TE AsylGH Erkenntnis 2008/09/05 B13 233095-0/2008

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Veröffentlicht am 05.09.2008
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Spruch

B13 233.095-0/2008/32E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Maga. Eigelsberger als Einzelrichterin über die Beschwerde von K.F., geb. 00.00.1984, StA:

Afghanistan, vertreten durch: RA Mag. Wolfgang AUNER, vom 15. 11. 2002 gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 31. 10. 2002, Zl 01 20.100-BAT, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 9. 12. 2003, am 14. 5. 2004, am 14. 3. 2005, am 19. 12. 2005, am 28. 2. 2006 und am 18. 8. 2008 zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde wird stattgegeben und K.F. gemäß § 7 Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 (AsylG) idF BGBl. I Nr. 126/2002, Asyl gewährt. Gemäß § 12 leg. cit. wird festgestellt, dass K.F. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

Der Beschwerdeführer stellte am 2. 9. 2001 beim Bundesasylamt einen Antrag auf Gewährung von Asyl.

 

Am 6. 9. 2001 wurde der Beschwerdeführer beim Bundesasylamt zu seinen Fluchtgründen befragt. Dazu führte er aus, dass sein Bruder im Jänner 2001 von den Taliban mitgenommen worden sei. Ein halbes Jahr später sei seiner Familie unterstellt worden, eine Versammlung gegen die Taliban organisiert zu haben. Aus diesem Grund seien sein Vater und vier Gäste von den Taliban mitgenommen worden. Aus Furcht ebenfalls von den Taliban mitgenommen worden zu werden, habe sich der Beschwerdeführer zwei Nächte bei seiner Schwester versteckt gehalten. Danach habe ihm sein Schwager empfohlen das Land zu verlassen. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan befürchte er ebenfalls von den Taliban mitgenommen zu werden.

 

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 31. 10. 2002, Zl 01 20.100-BAT, wurde der Asylantrag gemäß § 7 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I), wobei die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan gemäß § 8 Absatz 1 AsylG für nicht zulässig erklärt wurde(Spruchpunkt II).

 

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer am 15. 11. 2002 Beschwerde, welche sich nur gegen Spruchpunkt I des Bescheides richtete.

 

Der unabhängige Bundesasylsenat führte am 9. 12. 2003, am 14. 5. 2004, am 14. 3. 2005, am 19. 12. 2005, am 28. 2. 2006 und am 18. 8. 2008 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der das Bundesasylamt als weitere Partei des Verfahrens nicht teilgenommen hat. Der Beschwerdeführer gab im Rahmen dessen an, dass sein Schwager verdächtigt worden sei, für den Tod eines Kommandanten in Kapisa verantwortlich gewesen zu sein. Sein Schwager habe deshalb in Österreich die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt bekommen. Da der Schwager des Beschwerdeführers für den Tod des Kommandanten verantwortlich gemacht worden sei, habe dieser Zuflucht beim Vater des Beschwerdeführers gesucht. Im selben Jahr hätten der Schwager und seine Ehefrau (die Schwester des Beschwerdeführers) Afghanistan verlassen. Im Jahre 2000 sei der Bruder des Beschwerdeführers von den Taliban verschleppt worden. Sechs Monate später habe den Vater des Beschwerdeführers dasselbe Schicksal ereilt. Dieser habe sich etwa vier bis fünf Monate in Gefangenschaft befunden und sei erst frei gekommen, als die Taliban gestürzt worden seien. Zu Beginn des Jahres 2002 seien der Vater und der Neffe (Sohn des nach Österreich geflüchteten Schwagers) des Beschwerdeführers von Mujaheddin entführt worden. Diese Entführung würde in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Ermordung des Kommandanten durch den Schwager des Beschwerdeführers stehen. Er habe über den Verbleib seines Vaters keine Kenntnis. Sein Neffe sei zwischenzeitlich frei gekommen.

 

Sein Vater, A.R., sei bis zur Machtübernahme der Taliban Lehrer in Kabul gewesen. Er habe nicht der VDPA angehört. Durch den Vorfall in H. habe die Familie des Beschwerdeführers einen Großteil ihres Vermögens verloren und das Gebiet Richtung Kabul verlassen müssen. Die Feinde würden der Jamiat-Partei angehören, die in diesen Gebiet auch die Regierung stellen würde. Die getötete Person sei ein Kommandant gewesen. Derzeit habe Kommandant XY die Macht inne und er sei ein Bruder des getöteten Kommandanten, R.A.. Des Weiteren sei die Gegend um Kapisa besonders unsicher, weil sich in dieser keine ausländischen Schutztruppen aufhalten würden. Der Beschwerdeführer sei sicher, dass die Jamiat-Gruppe am Verschwinden seines Vaters die Verantwortung trage. Diese Gruppe sei eine Mujaheddingruppe, die nach dem Sturz der Taliban unter der Regierung Massouds an Einfluss gewonnen habe.

 

Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

Folgender Sachverhalt wird festgestellt:

 

Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger und gehört der tadschikischen Volksgruppe an. Er stammt aus dem Dorf S. in der Provinz Kapisa. Der Vater des Beschwerdeführers hatte in Kapisa die Schule besucht und im Anschluss daran in Kabul eine Lehrerausbildung absolviert. In weiterer Folge studierte er in Moskau Geschichte und kehrte nach Beendigung seines Studiums nach Kabul zurück. Danach übernahm er ein Lehramt und setzte diese Tätigkeit bis zum Einmarsch der Taliban fort. Der Ehemann der Schwester des Beschwerdeführers wurde in Kapisa verdächtigt, für den Tod eines Kommandanten, R.A., verantwortlich gewesen zu sein. Demnach soll im Jahre 1999 bei einer Einladung im Wohnhaus des Schwagers des Beschwerdeführers der oben genannte Kommandant von Unbekannten erschossen worden sein. Dieser Kommandant gehörte der Hezb-e Jamiat Islami an. In weiterer Folge hat der Schwager des Beschwerdeführers bei der Familie des Beschwerdeführers Zuflucht gesucht und ihn der Vater des Beschwerdeführers bei der Flucht aus Afghanistan maßgeblich unterstützt. Im Jahre 2000 wurde der Bruder des Beschwerdeführers von den Taliban entführt, ein halbes Jahr später wurde der Vater der Beschwerdeführers Opfer einer Entführung. Dieser kam jedoch nach vier bis fünf Monaten wieder frei. Im Jahre 2002 wurde der Vater des Beschwerdeführers gemeinsam mit seinem Neffen von Angehörigen des getöteten Kommandanten entführt, wobei der minderjährige Neffe binnen kurzer Zeit freigelassen wurde. Über das derzeitige Schicksal des Vaters konnten keine aktuellen Feststellungen getroffen werden, denn es ist aufgrund der Beweismittel nicht ersichtlich, ob er sich noch immer in den Händen der Entführer befindet oder er bereits Afghanistan verlassen hat.

 

Der Beschwerdeführer befürchtet bei einer Rückkehr nach Afghanistan Verfolgungshandlungen seitens der Angehörigen des getöteten Kommandanten. Da die Anhänger des getöteten Kommandanten der Familie des Beschwerdeführers die Grundstücke gewaltsam an sich genommen hatten, flüchtete die noch in Afghanistan verbliebene Familie des Beschwerdeführers nach Pakistan. Der Beschwerdeführer verfügt weder über verwandtschaftliche Beziehungen in Afghanistan noch über Grund und Kapital.

 

Zur Situation im Heimatland des Beschwerdeführers:

 

Vom 09.11.2001 bis zum 09.12.2001 wurden die Taliban als ein politisches System aus allen größeren Städten Afghanistans beseitigt. Der Sturz des Taliban-Regimes hatte seinen Anfang in Mazar-e Sharif genommen. Unter der Führung des Uzbeken-Generals Abdul Rashid Dostum wurden die Taliban am 09.11.2001 aus der Stadt Mazar-e Sharif vertrieben und bis zum 25.11.2001 das gesamte Siedlungsgebiet, hauptsächlich der Nicht-Pashtunen, mit den Provinzhauptstädten Mazar-e Sharif und anderen Nordwest-Provinzhauptstädten in Zentralafghanistan sowie Kabul befreit. Mit dem Fall Kandahars im Süden, dem Sitz des Taliban-Chefs Mullah Mohammad Omar am 09.12.2001, war das Schicksal der Taliban besiegelt, sodass man ab diesem Zeitpunkt von einem politischen System der Taliban nicht mehr ausgehen konnte.

 

Die Taliban existieren als politisches System nicht mehr. Sie sind ab dem 10.12.2001 vollständig abgezogen. Am 05.12.2001 wurde von den Delegierten der Konferenz auf dem Petersberg das Afghanistan-Abkommen unterzeichnet. Damit wurde der international unterstützte Prozess des politischen, sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Wiederaufbaus Afghanistans eingeleitet. Am 22.12.2001 wurde eine Interimsregierung unter der Führung von Hamid Karzai eingerichtet. Am 19.06.2002 vereidigte die Loya Jirga die Interimsregierung unter Karzai. An dieser Regierung sind die verschiedenen Fraktionen und Ethnien Afghanistans beteiligt. Am 26.01.2004 wurde die neue afghanische Verfassung in Kraft gesetzt. Aus den Präsidentschaftswahlen vom 09.10.2004 ging Hamid Karzai als Sieger hervor; die neue Regierung nahm am 23.12.2004 ihre Arbeit auf. Am 18.09.2005 wurden Parlaments- und Provinzwahlen abgehalten; die Anhänger von Hamid Karzai verfügen nun knapp über die Mehrheit im Parlament; in den meisten Provinzen haben die regionalen Milizenführer des Landes die Mehrheit der Sitze inne. (notorisch aufgrund der internationalen Berichterstattung in Massenmedien).

 

Al Qaida und Rest-Taliban konnten zwischenzeitlich zwar nachhaltig geschwächt werden, der Kampf gegen sie ist allerdings keineswegs abgeschlossen.

 

Die Sicherheitslage stellt sich regional sehr unterschiedlich dar. Sie variiert von Distrikt zu Distrikt. Während terroristische Aktivitäten im Süden und Osten des Landes aus zumeist ideologischen Motiven ("Jihad") direkt gegen die Zentralregierung bzw. die internationale Gemeinschaft gerichtet sind, kann die Sicherheitslage im Norden und Westen durch rivalisierende lokale Machthaber und Milizenführer, die häufig in Drogenhandel und andere kriminelle Machenschaften verstrickt sind, beeinträchtigt sein. Die Sicherheitssituation wird auch von der wachsenden Unzufriedenheit weiter Bevölkerungskreise mit der bisherigen Regierungspolitik, aber auch aus der - insbesondere mit der Drogenwirtschaft verbundenen - zunehmenden Kriminalität und den illegalen Milizen bestimmt. (Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Afghanistan [Stand:

November 2005] 29.11.2005, Seite 14).

 

Repressionen gegen ethnische Gruppen/Minderheiten kommen weiterhin vor. Besonders paschtunische Minderheiten sehen sich in von Tadschiken, Hazara und Usbeken dominierten Gebieten häufig Misshandlungen durch Einheiten anderer Volkszugehörigkeit ausgesetzt. Zwar können in diesem Zusammenhang Verbesserungen im Nordosten und Teilen des Westens verzeichnet werden, erhebliche Probleme bestehen aber besonders in nordwestlichen Provinzen, in denen es zu Misshandlungen paschtunischer Minderheiten kommt. In der Provinz Badghis sind erhebliche Übergriffe zulasten der paschtunischer Minderheit bekannt.

 

Afghanistan gehört nach den Kriegsjahren und einer langjährigen Dürre zu einem der ärmsten Länder der Welt. Der Human Development Index des UNDP setzt Afghanistan auf Rang 173 unter 178 Ländern. Die Wirtschaftslage ist weiterhin desolat, erste Schritte zur Verbesserung der Rahmenbedingungen sind allerdings eingeleitet. Die humanitäre Situation stellt das Land vor allem mit Blick auf die etwa 4,4 Millionen - meist aus Pakistan zurückgekehrten - Flüchtlinge vor große Herausforderungen. (Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan [Stand: November 2005] 29.11.2005, Seite 5)

 

Rechts- und Verwaltungssystem/Staatliche Strukturen:

 

Ebenso wie es an funktionierenden Verwaltungsstrukturen fehlt, kann bislang auch nicht von einem nur ansatzweise funktionierenden Justizwesen gesprochen werden. Oft sind noch nicht einmal Texte der wichtigsten afghanischen Gesetze vorhanden und selbst wenn, besteht meist keine Einigkeit über die Gültigkeit und damit Anwendbarkeit von Rechtssätzen. Tatsächlich wird in den Gerichten, soweit sie ihre Funktion ausüben, eher auf Gewohnheitsrecht und Vorschriften des islamischen Rechts als auf weiterhin gültige Gesetze Bezug genommen. Zudem fehlt es an einer Ausstattung mit Sachmitteln und geeignetem Personal sowohl bei der Staatsanwaltschaft als auch bei den Gerichten. Korruption wird allgemein als großes Problem im Justiz- und Verwaltungsbereich wahrgenommen. (Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan [Stand: November 2005] 29.11.2005, Seite 10)

 

...

 

Der praktisch landesweit bestehende Zustand weitgehender Rechtlosigkeit des Einzelnen ist trotz intensiver internationaler Bemühungen und institutioneller Fortschritte (wie z.B. der Einrichtung einer unabhängigen Menschenrechtskommission und deren verfassungsrechtlicher Verankerung) noch nicht überwunden. Praktisch sichtbar wird er etwa an der Vielzahl meist ungeahndet bleibender Menschenrechtsverletzungen bzw. deren unzureichender Behandlung durch die Gerichte, die die Grundsätze eines fairen Verfahrens nicht beachten. Mehr und mehr kommt es landesweit zu Streitigkeiten um willkürlich besetzte Privatgrundstücke und Wasserquellen (Opfer sind typischerweise Auslandsafghanen/Rückkehrer, es gibt häufig Vorfälle im Nordwesten und in Kabul). (Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan [Stand: November 2005] 29.11.2005, Seiten 10, 11)

 

...

 

Eine Strafverfolgung lokaler Machthaber außerhalb Kabuls wegen Übergriffen ist praktisch nicht möglich. Auf dem Land wird die Richterfunktion in der Regel von lokalen Räten (Shuras) übernommen. (Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan [Stand: November 2005] 29.11.2005, Seite 11)

 

Seit August 2002 besteht eine beim Obersten Gerichtshof angesiedelte spezielle Abteilung zur Bekämpfung des Lasters ("Departement for the Prevention of Vice"). Ihre wesentliche Funktion soll in der Vermittlung "afghanischer Werte" bestehen. Im Rahmen einer öffentlichen Stellungnahme hat der stellvertretende Präsident des Obersten Gerichts, Manawi, darauf hingewiesen, dass es drakonische Strafen wie Steinigungen und Amputationen nicht mehr geben wird. In diesem Zusammenhang wies der Oberste Richter Shinwari vor dem Afghanistan besuchenden Bundestagsausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe am 2. Oktober 2003 auf die hohen Beweisanforderungen für Körperstrafen hin. Gleichzeitig erläuterte er, dass es die Möglichkeit einer Umwandlung der Körperstrafen in Freiheitsstrafen gebe. Dennoch finden solche Bestrafungen immer noch statt. (Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan [Stand: November 2005] 29.11.2005, Seite 11)

 

Eine funktionierende Polizei, in der alle Ethnien gleichberechtigt vertreten sind, spielt eine Schlüsselrolle für die Wiederherstellung der inneren Sicherheit in Afghanistan. Deutschland hat hier die Koordinierungsfunktion inne. Angestrebt wird der Aufbau einer Polizei, die 50.000 Polizisten und 12.000 Grenzschützer umfasst, die sich in ihrer Arbeit an den Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit orientieren, Menschenrechte achten und der Korruption aktiv widerstehen. Bislang wurden mehr als 40.000 Polizisten ausgebildet, die

 

meisten davon in von den USA organisierten Kurzlehrgängen. Neben der Ausbildung der einfachen Polizeiränge ist im August 2005 das so genannte Mentorenprogramm angelaufen. Der Führungsebene innerhalb der Polizei werden Mentoren zur Seite gestellt, die in den täglichen Aufgaben beraten. Neben der Vermittlung von polizeilichen Standards begleiten und unterstützen die Mentoren die Implementierung der beschlossenen neuen Polizeistrukturen. (Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan [Stand: November 2005] 29.11.2005, Seiten 11, 12)

 

Der Einfluss der Drogenbarone wächst. Nicht überprüfbaren Berichten zufolge soll der Opiumanbau 2005 in Teilen des Landes zwar rückläufig sein, allerdings wird davon berichtet, dass beachtliche Lagervorräte den Neuanbau von Opium für die Drogenbarone derzeit entbehrlich machen. Der Einfluss der Drogenbarone erhöht das Gewaltpotential gegenüber der Bevölkerung. So fanden etwa im April 2005 in Badakshan bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Milizen statt. Die neue afghanische Regierung hat sich durch die Schaffung eines Anti-Drogenministeriums im Dezember 2004 und die Verabschiedung einer Anti-Drogen-Strategie im Februar 2005 zum Kampf gegen die Drogenwirtschaft bekannt. (Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan [Stand: November 2005] 29.11.2005, Seiten 12, 13)

 

Versorgungslage

 

Die VN versorgen auch nach dem Ende der langjährigen Dürreperiode noch Millionen von Afghanen mit Nahrungsmitteln und Hilfsgütern (Zahlen saisonal schwankend). Die Versorgungslage hat sich in Kabul und zunehmend auch in den anderen großen Städten zwar grundsätzlich verbessert, wegen mangelnder Kaufkraft profitieren jedoch längst nicht alle Bevölkerungsschichten von der verbesserten Lage. Die Versorgung mit Wohnraum ist unzureichend. Das Angebot an Wohnraum ist knapp und nur zu hohen Preisen erhältlich. In vielen Gebieten Afghanistans muss die Versorgungslage mit Lebensmitteln auch weiterhin als nicht zufrieden stellend bezeichnet werden. Zwar hat sich die Situation nach einer vergleichsweise guten Ernte im Jahr 2005 verbessert, dennoch waren erneut Nothilfemaßnahmen erforderlich, u.a. für Dürreopfer in den Provinzen Daikundi und Herat, für die durch ungewöhnlich heftige Schneefälle betroffenen Einwohner der Provinz Ghor sowie für die Überschwemmungsopfer nach der Schneeschmelze in den Provinzen Saripul, Balkh und Jowzjan sowie im Südosten. Eine Versorgung der Notstandsgebiete ist oftmals, bedingt durch fehlende oder schlecht ausgebaute Verkehrswege, sehr schwierig, im Winter häufig überhaupt nicht mehr möglich. Hinzu kommt die Gefahr von kriminell motivierten Überfällen und vor allem Landminen. Humanitäre Hilfe bleibt weiterhin von Bedeutung. Die Arbeit der Hilfsorganisationen wird vor allem im Süden und Osten durch Sicherheitsprobleme erschwert. So kommt es von Zeit zu Zeit zu Übergriffen der Taliban. (Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan [Stand: November 2005] 29.11.2005, Seite 31)

 

Die medizinische Versorgung ist in Afghanistan aufgrund fehlender Medikamente, Geräte und Ärzte und mangels ausgebildeten Hilfspersonals völlig unzureichend. Afghanistan gehört zu den Ländern mit der höchsten Kindersterblichkeitsrate in der Welt. Die Lebenserwartung der afghanischen Bevölkerung liegt bei etwa 45 Jahren. Auch in Kabul, wo mehr Krankenhäuser als im übrigen Afghanistan angesiedelt sind, ist für die afghanische Bevölkerung noch keine hinreichende medizinische Versorgung gegeben. Staatliche soziale Sicherungssysteme sind nicht bekannt. Renten-, Arbeitslosen- und Krankenversicherungen gibt es nicht. Familien und Stämme übernehmen die soziale Absicherung. Rückkehrer, die außerhalb des Familienverbandes oder nach einer längeren Abwesenheit im westlich geprägten Ausland zurückkehren, stoßen auf größere Schwierigkeiten als Rückkehrer, die in größeren Familienverbänden geflüchtet sind oder in einen solchen zurückkehren (vor allem aus Iran und Pakistan), wenn ihnen das notwendige soziale oder familiäre Netzwerk, sowie die notwendigen Kenntnisse der örtlichen Verhältnisse fehlen. Sie können auf übersteigerte Erwartungen hinsichtlich ihrer finanziellen Möglichkeiten treffen, so dass von ihnen überhöhte Preise gefordert werden. (Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan [Stand: November 2005] 29.11.2005, Seiten 31, 32)

 

Sicherheitslage und Rückkehrfragen:

 

Die Sicherheitslage stellt sich regional sehr unterschiedlich dar. Sie variiert von Distrikt zu Distrikt. Während terroristische Aktivitäten im Süden und Osten des Landes aus zumeist ideologischen Motiven ("Jihad") direkt gegen die Zentralregierung bzw. die internationale Gemeinschaft gerichtet sind, kann die Sicherheitslage im Norden und Westen durch rivalisierende lokale Machthaber und Milizenführer, die häufig in Drogenhandel und andere kriminelle Machenschaften verstrickt sind, beeinträchtigt sein. Die Sicherheitssituation wird auch von der wachsenden Unzufriedenheit weiter Bevölkerungskreise mit der bisherigen Regierungspolitik, aber auch aus der - insbesondere mit der Drogenwirtschaft verbundenen - zunehmenden Kriminalität und den illegalen Milizen bestimmt. Insgesamt konnten die vielfältigen Folgen von 23 Jahren Krieg und Bürgerkrieg ungeachtet des bislang erfolgreich verlaufenden Friedensprozesses in den drei Jahren unter der neuen Regierung noch nicht beseitigt werden. Ob die Umsetzung des Petersberger Abkommens, die mit den Parlamentswahlen im September 2005 ihren Abschluss fand, eine Konsolidierung des Friedensprozesses und Stabilisierung der Sicherheitslage ermöglicht, bleibt abzuwarten. (Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan [Stand: November 2005] 29.11.2005, Seite 14)

 

Das vom Sachverständigen erstattete Gutachten führte zu folgenden Feststellungen:

 

In Afghanistan sind im Laufe des 23jährigen Krieges aus verschiedenen Gründen Todfeindschaften entstanden, die oft durch die Setzung von Racheakten beantwortet worden sind, während vor dem Krieg solche Auseinandersetzungen häufig durch Beratungen und materiellen Ausgleich gelöst worden sind.

 

Blutrache und Racheakte betreffen die direkte Verwandtschaftslinie, insbesondere Kinder, Väter und Brüder.

 

Für den Fall, dass eine männliche Person des Todes an einem anderen beschuldigt wird, sind die verschwägerten Verwandten (zB Ehefrau des Beschuldigten) nicht betroffen, Opfer dieser Blutrache zu werden.

 

Es sei denn, dass sich die verschwägerten Verwandten auf die Seite des Täters stellten und ihn zu schützen beabsichtigten. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die verschwägerte Verwandtschaft dem Täter "Asyl" gewährt, das heißt, der Täter wird im Haus aufgenommen und vor den Feinden geschützt wird. In diesem Falle würden auch die Verwandten der Ehefrau des Täters Racheakten ausgesetzt sein.

 

Männliche Angehörige einer Täterfamilie sind einer stärkeren Verfolgung ausgesetzt.

 

Nach der alten Tradition Afghanistans vor dem kommunistischen Putsch war der Moralkodex der Afghanen sehr streng, dh es wurden Frauen und Kinder von den Racheakten so lange ausgenommen, als der Täter flüchtig war. Allerdings sind seit Beginn des 23jährigen Krieges auch Kinder in diesem Konflikt involviert, wonach insbesondere in den Jahren 2003 und 2004 berichtet wurde, dass hunderte Kinder wegen bestandener Todfeindschaften entführt, weiterverkauft oder getötet worden sind.

 

Die Herkunftsregion des Beschwerdeführers gehört derzeit zu den Unruhegebieten in Afghanistan. Von dort attackieren die Hezb-e Islami und die Taliban die Regierungsstellen und ISAF. Es gibt in dieser Region derzeit schwere Auseinandersetzungen, obwohl der Distrikt K. selbst nicht von den Taliban beeinflusst ist. Allerdings sind die Straßen rund um K. von den Taliban und der Hezb-e Islami unterwandert. Die Lage in Afghanistan stellt sich im Allgemeinen derzeit so dar, dass sich in den Unruhegebieten die Rückkehrenden aus Furcht vor Anschlägen kaum niederlassen, sondern etwa in Kabul eine Bleibe zu finden versuchen. In Kabul geht das Gerücht um, dass Kabul zu 80 % belagert sei. Nach meiner Beobachtung betrifft dies die Gebiete Kapisa, Logar und Wardak. Die humanitäre Lage in Afghanistan ist weiterhin angespannt. 70 % der Afghanen sind weiterhin arbeitslos. Auf Grund der derzeitigen Dürre wandern tausende Menschen in den Iran oder nach Pakistan aus. Die Regierungsstellen können den gefährdeten Personen noch immer keinen Schutz bieten. Dies einerseits auf Grund des mangelnden Personals, andererseits auf Grund der Korruption, wonach sich die Beamten ehe mit den Verfolgern arrangieren, als den gefährdete Personen Schutz zu gewähren.

 

Eine Verfolgungsgefahr besteht für den Beschwerdeführer in der Provinz Kapisa.

 

Die Feststellungen resultieren aus der Einvernahme des Beschwerdeführers beim Bundesasylamt, der öffentlichen mündlichen Verhandlung beim unabhängigen Bundesasylsenat bzw Asylgerichtshof, dem in der mündlichen Verhandlung erstatteten Gutachten des Sachverständigen für die politische Situation in Afghanistan, den dem Verfahren beigezogenen Zeugen sowie den oben zitierten Quellen.

 

Das vom Beschwerdeführer erstattete Vorbringen beim Bundesasylamt als auch anlässlich der beim unabhängigen Bundesasylsenat bzw Asylgerichtshof abgehaltenen öffentlichen mündlichen Verhandlung hat sich in seiner Gesamtheit als glaubwürdig und in sich schlüssig dargestellt.

 

Im gegenständlichen Fall ist davon auszugehen, dass der Vater und der Neffe des Beschwerdeführers Opfer von Rachehandlungen seitens der Angehörigen des R.A. geworden sind. Der Sachverständige führte zwar aus, dass verschwägerte Verwandte weder einer Blutrache noch Rachehandlungen unterliegen würden. Im gegenständlichen Fall wurde jedoch dem "Täter" seitens des Vaters des Beschwerdeführers Zuflucht gewährt. Überdies verhalf der Vater des Beschwerdeführers dem "Täter" zur Flucht in das Ausland. In Anbetracht einer solchen Konstellation ist auch für den Sachverständigen die Ausübung von Rachehandlungen in Bezug auf den Beschwerdeführer als möglich zu erachten.

 

Wenn auch der Aufenthaltsort des Vaters des Beschwerdeführers nicht vollständig geklärt ist, ist dennoch unter Beiziehung der glaubwürdigen Aussagen der Zeugen davon auszugehen, dass der Vater unbekannten Aufenthaltes ist. Wenn auch der Sachverständige vorerst die Entführung des Vaters des Beschwerdeführers angezweifelt hat, da die Schwester des Beschwerdeführers noch immer in Kabul aufhältig ist und keinen Repressalien ausgesetzt war, konnte der Beschwerdeführer diese Bedenken plausibel entkräften, indem seine Schwester losgelöst von ihrer Familie bei ihrem Ehemann leben würde und somit nicht mehr als zu ihrer Herkunftsfamilie zugehörig zu betrachten wäre. Zudem führte der Sachverständige aus, dass männliche Mitglieder einer Täterfamilie einer stärkeren Verfolgung ausgesetzt sind, sodass auch dieses Argument den Einwand des Sachverständigen hinsichtlich der Zweifel an der Entführung des Vaters des Beschwerdeführers zurückdrängen konnte.

 

Beim Beschwerdeführer besteht somit seitens der Angehörigen des getöteten Kommandanten eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit.

 

Hinsichtlich der wirtschaftlichen Situation des Beschwerdeführers ist davon auszugehen, dass dieser in jenen Gebieten Afghanistans, in welchen ihm keine Verfolgungsgefahr drohen würde, keine Existenzgrundlage finden würde, da er - wie oben beschrieben - dort mit erheblichen wirtschaftlichen und sozialen Schwierigkeiten zu kämpfen hätte.

 

Rechtlich ergibt sich Folgendes:

 

Gemäß § 28 Abs. 1 des Bundesgesetzes über den Asylgerichtshof (Asylgerichtshofgesetz - AsylGHG), BGBl. I 4/2008, tritt dieses Bundesgesetz mit 1. Juli 2008 in Kraft. Gleichzeitig tritt das Bundesgesetz über den unabhängigen Bundesasylsenat - UBASG, BGBl. I Nr. 77/1997, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz, BGBl. I Nr. 100/2005, außer Kraft.

 

Gemäß § 75 Abs. 7 Z 1 Asylgesetz 2005 idF Art. 2 BG BGBl. I 4/2008 sind Verfahren, die am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängig sind, vom Asylgerichtshof weiterzuführen; Mitglieder des unabhängigen Bundesasylsenates, die zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannt worden sind, haben alle bei ihnen anhängigen Verfahren, in denen bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, als Einzelrichter weiterzuführen.

 

Da im vorliegenden Verfahren bereits vor dem 1. Juli 2008 eine mündliche Verhandlung vor der nunmehr zuständigen Richterin stattgefunden hat, ist von einer Einzelrichterzuständigkeit auszugehen.

 

Gemäß § 23 Asylgerichtshofgesetz (Asylgerichtshof-Einrichtungsgesetz; Art. 1 BG BGBl. I 4/2008) sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

Gemäß § 75 Abs. 1 AsylG 2005, BGBI. I Nr. 100/2005, sind alle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen. § 44 AsylG 1997 gilt. Die §§ 24, 26, 54 bis 57 und 60 dieses Bundesgesetzes sind auf diese Verfahren anzuwenden. § 27 ist auf diese Verfahren mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Behörde zur Erlassung einer Ausweisung zuständig ist und der Sachverhalt, der zur Einleitung des Ausweisungsverfahrens führen würde, nach dem 31. Dezember 2005 verwirklicht wurde. § 57 Abs. 5 und 6 ist auf diese Verfahren mit der Maßgabe anzuwenden, dass nur Sachverhalte, die nach dem 31. Dezember 2005 verwirklicht wurden, zur Anwendung dieser Bestimmungen führen.

 

Gemäß § 44 Abs. 1 AsylG werden Verfahren zur Entscheidung über Asylanträge und Asylerstreckungsanträge, die bis zum 30. April 2004 gestellt wurden, nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997, BGBl I Nr 76/1997 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 126/2002 geführt.

 

Da gemäß § 44 Abs. 1 AsylG 1997 idF BGBI I Nr 101/2003 auf den Zeitpunkt der Asylantragstellung abzustellen ist, war gegenständlich auch über die Berufung gemäß § 7 AsylG 1997, BGBl I Nr 76/1997 idF BGBI I Nr 126/2002 abzusprechen.

 

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG begehren Fremde, die in Österreich Schutz vor Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) suchen, mit einem Asylantrag die Gewährung von Asyl.

 

Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention definiert, dass als Flüchtling im Sinne dieses Abkommens anzusehen ist, wer sich infolge von vor dem 01. Jänner 1951 eingetretenen Ereignissen aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

 

Gemäß § 7 AsylG hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

 

Zentraler Aspekt der dem § 7 AsylG zugrundeliegenden, in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH E vom 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; VwGH E vom 19.04.2001, Zl. 99/20/0273).

 

Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH E vom 19.10.2000, Zl. 98/20/0233).

 

Es ist im gegenständlichen Fall davon auszugehen, dass es sich beim Beschwerdeführer um den Angehörigen einer Familie handelt, die den vermeintlichen Straftäter eines getöteten Kommandanten bei sich aufgenommen und ihm bei seiner Flucht in das Ausland Unterstützung geleistet hat. Wenngleich lediglich der Vater des Beschwerdeführers maßgeblich daran beteiligt war und in weiterer Folge auch entführt wurde, ist - nach den Ausführungen des Sachverständigen - auch der Beschwerdeführer gefährdet Opfer solcher Rachehandlungen seitens der Angehörigen des getöteten Kommandanten zu werden.

 

Im Lichte dessen wäre der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan gefährdet als (politisch) missliebige Person von den ehemaligen Feinden seines Schwagers zur Verantwortung gezogen zu werden und als Zielscheibe für deren Verfolgungshandlungen zu dienen.

 

Wenngleich die Exekutive große Anstrengungen unternimmt, um der Bevölkerung einen ausreichenden Schutz zu gewähren, ist dies auf Grund der prekären Sicherheitslage in Afghanistan nicht möglich.

 

Steht dem Beschwerdeführer die Einreise in Landesteile seines Heimatlandes offen, in denen er frei vor Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht. Es ist im gesamten Verfahren hervorgekommen, dass dem Beschwerdeführer insoweit eine besondere Position zukommt, als er - wie oben ausgeführt - bei einer Rückkehr nach Afghanistan Repressalien ausgesetzt wäre, wobei sich diese - den obigen Ausführungen zufolge - auf die Provinz Kapisa begrenzen würden.

 

Aufgrund des Nichtvorhandenseins von familiären - bzw verwandtschaftlichen Beziehungen und sozialen Strukturen in den anderen Landesteilen Afghanistans ist für den Beschwerdeführer ein Überleben im übrigen Afghanistan nicht gewährleistet. Im Lichte dessen ist eine inländische Fluchtalternative auf Grund der obigen Ausführungen ausgeschlossen.

 

Aus all diesem Gesagten ist festzuhalten, dass bei Gesamtbetrachtung der geschehenen Vorfälle im Falle einer Rückkehr des Beschwerdeführers nach Afghanistan Verfolgungshandlungen durchaus nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden können.

 

Gemäß § 12 AsylG war die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Schlagworte
Blutrache, Familienverband, gesamte Staatsgebiet, Lebensgrundlage, politische Gesinnung, Racheakt, Sicherheitslage
Zuletzt aktualisiert am
25.11.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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