TE AsylGH Erkenntnis 2008/09/01 A2 401137-1/2008

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Veröffentlicht am 01.09.2008
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Spruch

A2 401.137-1/2008/3E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. Filzwieser als Vorsitzenden und den Richter Dr. Druckenthaner als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin Frau Csucker über die Beschwerde des C.L., geb. 00.00.1985, StA. Gambia, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 25.07.2008, GZ. 08 03.699-BAI, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang:

 

1. Der erstinstanzliche Verfahrensgang ergibt sich aus dem Verwaltungsakt des Bundesasylamtes. Der Beschwerdeführer wurde am 30.04.2008 und 16.07.2008 niederschriftlich zu seinem Antrag auf internationalen Schutz einvernommen (As. BAA 31-41 und 111 bis 129)

 

2. Mit Bescheid vom 25.07.2008, Zahl: 08.03.699-BAI, zugestellt am 31.07.2008, wies das Bundesasylamt den Asylantrag gemäß §§ 3, 8, 10 AsylG 2005 ab.

 

3. Dagegen wurde am 13.08.2008 Berufung (nunmehr als Beschwerde zu werten) eingebracht.

 

II. Über die fristgerecht erhobene Beschwerde hat der Asylgerichtshof in nicht öffentlicher Sitzung wie folgt erwogen:

 

1. Gemäß § 23 AsylGHG sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

1.1. Anzuwenden war das AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 in der geltenden Fassung (im Folgenden: "AsylG 2005"), das AVG, BGBl. Nr. 51/1991 in der geltenden Fassung und das ZustG, BGBl. Nr. 200/1982 in der geltenden Fassung.

 

1.2. Gemäß § 9 Abs. 1 AsylGHG, BGBl. I Nr. 4/2008 in der geltenden Fassung entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten, soweit eine Entscheidung durch einen Einzelrichter oder Kammersenat nicht bundesgesetzlich vorgesehen ist. Gemäß § 60 Abs. 3 AsylG 2005 entscheidet der Asylgerichtshof über Beschwerden gegen zurückweisende Bescheide nach den §§ 4 und 5 AsylG 2005 und nach § 68 AVG durch Einzelrichter. Gemäß § 42 AsylG 2005 entscheidet der Asylgerichtshof bei Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung oder Rechtsfragen, die sich in einer erheblichen Anzahl von anhängigen oder in naher Zukunft zu erwartender Verfahren stellt, sowie gemäß § 11 Abs. 4 AsylGHG, wenn im zuständigen Senat kein Entscheidungsentwurf die Zustimmung des Senates findet durch einen Kammersenat. Im vorliegenden Verfahren liegen weder die Voraussetzungen für eine Entscheidung durch einen Einzelrichter noch die für eine Entscheidung durch den Kammersenat vor.

 

2. Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde (kraft oben zitierter Bestimmungen auch der AsylGH, es bestehen diesbezüglich keine materiellrechtlichen Sondernormen), so der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen.

 

Gemäß Absatz 3 dieser Gesetzesstelle kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnissen vom 21. November 2002, Zl. 2002/20/0315 und Zl. 2000/20/0084, grundsätzliche Ausführungen zur Anwendbarkeit des § 66 Abs. 2 AVG im Asylverfahren im Allgemeinen und durch den Unabhängigen Bundesasylsenat im Besonderen getätigt. Dabei hat er im letztgenannten Erkenntnis insbesondere ausgeführt:

 

"Bei der Abwägung der für und gegen eine Entscheidung gemäß § 66 Abs. 2 AVG sprechenden Gesichtspunkte muss nämlich auch berücksichtigt werden, dass das Asylverfahren nicht nur möglichst kurz sein soll. Zur Sicherung seiner Qualität hat der Gesetzgeber einen Instanzenzug vorgesehen, der zur belangten Behörde und somit zu einer gerichtsähnlichen, unparteilichen und unabhängigen Instanz als besonderem Garanten eines fairen Asylverfahrens führt (vgl. bereits das Erkenntnis vom 16. April 2002, Zl. 99/20/0430). Die der belangten Behörde in dieser Funktion schon nach der Verfassung zukommende Rolle einer ¿obersten Berufungsbehörde' (Art. 129c 1 B-VG) wird aber ausgehöhlt und die Einräumung eines Instanzenzuges zur bloßen Formsache degradiert, wenn sich das Asylverfahren einem eininstanzlichen Verfahren vor der Berufungsbehörde nähert, weil es das Bundesasylamt ablehnt, auf das Vorbringen sachgerecht einzugehen und brauchbare Ermittlungsergebnisse in Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen."

 

In Erkenntnis vom 17.10.2006 (Zl 2005/20/0459) hat der VwGH betont, dass eine Behebung nach § 66 Abs 2 AVG nur zulässig ist, wenn eine weitere Verhandlung/Einvernahme erforderlich ist, was nicht der Fall wäre, wenn die Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens durch schriftliches Parteiengehör saniert hätten werden können.

 

3. Der Verwaltungsgerichtshof hat nun zusammengefasst in verschiedenen Erkenntnissen betont, dass eine umfangreiche und detaillierte Erhebung des asylrechtlich relevanten Sachverhaltes durch die Behörde erster Instanz durchzuführen ist. Im vorliegenden Fall ist dies in qualifizierter Weise unterlassen worden, dies aus folgenden Erwägungen:

 

3.1. Die Erstbehörde hat die punktuellen aber relevanten Verschlechterungen der menschenrechtlichen Situation in Gambia völlig verkannt. Wenn sie anführt, dass es "absolut nicht nachvollziehbar" sei, dass UDP-Mitglieder als Angehörige einer legalen Partei verfolgt würden, missachtet sie die verschiedenen Hinweise in den von ihr selbst zitierten Quellen, wonach das politische Klima im Zusammenhang mit einem gescheiterten Putschversuch 2006 restriktiver geworden ist und von Verhaftungen von Mitgliedern von Oppositionsparteien die Rede ist, ebenso wie von schweren Menschenrechtsverletzungen von Staatsorganen. In einer derart volatilen Situation hat sich die Erstbehörde auch ständig aktualisierter Quellen zu bedienen und hätte etwa den aktuellen Bericht des USDOS von März 2008 zu würdigen gehabt, indem sich einleitend folgende relativ pessimistische Einschätzung der Lage findet:

 

"The government's respect for the human rights of its citizens did not improve during the year. Although the constitution and law provide for protection of most human rights, there were problems in many areas. Prison conditions remained poor. Arbitrary arrests and detentions continued. Security forces harassed and mistreated detainees, prisoners, opposition members, and journalists with impunity. Prisoners were held incommunicado, faced prolonged pretrial detention, and were denied due process. The government restricted freedom of speech and press."

 

Ob sich die Situation für allfälligerweise politisch verfolgte Personen nach den Wahlen, beziehungsweise in den letzten Monaten seit dem eben zitierten Bericht des USDOS, allenfalls wieder verbessert hätte, bedürfte ebenso einer sachverständigen Einschätzung, basierend auf aktuellen Quellen. Allgemein ist anzufügen, dass sich die Erstbehörde nicht auf eine bloße Aneinanderreihung von Länderquellen beschränken darf, sondern diese einer fallbezogenen individualisierten und abwägenden Würdigung zu unterziehen hat, was im vorliegenden Fall unterblieben ist.

 

3.2. Diese Problematik wäre dennoch nicht entscheidungsrelevant, wenn das Vorbringen des Beschwerdeführers hinsichtlich seiner politischen Verfolgung als unglaubwürdig zu werten wäre, da die allgemeine Lage in Gambia für nicht politisch verfolgte Personen eine Rückkehr aus Sicht des AsylGH dennoch oft zumutbar erscheinen lässt.

 

Im vorliegenden Fall ist die entsprechende Würdigung der Erstbehörde aber manifest unzureichend. Vorgelegte Beweismittel (insbesondere ein Schreiben der UDP, worin politische Verfolgung des Beschwerdeführers bescheinigt wird), wurden der Aktenlage nach weder übersetzt noch in irgendeiner Weise gewürdigt. In Verbund mit den insgesamt relativ detailreichen Ausführungen des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen wäre hier jedenfalls eine nähere sachverständige Echtheitsüberprüfung (allenfalls auch vor Ort) und inhaltliche Beurteilung notwendig gewesen. Die Argumente der Erstbehörde gegen die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers sind zwar relevant, aber nicht so stark (Schilderung der letzten Verhaftung könnte auch aus sprachlichen Umständen unterschiedlich gewesen sein, unterlassene Angaben in erster Einvernahme können denkmöglich mangels seinerzeitiger konkreter diesbezüglicher Fragestellung auch anders erklärbar sein als mit späterer unwahrer Steigerung des Vorbringens), dass sie es erlaubten, die vorgelegten Beweismittel gänzlich außer Betracht zu lassen.

 

Der Verwaltungsgerichtshof verlangt in seiner jüngsten Rechtsprechung eine ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens eines Asylwerbers unter dem Gesichtspunkt der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers und der objektiven Wahrscheinlichkeit seines Vorbringens, wobei letzteres eine Auseinandersetzung mit (aktuellen) Länderberichten verlangt (VwGH vom 26.11.2003, Zl.: 2003/20/0389). Aufgrund des augenscheinlich mangelnden Ermittlungsverfahrens der Erstbehörde - fehlende aktuelle Auseinandersetzung mit der Lage in Gambia, qualifiziert mangelhafte Beweiswürdigung zur persönlichen Unglaubwürdigkeit - hat die Erstbehörde jedenfalls eine solche ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens nicht vorgenommen, da das Bundesasylamt dieses offensichtlich nicht anhand der konkret entscheidungsrelevanten aktuellen Situation gewürdigt hat.

 

Aus Sicht der Berufungsbehörde verstößt das Prozedere der Erstbehörde somit gegen die von § 18 AsylG 2005 determinierten Ermittlungspflichten. Der für den Umfang der Ermittlungspflicht maßgebliche § 18 AsylG bestimmt nämlich, dass die Asylbehörden in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen durch Fragestellung oder in anderer geeigneter Weise darauf hinzuwirken haben, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amts wegen beizuschaffen. Diese Rechtsnorm, die eine Konkretisierung der aus § 37 AVG i.V.m. § 39 Abs. 2 leg. cit. hervorgehenden Verpflichtung der Verwaltungsbehörde, den maßgeblichen Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln und festzustellen ist, hat die Erstbehörde in diesem Verfahren missachtet.

 

Es hätte jedenfalls im Sinne des § 45 Abs 3 AVG auch einer Konfrontation der Partei mit dem (wie oben aufgezeigt) amtswegig zu ermittelnden Sachverhalt und den diesbezüglichen Beweismitteln bedurft. Den Parteien ist das Ergebnis der behördlichen Beweisaufnahme in förmlicher Weise zur Kenntnis zu bringen und ausdrücklich unter Setzung einer angemessenen Frist Gelegenheit zu geben, zu diesen Ergebnissen Stellung zu nehmen (VwGH 05.09.1995, Zl. 95/08/0002), was nicht geschehen ist. Gegenstand des Parteiengehörs sind sämtliche Ergebnisse der Beweisaufnahme. Auch soweit die Behörde bestimmte Tatsachen als offenkundig behandelt, ist dies der Partei bekannt zu geben (VwGH 17.10.1995, Zl. 94/08/0269). Gemäß der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 27.02.2003, Zl. 2000/18/0040) ist die Verletzung des Parteiengehörs zwar saniert, wenn im Bescheid die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens dargelegt werden und die Partei die Möglichkeit hat, in ihrer Berufung dagegen Stellung zu nehmen - Voraussetzung einer solchen Sanierung ist aber, dass in der erstinstanzlichen Bescheidbegründung tatsächlich alle Beweisergebnisse dargelegt werden, da ansonsten die Berufungsbehörde das Parteiengehör einräumen müsste (VwGH 25.03.2004, Zl. 2003/07/0062). Durch die oben dargestellte mangelhafte Bescheidbegründung ist dieses Erfordernis aber mit Sicherheit nicht erfüllt.

 

4. Im gegenständlichen Fall ist der angefochtene Bescheid des Bundesasylamtes und das diesem zugrunde liegende Verfahren im Ergebnis so mangelhaft, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Weder erweist sich der Sachverhalt in Verbindung mit der Beschwerde als geklärt, noch ergibt sich aus den bisherigen Ermittlungen sonst zweifelfrei, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspräche (§ 41 Abs 7 AsylG 2005). Im Gegenteil ist das Verfahren der Erstbehörde mit den unter Punkt 3 oben dargestellten schweren Mängeln behaftet. Sämtliche Erhebungen, welche grundsätzlich von der Erstbehörde durchzuführen sind, wären demnach durch den Asylgerichtshof zu tätigen, sohin verbietet sich unter Berücksichtigung der oben dargestellten Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes und unter Effizienzgesichtspunkten eine Heranziehung des § 66 Abs 3 AVG.

 

5. Die Rechtssache war daher spruchgemäß an die Behörde erster Instanz zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Schlagworte
Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung
Zuletzt aktualisiert am
14.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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