aus. Dies ergibt sich aus einem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes (13.10.2006, 2006/01/0323), in dem es zu einer vergleichbaren Konstellation heißt, dass "das seinerzeitige (zweite) Asylverfahren noch in erster Instanz anhängig und nicht rechtskräftig entschieden ist. Eine Zurückweisung des [vierten] Asylantrages wegen entschiedener Sache kommt im Hinblick darauf nicht in Betracht [...], woran auch der Umstand, dass schon der (dritte) Asylantrag [...] - offenkundig rechtskräftig - aus diesem Grund zurückgewiesen worden ist, nichts zu ändern vermag. Die Rechtskraft des letztgenannten Bescheides beschränkt sich nämlich auf die Zurückweisung des von ihm erfassten Asylantrages, kann jedoch bezüglich der hier zu beurteilenden Rechtskraft des [nicht wirksam zugestellten] Bescheides [...] keine Bindungswirkung entfalten."

 

2.2.2.2. Der (erste) Asylbescheid (vom 11.8.2003) ist somit nicht wirksam zugestellt und daher nicht erlassen worden. Voraussetzung für eine Zurückweisung wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG ist, dass die Sache rechtskräftig entschieden worden ist. Da der Antrag vom 27.6.2003 bisher nicht erledigt wurde, liegt die Voraussetzung für eine Zurückweisung des vorliegenden (dritten) Antrags nach § 68 Abs. 1 AVG nicht vor. Der angefochtene Bescheid war somit aufzuheben.

 

2.3. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden. Eine mündliche Verhandlung konnte gemäß § 41 Abs. 4 erster Satz AsylG entfallen.

 

Das Bundesasylamt wird im fortgesetzten Verfahren den Asylantrag vom 11.8.2003 zu erledigen und dabei den Antrag vom 12.10.2006 als Ergänzung im laufenden Verfahren zu berücksichtigen haben (vgl. VwGH 16.9.1999, 99/20/0310; 24.2.2000, 98/20/0590; 12.4.2005, 2004/01/0491), ebenso einen weiteren (vierten) Antrag, den der Beschwerdeführer inzwischen - am 30.5.2008, also während des Beschwerdeverfahrens - gestellt hat (dies ergibt sich aus einem Auszug aus dem Asylwerberinformationssystem, der während des Beschwerdeverfahrens hergestellt worden ist). Zwar ist nach § 17 Abs. 8 AsylG (bzw. nach § 23 Abs. 5 AsylG 1997, der gemäß § 44 Abs. 3 AsylG 1997 im Verfahren über den ersten Antrag jedenfalls anzuwenden ist) ein neuer Asylantrag, der während eines Beschwerdeverfahrens gestellt oder eingebracht wird, im Rahmen des anhängigen Beschwerdeverfahrens mitzubehandeln. Es liegt auf der Hand, dass dies für ein Beschwerdeverfahren gemäß § 68 Abs. 1 AVG iVm § 23 AsylGHG nicht gelten kann, da Gegenstand dieses Beschwerdeverfahrens ja nicht - wie in einem Beschwerdeverfahren nach § 3 AsylG (bzw. nach § 7 AsylG 1997) - die Frage ist, ob dem Beschwerdeführer Asyl zu gewähren sei, sondern jene, ob die Behörde erster Instanz den Asylantrag zu Recht (wegen entschiedener Sache) zurückgewiesen habe (vgl. oben Pt. 2.2.1.3). § 17 Abs. 8 AsylG hat offenbar Beschwerden gegen Bescheide nach den §§ 3, 8 und 10 AsylG im Auge (ähnlich § 23 Abs. 5 AsylG 1997 Beschwerden gegen Bescheide nach den §§ 7 und 8 AsylG 1997). Ob darüber hinaus auch Beschwerden gegen Bescheide anderen Inhalts in Frage kommen können, ist hier nicht zu untersuchen (vgl. UBAS 1.6.2005, 253.658/0-X/47/04).

Schlagworte
Bescheidbehebung, Zustellmangel
Zuletzt aktualisiert am
15.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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