TE AsylGH Erkenntnis 2008/09/04 B4 220512-0/2008

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Veröffentlicht am 04.09.2008
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Spruch

B4 220.512-0/2008/5E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Florian NEWALD als Vorsitzender und die Richterin Mag. Karin WINTER als Beisitzerin über die Beschwerde des P.I., geboren am 00.00.1975, serbischer Staatsangehöriger, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 14.12.2000, Zl. 00 11.383-BAT, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

In Erledigung der Beschwerde wird der Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang

 

1. Der Beschwerdeführer reiste am 27.8.2000 unter Umgehung der Grenzkontrolle nach Österreich ein und begehrte am gleichen Tag die Gewährung von Asyl.

 

2. Am 30.10.2000 beim Bundesasylamt zu seinen Fluchtgründen einvernommen, gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen Folgendes an:

Er sei jugoslawischer Staatsangehöriger, gehöre der albanischen Volksgruppe und dem muslimischen Glauben an und stamme aus dem in der südserbischen Gemeinde P. gelegenen Ort R.. Als er am 20.8.2000 in P. auf dem Gehsteig gegangen sei, habe ein Fahrzeug mit drei Männern in Militäruniformen neben ihm angehalten, die ihn zur Ausweisleistung aufgefordert hätten. Aufgrund seines Namens hätten sie festgestellt, dass er der albanischen Volksgruppe angehöre, hätten ihn beschimpft und in weiterer Folge wegen seiner Volksgruppenzugehörigkeit schwer misshandelt. Man habe ihn mit Stöcken aus Kunststoff auf verschiedene Körperstellen geschlagen; zuvor habe man ihm die Hände mit Klebeband zusammengebunden. Die Männer hätten ihn mit dem Umbringen bedroht und auch von ihm Geld erpresst. Ein vorbeikommender Albaner habe ihn dann von seinen Fesseln befreit und er sei von einer Krankenschwester behandelt worden. Er habe heute noch Schmerzen in den Handwurzeln. Der Beschwerdeführer habe sich nicht politisch betätigt. Im Falle einer Rückkehr hätte er Angst, abermals von den Männern misshandelt zu werden. Nach Serbien könne er erst zurückkehren, wenn ein friedliches Zusammenleben der Volksgruppen möglich sei. An die Polizei habe er sich nicht wenden können, da diese ihm aufgrund seiner albanischen Volksgruppenzugehörigkeit Hilfe verweigert habe; er wäre auch Gefahr gelaufen, von der Polizei misshandelt zu werden.

 

3. Am 13.11.2000 fand eine Untersuchung des Beschwerdeführers durch Dr. J.G., Facharzt für Unfallchirurgie und Sporttraumatologie statt. In seinem Gutachten kam Dr. G. zum Schluss, dass die vom Beschwerdeführer angegebenen Misshandlungen am 20.8.2000 "ohne weiters stattgefunden haben können"; einen "schlüssigen medizinischen Beweis dafür oder dagegen" gebe es nicht. Eine über längere Zeit andauernde Fesselung der Hände durch Elektrokabel könne "jedoch gutachterlich eher ausgeschlossen werden".

 

4. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG 1997 idF BGBl. I Nr. 126/2002 ab (Spruchpunkt I.) und erklärte gemäß § 8 leg.cit. die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers "in die BR Jugoslawien, Provinz Kosovo" für zulässig (Spruchpunkt II). Es beurteilte die Angaben des Beschwerdeführers als glaubwürdig, hielt aber fest, dass ihm im Kosovo eine innerstaatliche Fluchtalternative offenstehe.

 

4. Gegen beide Spruchpunkte dieses Bescheides richtet sich die vorliegende, fristgerechte, nun als Beschwerde (vgl. dazu weiter unten) zu behandelnde (und daher in der Folge so bezeichnete) Berufung.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1.1. Gemäß § 75 Abs. 1 Asylgesetz 2005 sind "[A]lle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren [...] nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen. § 44 AsylG 1997 gilt."

 

Gemäß § 44 Abs. 1 AsylG 1997 idF der AsylG-Novelle 2003 sind Verfahren über Asylanträge, die bis zum 30.4.2004 gestellt worden sind, nach den Bestimmungen des AsylG idF BG BGBl. I 126/2002 zu führen.

 

Der Beschwerdeführer hat seinen Asylantrag vor dem 1.5.2004 gestellt; das Verfahren ist daher nach dem AsylG idF BG BGBl. I 126/2002 zu führen.

 

1.2. Gemäß § 23 Asylgerichtshofgesetz (Asylgerichtshof-Einrichtungsgesetz; Art. 1 BG BGBl. I 4/2008) sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

Die Zuständigkeit des Asylgerichtshofes stützt sich auf § 38 AsylG 1997. Diese Bestimmung spricht zwar vom "unabhängigen Bundesasylsenat" und ist durch das AsylGH-EinrichtungsG nicht geändert worden; auch die Übergangsbestimmungen des AsylG 2005 ergeben insoweit nichts. Da jedoch gemäß Art. 151 Abs. 39 Z 1 B-VG der unabhängige Bundesasylsenat am 1. Juli 2008 zum Asylgerichtshof geworden ist und dieses Gericht gemäß Art. 151 Abs. 39 Z 4 B-VG die am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängigen Verfahren weiterzuführen hat, ist davon auszugehen, dass sich § 38 AsylG 1997 nunmehr auf den Asylgerichtshof bezieht. Ebenso ist davon auszugehen, dass sich jene Bestimmungen des AsylG 1997, die von "Berufungen" sprechen, nunmehr auf Beschwerden beziehen (vgl. dazu AsylGH 12.8.2008, C5 251.212-0/2008/11E).

 

2.1. Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen. Gemäß Abs. 3 leg. cit. kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist. Bei der Aufhebung nach § 66 Abs. 2 AVG handelt es sich um eine verfahrensrechtliche Entscheidung (vgl. VwGH 21.6.1989, 89/01/0061).

 

2.2. Wie der Verwaltungsgerichtshof in seiner bisherigen Rechtsprechung (VwGH 21.11.2002, 2000/20/0084; 21.11.2002, 2002/20/0315; ähnlich auch VwGH 12.12.2002, 2000/20/0236; 30.9.2004, 2001/20/0135; ebenso der Sache nach zu einem Verfahren, in dem der unabhängige Bundesasylsenat einen nach § 5 AsylG 1997 idF der AsylGNov. 2003 ergangenen Bescheid nach § 66 Abs. 2 AVG aufgehoben hatte: VwGH 9.5.2006, 2005/01/0141) ausgeführt hat, war in Asylsachen ein zweiinstanzliches Verfahren (mit nachgeordneter Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts) eingerichtet; dabei kam dem unabhängigen Bundesasylsenat - einer gerichtsähnlichen, unparteilichen und unabhängigen Instanz als besonderem Garanten eines fairen Asylverfahrens - die Rolle einer "obersten Berufungsbehörde" zu (Art. 129 c Abs. 1 B-VG idF vor Art. 1 Z 5 BG BGBl. I 100/2005). In diesem Verfahren hatte bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln, und es war gemäß § 27 Abs. 1 AsylG 1997 grundsätzlich verpflichtet, den Asylwerber dazu persönlich zu vernehmen. Diese Anordnungen würden aber - so die Rechtsprechung zu dieser Rechtslage - unterlaufen, wenn ein Ermittlungsverfahren in erster Instanz unterbliebe und somit nahezu das gesamte Verfahren vor die Berufungsbehörde - den unabhängigen Bundesasylsenat - verlagert würde, sodass die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen zur bloßen Formsache würde. Das wäre etwa der Fall, wenn es das Bundesasylamt ablehnte, auf das Vorbringen des Asylwerbers sachgerecht einzugehen und - so die Beispiele der Rechtsprechung - brauchbare Ermittlungsergebnisse in Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen. Es liegt nicht im Sinne des Gesetzes, wenn es die Berufungsbehörde ist, die erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und beurteilt, sodass sie ihre umfassende Kontrollbefugnis nicht wahrnehmen kann. Eine ernsthafte Prüfung des Antrages soll nicht erst bei der "obersten Berufungsbehörde" beginnen und zugleich enden, sieht man von der im Sachverhalt beschränkten Kontrolle ihrer Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof ab. Auch bei Bedachtnahme auf eine mögliche Verlängerung des Gesamtverfahrens konnte dies dafür sprechen, nach § 66 Abs. 2 AVG vorzugehen.

 

Diese Erwägungen müssen umso mehr für das Verfahren vor dem Asylgerichtshof, der als Gericht nach Erschöpfung des Instanzenzuges (ua.) "über Bescheide der Verwaltungsbehörden in Asylsachen" erkennt, gelten (vgl. dazu ausführlich AsylGH 12.8.2008, C5 251.212-0/2008/11E).

 

3.1. Für Personen mit (ehemaliger) jugoslawischer Staatsangehörigkeit, die wie der Beschwerdeführer nicht aus dem Kosovo stammen, ist das Gebiet des Kosovo - ausgehend vom Konzept zweier Herkunftsstaaten (und zwar dem Kosovo einerseits und der Bundesrepublik Jugoslawien, jetzt Serbien, ohne den Kosovo andererseits), welches der Verwaltungsgerichtshof seit Errichtung der UN-Verwaltung im Kosovo verfolgt - nicht als Teil ihres "Herkunftsstaates" in Betracht zu ziehen bzw. war dies schon vor der Unabhängigkeit des Kosovo nicht der Fall (vgl. VwGH 9.7.2002, 2001/01/0550). Daher scheidet - entgegen der Ansicht des Bundesasylamtes - für den Beschwerdeführer eine innerstaatliche Fluchtalternative im Kosovo aus rechtlichen Gründen aus. Somit hat es das Bundesasylamt unterlassen, sich mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers, aufgrund seiner Zugehörigkeit zur albanischen Volksgruppe in Serbien Verfolgung befürchten zu müssen, hinreichend auseinanderzusetzen. Insbesondere hat es keine Ermittlungen zur Situation der albanischen Minderheit in Serbien nach der Verhandlungslösung zwischen der serbischen Regierung und der UCPMB vom Mai 2001 angestellt.

 

3.2. Da der Beschwerdeführer zum Ergebnis dieser Ermittlungen zu hören ist, ist die Durchführung einer mündlichen Verhandlung iSd § 66 Abs. 2 AVG unvermeidlich, wobei es unerheblich ist, ob eine Verhandlung oder nur eine Vernehmung erforderlich ist.

 

3.3. Auf Grund der unter Punkt 2.2. angestellten Erwägungen kann auch nicht gesagt werden, dass die unmittelbare Beweisaufnahme durch den Asylgerichtshof bei einer Gesamtbetrachtung zu einer Ersparnis an Zeit und Kosten führen würde.

 

4. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung, Volksgruppenzugehörigkeit
Zuletzt aktualisiert am
10.02.2009
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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