TE AsylGH Erkenntnis 2008/09/02 E2 264547-0/2008

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Veröffentlicht am 02.09.2008
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Spruch

GZ. E2 264547-0/2008-5E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. HUBER-HUBER als Vorsitzenden und die Richterin Dr. FAHRNER als Beisitzerin im Beisein der Schriftführerin Frau BIRNGRUBER über die Beschwerde des S.F., geb. 00.00.1983, StA. Jemen, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 29.08.2005, FZ. 04 12.139-BAW, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gem. § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt verwiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Sachverhalt und bisheriger Verfahrensgang:

 

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden kurz "BF" genannt"), nach eigenen Angaben staatenlos, ursprünglich Staatsangehöriger des Jemen, stellte am 13.06.2004 nach illegaler Einreise ins österreichische Bundesgebiet beim Bundesasylamt einen Asylantrag.

 

1.2. Am 13.06.2004 wurde mit dem BF eine polizeiliche Niederschrift am GP Rechnitz aufgenommen. Dabei gab er zu Protokoll, dass er den Jemen aus wirtschaftlichen Gründen verlassen habe. Die Schlepperroute habe zunächst per Schiff nach Italien geführt. Dort sei der BF an einen anderen Schlepper übergeben worden, der ihn und vier weitere Personen mit einem PKW nach Budapest gebracht habe. Dort angelangt, behauptete der Schlepper, das vereinbarte Ziel England erreicht zu haben. Der BF wusste allerdings, dass Budapest nicht in England liegt. Nachdem der Schlepper die Gruppe verlassen hatte, habe der BF daher seinen in Wien lebenden Bruder I.F. angerufen und mit diesem vereinbart, dass er ihn aus Budapest abholen solle. Am 11.06.2004 um ca. 17.00 Uhr sei sein Bruder in Budapest eingetroffen und habe dort übernachtet. Am Morgen des 12.06.2004 seien sie dann mit der Bahn nach Köszeg gefahren und hätten gegen 23.00 Uhr illegal die österreichische Staatsgrenze überschritten. Am nächsten Morgen wurden der BF und sein Bruder von Soldaten des Bundesheeres aufgegriffen und der Gendarmerie übergeben.

 

1.3. Am 18.06.2004 und 23.06.2004 erfolgten zwei asylbehördliche Einvernahmen des Beschwerdeführers durch das Bundesasylamt-EAST Ost. Im Rahmen der ersten Einvernahme gab der BF zum Fluchtweg an, dass er mit einem Fischerboot nach einer ca. 5-tägigen Reise in Jugoslawien angekommen sei. Nach einem Aufenthalt von ca. 10 Tagen sei die Reise mit einem LKW fortgesetzt worden. Mit diesem sei er nach Ungarn gelangt, wo er für zwei Tage verblieb. Anschließend habe er illegal die österreichische Staatsgrenze überschritten. Der BF verneinte die Frage, ob er von seinem in Österreich aufhältigen Bruder aus Budapest abgeholt worden sei. Auf Vorhalt des Berichts des GP vom 13.06.2004, in dem der BF selbst eine entsprechende Aussage gemacht hatte, gab er als Antwort: "Das stimmt nicht." Bei der zweiten Einvernahme korrigierte der BF seinen Ausreisezeitpunkt aus dem Jemen. Im Zuge der ersten Einvernahme nannte er den 25.04.2004. Nach Vorhalt er müsste nach dem geschilderten Reiseweg und der Reisedauer seinen Heimatstaat am 25.05.2004 verlassen haben, stimmte der BF dieser Korrektur zu.

 

1.4. Das Asylverfahren des BF wurde am 02.08.2004 gem. § 30 Abs. 1 AsylG eingestellt, weil die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts im Zulassungsverfahren noch nicht erfolgen konnte und sich der Asylwerber aus der Erstaufnahmestelle entfernt hatte. Am 11.08.2004 wurde das Verfahren wieder weitergeführt.

 

1.5. Am 18.02.2005 erfolgte eine weitere asylbehördliche Einvernahme des Beschwerdeführers durch das Bundesasylamt-Außenstelle Wien. Zunächst versuchte der BF im Rahmen der Einvernahme Unklarheiten über seine Staatsangehörigkeit aufzuklären. Laut Aussage des BF habe der Einvernehmende in Traiskirchen gesagt, der BF käme aus Indien und werde dahin abgeschoben. Aus dem gegenständlichen Akt ist jedenfalls nur zu entnehmen, dass ab der ersten Einvernahme des Bundesasylamtes-EAST Ost bei den persönlichen Daten des BF immer die jemenitische Staatsangehörigkeit angeführt wurde. Der BF versuchte jedenfalls seine Abstammung zu erläutern. Sein Urgroßvater stamme aus Indien. 1898 sei dieser als Offizier der britischen Armee in den Jemen gelangt. Sein Großvater, sein Vater und er selbst seien im Jemen geboren worden.

 

Der BF hätte bis 1994 die jemenitische Staatsbürgerschaft besessen. Nach der Besetzung des Südjemen durch den Nordjemen sei aber der Familie des BF die Staatbürgerschaft aberkannt worden. Als Begründung sei von den nordjemenitischen Behörden angeführt worden, dass die Familie aus Indien stamme, fremd sei und keine Rechte hätte. Außerdem sei die Aberkennung damit erklärt worden, dass seine Familie aus Kommunisten bestehe. Der BF habe sechs Brüder und zwei Schwestern. Von den Brüdern würden zwei im Ausland (in Großbritannien und in Österreich) leben. Diese hätten das Land bereits viel früher oder kurz nach den Geschehnissen von 1994 verlassen.

 

Der BF sei nie politisch tätig oder in Haft gewesen. Er gab an von den Behörden öfters zum Aufenthalt seines Bruders befragt worden zu sein, zuletzt 1993. Der BF erklärte, dass er fürchte, bei einer Rückkehr die gleichen Schwierigkeiten zu bekommen, die sein Bruder bekam, als er zurückkehrte. Auf Nachfrage, wann denn sein Bruder zurückgekommen sei, korrigierte sich der BF mit den Worten: "..., dass ich dieselben Schwierigkeiten bekommen könnte, wie mein Bruder, die er bekam, als er den Jemen 2001 verließ." Dieser sei nach den Vorfällen 1994 festgenommen, geschlagen und am linken Bein verletzt worden. Der Bruder des BF habe als Offizier des Südjemen gegen den Nordjemen gekämpft. Auf die Frage, wieso der BF wegen des Bruders Schwierigkeiten mit dem Militär bekommen sollte, er selbst habe mit dem Militär ja nichts zu tun, antwortete der BF: "Meine Schwester war Offizier bei der Polizei. Mein Bruder M. war Offizier beim Militär." Als Fluchtgründe nannte der BF ethnische und rassische Unterdrückung, auch in Zusammenhang mit den Schwierigkeiten seines in Österreich lebenden Bruders. Die Bevölkerung aus dem Nordjemen und die jemenitischen Behörden hätten ihn beschimpft. Als unmittelbaren Anlass für die Flucht, gab der BF an, ständig von der Polizei wegen seines Aussehens kontrolliert worden zu sein. Weiters habe die Polizei Geld verlangt, weil der BF Inder sei. Diese ständigen Kontrollen hätten 2001 begonnen. Auf die Frage, warum der BF erst 2004 flüchtete, gab er zu Protokoll: "Weil ich immer wieder über den Aufenthalt des Bruders befragt wurde. Immer wieder wurde das Haus durchsucht. Eigentlich wollte ich nach England, weil mein Urgroßvater aus England stammt."

 

1.6. Das Bundesasylamt (im Folgenden kurz "BAA") wies mit dem Bescheid vom 29.08.2005, FZ. 04 12.139-BAW den Asylantrag des BF gem. § 7 AsylG 1997, BGBl I Nr. 76/1997 idF BGBl I Nr. 126/2002 ab (Spruchpunkt I.); darüber hinaus wurde die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des BF gem. § 8 Abs. 1 AsylG 1997, BGBl I Nr. 76/1997 (AsylG) idgF, für zulässig erklärt (Spruchpunkt II.) und der BF gem § 8 Absatz 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen (Spruchpunkt III.).

 

Das BAA begründete seine Entscheidung zusammengefasst damit, dass es die Angaben des BF im Rahmen der Beweiswürdigung grundsätzlich als nicht glaubwürdig erachtet habe. Daher könnten die vom BF behaupteten Fluchtgründe auch nicht als Feststellung der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt werden und es sei deren Eignung zur Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung nicht näher zu beurteilen. Der maßgebende, vom BF behauptete und den Fluchtgrund betreffende Sachverhalt, habe nicht den Tatsachen entsprochen. Es habe nicht als glaubwürdig gewertet werden können, dass dem BF die jemenitische Staatsangehörigkeit aberkannt und er öfters zum Aufenthaltsort seines Bruders befragt worden sei. Diese Behauptung sei vom BF nur allgemein in den Raum gestellt worden, ohne sie durch konkrete Anhaltspunkte glaubhaft machen zu können. Diese Ansicht der Behörde wurde durch mehrere Ungereimtheiten in den Aussagen des Beschwerdeführers bestätigt.

 

Die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des BF begründete das BAA mit Verweis auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs, wonach das Vorliegen einer konkreten, den BF betreffenden, aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten Gefährdung bzw. Bedrohung erforderlich sei. Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, seien daher ohne Hinzutreten besonderer Umstände, welche ihnen noch einen aktuellen Stellenwert geben, nicht geeignet, die begehrte Feststellung zu tragen. Weiters wurde auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs verwiesen, wonach bei der Refoulement-Prüfung, wie der VwGH formuliert, "die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des BF in diesen Staat zu beurteilen ist." Bei der Prüfung von außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegender Gegebenheiten könne nur dann in der Außerlandesschaffung des BF eine Verletzung des Artikels 3 EMRK liegen, wenn außergewöhnliche, exzeptionelle Umstände glaubhaft gemacht worden sind. Das Bestehen einer solchen Gefährdungssituation sei geprüft und verneint worden und aus der allgemeinen Lage im Herkunftsland des Antragstellers ergebe sich eine solche Gefährdung nicht. Das BAA verwies in diesem Zusammenhang auf seine im Bescheid enthaltenen Feststellungen der aktuellen allgemeinen Situation im Jemen.

 

Die Ausweisungsentscheidung wurde auf folgende Weise begründet: Es liege ein Familienbezug zu einem in Österreich lebenden Asylberechtigten vor, die familiäre Beziehung zwischen den beiden volljährigen Brüdern falle aber nicht unter den Begriff der sog. Kernfamilie. Nach Abwägung der Belange des Familienlebens des BF mit den in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen (hier Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung), erachtete das Bundesasylamt einen Eingriff in das Grundrecht auf Privat- und Familienleben als verhältnismäßig. Die Ausweisung scheine zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele notwendig zu sein. Es könne nur mit der Maßnahme der Ausweisung vorgegangen werden, da das Verhalten des BF nicht auf Ausreisewilligkeit hindeute und die Ausweisung das gelindeste Mittel darstelle, um den rechtswidrigen Aufenthalt des BF im Bundesgebiet zu beenden.

 

1.7. Gegen diesen Bescheid des BAA, zugestellt am 16.09.2005, richtet sich die fristgerecht eingebrachte Beschwerde vom 29.09.2005.

 

Als Gründe für die Beschwerde werden die inhaltliche Rechtswidrigkeit und die Mangelhaftigkeit des Verfahrens geltend gemacht. Die Beschwerdeschrift rügt hinsichtlich der Rechtswidrigkeit des Inhalts in Bezug auf Spruchpunkt I., dass das BAA offensichtlich davon ausgehe, dass Voraussetzung für die Asylgewährung eine bereits stattgefundene Verfolgung sei. Das AsylG 1997 und die GFK würden aber auch auf die wohlbegründete Furcht, aus den in der GFK genannten Gründen verfolgt zu werden, abstellen. Der BF habe in der Einvernahme ausführlich dargelegt, dass er bereits Verfolgung ausgesetzt war und ihm Verfolgung drohe. Daher sei die Auffassung der belangten Behörde unhaltbar, dass es sich bei der dem BF drohenden Verfolgung um keine Verfolgungshandlung iSd Konvention handle. Die Grundbegriffe des Art. 1 GFK würden im angefochtenen Bescheid ad absurdum geführt. Der BF habe seine wohlbegründete Furcht vor politischer Verfolgung, vor Verhaftung und extralegaler Tötung dargelegt. Das BAA formulierte jedoch, dass es in der niederschriftlichen Einvernahme des BF keine Anhaltspunkte gegeben hätte, dass der BF Flüchtling iSd Asylgesetzes sei. Das BAA habe völlig außer Acht gelassen, dass nicht nur eine bereits erlittene Verletzung, sondern auch wohlbegründete Furcht vor Verfolgung pro futuro dem Flüchtlingsbegriff der GFK und des Asylgesetzes immanent sei.

 

Die Mangelhaftigkeit des Verfahrens ergebe sich daraus, dass die Asylbehörde jene Tatsachen anzugeben habe, die sie als erwiesen bzw. glaubhaft ansieht und welche nicht. Dies impliziere die Verpflichtung zur Bescheidbegründung gem. § 45 Abs. 2 iVm § 60 AVG. Aus der Begründung des BAA ergebe sich weder, was die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens sind, noch inwieweit diese unbekannt bleibenden Ermittlungsergebnisse dem Vorbringen des Asylwerbers widersprechen. Das Vorbringen wird als unglaubwürdig bzw. unsubstantiiert eingestuft. Eine derartige Würdigung lasse sich nicht mit der Beweisanforderung der Glaubhaftmachung vereinbaren und stehe damit im Widerspruch zur amtswegigen Ermittlungspflicht. Bei Zweifeln an der Richtigkeit der Angaben des BF, hätte das BAA dem BF gem. § 28 AsylG bzw. 45 AVG Gelegenheit zur Stellungnahme einzuräumen gehabt. Dem BF seien keinerlei angebliche Widersprüche vorgehalten worden. Dadurch sei das Parteiengehör verletzt. Der BF hätte weitere Angaben zur Begründung seines Asylantrages machen können. Soweit sich der Bescheid auf angebliche Widersprüche bezieht, führt der BF aus, dass ihn die anlässlich der Einvernahme gestellten Fragen verwirrt hätten. Sie hätten nichts mit seinem Vorbringen zu tun gehabt und würden vor allem zeigen, dass der Einvernehmende wenige Informationen zur Lage im Jemen, zum Bürgerkrieg und zu den am Krieg beteiligten Parteien gehabt habe.

Die Fluchtgründe des BF seien zusammengefasst: Der BF stamme aus einer indischen Familie. Zu Zeiten der englischen Kolonialherrschaft sei diese in den Jemen gekommen. Der Bruder des BF habe sich im Bürgerkrieg auf Seiten der südjemenitischen Armee als Offizier beteiligt.1994 sei dieser verhaftet worden. Der BF sei staatenlos, weil der gesamten Familie die Staatsbürgerschaft wegen der Beteiligung des Bruders an den Aufständen aberkannt worden sei (bzw. kein neuer Reisepass ausgestellt worden sei). Der Bruder des BF sei in den Jahren nach dem Krieg mehrmals verhaftet worden, zuletzt sei er von Oktober 2000 bis Jänner 2001 in Geheimdiensthaft gewesen. Der Bruder des BF sei im Jahre 2001 geflüchtet und in der Folge in Österreich als Flüchtling anerkannt worden. Nach dessen Ausreise hätten sich die polizeilichen Ermittlungen auf den BF konzentriert, er sei befragt worden, wo sich sein Bruder aufhalte. Daher hätte der BF wegen anhaltender Unterdrückung aus dem Jemen flüchten müssen. Hätte das BAA in den zu relegierenden Punkten Parteiengehör gewährt, hätte der BF seine Angaben wie oben ausgeführt ergänzen können.

 

Auch bezüglich der Refoulement-Prüfung seien dem BAA mehrere Rechtsirrtümer unterlaufen. So würden alle Personen unter den Schutz von Art. 33 Z 1 GFK fallen, die die Voraussetzungen des Art. 1 Unterabschnitt 2 GFK erfüllen. Vom BF sei in der gegenständlichen Beschwerde und in der Niederschrift vor dem BAA dargelegt worden, dass er Flüchtling im Sinn der GFK sei. Außerdem habe die erstinstanzliche Behörde verkannt, dass dem BF bei der Abschiebung in seine Heimat asylrelevante Verfolgung drohe. Der BF würde sofort verhaftet werden und liefe jedenfalls Gefahr, unmenschlicher Strafe oder sogar der Todesstrafe unterworfen zu werden, oder Opfer extralegaler Tötung zu werden. Es bestünden unzweifelhaft stichhaltige Gründe für die Annahme, dass das Leben oder die Freiheit des BF iSd Art. 33 GFK bedroht sei. Daher würden die Abschiebungshindernisse des § 57 FrG vorliegen. Die Abschiebung sei auch gem. Art. 2, 3 und 5 MRK unzulässig, da der BF im Falle einer Rückkehr jedenfalls Gefahr liefe, unmenschlicher Behandlung oder Strafe unterworfen zu werden.

 

Hinsichtlich der Verletzung der Verfahrensvorschriften in Bezug auf die Refoulement-Prüfung verweist der BF auf die obigen Ausführungen. Hätte das BAA dem BF in den oben genannten Punkten Parteiengehör gewährt, hätte der BF seine Angaben wie oben dargelegt ergänzen können. Damit wäre die erstinstanzliche Behörde zu einem anderen, dem Antrag des BF stattgebenden Bescheid gelangt.

 

Abschließend stellt der BF die Anträge, den angefochtenen Bescheid, allenfalls nach Verfahrensergänzung, zu beheben und dem BF gem. § 7 AsylG 1997 Asyl zu gewähren; festzustellen, dass die Abschiebung des BF in seinen Heimatstaat gem. § 57 FrG unzulässig ist und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr gem. § 15 AsylG 1997 zu erteilen. Schließlich wird beantragt die verhängte Ausweisung ersatzlos zu beheben, jedenfalls eine Berufungsverhandlung zur neuerlichen Einvernahme anzuberaumen.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Gemäß § 75 Abs. 7 Z 2 Asylgesetz 2005 idF Art. 2 BG BGBl. I 4/2008 sind Verfahren, die am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängig sind, vom Asylgerichtshof weiterzuführen; Verfahren gegen abweisende Bescheide, in denen eine mündliche Verhandlung noch nicht stattgefunden hat, sind von dem nach der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofs zuständigen Senat weiterzuführen.

 

Bisher fand im vorliegenden Verfahren noch keine mündliche Verhandlung statt, daher liegt eine Senatszuständigkeit vor.

 

Gemäß § 23 Asylgerichtshofgesetz (Asylgerichtshof-Einrichtungsgesetz; Art. 1 BG BGBl. I 4/2008) sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt."

 

2. Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen. Gemäß Abs. 3 leg. cit. kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.

 

Auch der Unabhängige Bundesasylsenat war zur Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG berechtigt. (vgl. dazu: VwGH v. 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315 und Zl. 2000/20/0084). Eine kassatorische Entscheidung darf von der Berufungsbehörde nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes, sondern nur dann getroffen werden, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Die Berufungsbehörde hat dabei zunächst in rechtlicher Gebundenheit zu beurteilen, ob angesichts der Ergänzungsbedürftigkeit des ihr vorliegenden Sachverhaltes die Durchführung einer mündlichen Verhandlung als "unvermeidlich erscheint". Für die Frage der Unvermeidlichkeit einer mündlichen Verhandlung i.S.d. § 66 Abs. 2 AVG ist es aber unerheblich, ob eine kontradiktorische Verhandlung oder nur eine Vernehmung erforderlich ist (vgl. etwa VwGH v. 14.03.2001, Zl. 2000/08/0200; zum Begriff "mündliche Verhandlung" i.S.d. § 66 Abs. 2 AVG siehe VwGH v. 21.11.2002, Zl. 2000/20/0084).

 

Im Erkenntnis vom 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315 führte der VwGH zur Frage der Gesetzmäßigkeit der Ermessungsübung im Sinne des § 66 Abs. 2 und 3 AVG folgendes aus:

 

"Der Gesetzgeber hat in Asylsachen ein zweiinstanzliches Verfahren (mit nachgeordneter Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts) eingerichtet, wobei der belangten Behörde die Rolle einer "obersten Berufungsbehörde" zukommt (Art. 129c Abs. 1 B-VG). In diesem Verfahren hat bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln und es ist gemäß § 27 Abs. 1 AsylG grundsätzlich verpflichtet, den Asylwerber dazu persönlich zu vernehmen. Diese Anordnungen des Gesetzgebers würden aber unterlaufen, wenn es wegen des Unterbleibens eines Ermittlungsverfahrens in erster Instanz zu einer Verlagerung nahezu des gesamten Verfahrens vor die Berufungsbehörde käme und die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen damit zur bloßen Formsache würde. Es ist nicht im Sinne des Gesetzes, wenn die Berufungsbehörde, statt ihre (umfassende) Kontrollbefugnis wahrnehmen zu können, jene Behörde ist, die erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und einer Beurteilung unterzieht.

 

Dieser Gesichtspunkt ist nach Auffassung des Verwaltungsgerichthofes - freilich immer unter ausreichender Bedachtnahme auf das Interesse der Partei an einer raschen Erledigung des Asylverfahrens - bei der Ermessensausübung nach § 66 Abs. 2 und 3 AVG auch einzubeziehen. Unter dem Blickwinkel einer Kostenersparnis für die Partei ist dabei vor allem auch zu beachten, dass die Vernehmung vor dem Bundesasylamt dezentral durch die Außenstellen in den Bundesländern erfolgt, während der Unabhängige Bundesasylsenat - anders als bei den unabhängigen Verwaltungssenaten in den Ländern, für die Vergleichbares auf Landesebene gilt - als zentrale Bundesbehörde in Wien (jetzt mit einer Außenstelle in Linz) eingerichtet ist (vgl. auch dazu das bereits erwähnte Erkenntnis vom 21.11.2002, Zl. 2000/20/0084)."

 

Diese umfangreiche Judikatur zur Anwendbarkeit des § 66 Abs. 2 AVG durch den UBAS kann für den seit 01.07.2008 tätigen Asylgerichtshof übernommen werden. Ab diesem Zeitpunkt entscheidet im Asylverfahren in Form des BAA lediglich eine einzige Instanz. Die nachfolgende Überprüfung der Entscheidungen des BAA obliegt dem Asylgerichtshof, abschließend dem VwGH und VfGH. Die Kontrollbefugnis des VwGH ist hierbei allerdings eng begrenzt auf die sog. Grundsatzentscheidungen iSd Art. 129e Abs. 1 S 2 B-VG. Es ist daher Aufgabe des BAA den entscheidungswesentlichen Sachverhalt zu ermitteln und einer ersten Beurteilung zu unterziehen, der Asylgerichtshof sollte sich dagegen auf seine Kontrollbefugnis konzentrieren können.

 

3. Das gegenständliche Verfahren erweist sich insofern als mangelhaft, als das Bundesasylamt seiner Verpflichtung zur amtswegigen Ermittlung des relevanten Sachverhaltes nicht ausreichend nachgekommen ist. Eine tiefergehende Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des BF hätte die Einsichtnahme in den Asylakt des Bruders verlangt. Aus dem Akt ist nicht ersichtlich, dass eine solche Einsichtnahme durchgeführt worden wäre. Da sich der BF hinsichtlich seines angeblichen Fluchtgrundes auf einen Zusammenhang mit jenem seines Bruders beruft, ist nicht ausgeschlossen, dass die Bedachtnahme auf dessen Ausführungen, zu einem anderen Verfahrensergebnis führt.

 

Das Bundesasylamt hielt es auch nicht erforderlich, den in Österreich lebenden Bruder des BF I.F.einzuvernehmen. Nach Ansicht des Asylgerichtshofes ist eine solche Einvernahme nicht schon von vornherein obsolet, zumal dadurch unter Umständen wesentliche Aufschlüsse über die Glaubwürdigkeit des BF und die Glaubhaftigkeit seines Vorbringens gewonnen werden könnten. Insofern ist die Beschwerde im Recht, wenn sie Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzeigt und mangelhafte Ermittlungstätigkeit des BAA geltend macht.

 

Schließlich überging das Bundesasylamt bei der Einvernahme des BF die im Akt befindlichen Kopien zweier Reisepässe (AS 127 - AS 167). Aus welchen Gründen diese Kopien dem Akt beigefügt wurden, ist nicht ersichtlich; eine Befragung des BF insbesondere zu den Umständen warum er diese offenbar schon seit Jahren ungültigen Reisepässe mit sich führt und was er damit beweisen möchte, ist unterblieben. Das BAA wird dies nachzuholen und das Beweisergebnis dem BF vorzuhalten haben. Überhaupt hat das Bundesasylamt in der bekämpften Entscheidung - wie die Beschwerde zu Recht aufzeigt - eine mögliche pro futuro drohende Verfolgung des BF bei einer allfälligen Rückkehr in seinen Heimatstaat nicht ausreichend erörtert. Diesbezügliche Feststellungen fehlen im angefochtenen Bescheid. Die erneute Einvernahme des BF hat auch eine Befragung zu der einzuholenden Aussage des Bruders bzw. zu dessen Asylverfahren zu umfassen.

 

In Anbetracht des oben Ausgeführten erweist sich auch die Begründung im gegenständlichen Bescheid des BAA, dass die Angaben des Beschwerdeführers im Rahmen der Beweiswürdigung grundsätzlich als nicht glaubwürdig erachtet wurden, sodass die vom BF behaupteten Fluchtgründe nicht als Feststellung der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt werden konnten, als mangelhaft und nicht nachvollziehbar. Die Mangelhaftigkeit ist wesentlich, weil vorweg nicht ausgeschlossen werden kann, dass deren Vermeidung zu einem für den BF anderen Ergebnis hätte führen können. Der Asylgerichtshof ist der Ansicht, dass die schweren Mängel vom Bundesasylamt zu sanieren sind, da im gegenteiligen Fall der Großteil des Ermittlungsverfahrens vor den Asylgerichtshof als nachfolgende Kontrollinstanz verlagert würde.

 

Gegen die Ersparnis von Zeit und Kosten des Verfahrens spricht schon allein der Umstand, dass der BF in Wien wohnhaft ist und die räumliche Entfernung zwischen seinem Wohnort und dem Sitz des Bundesasylamtes - Außenstelle Wien eine geringere ist, als jene zum Asylgerichtshof - Außenstelle Linz. Dem ist hinzuzufügen, dass das Erfordernis einer manchmal weiten und unter Umständen mehrfachen Anreise zu den Verhandlungen vor dem Unabhängigen Bundesasylsenat - nunmehr Asylgerichtshof - nach den Beobachtungen des Verwaltungsgerichtshofes nicht nur zu Wiedereinsetzungen und den damit verbundenen Verfahrensverzögerungen, sondern oft auch dazu führt, dass die Asylwerber in diesen Verhandlungen nicht den Beistand ihrer gewählten Vertreter haben (VwGH 2000/20/0084 vom 21.11.2002).

 

4. Nach Ansicht des Asylgerichtshofs wird sich das Bundesasylamt folglich beweiswürdigend mit den konkreten Angaben des Beschwerdeführers auseinanderzusetzen haben und es wird klar darzulegen sein, von welchem Sachverhalt auf Grund welcher Erwägungen ausgegangen wird und wird dieser festgestellte Sachverhalt sodann im Anschluss der rechtlichen Beurteilung zu Grunde zu legen sein.

 

5. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass im vorliegenden Fall der dem Asylgerichtshof vorliegende Sachverhalt - wie oben unter Punkt II.3. ausgeführt - iSd § 66 Abs 2 AVG mangelhaft ist, sodass der angefochtene Bescheid zu beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheids an das Bundesasylamt zurückzuverweisen war.

 

Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 67d Abs. 2 Z 1 u. Abs. 4 AVG unterbleiben.

 

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung
Zuletzt aktualisiert am
10.11.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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