Index
10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
VwGG §55 Abs3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Pelant als Richter, im Beisein des Schriftführers DDDr. Jahn, in den Beschwerdesachen des MM in W, vertreten durch Dr. Wolfgang Rainer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schwedenplatz 2/74, gegen den Unabhängigen Verwaltungssenat Wien, wegen Verletzung der Entscheidungspflicht hinsichtlich einer Richtlinienbeschwerde (hg. Zl. 2001/01/0014) und einer Maßnahmenbeschwerde (hg. Zl. 2001/01/0015), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Verfahren werden eingestellt.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von insgesamt S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die belangte Behörde hat nach Einleitung des Vorverfahrens über die Säumnisbeschwerden über die deren Gegenstand bildenden Angelegenheiten mit dem Bescheid vom 27. Februar 2001, Zlen. UVS- 02/43/2772/2000/55 und UVS-02/43/3102/2000, entschieden und eine Abschrift dieses Bescheides dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt.
Zugleich hat die belangte Behörde die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine "Stellungnahme" erstattet, in der sie den "Antrag" stellt, der Verwaltungsgerichtshof möge "den Akt dem hohen Verfassungsgerichtshof mit dem Antrag auf Prüfung des § 27 Abs. 1 AVG (gemeint: VwGG) auf seine verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit" vorlegen.
Zur Begründung dieses "Antrages" wird nach einer Wiedergabe von Inhalten des § 27 VwGG, des § 73 AVG und des Art. 6 EMRK "zum besseren Verständnis" dargelegt, in welcher Form der Gesetzgeber seit der Einführung der unabhängigen Verwaltungssenate in § 73 AVG auf diese Senate Bedacht genommen habe. Die erwähnte Bestimmung sei zunächst "mit BGBl. Nr. 51/1991" (das ist die Kundmachung der Wiederverlautbarung des AVG; gemeint ist wohl die Novelle BGBl. Nr. 357/1990) "dahingehend geändert" worden, dass die unabhängigen Verwaltungssenate in ihr (gemeint: in den Abs. 2 und 3) "entsprechend eingearbeitet" worden seien. Mit BGBl. Nr. 471/1995 sei auch in § 73 Abs. 1 AVG eine Erwähnung der unabhängigen Verwaltungssenate eingeführt worden. Bei der nächsten Gesetzesnovelle durch BGBl. (gemeint: BGBl. I) Nr. 158/1998 seien die unabhängigen Verwaltungssenate aus § 73 Abs. 1 AVG "wieder herausgenommen worden". "Im Gegenzug" sei in § 73 Abs. 2 AVG "eine Bestimmung dahingehend eingeführt" worden, "dass Devolutionsanträge abzuweisen sind, sofern die Verzögerung nicht ausschließlich auf ein Verschulden der Behörde zurückzuführen ist" (was aber nicht der mit der erwähnten Novelle eingeführte, sondern der ursprüngliche Inhalt dieses Teils der Vorschrift ist).
Daran anschließend wird in der Stellungnahme der belangten Behörde unter insgesamt dreimaliger Bezugnahme auf die "EB zu BGBl. (gemeint: BGBl. I) Nr. 158/1998, 130 der Beilagen, XIX. GP" ausgeführt, in diesen Erläuterungen werde die Ansicht vertreten, die Entscheidungspflicht der unabhängigen Verwaltungssenate ergebe sich "bereits aus Abs. 1", weshalb "§ 27 VwGG nicht unanwendbar würde".
Nach Ansicht der belangten Behörde könne dem nicht gefolgt werden. Auch für das Verfahren vor den unabhängigen Verwaltungssenaten "wäre eine eindeutig normierte Entscheidungspflicht vorzusehen", wenn die "definitive Anführung" der unabhängigen Verwaltungssenate, wie den zitierten Erläuterungen zu entnehmen sei, "in die Systematik des § 73 AVG nicht passen" sollte. Die "derzeitige ausschließliche Regelung durch § 27 VwGG" würde "jedoch dazu führen, dass bezüglich der Entscheidungsfrist der unabhängigen Verwaltungssenate auf ein etwaiges Verschulden - wie nunmehr in § 73 Abs. 2 AVG festgeschrieben - nicht abzustimmen" sei. Dies würde "bedeuten, dass jedenfalls nach Ablauf der 6-Monatsfrist eine Säumnis und somit auch eine Kostenersatzpflicht der unabhängigen Verwaltungssenate (resp. des Rechtsträgers) gegeben" sei.
Daran anschließend wird in der Stellungnahme der belangten Behörde mit näheren Ausführungen zur "österreichischen Grundrechtsdogmatik" dargelegt, weshalb ein solches Ergebnis unsachlich und daher verfassungswidrig sei. Gehe man hingegen davon aus, dass § 27 Abs. 1 VwGG keine Entscheidungsfrist normiere, so seien die Säumnisbeschwerden mangels Geltung einer solchen Frist für die unabhängigen Verwaltungssenate (gemeint offenbar: zumindest in Angelegenheiten wie den vorliegenden) als unzulässig zurückzuweisen.
Schließlich wird hilfsweise noch ausgeführt, eine schnellere Entscheidung sei in der vorliegenden Angelegenheit - unter anderem deshalb, weil der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers "äußerst versiert" und daher "in der Lage" sei, "jederzeit die Verfahren entsprechend zu verzögern" - nicht möglich gewesen. In diesem Zusammenhang bringt die belangte Behörde noch einmal ihre Ansicht zum Ausdruck, die Kostenersatzpflicht im Säumnisbeschwerdeverfahren bestehe auch dann, wenn die verspätete Erlassung des Bescheides ihre Ursache in einer "umfangreichen Verfahrensführung" habe. In Bezug auf die vom Rechtsvertreter des Beschwerdeführers in den vorliegenden Verfahren gestellten Beweisanträge räumt die belangte Behörde aber ein, sie seien "wohl statthaft" gewesen. Der abschließende (Eventual)Antrag, die Säumnisbeschwerden "insofern" abzuweisen, "als" die Säumnis durch eine willkürliche Verfahrensverzögerung seitens des Beschwerdeführers herbeigeführt worden sei, lässt nicht erkennen, wodurch der Beschwerdeführer ein solches Verhalten gesetzt haben sollte.
Den Ausführungen der belangten Behörde ist zunächst in ihrem darstellenden Teil (abgesehen von den schon aufgezeigten Unrichtigkeiten) entgegenzuhalten, dass es sich bei 130 BlgNR 19. GP nicht um die Erläuterungen zur Novelle BGBl. I Nr. 158/1998, sondern um diejenigen zur Novelle BGBl. Nr. 471/1995 handelt und die Heranziehung der Erläuterungen zu derjenigen Novelle, mit der die Bezugnahme auf die unabhängigen Verwaltungssenate in § 73 Abs. 1 AVG eingeführt wurde, zum Verständnis der späteren Novelle, mit der diese Bezugnahme beseitigt wurde, naturgemäß nichts beiträgt. Die zuletzt erwähnte Änderung wurde im ihr zu Grunde liegenden Bericht und Antrag des Verfassungsausschusses, 1167 BlgNR 20. GP 40, damit begründet, dass sich die gesonderte Hervorhebung der unabhängigen Verwaltungssenate in dieser Gesetzesstelle erübrige, weil "auch die unabhängigen Verwaltungssenate Behörden im Sinne des AVG und VStG" seien. Daran wäre freilich auch ohne diesen Hinweis in den Materialien nicht zu zweifeln, weshalb der Ansicht der belangten Behörde, die unabhängigen Verwaltungssenate würden von § 73 Abs. 1 AVG nicht mehr erfasst, von vornherein nicht näher zu treten ist. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass beide Novellen in der Literatur ausführlich kommentiert wurden, woraus sich ebenfalls ein fehlerfreies Verständnis gewinnen ließe (Walter/Thienel, Die Verwaltungsverfahrensnovellen 1995, 61; dieselben, Die Verwaltungsverfahrensnovellen 1998, 126 ff; vgl. weiters dieselben, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, Ergänzungsband 1998, 60, erste Anmerkung zu § 73 AVG).
Den weiteren, das Verhältnis zwischen den von der belangten Behörde ohne nähere Prüfung angenommenen Kostenfolgen der Säumnisbeschwerde einerseits und der "österreichischen Grundrechtsdogmatik" andererseits betreffenden Ausführungen der belangten Behörde ist durch § 55 Abs. 2 und 3 VwGG jede Grundlage entzogen.
Da die belangte Behörde nicht nach dem zweiten Absatz dieser Bestimmung vorgegangen ist und die Voraussetzungen des dritten Absatzes nicht erfüllt sind, war die gemäß § 36 Abs. 2 VwGG vorzunehmende Einstellung der Verfahren über die Säumnisbeschwerden mit dem in § 55 Abs. 1 zweiter Satz VwGG in Verbindung mit
der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994 vorgesehenen Ausspruch über den Aufwandersatz zu verbinden.
Der "Antrag" auf Vorlage der Akten an den Verfassungsgerichtshof ist als Anregung zu verstehen, weshalb sich seine förmliche Zurückweisung erübrigt.
Wien, am 4. April 2001
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:2001010014.X00Im RIS seit
02.08.2001