TE AsylGH Erkenntnis 2008/09/03 D3 228102-3/2008

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 03.09.2008
beobachten
merken
Spruch

D3 228.102-3/2008/9E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. Kuzminski als Vorsitzenden und die Richterin Mag. Scherz als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin Mag. Pfleger über die Beschwerde des R.G., geb. 00.00.1976, StA. Georgien, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 05.03.2003, GZ. 02 02.330-BAT, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:

 

Der Berufungswerber, ein georgischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppe der Georgier und orthodoxen Bekenntnisses, gelangte am 22.01.2002 illegal nach Österreich und stellte am gleichen Tag einen Asylantrag.

 

Im Zuge seiner Einvernahme durch die Polizei am 22.01.2002 gab er an nach Europa gereist zu sein, da er auf Grund seiner Behinderung kein Geld verdienen könne und sich hier ein besseres Leben schaffen wolle.

 

Am 09.04.2002 wurde er vor dem Bundesasylamt, Außenstelle Traiskirchen, unter Beziehung eines Dolmetschers der georgischen Sprache, hauptsächlich hinsichtlich seines Reiseweges einvernommen.

Zum Grund seiner Ausreise gab er wie folgt an:

 

"Hinsichtlich der Gründe meiner Flucht erkläre ich, dass ich im Jahr 1999 vom Militär eingezogen hätte werden sollen, um in weitere Folge am Krieg teilzunehmen. Ich konnte mich aber mit 1000.- US-Dollar freikaufen."

 

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 15.04.2002, ZI 02 02.330-BAT, wurde der Asylantrag gemäß § 4 Abs 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen. Dagegen erhob der Antragsteller fristgerecht Berufung.

 

Mit Fax vom 13.05.2002 teilte die BH Lilienfeld mit, dass eine Rückschiebung des Antragstellers nach Tschechien angesichts der Überschreitung der geltenden Rücknahmefrist im Abkommen mit der Tschechischen Republik nicht mehr möglich sei.

 

Darauf stellte der Unabhängige Bundesasylsenat mit Aktenvermerk vom 14.05.2002 das Verfahren gemäß § 4 Abs 5 AsylG als gegenstandslos ein.

 

Am 04.06.2002 wurde der Asylwerber vom Bundesasylamt, Außenstelle Traiskirchen, unter Beiziehung eines Dolmetschers der georgischen Sprache, weiter wie folgt einvernommen:

 

"Ich bin in Kutaisi aufgewachsen und habe dort gemeinsam mit den Eltern, der Schwester und dem Bruder im Elternhaus gelebt. Ca. ein Jahr - von 1999 bis 2000 - hielt ich mich bei Verwandten im Dorf A. auf. Danach kehrte ich - aber immer nur nachts - ins Elternhaus zurück.

 

Frage: Ab wann im Jahre 2000 kehrten Sie nachts wieder ins Elternhaus zurück?

 

Antwort: Etwa ab August/September 2000. Einen Monat später begab ich mich dann über Istanbul nach Tschechien. Ich kehrte nicht mehr nach Georgien zurück.

 

Vorhalt: Ihre heutigen Angaben widersprechen gravierend Ihren Behauptungen vom 9.4.2002. Damals erklärten Sie der ho. Asylbehörde gegenüber, Ihre Heimat im Oktober 2001 verlassen zu haben. Was sagen Sie zu diesem Widerspruch?

 

Antwort: Am 17. Oktober 2001 habe ich meine Heimat verlassen.

 

Vorhalt: Sie erklärten heute aber ganz konkret, ca. ein Jahr, und zwar von 1999 bis ca. August/September 2000, bei Verwandten gelebt zu haben. Einen Monat später - also im Oktober 2000 - haben Sie Ihre Heimat dann verlassen.

 

Antwort: Ich habe mich bei den Verwandten von 1999 bis 2001 aufgehalten.

 

Frage: Aus welchen Gründen waren Sie bei den Verwandten aufhältig?

 

Antwort: Ich hatte ein Problem mit dem Militär. Weil ich behindert bin - ich bin schwerhörig - musste ich nicht zum Militär. Dennoch hätte ich zum Militär eingezogen werden sollen. Im Mai 1999 war der Krieg in Abchasien.

 

Frage: Womit hat das Militär Ihre Einberufung zum Militär begründet?

 

Antwort: Das weiß ich nicht. Ich selbst hatte aber die Befürchtung, am oben genannten Krieg teilnehmen zu müssen.

 

Frage: Warum haben Sie sich aufgrund der Einberufung zum Militär nicht dorthin begeben und nochmals erklärt, dass Sie aufgrund Ihrer Behinderung eigentlich vom Militärdienst befreit sind?

 

Antwort: Ich wurde vom Militär auf der Straße angehalten und auf eine militärische Dienststelle gebracht. Dort hätte ich die Einberufung zum Militär unterschreiben sollen. Anführen möchte ich, dass ich leider meinen Behindertenausweis nicht bei mir führte, um diesen dem Militär vorlegen zu können. Weil ich mich weigerte die Einberufung zu unterschreiben, wurde ich geschlagen. Mehrere Tage wurde ich dort angehalten. Erst durch meinen Vater, der Barmittel bezahlte, erfolgte meine Freilassung.

 

Dieser Vorfall hat sich ca. im Mai 1999 zugetragen.

 

Frage: Warum haben Sie Ihren Behindertenausweis dann nicht im Anschluss daran dem Militär vorgelegt?

 

Antwort: Ich legte diese Bestätigung vor, doch schenkte man mir keinen Glauben.

 

Frage: Wann genau haben Sie diese Bestätigung dem Militär vorgelegt?

 

Antwort: Der Vater legte diesen Ausweis am Tage meiner Entlassung vor, doch glaubte man mir nicht.

 

Vorhalt: Ihre heutigen Fluchtgründe widersprechen Ihren Angaben vom 22.1.2002 gegenüber dem Grenzüberwachungsposten Schönau. Dort haben Sie zu den Fluchtgründen befragt behauptet, dass Ihre Eltern nur eine kleine Pension bekommen und Sie aufgrund Ihrer Behinderung kein Geld verdienen könnten, weshalb Sie sich ein besseres Leben schaffen hätten wollen. Aufgrund Ihrer finanziellen Notlage und Ihrer Behinderung hätten Sie daher nach Europa wollen, um eine bessere Hilfe zu bekommen.

 

Antwort: Über meine militärischen Probleme musste ich dort nicht sprechen. Man hat mich nicht danach gefragt. Das war kein Interview.

 

Ich bin nicht vorbestraft. Keine Behörde fahndet derzeit nach mir. Ich hatte lediglich die oben erwähnten Probleme mit dem Militär. Eigentlich wäre für meine Freilassung ein Geldbetrag in Höhe von 1.000,-- US-Dollar zu bezahlen gewesen. 200,-- US-Dollar hat das Militär bereits erhalten.

 

Weil ich aber die fehlenden 800,-- US-Dollar nicht bezahlte, wurde ich vom Militär geschlagen und musste ich danach sogar ins Krankenhaus.

 

Frage: Wann wurden Sie aus diesem Grunde vom Militär geschlagen?

 

Antwort: Diese 800,-- Dollar hätte ich innerhalb eines Monats bezahlen müssen. Weil ich dies aber nicht konnte, wurde ich nach diesem Monat geschlagen. Das war etwa im Juni 1999.

 

Vorhalt: Es ist nicht glaubwürdig, dass das Militär einerseits für Ihre Entlassung 1.000,-- US-Dollar fordert, sie schließlich dann aber nach Bezahlung von 200,-- US-Dollar bereits freilässt. Im übrigen ist davon auszugehen, dass Sie im Juni 1999 - nachdem Sie die Barmittel nicht aufbringen konnten - mit Sicherheit neuerlich vom Militär festgenommen worden wären. Was sagen Sie dazu?

 

Antwort: Mein Vater hatte über einen Bekannten meine Freilassung erwirkt.

 

Das Militär kam mehrmals zu mir nach Hause. Nachdem ich im Juni 1999 nachts vom Militär von zu Hause abgeholt und in Kutaisi geschlagen wurde.

 

Es handelte sich um 3 bis 4 Männer, die mich mit den Beinen traten. Ich wurde verletzt. So verlor ich meine Zähne im Bereich des vorderen Oberkiefers. Auch erlitt ich einen Bruch des Nasenbeins.

 

Ich wurde dann 2 Wochen im Zentralkrankenhaus stationär behandelt. Ich hielt mich in diesen 2 Wochen in der Intensivstation auf. Mein Oberkiefer wurde genäht. Auch wurden mir Blutkonserven gegeben.

 

Dazu befragt gebe ich an, dass das Militär mich nach den Schlägen einfach liegen ließ. Irgendjemand benachrichtigte dann meinen Vater. Er brachte mich in weiterer Folge ins Krankenhaus.

 

Frage: Warum haben Sie dann erst 2 Jahre später die Flucht ergriffen?

 

Antwort: Ich fühlte mich krank. Auch hielt ich mich bei den Verwandten auf. Mein Gesicht war ganz gelb.

 

Frage: Warum haben Sie nicht weiterhin Unterkunft bei Ihren Verwandten genommen?

 

Antwort: Es war mein Wunsch, aufgrund der militärischen Probleme, die ich in Georgien hatte, mich nach Tschechien zu begeben.

 

Frage: Was befürchten Sie im Falle der Rückkehr nach Georgien?

 

Antwort: Die Inhaftierung bzw. Einforderung der 800,-- US- Dollar durch das Militär.

 

Behördliche Anmerkung: AW legt die Kopie eines A-4-Blattes vor, auf welchem der Behindertenausweis, der Reisepass, ebenso die Geburtsurkunde, abgedruckt ist. Dabei handelt es sich um die Kopie eines Telefax, übermittelt am 3.6.2002.

 

Frage: Wann und vom wem haben Sie dieses Schriftstück erhalten?

 

Antwort: Meine Eltern haben mir das gestern von Kutaisi aus geschickt, und zwar per Telefax. Ich habe im Merkblatt gelesen, dass es erforderlich ist, Dokumente vorzulegen.

 

Frage: Warum haben Sie diese Dokumente nicht bereits im Zuge Ihrer Flucht mitgenommen?

 

Antwort: Mir wurde gesagt, dass, wenn ich diese Dokumente mitnehmen würde, man mich zurück nach Georgien schicken könnte. Deshalb ließ ich diese zu Hause.

 

Frage: Sind Sie somit ohne Dokumente nach Tschechien gereist?

 

Antwort: Nein, ich reiste mit meinem Reisepass. Ich möchte mich korrigieren. Nicht der Reisepass ist auf dem Blatt Papier abgebildet, sondern mein Personalausweis.

 

Frage: Sind Sie mit der Übersetzungstätigkeit der Frau Dolmetscherin voll und ganz einverstanden?

 

Antwort: Ja. Ich habe alles verstanden.

 

N a c h t r a g : Der AW begehrt nach Verlesung der Niederschrift den Nachtrag dahingehend, wonach er vom Militär n i c h t einige Tage lang dort angehalten wurde, sondern ließ man ihm noch am Tage der Festnahme frei, und zwar abends.

 

Hinzufügen möchte der AW weiters, dass nicht sein Vater ihn ins Krankenhaus brachte, sondern irgendjemand.

 

Im Rahmen der Einvernahme legte der Antragsteller neben den genannten Kopien einen Einweisungsschein des Krankenhauses St. Pölten vor.

 

Entsprechend der Anfrage des Bundesasylamtes vom 16.07.2002 übermittelte das Krankenhaus St. Pölten Befundberichte über die operative Korrektur einer posttraumatischen Höckerschiefnase, die vor acht Jahren durch einen Raufhandel verursacht worden sei.

 

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 05.03.2003, ZI 02 02.330-BAT, wurde unter Spruchteil I. der Asylantrag vom 22.01.2002 gemäß § 7 AsylG abgewiesen, unter Spruchteil II. die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Asylwerbers nach Georgien gemäß § 8 AsylG ausgesprochen.

 

In der Begründung des Bescheides wurden die oben bereits vollinhaltlich wiedergegebe Einvernahme dargestellt.

 

Beweiswürdigend wurde zunächst festgehalten, dass sich der Antragssteller hinsichtlich seiner Aufenthaltsorte in Georgien widersprochen habe. So habe er zunächst angegeben von 1999-2000 bei Verwandten gelebt zu haben, dann zu seinen Eltern zurückgekehrt zu sein, aber ab August bzw September 2000 dort nur noch nachts gewesen zu sein. Einen Monat später sei er ausgereist. Am 9.4.2002 habe er hingegen angegeben erst im Oktober 2001 seine Heimat verlassen zu haben. Nach Vorhalt dieser Tatsache habe er erklärt Georgien am 17.10.2001 verlassen zu haben. Nach neuerlichem Vorhalt habe er schließlich angegeben, dass er von 1999 bis 2001 bei seinen Verwandten gelebt habe. Hätte der Antragsteller die von ihm geschilderten Probleme im Zusammenhang mit dem Militär tatsächlich gehabt, hätte er diese bereits vor der Grenzpolizei in Schönau angegeben und nicht hingegen bloß ausgeführt, dass er auf Grund seiner finanziellen Notlage und der medizinischen Behandlungsmöglichkeiten in Österreich um Asyl ansuche. Auf Vorhalt dieser Tatsache hätte er lediglich angegeben von der Polizei nur kurz befragt worden zu sein. Am 9.4.2002 habe er im Widerspruch zu seinen bisherigen Ausführungen angegeben, dass er für die Befreiung vom Militärdienst 1000 US-Dollar hätte zahlen müssen, was der Angabe es seien lediglich 200 US-Dollar bezahlt worden widerspreche. Hätte ein tatsächliches Interesse an der Person des Antragsstellers bestanden, wäre es ihm nicht möglich gewesen für zwei Jahre unbehelligt bei Verwandten zu leben. Gänzlich unglaubwürdig sei schließlich die Angabe, das Militär hätte ihn in einen anderen Bezirk verbracht und dort zusammengeschlagen, da ein solcher Übergriff mit Sicherheit nahe seines Elternhauses stattgefunden hätte. Widersprüchlich seien auch die Angaben hinsichtlich des Zeitpunktes des Nasenbeinbruches, da er im Krankenhaus angegeben habe, dass er sich diesen vor acht Jahren im Zuge eines Raufhandels zugezogen hätte.

 

Zu Spruchteil I. wurde rechtlich begründend festgehalten, dass der Antragsteller seine Fluchtgründe nicht glaubhaft gemacht habe, sodass sein Antrag abzuweisen gewesen sei.

 

Zu Spruchteil II wurde nach Darlegung der bezughabenden Rechtslage und Judikatur ausgeführt, dass das Vorliegen der Voraussetzungen von § 57 Abs 2 FrG bereits unter Spruchpunkt I geprüft und verneint worden seien. Aus der allgemeinen Lage in Georgien würden sich keine Gefahren iSd § 57 FrG ergeben. Die Behörde gelange daher zur Ansicht, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme, dass der Antragssteller im Falle seiner Rückkehr unmenschlicher Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen werde, bestehen würden, weshalb der Antrag auch in diesem Punkt abzuweisen gewesen sei.

 

Gegen diesen Bescheid erhob der Asylwerber Berufung, in welcher er ausführte, dass es auf Grund seiner Schwerhörigkeit während des Interviews zu Verständigungsproblemen gekommen sei, weshalb er seine Fluchtgründe neuerlich in georgischer Sprache darlege. Er führte aus, dass er im Mai 1999 eine Ladung zum Militärkommando erhalten habe, womit seine Probleme begonnen hätten. Er habe der Ladung Folge geleistet und dort erklärt, dass er auf Grund seiner Behinderung vom Militärdienst befreit sei. Er sei jedoch gezwungen worden einen Einberufungsbefehl lautend auf den gleichen Tag zu unterschreiben. Sein Vater habe am gleichen Tag versucht den Irrtum aufzuklären, doch sei ihm nicht geglaubt worden. Er habe den Behörden über einen Mittelsmann sodann 200 US-Dollar übergeben und weitere 800 US-Dollar versprochen. Da sein Vater die versprochene Summe nicht habe leisten können, hätten Anrufe und Besuche in ihrem Haus begonnen. Als den Leuten klar geworden sei, dass sie das Geld nicht zahlen könnten, sei er auf der Straße festgehalten, in ein Auto gezerrt und zusammengeschlagen worden. Dabei seien ihm mehrere Zähne ausgeschlagen worden und er habe einen Kieferbruch erlitten. Als er wieder das Bewusstsein erlangt habe, sei er im Spital gewesen, wo er für zwei Wochen auf der Intensivstation gewesen sei. Von 1999 bis September 2001 habe er sich bei Verwandten aufgehalten. Manchmal sei er nachts nach Hause gefahren um seine Familie zu besuchen.

 

Weiter führte er aus, dass die Argumente der belangten Behörde nicht nachvollziehbar gewesen seien. Dem Bundesasylamt wäre es auch oblegen, bei Zweifeln an der Richtigkeit seines Vorbringens ihm Gelegenheit zu geben dazu Stellung zu nehmen. Sodann wurde hinsichtlich der Rechtswidrigkeit des Inhaltes des Bescheides ausgeführt, dass er in seiner Einvernahme bereits dargelegt habe, dass ihm Verfolgung iSd GFK drohe und die Behörde verkannt habe, dass es sich bei dieser um eine dem Staat zurechenbare Verfolgung handle. Sodann wurde auch ein Vorbringen hinsichtlich des Refoulement erstattet.

 

Mit Schreiben vom 20.11.2003 legte der Beschwerdeführer Kopien seiner Geburtsurkunde, seines Personalausweises, seines Behindertenausweises und einer Krankenhausaufenthaltsbestätigung vor.

 

Am 21.07.2004 legte der Antragsteller diese Dokumente, gemeinsam mit seinen österreichischen Behindertenausweis neuerlich vor.

 

Am 19.07.2006 gab der Asylwerber bekannt, dass er nunmehr durch S.W. vertreten werde.

 

Mit Fax vom 23.01.2007 legte der Beschwerdeführer Kopien seines Behindertenausweises, des Entlassungsberichts des Krankenhauses der Barmherzigen Brüder vom 00.00.2005, eines Rezeptes des AKH Wien für Beruhigungs- und Scherzmittel, des Operationsberichtes des Krankenhaus St. Pölten vom 00.00.2002 sowie eine Überweisung des AKH Wien an die Neuroambulanz vom 00.00.2004 vor.

 

Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

Gemäß § 75 Abs 7 Z 1 AsylG 2005 sind Verfahren, welche am 01.07.2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängig und einem Mitglied des Unabhängigen Bundesasylsenats zugeteilt waren, welches als Richter des Asylgerichtshofes ernannt wurde, von diesem als Einzelrichter weiterzuführen, soweit eine mündliche Verhandlung bereits stattgefunden hat.

 

Gemäß § 44 Abs. 1 AsylG 1997 werden Verfahren zur Entscheidung über Asylanträge und Asylerstreckungsanträge, die bis zum 30. April 2004 gestellt wurden, nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 126/2002 geführt.

 

Da gegenständlicher Asylantrag am 22.01.2002 gestellt wurde, war er nach der Rechtslage des AsylG 1997 idF 126/2002 unter Beachtung der Übergangsbestimmungen, woraus sich die gegenständliche Zuständigkeit ergibt, zu beurteilen.

 

Gemäß § 75 AsylG 2005 BGBl. I Nr. 100/2005 sind alle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetztes 1997 zu Ende zu führen. § 44 AsylG 1997 gilt.

 

Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde, so der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen.

 

Gemäß Abs. 3 dieser Gesetzesstelle kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315, zur Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG durch den Unabhängigen Bundesasylsenat ausgeführt:

 

"Im Berufungsverfahren vor der belangten Behörde ist gem. § 23 AsylG und Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG (unter anderem) § 66 AVG anzuwenden. Nach § 66 Abs. 1 AVG i.d.F. BGBl. I Nr. 158/1998 hat die Berufungsbehörde notwendige Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens durch eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde durchführen zu lassen oder selbst vorzunehmen. Außer dem in § 66 Abs. 2 AVG erwähnten Fall hat die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, gem. § 66 Abs. 4 AVG immer in der Sache selbst zu entscheiden (vgl. dazu unter dem besonderen Gesichtspunkt der Auslegung der Entscheidungsbefugnis der belangten Behörde im abgekürzten Berufungsverfahren nach § 32 AsylG die Ausführungen im hg. Erkenntnis vom 23.07.1998, Zl. 98/20/0175, Slg. Nr. 14.945/A, die mehrfach vergleichend auf § 66 Abs. 2 AVG Bezug nehmen; zu diesem Erkenntnis siehe auch Wiederin, ZUV 2000/1, 20 f).

 

Thienel (Das Verfahren der Verwaltungssenate 2 [1992] 127 f.), dessen Ausführungen sich insoweit allerdings nicht auf § 66 Abs. 3 AVG, sondern auf die "im § 39 AVG normierten Ermessensdeterminanten" beziehen, vertritt dazu die Ansicht, die Zurückweisung durch einen unabhängigen Verwaltungssenat werde ¿regelmäßig jedenfalls den Geboten der Raschheit und Kostenersparnis zuwiderlaufen' und ¿unnötigen Verwaltungsaufwand' verursachen. Ob andersartige Konstitutionen denkbar seien, wird von Thienel¿ nicht weiterverfolgt'."

 

Nach Ausführungen zur Frage der Anwendbarkeit des § 66 Abs. 2 AVG außerhalb des abgekürzten Berufungsverfahrens mit dem Ergebnis, dass von einer generellen Unzulässigkeit der Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG nicht auszugehen sei, setzt der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315, fort wie folgt:

 

"In diese Richtung gehen auch die Gesetzesmaterialen zu § 38 AsylG (RV 686 BlgNR 20. GP 30), weil diese ausdrücklich die Geltung des AVG für das Verfahren vor dem Unabhängigen Bundesasylsenat betonen und daran anschließend hervorheben, dass die Möglichkeit der ¿Zurückverweisung' durch § 32 AsylG ¿erweitert' worden sei, was in Bezug auf Berufungsverfahren vor der belangten Behörde, in denen § 32 AsylG nicht anzuwenden ist, eine positive Anknüpfung an die in § 66 Abs. 2 AVG vorgesehene Zurückverweisungsmöglichkeit bedeutet

(...).

 

Der Verwaltungsgerichthof hat im Erkenntnis vom 27.04.1989, Zl. 86/09/0012, Slg. Nr. 12.917/A, aus einer in den Verwaltungsvorschriften angeordneten zwingenden und ohne Ausnahme bestehenden Verpflichtung zur Durchführung einer Berufungsverhandlung trotz Fehlens einer ausdrücklichen Ausnahme hinsichtlich der Geltung des § 66 Abs. 2 AVG die Unanwendbarkeit dieser Bestimmung in einem solchen Berufungsverfahren gefolgert. Das steht aber zu der hier - für das Verfahren vor der belangten Behörde - zu Grunde gelegten gegenteiligen Auffassung schon deshalb nicht im Widerspruch, weil eine derartige uneingeschränkte Verhandlungspflicht für den Unabhängigen Bundesasylsenat nicht besteht. (...) Die Berufungsbehörde darf eine kassatorische Entscheidung nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes, sondern nur dann treffen, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Die Berufungsbehörde hat dabei zunächst in rechtlicher Gebundenheit zu beurteilen, ob angesichts der Ergänzungsbedürftigkeit des ihr vorliegenden Sachverhaltes die Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unvermeidlich erscheint'. Für die Frage der Unvermeidlichkeit einer mündlichen Verhandlung i.S.d. § 66 Abs. 2 AVG ist es aber unerheblich, ob eine kontradiktorische Verhandlung oder nur eine Vernehmung erforderlich ist (vgl. etwa das Erkenntnis vom 14.03.2001, Zl. 2000/08/0200; zum Begriff ¿mündliche Verhandlung' i.S.d. § 66 Abs. 2 AVG siehe auch die Nachweise im Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2000/20/0084)."

 

Nach der grundsätzlichen Bejahung der Frage der Anwendbarkeit des § 66 Abs. 2 AVG durch den Unabhängigen Bundesasylsenat führte der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315, zur Frage der Gesetzmäßigkeit der Ermessensübung i. S.d. § 66 Abs. 2 und 3 AVG Folgendes aus:

 

"Der Gesetzgeber hat in Asylsachen ein zweiinstanzliches Verfahren (mit nachgeordneter Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts) eingerichtet, wobei der belangten Behörde die Rolle einer ¿obersten Berufungsbehörde' zukommt (Art. 129c Abs. 1 B-VG). In diesem Verfahren hat bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln und es ist gem. § 27 Abs. 1 AsylG grundsätzlich verpflichtet, den Asylwerber dazu persönlich zu vernehmen. Diese Anordnungen des Gesetzgebers würden aber unterlaufen, wenn es wegen des Unterbleibens eines Ermittlungsverfahrens in erster Instanz zu einer Verlagerung nahezu des gesamtenVerfahrens vor die Berufungsbehörde käme und die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen damit zur bloßen Formsache würde. Es ist nicht im Sinne des Gesetzes, wenn die Berufungsbehörde, statt ihre (umfassende) Kontrollbefugnis wahrnehmen zu können, jene Behörde ist, die erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und einer Beurteilung unterzieht..."

 

Bei der Abwägung der für und gegen eine Entscheidung gem. § 66 Abs. 2 AVG sprechenden Gesichtspunkte muss nämlich auch berücksichtigt werden, dass das Asylverfahren nicht nur möglichst kurz sein soll. Zur Sicherung seiner Qualität hat der Gesetzgeber einen Instanzenzug vorgesehen, der zur belangten Behörde und somit zu einer gerichtsähnlichen, unparteilichen und unabhängigen Instanz als besonderem Garanten eines fairen Asylverfahrens führt (vgl. bereits das Erkenntnis vom 16.04.2002, Zl. 99/20/0430). Die der belangten Behörde in dieser Funktion schon nach der Verfassung zukommende Rolle einer¿obersten Berufungsbehörde' (Art. 129c 1 B-VG) wird aber ausgehöhlt und die Einräumung eines Instanzenzuges zur bloßen Formsache degradiert, wenn sich das Asylverfahren einem eininstanzlichen Verfahren vor der Berufungsbehörde nähert, weil es das Bundesasylamt ablehnt, auf das Vorbringen sachgerecht einzugehen und brauchbare Ermittlungsergebnisse in Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen. Diese über die Unvollständigkeit der Einvernahme hinaus gehenden Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens sprechen auch bei Bedachtnahme auf die mögliche Verlängerung des Gesamtverfahrens unter dem Gesichtspunkt, dass eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst bei der "obersten Berufungsbehörde" beginnen und zugleich - abgesehen von der im Sachverhalt beschränkten Kontrolle der letztinstanzlichen Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof - bei derselben Behörde enden soll, für die mit der Amtsbeschwerde bekämpfte Entscheidung (so der VwGH in seinem Erkenntnis vom 21.12.200, Zl. 2000/20/0084).

 

Gemäß § 28 AsylG hat die Behörde in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Bescheinigungsmittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Bescheinigungsmittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Bescheinigungsmittel auch von Amts wegen beizuschaffen.

 

Gemäß § 27 Abs. 1 leg. cit. sind Asylwerber persönlich vor dem zur jeweiligen Entscheidung berufenen Organwalter des Bundesasylamtes zu vernehmen, soweit dies ohne unverhältnismäßigen Aufwand möglich ist. Von einer Einvernahme darf abgesehen werden, wann und insoweit die Asylwerber nicht in der Lage sind, durch Aussagen zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes beizutragen.

 

Zunächst ist festzuhalten, dass kein Zweifel daran besteht, dass die oben in der Rechtssprechung des Verwaltungsgerichtshofes dargelegten Grundsätze der Anwendbarkeit des § 66 Abs. 2 AVG auf den Unabhängigen Bundesasylsenat auch für den Asylgerichtshof gelten, zumal dieser nicht - wie der UBAS - ein gerichtsähnlicher unabhängiger Verwaltungssenat, sondern ein Höchstgericht darstellt, dem noch weniger zuzusinnen ist, erstmals mit der ernsthaften Prüfung des Antrages zu beginnen und das gesamte Verfahren von Anbeginn an durchzuführen.

 

Die Erstbehörde hat den Gesundheitszustand des Beschwerdeführers, insb dessen stark eingeschränktes Hörvermögen, in ihrem Verfahren nur unzureichend berücksichtigt.

 

Die Aussagen des Berufungswerbers können entgegen der Ansicht des Bundesasylamts zumindest teilweise nicht als widersprüchlich angesehen werden, zumal dieser übereinstimmend angab, dass er für einen Freikauf vom Militärdienst 1000 US-Dollar zu leisten habe. Jedenfalls ist in der Aussage 1000 US-Dollar zahlen zu müssen, jedoch nur 200 US-Dollar bezahlt zu haben, kein Widerspruch zu erkennen, zumal der Beschwerdeführer auch angab weitere 800 US-Dollar noch leisten zu müssen, womit insgesamt 1000 US-Dollar zu zahlen gewesen wären. Für den Asylgerichtshof nicht nachvollziehbar war auch die Behauptung in der Beweiswürdigung ein Übergriff auf den Antragsteller hätte mit Sicherheit nahe seines Elternhauses, nicht jedoch in der vom Asylwerber geschilderten Weise, stattgefunden. Schließlich hat es das Bundesasylamt auch unterlassen den Beschwerdeführer hinsichtlich etwaiger politischer oder religiöser Motive, die ihm die Ableistung des Militärdienstes unmöglich machen würde, zu befragen. Dies wäre jedoch im Hinblick auf die Asylrelevanz eines solchen Vorbringens notwendig gewesen.

 

Die Erstbehörde befasste sich auch in unzureichendem Ausmaß mit der Überprüfung des Refoulement-Schutzes. Die vom Bundesasylamt getroffene Feststellung, es sei im Falle einer Rückkehr nicht mit unmenschlicher Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe zu rechnen, reicht für sich genommen nicht aus, um von einer zumutbaren Rückkehrmöglichkeit des Berufungswerbers sprechen zu können. Es hätte diesbezüglich einer eingehenderen Beschäftigung mit der individuellen Situation des Berufungswerbers, insbesondere vor dem Hintergrund seiner Behinderung und seiner Aussage vor der Polizei in Georgien keine Arbeit gefunden zu haben bedurft, weshalb die im Bescheid der Erstbehörde zu Georgien getroffenen - zu allgemein gehaltenen - Feststellungen den Erfordernissen einer ausreichenden Würdigung der Situation des Berufungswerbers nicht genügen. Dabei wird die Behörde auch die nunmehrige Situation in Georgien zu berücksichtigen haben.

 

Ergänzend ist noch zu bemerken, dass die Behörde erster Instanz keinerlei Länderfeststellungen getroffen hat.

 

Der Erörterung der aufgeworfenen Fragen, mit denen sich die Erstbehörde auseinander zu setzen hat und zu denen der Berufungswerber im neuerlich durchzuführenden Verfahren zu befragen sein wird, kommt für die Beurteilung des Vorliegens von Fluchtgründen bzw. des Refoulements entscheidungswesentliche Bedeutung zu.

 

Die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung hatte gemäß § 67 d Abs- 2 Z. 1 AVG zu entfallen.

 

Die Rechtssache war daher spruchgemäß an die Behörde erster Instanz zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Schlagworte
Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung
Zuletzt aktualisiert am
30.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten