TE AsylGH Erkenntnis 2008/09/04 S8 401254-1/2008

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Veröffentlicht am 04.09.2008
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Spruch

S8 401.254-1/2008/2E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. BÜCHELE als Einzelrichter über die Beschwerde des V.I., geb. 00.00.1988, StA. Moldawien, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 05.08.2008, Zahl: 08 05.468-EAST Ost, zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 5, 10 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBL. I Nr. 100/2005, als unbegründet abgewiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger aus Moldawien, ist am 25.06.2008 mit einem LKW illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist und hat am selben Tag den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz (in der Folge: Asylantrag) gestellt.

 

2. Bei der Erstbefragung am Tag der Antragstellung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Polizeiinspektion Traiskirchen in Anwesenheit eines Dolmetschers für Moldawisch gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, er habe sein Heimatland vor eineinhalb Jahren verlassen und sei nach Russland zum Arbeiten gefahren. Er habe sich bis vor ca. sechs Wochen in Russland aufgehalten und bis dahin dort gearbeitet. Vor ca. sechs Wochen sei er mit dem Zug in die Ukraine gefahren. Die Grenze habe er zu Fuß über Felder überquert. Er hielt sich in der Ukraine in der Stadt Ternopol einige Tage auf. Er sei sodann mit einem LKW bis an die slowakische Grenze gereist. Er habe sodann am 11.05.2008 die ukrainisch-slowakische Grenze zu Fuß illegal überquert. Er sei dann von der slowakischen Polizei aufgegriffen worden und in ein Lager für ca. einen Monat untergebracht worden. Danach sei er in ein anderes Lager gekommen. Er sei sodann mit einem LKW versteckt illegal nach Österreich eingereist. Er sei Baptist und wolle nicht zum Militär; seine Religion verbiete es ihm Waffen zu tragen. Es sei ihm vorgeschlagen worden, während der Militärzeit eine andere Religion anzunehmen; das sei für ihn jedoch nicht in Frage gekommen. Er sei in der Slowakei für zum Asylverfahren zugelassen worden, habe jedoch falsche Angaben gemacht, da er dort nicht bleiben wollte. Er habe in einem geschlossenen Lager gelebt. Es sei ihm mitgeteilt worden, dass sein Verfahren bereits beendet worden sei und er dort legal leben könne. Andere Moldawier hätten ihm gesagt, dass die Arbeitssituation in Österreich besser sei. Er wolle nicht in seine Heimat zurück, da er dort gezwungen wäre, einen anderen Glauben anzunehmen.

 

3. Am 30.06.2008 richtete das Bundesasylamt gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (kurz: Dublin-Verordnung) an die zuständige slowakische Behörde. Am 01.07.2008 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 29 Abs. 3 AsylG 2005 mitgeteilt, dass mit der Slowakei Konsultationen geführt werden und aus diesem Grund die im § 28 Abs. 2 zweiter Satz AsylG 2005 normierte 20-Tages-Frist nicht gälte; es sei beabsichtigt, seinen Asylantrag wegen Unzuständigkeit Österreichs zurückzuweisen. Am 11.07.2008 langte ein Schreiben der slowakischen Behörden vom selben Tag beim Bundesasylamt ein, worin die Zuständigkeit der Slowakei gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. e Dublin-Verordnung bestätigt wurde.

 

4. Am 21.07.2008 wurde der Beschwerdeführer vom Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle Ost, nach erfolgter Rechtsberatung in Anwesenheit eines Rechtsberaters sowie eines geeigneten Dolmetschers für Rumänisch niederschriftlich einvernommen. Es wurde festgestellt, dass ihm vor der Rechtsberatung eine Aktenabschrift mit den entsprechenden Feststellungen zum slowakischen Asylverfahren übergeben wurde.

 

Der Beschwerdeführer gab an, er wolle nicht in die Slowakei, da er dort Schwierigkeiten mit anderen Personen gehabt habe. Nachts habe er wegen des Lärms nicht schlafen können; es hätte dort immer wieder Schlägereien gegeben. Es sei für ihn dort gefährlich gewesen; er möchte lieber hier bleiben, da auch sein Cousin bereits seit sechs Jahren als anerkannter Asylwerber in Baden lebt. Dieser könne ihm Essen und Kleidung und auch Geld geben. Sein Cousin wäre für ihn wie ein richtiger Bruder.

 

5. Das Bundesasylamt hat mit dem beim Asylgerichtshof Bescheid vom 05.08.2008, Zahl: 08 05.468 EAST-Ost, ohne in die Sache einzutreten den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und festgestellt, dass für die Prüfung des Asylantrages gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. e Dublin-Verordnung die Slowakei zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 wurde der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Slowakei ausgewiesen und festgestellt, dass demzufolge die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Slowakei gemäß § 10 Abs. 4 AsylG 2005 zulässig sei (Spruchpunkt II.). Das Bundesasylamt traf zur Slowakei umfangreiche Länderfeststellungen und sei nicht in seinen Rechten nach Art. 3 EMRK verletzt. Weiters sei er auch nicht in seinen Rechten nach Art. 8 EMRK verletzt, weil sein Cousin hier lebt; dieser sei im Fall des Beschwerdeführers vom Schutzumfang dieser Bestimmung nicht mitumfasst. Ein Selbsteintritt Österreichs nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-Verordnung sei nicht geboten.

 

6. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde beim Asylgerichtshof. Er führt in dieser aus, dass er nicht in die Slowakei zurückwolle; er habe dort in einem geschlossenen Lager gelebt; die Mitarbeiter dort seien grob zu den Lagerinsassen gewesen. Er sei in der Nacht von anderen Lagerinsassen gestört worden; sie hätten ihn gezwungen "für Sie zu stellen".

 

II. Der Asylgerichtshof hat durch den zuständigen Richter über die Beschwerde wie folgt erwogen:

 

1. Folgender Sachverhalt wird der Entscheidung zugrunde gelegt:

 

1.1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Moldawiens und ist am 25.06.2008 illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist und hat am selben Tag den gegenständlichen Asylantrag gestellt.

 

1.2. Die Slowakei hat sich mit Schreiben vom 11.07.2008 (beim Bundesasylamt eingetroffen am selben Tag) gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. e Dublin-Verordnung ausdrücklich für die Wiederaufnahme des Beschwerdeführers für zuständig erklärt.

 

Die in § 28 Abs. 2 zweiter Satz AsylG 2005 festgelegte zwanzigtägige Frist zur Erlassung eines zurückweisenden Bescheides nach § 5 AsylG 2005 ist nicht anwendbar, weil dem Beschwerdeführer das Führen von Konsultationen gemäß Dublin-Verordnung binnen Frist mitgeteilt wurde; es ist somit zu keinem Zuständigkeitsübergang an Österreich wegen Fristüberschreitung gekommen.

 

2. Der festgestellte Sachverhalt gründet sich auf folgende Beweiswürdigung:

 

Die oben angeführten Feststellungen ergeben sich aus dem erstinstanzlichen Verwaltungsakt, insbesondere aus den Angaben des Beschwerdeführers bei der Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 25.06.2008 (Aktenseiten 15 - 23), aus der niederschriftlichen Einvernahme des Beschwerdeführers am 21.07.2008 (Aktenseiten 55 - 59) sowie aus der Zuständigkeitserklärung der Slowakei vom 11.07.2008 (Aktenseite 49).

 

3. Rechtlich ergibt sich Folgendes:

 

3.1. Gemäß § 5 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 2005 - AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 4/2008, (in der Folge: AsylG 2005) ist ein nicht gemäß § 4 AsylG 2005 erledigter Asylantrag als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Antrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Behörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist.

 

Sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesasylamt oder beim Asylgerichtshof offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, ist davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach § 5 Abs. 1 AsylG 2005 Schutz vor Verfolgung findet (§ 5 Abs. 3 AsylG 2005). Mit dieser Regelung wurde eine teilweise Beweislastumkehr geschaffen. Es trifft zwar ohne Zweifel zu, dass Asylwerber in ihrer besonderen Situation häufig keine Möglichkeit haben, ihr Beschwerdevorbringen zu untermauern (wobei dem auch durch das Institut des Rechtsberaters begegnet werden kann), und dies mitzubeachten ist (VwGH, 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949); dies kann aber nicht pauschal dazu führen, die vom Gesetzgeber - im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht - vorgenommene Wertung in dieser Bestimmung überhaupt für unbeachtlich zu erklären.

 

Die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates nach der Dublin-Verordnung ist als negative Prozessvoraussetzung hinsichtlich des Asylverfahrens in Österreich konstruiert. Gegenstand des vorliegenden Berufungsverfahrens ist somit die Frage der Zurückweisung des Asylantrages wegen Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates.

 

Nach Art. 3 Abs. 1 Dublin-Verordnung prüfen die Mitgliedstaaten jeden Asylantrag, den ein Drittstaatsangehöriger (eine Person, die nicht Bürgerin oder Bürger der Europäischen Union ist) an der Grenze oder im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin-Verordnung als zuständiger Staat bestimmt wird. Kapitel III enthält in den Artikeln 6 bis 13 die Zuständigkeitskriterien, die nach Art. 5 Abs. 1 "in der in diesem Kapitel genannten Reihenfolge" Anwendung finden.

 

3.2. Art. 16 Abs. 1 lit. e Dublin-Verordnung ist der Mitgliedstaat, der nach der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Asylantrags zuständig ist, ist gehalten einen Drittstaatsangehörigen, dessen Antrag er abgelehnt hat und der sich unerlaubt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, nach Maßgabe des Art. 20 wieder aufzunehmen.

 

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach dem AsylG 2005 mit einer Ausweisung zu verbinden, wenn der Asylantrag zurückgewiesen wird. Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 sind Ausweisungen nach Abs. 1 unzulässig, wenn dem Fremden entweder im Einzelfall ein nicht auf dieses Bundesgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht zukommt oder diese eine Verletzung von Art. 8 EMRK darstellen würden. Gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 ist, wenn die Durchführung der Ausweisung aus Gründen, die in der Person des Asylwerbers liegen, eine Verletzung von Art.3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, gleichzeitig mit der Ausweisung auszusprechen, dass die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben ist. Gemäß § 10 Abs. 4 AsylG 2005 gilt eine Ausweisung, die mit einer Entscheidung gemäß Abs. 1 Z 1 verbunden ist, stets auch als Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den betreffenden Staat. Besteht eine durchsetzbare Ausweisung, hat der Fremde unverzüglich auszureisen.

 

Gemäß § 28 Abs. 2 AsylG 2005 ist der Antrag zuzulassen, wenn das Bundesasylamt nicht binnen zwanzig Tagen nach seiner Einbringung entscheidet, dass er zurückzuweisen ist, es sei denn, es werden Konsultationen gemäß der Dublin-Verordnung oder einem entsprechenden Vertrag geführt. Dass solche Verhandlungen geführt werden, ist dem Asylwerber innerhalb der 20-Tages-Frist mitzuteilen.

 

3.3. Im gegenständlichen Fall ist das Bundesasylamt ausgehend davon, dass der Beschwerdeführer in der Slowakei illegal in die EU eingereist ist und, dass die Slowakei einer Übernahme des Beschwerdeführers auf der Grundlage des Art. 16 Abs. 1 lit. e Dublin-Verordnung am 11.07.2008 zustimmte, zu Recht von einer Zuständigkeit der Slowakei zur Prüfung des Asylantrages ausgegangen.

 

3.4. Zu prüfen bleibt daher, ob Österreich im gegenständlichen Fall verpflichtet wäre, im Hinblick auf Art. 3 EMRK oder Art. 8 EMRK von seinem Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin-Verordnung Gebrauch zu machen.

 

3.4.1. Zur möglichen Verletzung des Art. 3 EMRK:

 

Der Verfassungsgerichtshof sprach - noch zur Vorläuferbestimmung im AsylG 1997 - in seinem Erkenntnis VfSlg 16.122/2001, aus, dass § 5 AsylG 1997 nicht isoliert zu sehen sei; das im Dubliner Übereinkommen festgelegte Selbsteintrittsrecht Österreichs verpflichte - als Teil der österreichischen Rechtsordnung - die Asylbehörde unter bestimmten Voraussetzungen zur Sachentscheidung in der Asylsache und damit mittelbar dazu, keine Zuständigkeitsbestimmung im Sinne des § 5 leg.cit. vorzunehmen. Eine strikte, zu einer Grundrechtswidrigkeit führende Auslegung (und somit Handhabung) des § 5 Abs. 1 AsylG 1997 sei durch die Heranziehung des Selbsteintrittsrechtes zu vermeiden (diese Ausführungen wurden mit VfSlg. 17.340/2004 auf das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-Verordnung übertragen). Der Verwaltungsgerichtshof schloss sich mit Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 23.01.2003, Zl. 2000/01/0498, der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes an.

 

Der Verfassungsgerichtshof ergänzte mit VfSlg. 17.586/2005 zur oben wiedergegebene Rechtsprechung, dass die Mitgliedstaaten nicht nachzuprüfen haben, ob ein bestimmter Mitgliedstaat generell sicher sei, da die "entsprechende Vergewisserung" nicht durch die Mitgliedstaaten, sondern durch die Organe der Europäischen Union, im konkreten Fall durch den Rat bei der Erlassung der Dublin-Verordnung erfolgt sei. Die einzelnen Mitgliedstaaten hätten daher nicht nachzuprüfen, ob ein anderer generell sicher ist. Insofern sei auch der Verfassungsgerichtshof an die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben gebunden. Eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung eines Asylwerbers in einen anderen Mitgliedstaat im Einzelfall sei jedoch gemeinschaftsrechtlich zulässig. Sollte diese Überprüfung ergeben, dass Grundrechte des betreffenden Asylwerbers etwa durch eine Kettenabschiebung bedroht sind, sei aus verfassungsrechtlichen Gründen das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-Verordnung zwingend auszuüben.

 

In seinem Erkenntnis vom 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582 (das einen Bescheid zur Zuständigkeit Italiens auf der Grundlage des Dubliner Übereinkommen zum Gegenstand hatte) sowie in dem (bereits zur Dublin-Verordnung) Erkenntnis vom 31.05.2005, Zl. 2005/20/0095, führte der Verwaltungsgerichtshof aus, dass in Zuständigkeitsverfahren wie dem gegenständlichen eine Gefahrenprognose zu treffen ist. Dabei sei zu prüfen, ob eine - über die bloße Möglichkeit hinausgehendes - ausreichend substantiierte reale Gefahr ("real risk") besteht, dass ein aufgrund der Dublin-Verordnung in den zuständigen Mitgliedstaat ausgewiesener Asylwerber trotz berechtigtem Schutzbegehren, also auch im Falle der Glaubhaftmachung des von ihm behaupteten Bedrohungsbildes, im Zielstaat der Gefahr einer - direkten oder indirekten - Abschiebung in den Herkunftsstaat ausgesetzt ist. Dabei sei insbesondere zu prüfen, ob der Zielstaat rechtliche Sonderpositionen vertritt, nach denen auch bei der Zugrundelegung der Behauptungen des Asylwerbers eine Schutzverweigerung zu erwarten wäre. Weiters wurde ausgesprochen, dass geringe Asylanerkennungsquoten im Zielstaat für sich allein genommen keine ausreichende Grundlage dafür sind, um vom Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen.

 

Nach der Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (kurz: EGMR) muss der Betroffene die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer aktuellen und ernsthaften Gefahr schlüssig darstellen (vgl. EGMR, Entsch. vom 07.07.1987 Nr. 12877/87 [Kalema gegen Frankreich], DR 53, S. 254 [264]; zum Maßstab des "real risk" siehe auch die Nachweise in VwGH 31.03.2005, 2002/20/0582).

 

Zur Behauptung einer möglichen Bedrohung des Beschwerdeführers:

 

Im gegenständlichen Fall kann nun nicht gesagt werden, dass der Beschwerdeführer ausreichend substantiiert und glaubhaft dargelegt hätte, dass ihm durch eine Rückverbringung in die Slowakei die - über eine bloße Möglichkeit hinausgehende - Gefahr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung drohen würde.

 

Die Slowakei ist ein Rechtstaat mit funktionierender Staatsgewalt. Der Beschwerdeführer kann sich im Falle eventueller Übergriffe gegen seine Person - welche im Übrigen in jedem Land möglich wären - an die slowakischen Behörden wenden und von diesen Schutz erwarten. Der Beschwerdeführer wäre daher allfälligen Übergriffen nicht schutzlos ausgeliefert.

 

Zusammengefasst stellt daher eine Überstellung des Beschwerdeführers in die Slowakei keine Verletzung des Art. 3 EMRK und somit auch keinen Anlass zur Ausübung des Selbsteintrittsrechtes Österreichs nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-Verordnung dar.

 

3.4.2. Zur möglichen Verletzung nach Art. 8 EMRK

 

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in Ausübung dieses Rechts ist gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

Der EGMR bzw. die EKMR verlangen zum Vorliegen des Art. 8 EMRK das Erfordernis eines "effektiven Familienlebens", das sich in der Führung eines gemeinsamen Haushaltes, dem Vorliegen eines Abhängigkeitsverhältnisses oder eines speziell engen, tatsächlich gelebten Bandes zu äußern hat (vgl. das Urteil Marckx [Ziffer 45] sowie Beschwerde Nr. 1240/86, V. Vereinigtes Königreich, DR 55, Seite 234; hierzu ausführlich: Kälin, "Die Bedeutung der EMRK für Asylsuchende und Flüchtlinge: Materialien und Hinweise", Mai 1997, Seite 46).

 

Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse gemeinsame Intensität erreichen. Als Kriterien hierfür kommen etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes oder die Gewährung von Unterhaltsleistungen in Betracht. In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (vgl. EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; siehe auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (vgl. EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311), und zwischen Onkel und Tante und Neffen bzw. Nichten (vgl. EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1989, 761; Rosenmayr ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (vgl. EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).

 

Im vorliegenden Fall behauptet der Beschwerdeführer, dass sein Cousin in Österreich lebt. Diesbezüglich ist zunächst auszuführen, dass die Beziehung zwischen Cousins von der oben zitierten Judikatur des EGMR nicht grundsätzlich umfasst wird. Es ist daher zu prüfen, ob die vom EGMR geforderte Beziehungsintensität im gegenständlichen Fall vorliegt. Hierzu ist zunächst festzuhalten, dass der Cousin des Beschwerdeführers nach seinen Angaben bereits seit Jahren in Österreich lebt. Der Beschwerdeführer wollte aber nicht zu seinem Cousin wegen seiner engen Verbundenheit zu diesem, sondern nach Österreich wegen der erhofften besseren Arbeitsbedingungen. Es liegen auch sonst keine Hinweise auf eine bereits erfolgte außergewöhnliche Integration in Österreich, etwa aufgrund sehr langer Verfahrensdauer, vor (vgl. VfGH 26.02.2007, Zl. B 1802/06).

 

Es kann daher im gegenständlichen Fall nicht von der vom EGMR geforderten Beziehungsintensität gesprochen werden, weshalb eine Ausweisung keinesfalls in das durch Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Privat und Familienleben darstellt.

 

3.4.3. Zusammenfassend kann daher gesagt werden, dass kein Anlass für einen Selbsteintritt Österreichs gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin-Verordnung aufgrund einer drohenden Verletzung der durch Art. 3 und Art. 8 EMRK gewährleisteten Rechte besteht.

 

3.4.5. Hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides ist noch auszuführen, dass keine Hinweise für eine Unzulässigkeit der Ausweisung im Sinne des § 10 Abs. 2 AsylG 2005 ersichtlich sind, da weder ein nicht auf das AsylG 2005 gestütztes Aufenthaltsrecht aktenkundig ist noch der Beschwerdeführer in Österreich über Angehörige im Sinne des Art. 8 EMRK verfügt. Darüber hinaus sind auch keine Gründe für einen Durchführungsaufschub gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 ersichtlich. Was schließlich den seitens des Bundesasylamtes in dem Bescheidspruch aufgenommenen Ausspruch über die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Slowakei anbelangt, so ist darauf hinzuweisen, dass die getroffene Ausweisung, da diese mit einer Entscheidung gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 verbunden ist, gemäß § 10 Abs. 4 erster Satz AsylG 2005 schon von Gesetzes wegen als Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den betreffenden Staat gilt.

 

3.5. Von der Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung konnte gemäß § 41 Abs. 4 AsylG 2005 abgesehen werden.

Schlagworte
Ausweisung, familiäre Situation, Intensität, real risk, staatlicher Schutz
Zuletzt aktualisiert am
31.12.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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