TE AsylGH Erkenntnis 2008/09/01 S6 401160-1/2008

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 01.09.2008
beobachten
merken
Spruch

S6 401.160-1/2008/2E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. Singer als Einzelrichter über die Beschwerde der mj. A.A., 00.00.1997 geb., StA. Russische Föderation, gesetzlich vertreten durch T.Z., vertreten durch Katharina Ammann, Diakonie Flüchtlingsdienst, Steinergasse 3, 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 31.07.2008, Zahl 08 02.531-BAT zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde wird gemäß § 41 Absatz 3 AsylG in der Fassung BGBl. I Nr. 100/2005 stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

1. Der Verfahrensgang vor der erstinstanzlichen Behörde ergibt sich aus dem erstinstanzlichen Verwaltungsakt.

 

2. Die Beschwerdeführerin A.A., eine Staatsangehörige der Russischen Föderation, reiste gemeinsam mit ihrer Mutter T.Z. und zwei Geschwister A.K. sowie A.S. über Polen kommend illegal per LKW in das österreichische Bundesgebiet ein. Am selben Tag stellten T.Z., die Beschwerdeführerin und ihre Geschwister, vertreten durch ihre Mutter T.Z. einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

3. Im Rahmen ihrer niederschriftlichen Einvernahmen gab die Mutter der Beschwerdeführerin T.Z. an, sie wolle nicht nach Polen zurück, da ihr Ehegatte und Vater ihrer Kinder in Polen Asylwerber sei und hätte er seine Familie ständig geschlagen und bedroht. Die Mutter der Beschwerdeführerin, die Beschwerdeführerin selbst und deren zwei Geschwister hätten furchtbare Angst vor ihrem Gatten beziehungsweise Vater. Auch hätte der Vater der Beschwerdeführerin den Schulbesuch der Beschwerdeführerin und ihrer Geschwister in Polen nicht gestattet. Er habe damit gedroht die Mutter T.Z. der Beschwerdeführerin und die gemeinsamen Kinder, also auch die Beschwerdeführerin umzubringen, falls sie ihn verlassen würden.

 

Das Asylverfahren der Beschwerdeführerin , ihrer Mutter und Geschwister wurde seitens des Bundesasylamts per 2.7.2008 zugelassen.

 

Am 28.07.2008 wurde die Mutter der Beschwerdeführerin T.Z. seitens der Erstbehörde im Rahmen ihrer niederschriftlichen Einvernahme darüber informiert, dass ihr Ehegatte in Salzburg aufgegriffen wurde und würde der Verdacht bestehen, dass die gesamte Familie gemeinsam ausgereist sei und hätte die Mutter der Beschwerdeführerin die Flucht vor ihrem Ehegatten lediglich erfunden.

 

4. Die erkennungsdienstlichen Behandlungen ergaben, dass die Mutter der Beschwerdeführerin T.Z. bereits in Polen am 20.06.2004, am 19.04.2006, am 11.09.2006, am 04.10.2006 sowie am 28.02.2007 jeweils einen Asylantrag stellte.

 

5. Das Führen von Konsultationsverfahren mit Polen wurde der Beschwerdeführerin, beziehungsweise deren gesetzlicher Vertreterin, am 19.03.2008 mitgeteilt.

 

Polen hat am 28.03.2008 seine Zustimmung zur Wiederaufnahme der Beschwerdeführerin und ihrer Mutter sowie der beiden Geschwister gemäß Art. 16 Abs 1 lit c VO 232/2003 erklärt.

 

6. Laut gutachterlicher Stellungnahme von Dr. med. I.H., vom 16.04.2008, stehen der Überstellung der Mutter der Beschwerdeführerin T.Z. schwere psychische Störungen entgegen, die bei einer Überstellung eine unzumutbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes aus ärztlicher Sicht bewirken würden. Eine Besserung des psychischen Zustandes der Mutter der Beschwerdeführerin wird unter sicheren rechtlichen und sozialen Bedingungen stattfinden und dürften die psychischen Störungen unmittelbar im Zusammenhang mit der Gewalt durch den Ehegatten stehen.

 

Dem Gutachten vom 21.06.2008 von Dr. P.D. zufolge, stehen der Überstellung der Mutter der Beschwerdeführerin T.Z. keine schweren psychischen Störungen entgegen, die bei einer Überstellung eine unzumutbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes aus ärztlicher Sicht bewirken würden. Es liegt eine Besserungsfähigkeit vor, die nach entsprechender Therapie eine Überstellung möglich macht.

 

Das Gutachten vom 21.06.2008 von Dr. P.D., die mj.

Beschwerdeführerin A.A. betreffend besagt, dass der Überstellung nach Polen schwere psychische Störungen entgegenstehen, die bei einer Überstellung eine unzumutbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes aus ärztlicher Sicht bewirken würden. So kam der Gutachter zum Ergebnis, dass unter Zugrundelegung der Realität der angegebenen Vorgeschichte bei Gefahr einer neuerlichen Aussetzung gegenüber den Gewaltreaktionen des Vaters eine unmittelbare Zustandsverschlechterung zu erwarten wäre - daher sind hier Maßnahmen zur größtmöglichen realen Sicherung zu empfehlen, die medizinische Maßnahme einer Therapie ist als zusätzliche Unterstützung der Beschwerdeführerin zu sehen.

 

7. Die Anträge der Mutter der Beschwerdeführerin T.Z., der beiden Geschwister und der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz wurden seitens der Erstinstanz mit den Bescheiden vom 31.07.2008, Zahl 08 02.530-BAT betreffend der Mutter der Beschwerdeführerin T.Z., Zahl 08 02.531-BAT, betreffend der Beschwerdeführerin A.A., Zahl 08 02.532-BAT, betreffend A.K., sowie 08 02.533-BAT, betreffend A.S., gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ohne in die Sache einzutreten als unzulässig zurückgewiesen und wurde Polen gemäß Art. 10 Abs. 1 iVm Art. 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates (Dublin II) für zuständig erklärt. Gleichzeitig wurden die Beschwerdeführerin samt ihrer Familie gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen und ihre Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in letztgenannten Mitgliedstaat gemäß § 10 Abs. 4 AsylG für zulässig erklärt.

 

Die Erstbehörde traf in dem angefochtenen Bescheid Feststellungen zum polnischen Asylverfahren, zur Praxis des Non-Refoulement-Schutzes, zur Versorgung von Asylwerbern in Polen sowie zur Situation von Frauen, die von häuslicher Gewalt bedroht sind. Diese Feststellungen ergaben, dass für Asylwerberinnen, die Opfer häuslicher Gewalt sind, die Möglichkeit besteht, Hilfe in entsprechenden Schutzeinrichtungen in Anspruch zu nehmen. Darüber hinaus sind psychologische Betreuung und Familienberatung gewährleistet.

 

Beweiswürdigend wurde hervorgehoben, dass laut Länderfeststellungen die Sicherheit und der Schutz vor Gewalttätigkeiten des Vaters der Beschwerdeführerin bzw. Ehegatten der Mutter der Beschwerdeführerin T.Z. in Polen aufgrund von eingerichteten Hilfszentren und exekutiver Strafrechtspflege gegeben sei. Auch wenn die Überstellung für die Beschwerdeführerin eine psychische Anspannung bedeuten würde, so können sie dennoch davon ausgehen, dass sie den gleichen Schutz in Polen bekommen würden, den Sie in Österreich erhielten. Des Weiteren sei das Sicherheitsgefühl der Mutter der Beschwerdeführerin T.Z. in Österreich rein subjektiv, da kein Staat verhindern könne, dass der Ehegatte mit der Mutter der Beschwerdeführerin der Beschwerdeführerin und den gemeinsamen Kindern, also auch der Beschwerdeführerin selbst Kontakt aufnimmt oder sie mit seiner Anwesenheit vor Krisenzentren oder Hilfseinrichtungen konfrontiert.

 

8. Gegen den angefochtenen Bescheid zur Zahl 08 02.531-BAT betreffend der Beschwerdeführerin A.A. wurde mit 18.08.2008 fristgerecht Beschwerde eingebracht.

 

9. In der Beschwerde wird zunächst erneut der Sachverhalt und der bisherige Verfahrensgang wiedergegeben. In weiterer Folge wird bemängelt, dass das Verfahren der Beschwerdeführerin durch das Bundesasylamt durch Ausfolgung einer Aufenthaltsberechtigungskarte bereits zugelassen wurde und wird in der Beschwerde aufgezeigt, dass nach der Intention des Gesetzgebers eine Zurückweisung nach bereits erfolgter Zulassung nur dann möglich sein soll, wenn Zurückweisungstatbestände erst nach Ende des Zulassungsverfahrens zu Tage treten.

 

Im konkreten Fall der Beschwerdeführerin A.A. liege - laut Beschwerde - weder eine neuerliche Unzulässigkeitsentscheidung nach ergänzenden Ermittlungen nach einer Behebung nach § 41 Abs. 3 letzter Satz AsylG vor, noch seien Zurückweisungstatbestände erst nach dem Zulassungsverfahren zu Tage getreten. Des Weiteren wird dem Bundesasylamt als Erstinstanz vorgeworfen, es habe aufgrund der psychiatrischen Gutachten das Verfahren zugelassen und würde dieser Vorgang implizieren, dass die Erstinstanz aufgrund der psychischen Verfassung der Mutter der Beschwerdeführerin T.Z. und der Beschwerdeführerin A.A. selbst, vom Selbsteintrittsrecht habe Gebrauch machen wollen. Auch seien die Länderfeststellungen zu Polen, welche die Mutter der Beschwerdeführerin im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme am 28.07.2008 vorgehalten worden seien, bereits zum Zeitpunkt der Zulassung am 02.07.2008 bekannt gewesen. Die Überlegungen, weshalb die Erstinstanz zu der Schlussfolgerung gekommen ist, dass die Flucht vor dem Ehegatten erfunden sei, seien keineswegs schlüssiger, plausibler oder nachvollziehbarer als das Vorbringen der Beschwerdeführerin bzw. der Mutter der Beschwerdeführerin. Dass insbesondere die Mutter der Beschwerdeführerin T.Z. und die Beschwerdeführerin selbst Opfer von familiärer Gewalt in Polen wurden, bezeuge das Schreiben von "Ocalenie" und würde die Erstinstanz in ihrem Bescheid die Ocalenie Foundation und deren Existenz sogar selbst erwähnen. Die Behauptungen und das Vorbringen der Mutter der Beschwerdeführerin T.Z. wäre durch die Behauptungen und das Vorbringen ihrer Tochter A.A. als Beschwerdeführerin gegenüber dem beigezogenen Psychiater Dr. D. erhärtet worden. Im speziellen Fall von der Mutter der Beschwerdeführerin T.Z. (Asylwerberin, kleine Kinder, keine Familienunterstützung und begrenzte Sprachkenntnisse) würden die Chancen, vor familiärer Gewalt Schutz zu finden als sehr gering eingeschätzt werden. In einem "Frauenhaus" in Polen Unterkunft zu finden, sei eine rein theoretische Möglichkeit, da es nicht genug Plätze gäbe.

 

Darüber hinaus sei die Auseinandersetzung des Bundesasylamtes in dem angefochtenen Bescheiden mit den gutachterlichen Stellungnahmen von Dr. D. und Dr. H. weder schlüssig noch nachvollziehbar. Bei Rücküberstellung der Beschwerdeführer nach Polen bestünde nämlich sehr wohl das ernsthafte Risiko, dass die Mutter der Beschwerdeführerin und die Beschwerdeführerin sowie ihre Geschwister aus Angst vor dem Ehegatten und mangels einer Unterbringungsmöglichkeit in einer sicheren Unterkunft wie beispielsweise dem Frauenhaus resignieren würden und damit die genannten Personen - insbesondere auch die minderjährige Beschwerdeführerin - weiterhin familiärer Gewalt und der Verweigerung grundlegender Rechte ausgesetzt wären. Zudem würde im Falle einer Überstellung der Beschwerdeführerin nach Polen das ernsthafte Risiko einer Verletzung ihrer Grundrechte (insbesondere Art. 3 und Art. 8 EMRK) bestehen und hätte die Erstinstanz jedenfalls vom Selbsteintrittsrecht Gebrauch machen müssen.

 

II. Der Asylgerichtshof hat durch den zuständigen Richter über die gegenständliche Beschwerde wie folgt erwogen:

 

1. Der Verfahrensgang und der Sachverhalt ergeben sich aus dem vorliegenden Verwaltungsakt.

 

2. Rechtlich ergibt sich Folgendes:

 

2.1. Gemäß §§ 73 Abs. 1 und 75 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl, BGBl. I Nr. 100/2005 (in der Folge AsylG) iVm § 1 AsylG ist das oben angeführte Gesetz auf Anträge auf internationalen Schutz anzuwenden, die ab dem 01.01.2006 gestellt wurden. Daraus folgt, dass für das gegenständliche Verfahren das AsylG 2005 anzuwenden war.

 

Am 01. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren sind vom Asylgerichtshof nach Maßgabe des § 75 AsylG 2005 idF. BGBl. I Nr. 4/2008 weiterzuführen.

 

Gemäß § 23 AsylGHG sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

2.2. § 41 Abs. 3 AsylG besagt, dass in einem Verfahren über eine Beschwerde gegen eine zurückweisende Entscheidung und die damit verbundene Ausweisung § 66 Abs. 2 AVG nicht anzuwenden ist. Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesasylamtes im Zulassungsverfahren statt zu geben, ist das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch statt zu geben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.

 

3.1. Der Gesetzgeber hat einerseits für das Verfahren über Beschwerden gegen zurückweisende Bescheide in Asylangelegenheiten sehr kurze Fristen vorgesehen (siehe §§ 41 Abs. 2 und 37 Abs. 3 AsylG), andererseits aber den Asylgerichtshof dazu verpflichtet, bei einem erkennbar "mangelhaften Sachverhalt" der Beschwerde stattzugeben, ohne § 66 Abs. 2 AVG anzuwenden (vgl. § 41 Abs. 3 AsylG). Das Ermessen, das § 66 Abs. 3 AVG dem Asylgerichtshof einräumt, allenfalls selbst zu verhandeln und in der Sache zu entscheiden, besteht somit in einem solchen Verfahren, mit erkennbar "mangelhaften Sachverhalt" nicht.

 

Aus den Materialien (Erläuterungen zur RV, 952 BlgNR 22. GP, 66) geht hervor, dass "im Falle von solchen erkennbaren Erhebungsmängeln die Entscheidung zu beheben, das Verfahren zuzulassen und an das Bundesasylamt als Erstinstanz zur Durchführung eines materiellen Verfahrens gerade zu zwingend zurückzuweisen ist. Diese Zulassung steht aber zudem einer späteren Zurückweisung gar nicht entgegen. Daraus und aus den erwähnten kurzen Entscheidungsfristen ergibt sich, dass der Gesetzgeber den Asylgerichtshof im Verfahren über Beschwerden gegen zurückweisende Bescheide von einer Ermittlungstätigkeit anstelle der Erstinstanz möglichst entlasten wollte. Die Formulierung des § 41 Abs. 3 AsylG ("wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint"), schließt somit nicht aus, dass eine Stattgabe ganz allgemein in Frage kommt, wenn dem Asylgerichtshof - auf Grund erforderlicher zusätzlicher Erhebungen - eine unverzügliche Erledigung der Beschwerde unmöglich ist.

 

3.2. § 28 Abs 1 letzter Satz AsylG sieht keine schrankenlose Ermächtigung vor, eine Zurückweisungsentscheidung außerhalb des Zulassungsverfahrens zu treffen; dies würde unvorhersehbares behördliches Handeln ermöglichen und zu einer Verletzung des Rechtsstaatsprinzips führen. Die Norm soll nach den erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage zu § 28 AsylG 2005 ausnahmsweise Fälle umfassen, in denen der Zurückweisungstatbestand erst nach dem Zulassungsverfahren zu Tage getreten ist (so auch UBAS 04.10.2006, 303.347-B1/E1- XVIII/59/06). Ein weiterer Anwendungsbereich sind Fälle, in denen - nach einer Behebung eines im Zulassungsverfahrens ergangenen Bescheides gemäß § 5 AsylG 2005 durch der Asylgerichtshof im Grunde des § 41 Abs 3 AsylG wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens (leg.cit. letzter Satz) und der damit in einem erfolgten Zulassung im Sinne des § 41 Abs 3 2. Satz AsylG - die Erstinstanz nach Ergänzung des Verfahrens eine neue Unzulässigkeitsentscheidung treffen will (eine andere Auslegung, die nach einer Behebung nach § 41 Abs 3 letzter Satz AsylG eine neuerliche Unzulässigkeitsentscheidung überhaupt für unzulässig erklärte, würde dem Gesetzeszweck ja wohl unverkennbar zuwiderlaufen, siehe näher Frank/Anerinhof/Filzwieser, AsylG 2005, K3. und K4. zu § 41 Abs 3 AsylG).

 

3.3. Beide Konstellationen liegen im gegenständlichen Fall aber nicht vor. Einerseits sind eben keine neuen Zurückweisungstatbestände aus den Einvernahmen der Mutter der Beschwerdeführerin T.Z. zu Tage getreten, gleich wenig sind neue Zurückweisungstatbestände aus dem angefochtenen Bescheid schlüssig nachvollziehbar.

 

Denn bereits entsprechend der gutachterlichen Stellungnahme von Dr. med. I.H., vom 16.04.2008, stehen nämlich der Überstellung der Mutter der Beschwerdeführerin T.Z. schwere psychische Störungen entgegen, die bei einer Überstellung eine unzumutbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes aus ärztlicher Sicht bewirken würden. Eine Besserung des psychischen Zustandes der Mutter der Beschwerdeführerin kann laut Dr. med. I.H. nur unter sicheren rechtlichen und sozialen Bedingungen stattfinden und dürfen laut Dr. med. I.H. die psychischen Störungen sehr wohl unmittelbar im Zusammenhang mit der Gewalt durch den Ehegatten stehen.

 

Demgegenüber ergab das Gutachten vom 21.06.2008 von Dr. P.D., dass der Überstellung der Mutter der Beschwerdeführerin T.Z. keine schweren psychischen Störungen entgegenstehe, die bei einer Überstellung eine unzumutbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes aus ärztlicher Sicht bewirken würden. Es läge eine Besserungsfähigkeit vor, die nach entsprechender Therapie eine Überstellung möglich mache.

 

Das Gutachten vom 21.06.2008 von Dr. P.D., die mj.

Beschwerdeführerin A.A. betreffend besagt, dass der Überstellung nach Polen bei der Beschwerdeführerin sehr wohl schwere psychische Störungen entgegenstehen, die bei einer Überstellung eine unzumutbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes aus ärztlicher Sicht bewirken würden. So kam der Gutachter Dr. P.D. bei der Beschwerdeführerin zum Ergebnis, dass "Angst, Erwartungsangst bis Panikreaktionen, Schlafstörung mit Albträumen - Gefahr weiterer Traumatisierung" einer Überstellung entgegenstehen würden. Daher sind nach Gutachten von Dr. P.D. sehr wohl "Maßnahmen zur größtmöglichen realen Sicherung der Beschwerdeführerin zu empfehlen, die medizinische Maßnahme einer Therapie ist dabei als zusätzliche Unterstützung der Beschwerdeführerin zu sehen."

 

Erst am 28.07.2008 wurde die Mutter der Beschwerdeführerin T.Z. erstmals seitens der Erstbehörde im Rahmen ihrer niederschriftlichen Einvernahme darüber informiert bzw. wurde ihr vorgehalten, dass ihr Ehegatte in Salzburg - aber bereits im März 2008 und im April 2008 aus der Schubhaft entlassen - aufgegriffen wurde und würde laut Erstinstanz der Verdacht bestehen, dass die gesamte Familie gemeinsam ausgereist sei und hätte die Mutter der Beschwerdeführerin die Flucht vor ihrem Ehegatten lediglich erfunden. Jedoch hat es die Erstbehörde verabsäumt zeitnah zur Erlassung des Bescheides zu ermitteln, ob der Ehegatte noch im Bundesgebiet der Republik Österreich aufhältig war oder ob er das Bundesgebiet allenfalls schon wieder verlassen hatte.

 

Vor allem hat die Erstinstanz trotz dargelegter Anhaltspunkte, nicht ausreichend ermittelt. So wurde die Frage des psychischen Zustandes vor Bescheiderlassung durch die Erstbehörde nicht in zufrieden stellendem Umfang geklärt und hat das Bundesasylamt zum Entscheidungszeitpunkt auch hinsichtlich des entscheidungswesentlichen Umstandes, ob eine Überstellung der Beschwerdeführerin aus psychiatrischer Sicht möglich ist, nicht die notwendigen Ermittlungen durchgeführt bzw. die aufgezeigten Gutachten samt Gutachtensergebnis diametral gewertet. Denn Dr. P.D. kommt nämlich zusammengefasst bei der Beschwerdeführerin A.A. zum Ergebnis, dass unter Zugrundelegung der Realität der angegebenen Vorgeschichte bei Gefahr einer neuerlichen Aussetzung gegenüber den Gewaltreaktionen des Vaters eine unmittelbare Zustandsverschlechterung zu erwarten wäre. Insofern sind die von der erstinstanzlichen Behörde getroffenen Feststellungen aufgrund der vorliegenden Aktenlage nicht nachvollziehbar, ja teilweise sogar aktenwidrig.

 

Vor allem setzt sich die Beweiswürdigung der Erstinstanz nicht ausreichend damit auseinander, welche Begründung eben dafür vorliegt, dass der Mutter der Beschwerdeführerin T.Z. kein Glauben zu schenken wäre und sie sogar gemeinsam mit dem Ehegatten bzw. Vater der Beschwerdeführerin in das Bundesgebiet der Republik Österreich eingereist sein soll. Außerdem ist auch das Gutachten von Dr. P.D. hinsichtlich der Mutter der Beschwerdeführerin T.Z. der Beschwerdeführerin nicht eindeutig, um die Begründung des erstinstanzlichen Bescheides tragen zu können. Es wird daher von der Erstinstanz auch zu prüfen sein, inwieweit auch noch die Beiziehung eines weiteren Gutachters hinsichtlich der Mutter der Beschwerdeführerin T.Z. der Beschwerdeführerin nötig wäre.

 

4. Entscheidungsreife liegt erst vor, wenn die Überstellungsfähigkeit unter Berücksichtigung der psychischen und allfälliger ernster physischer Leidenszustände der Beschwerdeführerin bejaht und somit die maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer Verletzung des Art. 3 EMRK verneint werden kann.

 

5. Aus obgenannten beiden Gründen war sohin spruchgemäß zu entscheiden. Eine öffentliche mündliche Verhandlung konnte gemäß § 41 Abs 4 AsylG entfallen.

Schlagworte
Familienverfahren, gesundheitliche Beeinträchtigung, Gutachten, häusliche Gewalt, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung, medizinische Versorgung, Rechtsschutzstandard, soziale Verhältnisse, Überstellungsrisiko (ab 08.04.2008)
Zuletzt aktualisiert am
13.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten