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55 WirtschaftslenkungNorm
B-VG Art7 Abs1 / VerordnungLeitsatz
Aufhebung von Beschlüssen des Mühlenkuratoriums und des Fachausschusses für Mühlen wegen gesetzwidrigen rückwirkenden Inkrafttretens der in Prüfung gezogenen Verordnungen; Rückwirkung aufgrund verspäteter KundmachungSpruch
Die Wortfolgen "ab 1. Juli 1993" und "Ab dem 1. Juli 1993" in Punkt 1. sowie die Wortfolge "für den Monat Juli 1993" in Punkt 2. des Beschlusses des Mühlenkuratoriums vom 30. Juni 1993, kundgemacht im "Amtsblatt zur Wiener Zeitung" am 1. Juli 1993, und die Wortfolgen "ab 1. August 1994" und "Ab 1. August 1994" in Punkt 2. des Beschlusses des Fachausschusses für Mühlen vom 25. August 1994, kundgemacht im "Amtsblatt zur Wiener Zeitung" am 26. August 1994, werden als gesetzwidrig aufgehoben.
Der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten ist zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung im Bundesgesetzblatt II verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu B3739/95 eine auf
Artikel 144 B-VG gestützte Beschwerde anhängig, der folgender Sachverhalt zugrundeliegt:
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 18. Oktober 1995 wurden dem Inhaber einer Getreidemühle für die im Zeitraum Februar 1993 bis Oktober 1994 durchgeführten Vermahlungen und Übermahlungen von Roggen und Weizen Grundbeiträge, Zuschläge zu den Grundbeiträgen sowie Übermahlungszahlungen nach dem Mühlenstrukturverbesserungsgesetz, BGBl. 206/1981 idF BGBl. 299/1995 (kurz: MSTVG), in bestimmter Höhe vorgeschrieben. Als rechtliche Grundlage hiefür werden im Bescheid unter anderem die Beschlüsse des Mühlenkuratoriums vom 30. Juni 1992 (richtig: 1. Juli 1992), vom 29. Juli 1992, vom 24. November 1992, vom 28. April 1993 und vom 30. Juni 1993 sowie die Beschlüsse des Fachausschusses für Mühlen vom 29. September 1993, vom 24. Jänner 1994, vom 23. März 1994, vom 25. August 1994 und vom 28. September 1994, verlautbart im "Amtsblatt zur Wiener Zeitung" am 4. Juli 1992, vom 31. Juli 1992, vom 29. November 1992, vom 30. April 1993, vom 1. Juli 1993, vom 30. September 1993, vom 25. Jänner 1994, vom 31. März 1994, vom 26. August 1994 und vom 30. September 1994 angeführt.
2. Gegen diesen Bescheid wendet sich die zu B3739/95 protokollierte, auf Artikel 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten - unter anderem wegen der rückwirkenden Erlassung der als Verordnung zu qualifizierenden Beschlüsse des Mühlenkuratoriums vom 1. Juli 1992 und vom 30. Juni 1993 - behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte, die Beschwerde abzuweisen, nahm aber zu den Beschwerdevorwürfen nicht Stellung.
Das zur Abgabe einer Stellungnahme eingeladene Bundesministerium für wirtschaftliche Angelegenheiten gab zwar eine Äußerung ab, nahm aber zur behaupteten rückwirkenden Erlassung der Verordnungen keine Stellung.
4. Aus Anlaß dieser bei ihm anhängigen Beschwerde hat der Verfassungsgerichtshof am 11. Dezember 1997 beschlossen, gemäß Artikel 139 Abs1 B-VG die Gesetzmäßigkeit der im Spruch bezeichneten Wortfolgen von Amts wegen zu prüfen, wozu ihn folgende Erwägungen bestimmten:
"Gemäß §13 Abs1 und Abs3 sowie gemäß §4b Abs8 MSTVG sind von den Mühleninhabern Grundbeiträge und Zuschläge zu den Grundbeiträgen zu entrichten. Die Höhe der Grundbeiträge bzw. die Höhe der Zuschläge zu den Grundbeiträgen ist durch Beschluß des Mühlenkuratoriums bzw. (seit 1. Juli 1993) des Fachausschusses für Mühlen festzusetzen.
Gemäß §3 Abs1 MSTVG haben Mühleninhaber bei Überschreitung der festgesetzten bzw. gemäß §2 Abs9 MSTVG herabgesetzten oder erhöhten monatlichen Vermahlungsmenge Übermahlungszahlungen zu leisten. Der Mühlenfonds (seit 1. Juli 1993 hat die Agrarmarkt Austria (AMA) die Vorschriften des MSTVG an Stelle des Mühlenfonds zu vollziehen, vgl. BGBl. 376/1992) hat durch Beschluß des Mühlenkuratoriums die Zahlungen für Übermahlungen über das in §3 Abs1 MSTVG angeführte Ausmaß zu erhöhen, wenn ein Ansteigen der Überschreitungen der Vermahlungsmengen in wirtschaftlich erheblichem Ausmaß eingetreten oder zu befürchten ist. Nach der Bestimmung des §2 Abs9 MSTVG hat der Mühlenfonds (bzw. die AMA) die monatliche Vermahlungsmenge in einem für alle Mühlen einheitlichen Hundertsatz herabzusetzen, wenn die Mehllagerbestände der Mühlen in wirtschaftlich erheblichem Ausmaß gestiegen sind, zu erhöhen, wenn die Mehllagerbestände der Mühlen in wirtschaftlich erheblichem Ausmaß gesunken sind. Für alle von der belangten Behörde angewandten, dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden Beschlüsse des Mühlenkuratoriums bzw. des Fachausschusses für Mühlen ist der letzte Satz des §9 MSTVG (sinngemäß) anzuwenden (vgl. §§3, 4b Abs8, 13 Abs3 MSTVG). §9 MSTVG letzter Satz lautet wie folgt:
'Anordnungen gemäß §2 Abs9 bedürfen zu ihrer Rechtswirksamkeit der Kundmachung im 'Amtsblatt zur Wiener Zeitung'; sie treten nach Maßgabe des Beschlusses, frühestens jedoch am Tage nach der Kundmachung in Kraft'."
5. Der Beschluß des Mühlenkuratoriums vom 30. Juni 1993, kundgemacht im "Amtsblatt zur Wiener Zeitung" am 1. Juli 1993, lautet wie folgt (die in Prüfung gezogenen Wortfolgen sind hervorgehoben):
"1. Der im 'Amtsblatt zur Wiener Zeitung' am 30. April 1993 unter Z. 1 verlautbarte Beschluß wird wie folgt abgeändert:
Gemäß §4 b Abs8 wird die Höhe des Zuschlags zu den Grundbeiträgen mit
9,- S je 100 kg Roggenvermahlung,
9,50 S je 100 kg Weizenvermahlung,
ausgenommen die Vermahlung von Durumweizen, festgesetzt. Dieser Beschluß gilt ab 1. Juli 1993 bis auf weiters.
Ab dem 1. Juli 1993 werden daher an Grundbeiträgen und Zuschlägen zusammen
13,50 S je 100 kg Roggenvermahlung und
14,50 S je 100 kg Weizenvermahlung,
ausgenommen die Vermahlung von Durumweizen, zu entrichten
sein.
2. Gemäß §2 Abs9 wird die Vermahlungsmenge für den Monat Juli 1993 um 15 % herabgesetzt. Somit steht eine Vermahlungsmenge von
85 %
zur Verfügung."
Der Beschluß des Fachausschusses für Mühlen vom 25. August 1994, kundgemacht im "Amtsblatt zur Wiener Zeitung" am 26. August 1994, hat folgenden Wortlaut (die in Prüfung gezogenen Wortfolgen sind hervorgehoben):
"Der im 'Amtsblatt zur Wiener Zeitung' vom 31. Juli 1992 unter Z. 1 verlautbarte Beschluß wird wie folgt abgeändert:
Die Höhe der Grundbeiträge wird mit
S 14,50 je 100 kg Roggenvermahlung,
S 15,-- je 100 kg Weizenvermahlung,
festgesetzt. Dieser Beschluß gilt ab 1. August 1994 bis auf weiteres.
Ab 1. August 1994 werden daher an Grundbeiträgen und Zuschlägen zusammen
S 25,50 je 100 kg Roggenvermahlung,
S 26,50 je 100 kg Weizenvermahlung,
S 15,-- je 100 kg Durumvermahlung
zu entrichten sein."
6. Der Verfassungsgerichtshof ging in seinem Beschluß vom 11. Dezember 1997 vorläufig davon aus, daß die Beschwerde zulässig sein dürfte und daß er daher eine Sachentscheidung zu treffen haben werde. Hiebei habe er anscheinend auch die Rückwirkungsvorschrift der oben erwähnten Verordnungen anzuwenden, weil aufgrund der dem Verfassungsgerichtshof vorliegenden Verwaltungsakten nicht ausgeschlossen werden könne, daß die Vermahlungen und Übermahlungen vor den Kundmachungen der Verordnungen stattgefunden hätten.
Er äußerte ob der Gesetzmäßigkeit der in Prüfung gezogenen Bestimmungen das Bedenken, daß sie das Legalitätsprinzip des Art18 B-VG verletzten. Der Prüfungsbeschluß führt hiezu aus:
"Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf eine Verordnung, wenn im Gesetz diesbezüglich nicht eine ausdrückliche Ermächtigung enthalten ist, nicht mit rückwirkender Kraft ausgestattet werden (vgl. VfSlg. 12843/1991, 13370/1993 und VfGH 27.9.1996 V156,157/95 mwH). Daß eine solche Ermächtigung vorgelegen wäre, ist nicht ersichtlich und wird von der belangten Behörde nicht behauptet. Der (sinngemäß) anzuwendende letzte Satz des §9 MSTVG scheint eine rückwirkende Inkraftsetzung der in Rede stehenden Beschlüsse nicht zu decken. Demnach scheint für die Rückwirkungsbestimmungen - entgegen dem Art18 Abs1 und 2 B-VG - eine gesetzliche Grundlage zu fehlen."
7. Der Verwaltungsrat der AMA (diese hat seit 1. Juli 1993 die Vorschriften des MSTVG zu vollziehen; vgl. BGBl. 376/1992) erstattete im Verordnungsprüfungsverfahren eine Äußerung, in welcher er beantragte, die in Prüfung gezogenen Wortfolgen nicht als gesetzwidrig aufzuheben. Dies begründet er wie folgt (Hervorhebungen und Fußnoten wurden nicht übernommen):
"Einleitend ist zu bemerken, daß vom gegenständlichen Beschluß gemäß Art139 Abs1 B-VG lediglich die Monate Juli 1993 und August 1994 umfaßt sind, auf den übrigen Zeitraum Februar 1993 bis Oktober 1994 hat der Beschluß keine rechtlichen Auswirkungen.
I. Die Beschlüsse des Mühlenkuratoriums vom 30.06.1993, kundgemacht im 'Amtsblatt zur Wiener Zeitung' am 01.07.1993:
Die beiden Beschlüsse des Mühlenkuratoriums (Beilage ./1) sind getrennt voneinander zu betrachten und haben verschiedene Auswirkungen.
1. Die Höhe des Zuschlags zu den Grundbeiträgen gemäß §4b Abs8 MSTVG wurde mit 01.07.1993 von öS 11,-- je 100 kg Roggen- und öS 11,50 je 100 kg Weizenvermahlung auf öS 9,--, bzw. öS 9,50 je 100 kg Vermahlung herabgesetzt.
Die Wortfolge 'ab 1. Juli 1993' brachte durch die Rückwirkung somit eine Besserstellung der Mühlen.
2. Die Herabsetzung der Vermahlungsmenge 'für den Monat Juli 1993' gemäß §2 Abs9 MSTVG erfolgte allenfalls verspätet, nicht jedoch rückwirkend. Rückwirkend wäre eine Kundmachung im konkreten Fall nach dem Monat Juli 1993 gewesen. Durch die Notwendigkeit, monatlich auf Veränderungen der Vermahlungsmenge zu reagieren, war eine Kundmachung immer erst knapp zum Monatsletzten des Vormonats möglich. Trotz der um einen Tag verspäteten Kundmachung war eine Disposition für den Monat Juli 1993 für die übrigen 280 Mühlen deshalb möglich, weil die tägliche Vermahlungskapazität in etwa gleich bleibt und üblicherweise nicht am Monatsersten auf Veränderungen der Monatsvermahlungsmenge reagiert wurde. So hat auch die Beschwerdeführerin mit Meldung vom 04.08.1993 (Beilage ./2), eingelangt bei der AMA am 11.08.1993, ihre Vermahlungsmeldung für den Monat Juli 1993 - in der Höhe von 85 % ihrer bescheidmäßig zuerkannten Monatsvermahlungsmenge von 78.500 kg - eingereicht und an Grundbeiträgen und Zuschlägen für den Monat Juli 1993 den bescheidmäßig festgesetzten Betrag (Beilage ./3) von öS 9.555,-- entrichtet.
Sollte der Verfassungsgerichtshof der Auffassung der AMA nicht folgen, wäre, mangels einer Festsetzung der Vermahlungsmenge gemäß §2 Abs9 MSTVG für den Monat Juli 1993 die gemäß §2 Abs8 für das Jahr 1993 festgelegte Vermahlungsmenge von 100 % (Beilage ./4), somit für die Mühle Korseska eine Monatsvermahlungsmenge für Juli 1993 von 78.500 kg zugrundezulegen. Dies hätte eine Verminderung der Übermahlungsmenge um 11.775 kg zur Folge, die Höhe von öS 400,-- je 100 kg bliebe jedoch unverändert, da der bekämpfte Bescheid nicht gemeldete, sogenannte Schwarzvermahlungen beinhaltet, die zusätzliche, in der obigen Meldung nicht enthaltene Vermahlungen darstellen, weshalb die Übermahlung, auch nach der Korrektur, fast 300 % des Monatskontingents beträgt und somit der Höchstsatz anzuwenden ist.
Daß diese Übermahlung vor der Kundmachung stattgefunden hat, kann ausgeschlossen werden, da die Vermahlung einer Menge von mehr als 78.500 kg (oder auch nur mehr als 66.725 kg) an einem einzigen Tag von der Kapazität der Mühle her nicht möglich war.
II. Der Beschluß des Fachausschusses für Mühlen vom 25.08.1994, kundgemacht im 'Amtsblatt zur Wiener Zeitung' am 26.08.1994:
Hier sei vorausgeschickt, daß aufgrund des ArtI (Verfassungsbestimmung) des V. Abschnittes Mühlenstrukturverbesserungsgesetz der MSTVG-Novelle 1994, BGBl. Nr. 664/1994, die in den ArtII und III geregelten Angelegenheiten ab 01.07.1994 unmittelbar von Bundesbehörden wahrgenommen werden können.
Auch ArtII Z5, der die Verordnungsermächtigung der AMA zur Erhöhung der Grundbeiträge regelt, tritt gemäß ArtIV Abs1 des V. Abschnittes mit 01.07.1994, also rückwirkend in Kraft. Das erwähnte Gesetz wurde am 23.08.1994 im Bundesgesetzblatt kundgemacht.
Da ein Auslaufen des MSTVG durch den bereits absehbaren EU-Beitritt mit Ende 1994 wahrscheinlich wurde, mußte zur Abdeckung der gemäß §13 Abs5 MSTVG aufgenommenen Kredite eine Erhöhung der Grundbeiträge gemäß §13 Abs1 Z1 MSTVG von öS 0,80 je 100 kg Weizenvermahlung und von öS 0,55 je 100 kg Roggenvermahlung auf öS 15,-- bzw. öS 14,50 je 100 kg vorgesehen werden.
Die Kalkulation der konkreten Höhe der Grundbeiträge erfolgte auf Basis 01.07.1994 bis 31.12.1994.
Durch die späte Kundmachung der Novelle wären die Höchstsätze ohne Rückwirkung nicht mehr ausreichend gewesen, um eine gänzliche Abdeckung der Kredite zu gewährleisten. Der Fachausschuß für Mühlen machte daher von der Möglichkeit der rückwirkenden Inkraftsetzung der Novelle mit 01.07.1994 Gebrauch und erhöhte die Grundbeiträge ab 01.08.1994 (Beilage./5).
Anzumerken bleibt, daß die aufgenommenen Kredite in den Jahren davor für die Strukturbereinigung der Mühlenwirtschaft aufgenommen und verwendet worden waren und die Folgen eines um ein Jahr verfrühten Auslaufens des MSTVG in der Mühlenwirtschaft spätestens seit der Begutachtungsphase der MSTVG-Novelle 1994 bekannt waren. So ist es auch zu erklären, daß sämtliche Mühleninhaber - die Beschwerdeführerin eingeschlossen - die von ihnen zuvor gemeldeten (Beilage./6) und bescheidmäßig vorgeschriebenen Grundbeiträge (Beilage./7) in der Höhe von öS 15,-- bzw. öS 14,50 je 100 kg. Weizen-, bzw. Roggenvermahlung für den Monat August 1994 entrichteten.
Sollte der Verfassungsgerichtshof der Auffassung der AMA nicht folgen, wäre im bekämpften Bescheid für den Monat August 1994 eine Änderung beim Beitragssatz für die Grundbeiträge, nicht jedoch bei der 85%-igen Vermahlungsmenge und auch nicht bei der Übermahlungsmenge, die zu 100 % eine nicht gemeldete 'Schwarzvermahlungsmenge' darstellt, vorzunehmen."
II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
1. Die Behörde hat den im Anlaßbeschwerdeverfahren bekämpften Bescheid auch auf die als Verordnungen in Geltung stehenden, in Prüfung gezogenen Beschlüsse gegründet. Der Verfassungsgerichtshof wird bei Beurteilung der zu B3739/95 protokollierten, gemäß Art144 B-VG zulässigen Beschwerde diese Verordnungen anzuwenden haben, zumal nicht ausgeschlossen werden kann, daß die Vermahlungen und Übermahlungen vor Kundmachung der Verordnungen erfolgten.
Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist das Verordnungsprüfungsverfahren zulässig.
2. Das Prüfungsverfahren hat ergeben, daß die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes zutreffen.
Zunächst sei angemerkt, daß es nicht - wie der Verwaltungssenat des AMA vermeint - darauf ankommt, ob der Beschwerdeführer des Anlaßverfahrens durch das rückwirkende Inkrafttreten der Verordnung in seinem Vertrauen enttäuscht wurde.
2.1. Gemäß §9 MSTVG letzter Satz bedürfen Anordnungen gemäß §2 Abs9 zu ihrer Rechtswirksamkeit der Kundmachung im "Amtsblatt zur Wiener Zeitung" und treten nach Maßgabe des Beschlusses, frühestens jedoch am Tage nach der Kundmachung in Kraft. §9 letzter Satz leg.cit. ist u.a. auf die Regelungen der §§4b Abs8 und 13 Abs3 leg.cit. sinngemäß anzuwenden.
2.1.1. Mit Beschluß des Mühlenkuratoriums vom 30. Juni 1993 wurde gemäß §4b Abs8 MSTVG in Abänderung des am 30. April 1993 im "Amtsblatt zur Wiener Zeitung" verlautbarten Beschlusses die Höhe des Zuschlages zu den Grundbeiträgen für die Vermahlung von Roggen und Weizen (ausgenommen Durumweizen) neu festgesetzt und verfügt, daß dieser Beschluß ab 1. Juli 1993 bis auf weiteres gilt, sowie festgestellt, in welcher Höhe ab dem 1. Juli 1993 Grundbeiträge und Zuschläge zusammen zu entrichten sein werden. Weiters wurde gemäß §2 Abs9 MSTVG die Vermahlungsmenge für den Monat Juli 1993 um 15 % herabgesetzt.
Die Kundmachung des Beschlusses vom 30. Juni 1993 erfolgte am 1. Juli 1993 im "Amtsblatt zur Wiener Zeitung". Gemäß §9 letzter Satz MSTVG - dieser gilt für Maßnahmen nach §4b Abs8 leg.cit. sinngemäß - hätte der Beschluß gesetzeskonform jedoch frühestens mit dem der Kundmachung folgenden Tag, sohin mit 2. Juli 1993, in Kraft gesetzt werden dürfen. Die Verordnung verfügt jedoch gesetzwidrig ihr rückwirkendes Inkrafttreten mit 1. Juli 1993.
Wenn die AMA vermeint, es handle sich hiebei nicht um eine Rückwirkung, sondern lediglich um eine Verspätung, so ist ihr entgegenzuhalten, daß gerade die verspätete Kundmachung die verpönte Rückwirkung der Verordnung bewirkt.
2.1.2. Mit Beschluß des Fachausschusses für Mühlen vom 25. August 1994 wurde gemäß §13 Abs3 MSTVG in Abänderung des am 31. Juli 1992 im "Amtsblatt zur Wiener Zeitung" verlautbarten Beschlusses die Höhe der Grundbeiträge für Roggen- und Weizenvermahlungen neu festgesetzt und verfügt, daß dieser Beschluß ab 1. August 1994 bis auf weiteres gilt, sowie festgestellt, in welcher Höhe ab 1. August 1994 Grundbeiträge und Zuschläge zusammen für Roggen-, Weizen- und Durumweizenvermahlungen zu entrichten sein werden.
Die Kundmachung dieses Beschlusses erfolgte im "Amtsblatt zur Wiener Zeitung" am 26. August 1994. Gemäß §13 Abs3 letzter Satz MSTVG gilt §9 leg.cit. sinngemäß; sohin hätte die Verordnung gesetzeskonform frühestens mit 27. August 1994 in Kraft gesetzt werden dürfen. Die Verordnung verfügt jedoch ohne gesetzliche Grundlage ihr rückwirkendes Inkrafttreten mit 1. August 1994.
Die AMA verteidigt die Verordnung damit, daß ArtII Z5 des V. Abschnittes der Mühlenstrukturverbesserungsgesetz-Novelle 1994, BGBl. 664 (kundgemacht am 23. August 1994), welcher die Verordnungsermächtigung der AMA zur Erhöhung der Grundbeiträge normiert, selbst gemäß ArtIV Abs1 des V. Abschnittes der vorzitierten Novelle mit 1. Juli 1994 rückwirkend in Kraft getreten war, und daß darüber hinaus die Erhöhung der Grundbeiträge mit 1. August 1994 geboten war, weil ansonsten eine gänzliche Abdeckung der gemäß §13 Abs5 MSTVG aufgenommenen Kredite nicht mehr möglich gewesen wäre - dies infolge des absehbaren Beitrittes zur Europäischen Union und damit des um ein Jahr früheren Außerkrafttretens des Mühlenstrukturverbesserungsgesetzes.
Diese Umstände ersetzen nicht die für eine rückwirkende Verordnungserlassung erforderliche gesetzliche Ermächtigung.
2.2. Das rückwirkende Inkrafttreten des Beschlusses des Mühlenkuratoriums vom 30. Juni 1993 wie des Beschlusses des Fachausschusses für Mühlen vom 25. August 1994 verstößt gegen das in §9 MSTVG ausdrücklich normierte Verbot rückwirkender Verordnungserlassung. Daher waren die in Prüfung gezogenen Wortfolgen aufzuheben.
Durch ArtII Z6 MSTVG-Novelle 1995, BGBl. 299/1995, wurde dem §4b ein Abs9 angefügt, welcher normiert, daß die vorherstehenden Absätze nur auf jene Sachverhalte anzuwenden sind, die vor dem 1. Jänner 1995 verwirklicht wurden; mit ArtII Z7 wurde nach §13 Abs1 ein Abs1a eingefügt, welcher bestimmt, daß Beiträge und Zahlungen gemäß Abs1 Z1 bis 4 von Mühleninhabern nur für jene diesen Beiträgen und Zahlungen zugrundeliegenden Sachverhalte zu leisten sind, die vor dem 1. Jänner 1995 verwirklicht wurden. Das MSTVG trat - im Umfang des §18 Abs4 - mit Ablauf des 31. Dezember 1995 außer Kraft.
Obwohl der zeitliche Anwendungsbereich der gegenständlichen Beschlüsse auf bereits verwirklichte Sachverhalte beschränkt ist, ist dennoch nicht mit einem Ausspruch gemäß Art139 Abs4 B-VG vorzugehen, weil die Beschlüsse - wie der Verfassungsgerichtshof im Sinne seiner Judikatur zum Abgabenrecht (VfSlg. 8101/1977, 8709/19979, 9374/1982, 11559/1987) annimmt - weiterhin in Geltung stehen.
3. Die Verpflichtung des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten zur unverzüglichen Kundmachung gründet sich auf Art139 Abs5 B-VG.
4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
Schlagworte
Mühlen, Vertrauensschutz, Rückwirkung, Verordnung, Kundmachung, Geltungsbereich (zeitlicher) einer VerordnungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1998:V27.1998Dokumentnummer
JFT_10019376_98V00027_00