TE AsylGH Erkenntnis 2008/09/01 B3 246064-0/2008

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 01.09.2008
beobachten
merken
Spruch

B3 246064-0/2008/19E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Mag. Karin WINTER über die Beschwerde von I.G., geboren am 00.00.1961, usbekische Staatsangehörige, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 9. Dezember 2003, Zahl: 03 33.329-BAL, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 14. April 2008 zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde wird stattgegeben und I.G. gemäß § 7 Asylgesetz 1997 idF BG BGBl. I Nr. 126/2002 (AsylG) Asyl gewährt. Gemäß § 12 AsylG wird festgestellt, dass I.G. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang:

 

1. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das Bundesasylamt den Asylantrag der Beschwerdeführerin vom 27. Oktober 2003 gemäß § 7 AsylG ab (Spruchpunkt I.) und erklärte gemäß § 8 AsylG ihre Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Republik Usbekistan für zulässig (Spruchpunkt II.).

 

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht eingebrachte Beschwerde. Am 14. April 2008 führte die Rechtsmittelbehörde in der Sache der Beschwerdeführerin eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. In dieser wurde die Beschwerdeführerin einvernommen. Weiters wurden das länderkundliche Gutachten von Prof. Dr. R.P., Mitglied des Instituts für Rechtsphilosophie, Religions- und Kulturrecht der Universität Wien, vom 20. Jänner 2006 (Beilage 1 zur Verhandlungsschrift [VS]), der Bericht des U.S. Department of State vom 14. September 2007, Uzbekistan, International Religious Freedom Report 2007 (Beilage 2 zur VS), der Bericht des U.S. Department of State vom 6. März 2007, Uzbekistan, Country Reports on Human Rights Practices - 2006 (Beilage 3 zur VS), die ACCORD Anfragebeantwortung vom 28. Juni 2006, Zahl: a-4911, (Beilage 4 zur VS), der Bericht des Freedom House, Freedom in the World - Uzbekistan 2007 (Beilage 5 zur VS), der Bericht von Human Rigths Watch vom November 2007, Nowhere to Turn, Torture and Ill-treatment in Uzbekistan (Beilage 6 zur VS), die APA Meldung vom 24. Dezember 2007 "Karimow gewann Wahl in Usbekistan mit über 88 Prozent" (Beilage 7 zur VS) und die APA Meldung vom 16. Jänner 2008 "Usbekischer Staatschef Karimow trat neue Amtszeit an" (Beilage 8 zur VS) verlesen und erörtert.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Folgender Sachverhalt wird der Entscheidung zugrunde gelegt:

 

1.1. Zur hier relevanten Situation in der Republik Usbekistan:

 

1.1.1. Demographische Angaben:

 

Usbekistan (usbek. O'zbekiston; amtlich Republik Usbekistan, usbek. O'zbekiston Respublikasai) ist der bevölkerungsreichste Staat in Zentralasien und grenzt an alle üblicherweise zu Zentralasien gezählten Staaten (Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Afghanistan und Turkmenistan).

 

Usbekistan hat eine Gesamtbevölkerung von 26.851.195 Einwohnern (Stand 2005) und eine durchschnittliche Bevölkerungsdichte von 59 Einwohnern pro km². Die Besiedlung verteilt sich jedoch ungleichmäßig auf das Land. So steigt die Bevölkerungsdichte in den zu mehreren Staaten gehörenden Ferghana-Becken auf über 400 Einwohner pro km².

 

Die Bevölkerung Usbekistans besteht nach offiziellen Angaben von 1993 zu 73,7 % aus Usbeken, 5,5 % Russen, 5,1 % Tadschiken, 4,2 % Kasachen, 2 % Krimtataren, 2 % Karakalpaken, 1,1 % Koreanern. Zu den kleineren Minderheiten zählen Uiguren, Deutsche (etwa 40.000), Meschetische Türken, Aserbaidschaner und Türken. In manchen Landesteilen, wie dem Gebiet um die Städte Samarkand und Buchara ist eine ethnische Zuordnung allerdings kaum möglich, da die dortige Bevölkerung traditionell zweisprachig (usbekisch- und tadschikischsprachig) ist und eine Trennung in zwei verschiedene Völker erst durch die moderne amtliche Terminologie eingeführt worden ist. Insofern ist die sprachliche und kulturelle "Usbekisierung" Teil einer nationalstaatlichen Konsolidierung nach übernommenen sowjetischen und türkischen Staatsvorstellungen.

 

Die Religion der Mehrheit der Bevölkerung ist der Islam (zumeist Sunniten, schiitische Minderheiten, vor allem in Buchara und Samarkand). Zudem gibt es Christen (Angehörige der Russischen Orthodoxen Kirche, der Armenisch-Apostolischen Kirche, Katholiken und Protestanten (vor allem Baptisten und Evangeliums-Christen), gläubige Juden, Buddhisten, Baha'i und Krishnaiten. Im Unterschied zu den Bevölkerungen in den Nachbarländern Kasachstan, Kirgisien und Turkmenistan - die bis heute im Nomadentum wurzeln und lange nur oberflächlich islamisiert waren war die Region des heutigen Usbekistan schon seit dem frühen Mittelalter ein Kerngebiet islamischer Kultur. Wesentlich dafür war die hoch entwickelte, persisch geprägte Stadtkultur. Insbesondere die alten Zentren in der heutigen Landesmitte, Buchara und Samarkand, haben kulturell eine außergewöhnliche Geschichte. Die Sprache und Kultur Persiens wird noch heute von vielen Menschen im Umkreis dieser Städte gepflegt, während sich die Staatssprache Usbekisch aus osttürkischen Idiomen entwickelte. Die iranisch-kulturelle Prägung wird etwa auch darin deutlich, dass das traditionelle indoiranische Neujahrsfest Newroz (usebkisch: Navro'z), ein gesetzlicher Feiertag ist.

 

1.1.2. Die Verfassungsordnung Usbekistans:

 

Usbekistan ist gemäß der Verfassung eine präsidiale Demokratie. Derzeit unterstützen alle im Parlament vertretenen Parteien den Präsidenten Islam Karimov. Politisch ist Usbekistan in 12 Provinzen, die autonome Republik Karakalpakistan und den Stadtbezirk Taschkent untergliedert. Das Gerichtswesen ist konventionell aufgebaut, jedoch wird in allen Kommentaren ein hoher Grad an Korruption bemängelt.

 

Eine besondere Bedeutung haben die so genannten Nachbarschafts-Komitees ("Mahalla-Komitees"), deren Einrichtung sich immer wieder als zweischneidiges Schwert erweist. Sie erfüllen unterschiedliche soziale Funktionen aus und sind damit auch ein Instrument der sozialen Kontrolle. Jedes Komitee bestellt einen Nachbarschaftswächter, der für die öffentliche Ordnung und das moralische Klima in der "Mahalla" zu sorgen hat. Hauptsächlich zur Hintanhaltung des islamistischen Extremismus eingesetzt, kann diese soziale Kontrolle auch für Angehörige religiöser Minderheiten zum Problem werden.

 

Usbekistan ist Mitglied in folgenden internationalen Organisationen:

GUS, SCO, UNO, Economic Cooperation Organization (ECO), OATCT, Organisation der Islamischen Konferenz (OIC), Zentralasien-Gipfel der Türkischen Republiken.

 

1.1.3. Zur aktuellen politischen Lage:

 

Usbekistan bemühte sich, gute Beziehungen sowohl zu Russland, als auch zum Westen zu unterhalten. Diese werden als Verbündete gegen den islamischen Fundamentalismus betrachtet, der von Regierungsseite als größte äußere Bedrohung des Landes dargestellt wird. Die Menschenrechtssituation wurde durch den Westen bis zur Niederschlagung der Unruhen in Andischan weitestgehend ignoriert, weil u.a. die Regierung Karimov sich nicht an durch Russland dominierte Bündnissen der GUS-Staaten (Organisation für kollektive Sicherheit, Euro-Asiatische Wirtschaftsunion) beteiligte, sondern dem Russlandskeptischen Bündnis GUUAM (Georgien, Ukraine, Usbekistan, Aserbaidschan, Moldawien) beitrat und den USA und Deutschland Stützpunkte für die in Afghanistan stationierten Einheiten zur Verfügung stellte.

 

Nach dem 11. September 2001, als Usbekistan die USA in ihrem "Kampf gegen den Terror" unterstützte, waren die Beziehungen zwischen den USA und Usbekistan sehr gut.

 

Am 12./13. Mai 2005 kam es in Andischan im Ferghana-Tal zu Demonstrationen gegen die Regierung von Präsident Karimow. Auslöser war ein Prozess gegen 23 lokale Kleinunternehmer, die beschuldigt wurden, Mitglieder einer Splittergruppe von Hizb ut-Tahrir (siehe unten) zu sein. Mehrere Teilnehmer der Kundgebung gegen den Prozess wurden von Sicherheitskräften verhaftet. Daraufhin stürmten Demonstranten das lokale Gefängnis und befreiten Hunderte Gefangene. Die Regierung setzte am 13. Mai 2005 Sicherheitskräfte ein, die den Aufstand mit massivem Gewalteinsatz niederwarfen. Laut Regierungsangaben wurden 169 Menschen getötet, darunter 32 Sicherheitskräfte. Menschenrechtsorganisationen sprachen dagegen von 500 bis 1000 Toten unter weitgehend unbewaffneten Demonstranten. Die mehrtägigen Unruhen, die neben Andischan auch in anderen Städten nahe der Grenze zu Kirgisistan stattfanden, wurden von der Regierung Karimov der Hizb ut-Tahrir und international agierenden islamistischen Terroristen zugeschrieben und ihre blutige Unterdrückung als Kampf gegen den Terror ausgegeben. Präsident Karimov lehnte eine von UN, EU und USA geforderte Untersuchung ab. Human Rights Watch bezeichnete im Juni 2005 die Vorgänge nach der ausführlichen Befragung von mehr als 50 Augenzeugen als Massaker. Nach der Niederschlagung der Unruhen in Andischan war Usbekistan international isoliert und veränderte seine außenpolitische Orientierung. Die USA und die EU verhängten Sanktionen gegen Usbekistan. Die Vollversammlung der UNO nahm am 23. November 2005 eine Resolution an, die Usbekistan verurteilte. Für die Resolution stimmten 73 Staaten, 58 enthielten sich der Stimme und dagegen stimmten Aserbaidschan, Kasachstan, Russland, Tadschikistan, Turkemistan und Weißrussland. 2005 kam es auch zur Schließung der westlichen Stützpunkte. Russland nützte die Isolierung Usbekistans aus, um seine Position in der Region zu stärken. Die russischen Behörden lieferten auf Ansuchen der usbekischen Regierung mehr als zehn Personen aus, die von den usbekischen Behörden gesucht wurden. Der russische Verteidigungsminister Sergej Iwanow stellte fest, dass Usbekistan durch den "internationalen Terrorismus" bedroht werde. Usbekistan erklärte seine Bereitschaft, sich dem durch Russland dominierten Verteidigungsbündnis der GUS-Staaten (Organisation für kollektive Sicherheit) anzuschließen und unterzeichnete ein Bündnis mit Russland.

 

1.1.4. Zur Situation der Menschenrechte im Allgemeinen:

 

Die Situation der Menschenrechte in Usbekistan wird von allen einschlägigen Menschenrechtsorganisationen als äußerst schlecht ("dramatisch, "drastisch", "disaströs", "very poor") beurteilt. Wesentliche Lebensbereiche, die auch eine Nähe zu menschenrechtlichen Garantien aufweisen (wie Gerichtsbarkeit, Bildungswesen, Gesundheitswesen), werden als durch ein hohes Maß an Korruption gekennzeichnet dargestellt.

 

Die Medien sind durch die offizielle Informationsagentur dominiert, trotz formeller Abschaffung der Zensur und der Garantie der Meinungsfreiheit sieht die Praxis anders aus, was sich vor allem auch im Vorgehen gegen unliebsame Journalisten immer wieder zeigt. In letzter Zeit wurden immer häufiger auch über Diskriminierungen gegen Tadschiken berichtet. Bereits 1998 kam es zu Bücherverbrennungen, persischsprachige Medien und Zeitungen wurden unterdrückt.

 

Die gesetzlich vorgesehene Registrierung von Parteien und Religionsgemeinschaften wird sehr restriktiv bzw. schikanös gehandhabt, Aktivitäten von Minderheitsreligionen werden häufig eingeschränkt. Das usbekische Religionsgesetz von 1998 sieht ein hohes Maß an staatshoheitlicher Aufsicht vor und steht unter massiver internationaler Kritik.

 

Laut Amnesty-Bericht 2004 missachteten die usbekischen Behörden "trotz einiger weniger Gesetzes- und Justizreformen nach wie vor ihre internationalen und nationalen Verpflichtungen im Bezug auf die Menschenrechte und unternahmen nichts, um die miserable Menschenrechtslage zu verbessern.

 

...

 

1.1.5. Die Merkmale der gegenwärtigen Situation lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:

 

Auflösung der russischsprachigen Bevölkerungsgruppe;

Wirtschaftlicher Niedergang für die Mehrheit der Bevölkerung;

Ressourcenverteilung (Eigentum und Macht) nach verwandtschaftlichen Merkmalen (Familie, Klan, Freunde, Klanverband, Ethnie), wodurch die russischsprachige und bucharajüdische Bevölkerung generell benachteiligt wird und damit verbunden diktatorische Machtstrukturen, die Willkür gegen schutzlose Personen ausüben;

ethnische, konfessionelle, kulturelle Überlagerungen der sozialen Spannungen, u.a. starker Zulauf zu islamistischen Gruppen, die allerdings von der Regierung Karimov mit brachialen Methoden bekämpft werden.

 

Neben der politischen Instabilität sind es vor allem wachsende Arbeitslosigkeit, Unsicherheit bezüglich der Zukunft, fehlende Kenntnisse der usbekischen Sprache, die als Staatssprache immer mehr durchgesetzt wird, welche zur Abwanderung führen. ...

 

Die Abwanderung der russischsprachigen Bevölkerung und speziell der jüdischen Bevölkerung ist ein kumulativer Prozess mit Sogwirkung. Die verbliebenen Juden gehören älteren Jahrgängen an, da die jüngeren Personen fast gänzlich weggezogen sind. Ein Wiederaufleben des jüdischen Gemeindelebens ist auch unter eher unwahrscheinlichen Verbesserungen der Lebensbedingungen kaum zu erwarten, unter gleich bleibenden Lebensbedingungen wird bestenfalls die gesamte russischsprachige Bevölkerungsgruppe weiter existieren. Im Falle eines weiteren Absinkens des Lebensstandards, und der damit verbundenen zusätzlichen ethnischen und religiösen Radikalisierung ist mit einem Exodus dieser gesamten Bevölkerungsgruppe mit Ausnahme einiger hoch qualifizierter Spezialisten und reicher Geschäftsleute zu rechnen. Die Regierung Karimov bemüht sich jedenfalls die russischsprachige Bevölkerung und die Bucharajuden zu behalten. Es herrscht daher offiziell kein antijüdisches Klima und eine staatliche Verfolgung von Juden in Usbekistan ist gegenwärtig nicht gegeben.

 

Ungeachtet dessen, dass in den größeren Städten Usbekistans, vor allem in Samarkand, immer noch ein tolerantes, interethnisches Klima erhalten geblieben ist, wird die Situation für Minderheiten zunehmend prekärer. Es besteht vor allem für Angehörige der russischsprachigen Bevölkerung bzw. der jüdischen Minderheit eine gewisse Schutzlosigkeit, die sich auch in Drohungen und Erpressungen äußert. Dies gilt sowohl für Übergriffe oft nicht mehr kontrollierbarer Behörden, als auch nationalistischer bzw. religiös-fundamentalistischer Gruppen. In diesem Zusammenhang ist auch auf die oben erwähnte Einrichtung der "Mahalla-Komitees" zu verweisen, deren "polizeiliche" Funktionen für Angehörige von Minderheiten und damit auch für die jüdischen Bürger ein deutliches Bedrohungspotential aufweisen. Wie die Demonstrationen in Andischan verdeutlicht haben, entsteht aus der Verknüpfung von ökonomischen und sozialen Missständen mit Machtansprüchen islamistisch/dschihadistischer Gruppen eine explosive politische Mischung. Es wird ein Klima erzeugt, in dem auch die bucharajüdische Minderheit zunehmend mit einer feindlichen Umwelt konfrontiert wird, was durch die antizionistische Propaganda islamistischer Gruppen eine politische Unterfütterung erhält. Häufig wird die Schuld für die gegenwärtige schlechte Lage in Usbekistan dem Westen und im Besonderen den Juden, gegeben. Derartige Verschwörungstheorien verschlechtern die Situation der jüdischen Minderheit permanent. Es gehört auch zur politischen Agitation von Islamisten, die Regierung Karimov der "Zusammenarbeit mit den Zionisten" zu beschuldigen.

 

In dem so umschriebenen Klein-Klima ist aus den genannten Gründen bei Verfolgungsmaßnahmen durch Private kaum staatlicher Schutz zu erwarten.

 

Quelle: länderkundliches Gutachten von Prof. Dr. R.P. (Beilage 1 zu VS).

 

1.2. Zur Person und den Fluchtgründen der Beschwerdeführerin:

 

Die Beschwerdeführerin trägt den im Spruch angeführten Namen und wurde am 00.00.1961 in T. geboren. Sie ist eine usbekische Staatsbürgerin und Angehörige der deutschen Volksgruppe. Ihre Mutter ist russischer Volksgruppenzugehörigkeit und jüdischen Glaubens. Diese ist invalid und lebt mit einer Freundin in einer Einzimmer-Mietwohnung in T.. Da der Vater der Beschwerdeführerin mittlerweile verstorben ist, hat sie sonst keine Familienangehörigen mehr in der Republik Usbekistan. Die Beschwerdeführerin ist ledig und die Mutter von D.G.. Zum (wahrscheinlich in Deutschland lebenden) Vater ihrer Tochter besteht kein Kontakt.

 

Am 26. September 1992 wurden die Beschwerdeführerin, ihre Mutter und Schwester an einer Bushaltestelle von einer Person usbekischer Volksgruppenzugehörigkeit aufgrund ihrer russischen Volksgruppenzugehörigkeit beschimpft und in weiterer Folge geschlagen. Die Schwester der Beschwerdeführerin verstarb in weiterer Folge an ihren Verletzungen. Die Eltern der Beschwerdeführerin zeigten den Vorfall bei den zuständigen usbekischen Sicherheitsbehörden an und wurden deswegen massiv bedroht. Als sie auch mit dem Leben der Beschwerdeführerin bedroht wurden, zogen sie schließlich ihre Anzeige zurück. Da es immer wieder zu teils handgreiflichen Übergriffen von Angehörigen der usbekischen Volksgruppe auf die Beschwerdeführerin aufgrund ihrer deutschen und russischen Volksgruppenzugehörigkeit bzw. ihrer jüdischen Abstammung kam, flüchtete sie am 25. Oktober 2003 gemeinsam mit ihrer minderjährigen Tochter aus der Republik Usbekistan.

 

Die Beschwerdeführerin leidet an chronischer Hepatitis C, hat einen Tumor im Brustbereich und befindet sich in psychotherapeutischer Behandlung.

 

2. Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus folgender Beweiswürdigung:

 

2.1. Die Feststellungen zur Situation in der Republik Usbekistan stützen sich auf die zitierte Quelle, die in der Verhandlung erörtert wurde. Angesichts der Seriosität dieser Quelle und der Plausibilität ihrer Aussagen, denen die Verfahrensparteien nicht entgegengetreten sind, besteht für den Asylgerichtshof kein Grund, an der Richtigkeit dieser Angaben zu zweifeln. Überdies stimmen sie mit den Inhalten der anderen, in der Verhandlung erörterten Berichte überein.

 

2.2.1. Die Feststellungen zur Person der Beschwerdeführerin ergeben sich aus ihrem glaubwürdigen Vorbringen und ihrem vorgelegten usbekischen Reisepass.

 

2.2.2. Die Feststellungen zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführerin basieren auf folgenden Überlegungen: Bei Einbeziehung des persönlichen Eindrucks von der Beschwerdeführerin, der im Rahmen der mündlichen Verhandlung gewonnen werden konnte, ist deren Angaben zu den Geschehnissen in der Republik Usbekistan Glaubwürdigkeit zuzubilligen; die diesbezüglichen Angaben erweisen sich als detailreich und stellen sich - vor dem Hintergrund usbekischer Verhältnisse - auch als plausibel dar. Zusätzlich werden sie durch die vorgelegten Anzeigen, die Sterbeurkunden ihrer Schwester und ihres Vaters sowie durch die ärztlichen Bestätigungen zum Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin (OZ 5 und OZ 14) untermauert.

 

3. Rechtlich ergibt sich Folgendes:

 

3.1. Gemäß § 23 Asylgerichtshofgesetz (Asylgerichtshof-Einrichtungsgesetz; Art. 1 BG BGBl. I 4/2008) sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

Die Zuständigkeit des Asylgerichtshofes stützt sich auf § 38 AsylG 1997. Diese Bestimmung spricht zwar vom "unabhängigen Bundesasylsenat" und ist durch das AsylGH-EinrichtungsG nicht geändert worden; auch die Übergangsbestimmungen des AsylG 2005 ergeben insoweit nichts. Da jedoch gemäß Art. 151 Abs. 39 Z 1 B-VG der unabhängige Bundesasylsenat am 1. Juli 2008 zum Asylgerichtshof geworden ist und dieses Gericht gemäß Art. 151 Abs. 39 Z 4 B-VG die am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängigen Verfahren weiterzuführen hat, ist davon auszugehen, dass sich § 38 AsylG 1997 nunmehr auf den Asylgerichtshof bezieht. Ebenso ist davon auszugehen, dass sich jene Bestimmungen des AsylG 1997, die von "Berufungen" sprechen, nunmehr auf Beschwerden beziehen (vgl. AsylGH 12.8.2008, C5 251.212-0/2008/11E).

 

3.2.1. Gemäß § 75 Abs. 7 Z 1 Asylgesetz 2005 idF Art. 2 BG BGBl. I 4/2008 sind Verfahren, die am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängig sind, vom Asylgerichtshof weiterzuführen; Mitglieder des unabhängigen Bundesasylsenates, die zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannt worden sind, haben alle bei ihnen anhängigen Verfahren, in denen bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, als Einzelrichter weiterzuführen.

 

3.2.2. Da im vorliegenden Verfahren bereits vor dem 1. Juli 2008 eine mündliche Verhandlung vor der nunmehr zuständigen Richterin stattgefunden hat, ist von einer Einzelrichterzuständigkeit auszugehen.

 

3.3.1. Gemäß § 75 Abs. 1 Asylgesetz 2005 sind "[A]lle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren [...] nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen. § 44 AsylG 1997 gilt."

 

Gemäß § 44 Abs. 1 AsylG 1997 idF der AsylG-Novelle 2003 sind Verfahren über Asylanträge, die bis zum 30. April 2004 gestellt worden sind, nach den Bestimmungen des AsylG idF BG BGBl. I 126/2002 zu führen.

 

3.3.2. Die Beschwerdeführerin hat ihren Asylantrag vor dem 1. Mai 2004 gestellt; das Verfahren war am 31. Dezember 2005 anhängig; das Verfahren ist daher nach dem AsylG idF BG BGBl. I 126/2002 zu führen.

 

3.4.1. Gemäß § 23 AsylG (bzw. § 23 Abs. 1 AsylG idF der AsylGNov. 2003) ist auf Verfahren nach dem AsylG, soweit nicht anderes bestimmt ist, das AVG anzuwenden. Gemäß § 66 Abs. 4 AVG hat die Rechtsmittelinstanz, sofern die Beschwerde nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

 

Gemäß § 7 AsylG hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 55/1955 (Genfer Flüchtlingskonvention, in der Folge: GFK) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

 

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (idF des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren."

 

3.4.2. Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. zB VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011). Für eine "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH 26.2.1997, 95/01/0454; 9.4.1997, 95/01/0555), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl. VwGH 18.4.1996, 95/20/0239; vgl. auch VwGH 16.2.2000, 99/01/0397), sondern erfordert eine Prognose. Verfolgungshandlungen, die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (vgl. dazu VwGH 9.3.1999, 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 9.9.1993, 93/01/0284; 15.3.2001, 99/20/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein (VwGH 16.6.1994, 94/19/0183; 18.2.1999, 98/20/0468). Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 9.3.1999, 98/01/0318; 19.10.2000, 98/20/0233). Besteht für den Asylwerber die Möglichkeit, in einem Gebiet seines Heimatstaates, in dem er keine Verfolgung zu befürchten hat, Aufenthalt zu nehmen, so liegt eine inländische Fluchtalternative vor, welche die Asylgewährung ausschließt (vgl. VwGH 24.3.1999, 98/01/0352). Das einer "inländischen Fluchtalternative" innewohnende Zumutbarkeitskalkül setzt voraus, dass der Asylwerber im in Frage kommenden Gebiet nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal auch wirtschaftliche Benachteiligungen dann asylrelevant sein können, wenn sie jegliche Existenzgrundlage entziehen (VwGH 8.9.1999, 98/01/0614, 29.3.2001, 2000/20/0539).

 

3.4.3.1. Vor dem Hintergrund der getroffenen Feststellungen zur Situation in der Republik Usbekistan besteht für die Beschwerdeführerin angesichts des zu ihren Asylgründen festgestellten Sachverhalts eine objektiv nachvollziehbare Verfolgungsgefahr: Die Beschwerdeführerin war in der Republik Usbekistan aufgrund ihrer deutschen, russischen und jüdischen Abstammung bereits zahlreichen Übergriffen ausgesetzt. Bei einer Rückkehr läuft sie Gefahr, deswegen erneut Übergriffen ausgesetzt zu sein. Eine inländische Fluchtalternative scheidet aus, weil sie als schwer kranke und alleinerziehende Mutter für ein minderjähriges Kind über kein soziales bzw. familiäres Netz verfügt, das sie auffangen könnte.

 

3.5. Zusammenfassend ergibt sich, dass sich die Beschwerdeführerin aus wohlbegründeter Furcht, wegen ihrer deutschen, russischen bzw. jüdischen Abstammung verfolgt zu werden, außerhalb der Republik Usbekistans aufhält und dass auch keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- und Ausschlussgründe vorliegt. Gemäß § 12 AsylG war die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass der Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Schlagworte
ethnische Verfolgung, Lebensgrundlage, soziale Verhältnisse, Volksgruppenzugehörigkeit
Zuletzt aktualisiert am
31.12.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten