B5 230.000-0/2008/26E
ERKENNTNIS
Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. Elmar SAMSINGER als Einzelrichter über die Beschwerde von S. I., geb. am 00.00.1975, StA. Afghanistan , gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 12.06.2002, FZ. 01 24.626-BAT, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 04.12.2007 zu Recht erkannt:
Der Beschwerde wird stattgegeben und S. I. gemäß § 7 AsylG 1997 i. d.F. BGBl I 2002/126 der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 12 leg.cit. wird festgestellt, dass S. I. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
I. Verfahrensgang und Sachverhalt:
1. Der Beschwerdeführer führt nach eigenen Angaben den im Spruch genannten Namen, ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der paschtunischen Volksgruppe an, wurde am 00.00.1975 in Kabul geboren, reiste am 23.10.2001 illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 24.10.2001 einen Asylantrag.
Vom Bundesasylamt, Außenstelle Traiskirchen, am 9.11.2001 und 10.12.2001 im Beisein eines Dolmetschers der Sprache Farsi einvernommen, wurde als Fluchtgrund im Wesentlichen angegeben, dass der Beschwerdeführer im Alter von sieben Jahren seine Eltern bei einem Bombenangriff auf Kabul verloren habe und 1985 als eines von 4.000 afghanischen Waisenkindern in die damalige Sowjetunion gebracht worden sei. Er habe in Dushanbe, Wolgograd und Rostow am Don Schulen besucht und ein College abgeschlossen. 1995 habe er in Russland einen Asylantrag gestellt, der abgewiesen worden sei. Er sei in die Ukraine gezogen, wo er mangels Aussicht auf Erfolg keinen Asylantrag gestellt habe. Dort habe er bis zu seiner Reise nach Österreich gelebt. Der Beschwerdeführer sei zwar Moslem, wisse aber nichts über den Islam und könne "nicht einmal beten". Im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan würde man ihn als Kommunisten abstempeln und inhaftieren.
In einem in russischer Sprache verfassten Schreiben an das Bundesasylamt vom 10.04.2002 verwies der Beschwerdeführer erneut auf seine kommunistische Erziehung, wobei seine Lehrer mit dem KGB in Verbindung gestanden seien. Zusätzlich brachte er vor, dass ein Teil der in den achtziger Jahren in die Sowjetrepubliken überstellten Waisen 1992, als in Afghanistan die Mudjaheddin an die Macht gekommen seien, in ihre Heimat zurückgebracht worden sei. Sie seien dort als Verräter, Söhne Lenins oder rote Pioniere bezeichnet, bekämpft und auch getötet worden. Die russische Regierung habe daraufhin die übrigen afghanischen Waisen, darunter auch den Beschwerdeführer, nicht rücküberstellt. Dem Schreiben waren kopierte Dokumente beigelegt, die seine Schulbesuche und Ausbildung in den damaligen Sowjetrepubliken bestätigen.
Mit dem angefochtenen oben angeführten Bescheid des Bundesasylamtes wurde der Asylantrag der beschwerdeführenden Partei gem. § 7 AsylG 1997 i.d.F. BGBl I 2002/126 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und weiters festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der beschwerdeführenden Partei in ihren Herkunftsstaat Afghanistan gem. § 8 leg.cit. nicht zulässig sei (Spruchpunkt II.). Das Bundesasylamt legte das Vorbringen des Beschwerdeführers seinen Feststellungen zugrunde. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass laut getroffenen Feststellungen moslemische Waisenkinder, die aus ehemaligen Sowjetrepubliken nach Afghanistan zurückkehren und über den Islam keine Kenntnis verfügen, seitens der afghanischen Übergangsregierung aus diesem Grund keinen Repressalien ausgesetzt wären.
Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides wurde innerhalb offener Frist im Wesentlichen mit der Begründung Berufung (seit 01.07.2008 Beschwerde) erhoben, dass das Bundesasylamt bei richtiger Würdigung des Vorbringens zum Ergebnis hätte kommen müssen, dass der beschwerdeführenden Partei die Flüchtlingseigenschaft zukomme.
Mit Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenats vom 14.10.2003, GZ. 230.000/0-VII/43/02, wurde die erhobene Berufung ohne Durchführung einer Berufungsverhandlung gemäß § 7 AsylG 1997 i.d.F. BGBl I 2002/126 abgewiesen. Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 25.04.2006, GZ. 2006/19/0236, wurde der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde stattgegeben und die Abweisung der Berufung gemäß § 7 AsylG 1997 wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Am 29.05.2006 langte beim unabhängigen Bundesasylsenat ein Schreiben des Beschwerdeführers ein, worin auf den Bescheid des unabhängigen Bundesasylseants vom 28.11.2005, GZ. 220.724/0-VI/17/01, verwiesen wurde, mit dem einem persönlichen Bekannten des Beschwerdeführers, der ebenfalls als Waisenkind aus Afghanistan zur Ausbildung nach Russland verschleppt worden sei, in Österreich Asyl gewährt worden sei.
Am 01.06.2006 wurde seitens des unabhängigen Bundesasylseants bei dem Sachverständigen Dr. R. ein Gutachten in Auftrag gegeben, um insbesondere abzuklären, ob dem Beschwerdeführer aufgrund seines langjährigen Aufenthalts in der Sowjetunion bzw. in deren Nachfolgestaaten bei einer Rückkehr nach Afghanistan zur Last gelegt werden würde, dass er ein Kommunist wäre, ferner ob die Unkenntnis des Beschwerdeführers hinsichtlich islamischer Religionsinhalte und Gebetsformen bei einer Rückkehr ein Problem darstellen könnte. In seinem Gutachten vom 19.10.2006 wurden die Fragen von dem Sachverständigen im Ergebnis grundsätzlich verneint. Unter der derzeitigen Regierung würden ehemalige Kommunisten (Angehörige der Volksdemokratischen Partei Afghanistans -VDPA), Beamte des kommunistischen Regimes sowie Studenten, die von diesem Regime in die Sowjetunion geschickt worden waren, nicht verfolgt werden. Unzählige Personen, die in der Sowjetunion studiert oder sich dort in Internaten aufgehalten hätten, seien nach Afghanistan zurückgekehrt und wären dort von ihren Familien und Dorfbewohnern herzlich aufgenommen worden. Jenen Personen, die als Kinder zu den Internaten in die Sowjetunion geschickt worden wären, werde zudem auch Mitgefühl entgegengebracht, da sie "als Kinder" ins Ausland geschickt worden wären. Weiters hätten die Führer der VDPA sich und ihre Partei niemals als "gottlos" bezeichnet, wobei in der Verfassung des kommunistischen Regimes von 1987 der Islam als Staatsreligion für Afghanistan festgelegt gewesen sei. In Afghanistan genüge es, dass jemand sich als Muslim bezeichne und es gebe keine Prüfung dafür. 80 % der Afghanen seien Analphabeten und ihre religiösen Kenntnisse seien sehr schwach. Sie würden höchstens einige Gebetstexte sowie die Gebetswaschung und Gebetshaltung kennen. Das Erlernen der Gebetstexte sei sehr leicht und könne von jedem gesunden Menschen in jedem Alter erlernt werden. Andererseits aber sei es wichtig, dass sich eine Person zum Islam bekenne. Da sich der Beschwerdeführer zum Islam bekenne, werde er weder von der Regierung, von den Geistlichen noch von der Bevölkerung verfolgt.
Am 02.05.2007 langte beim unabhängigen Bundesasylsenat ein als Berufungsergänzung tituliertes Schreiben der beschwerdeführenden Partei ein, in der unter anderem ausgeführt wurde, dass der Beschwerdeführer keine Familie mehr in Afghanistan besitze und ohne Familienverband dort nicht überlebensfähig sei. Weiters wurde auf den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenats vom 01.06.2005, GZ. 220.917/2-XIV/16/02, verwiesen, wonach einem Asylwerber, der ähnlich wie die beschwerdeführende Partei seine Ausbildung in der Ukraine und Russland absolviert habe, wobei dessen Familie - alles bekennende Kommunisten - ins Ausland geflüchtet seien, Asyl gewährt worden sei. In diesem Zusammenhang wurde auch auf ein mündliches Gutachten vom Sachverständigen Dr. R. in der Verhandlung beim unabhängigen Bundesasylsenat vom 30.03.2005 verwiesen. Auch sei der Beschwerdeführer nach seiner Auffassung kein Moslem mehr, und könne ihm als ehemaligen Kommunisten ziemlich schnell der Vorwurf gemacht werden, dass er vom Islam abgefallen sei, wobei hierfür in Afghanistan, wo die Sharia und der Islam wieder Staatsdoktrin seien, keine Toleranz bestehe.
2. Anlässlich der öffentlichen mündlichen Verhandlung am 04.12.2007, zu der ein Vertreter des Bundesasylamts entschuldigt nicht erschienen ist, wurde unter Beiziehung einer Dolmetscherin der Sprache Farsi Beweis aufgenommen durch Einvernahme der beschwerdeführenden Partei im Beisein ihres rechtsfreundlichen Vertreters und weiters durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt des Bundesasylamtes sowie in den Akt des Asylgerichtshofes, wobei das Bundesasylamt lediglich schriftlich die Abweisung der Berufung beantragte.
In der mündlichen Verhandlung wurde vom Beschwerdeführer im Wesentlichen wie bisher vorgebracht und weiter, dass er als Absolvent ehemaliger sowjetischer Bildungseinrichtungen in Afghanistan in Lebensgefahr geraten würde. Wenn man erfahre, dass er als Kind in Russland gewesen sei, werde man ihn sofort als Kommunisten ansehen. Er sei in Russland aufgewachsen und habe in Europa gelebt. Er sei das Leben in Afghanistan nicht gewöhnt und könne dort nie leben. Das einzige, was er vom Islam wisse, sei der Umstand, dass er in eine muslimische Familie geboren sei. Er könne das Gebet nicht und sei mit dem Islam nicht einverstanden. Auch könne er mit den islamischen Rechtsverständnis und den gesellschaftlichen Zwängen in Afghanistan nicht leben. Er habe im Fernsehen gesehen, wie Männer ausgepeitscht und Frauen gesteinigt worden seien. Der Beschwerdeführer denke auch ganz anders als in Afghanistan. Es gebe keine Freiheit in Afghanistan. Für Frauen und Männer gäbe es verschiedene Rechte und gäbe es Regionen, wo die Männer nur mit Bärten herumlaufen würden. Seine Eltern seien in Afghanistan ermordet worden; mit den Mudjaheddin und Taliban könne der Beschwerdeführer nicht leben. Er kenne nur einen Bruder seines verstorbenen Vaters in Afghanistan. Der beschwerdeführenden Partei wurde das Gutachten vom 19.10.2006 in Übersetzung vorgetragen. Gegen das Gutachten vom 19.10.2006 wurde seitens der rechtsfreundlichen Vertretung der beschwerdeführenden Partei darauf hingewiesen, dass derselbe Sachverständige im Verfahren zur GZ. 220.724/0-VI/17/01 zu einem anderen Ergebnis gekommen sei.
Am 21.02.2008 langte beim unabhängigen Bundesasylsenat erneut ein Schreiben der beschwerdeführenden Partei ein, wo auf einen Artikel im Online-Standard vom 07.02.2008 verwiesen wurde, wonach ein Journalist wegen Verunglimpfung des Islam und des Koran in Afghanistan zum Tode verurteilt worden sei. Es werde ihm vorgeworfen, dass er einen Bericht aus dem Internet an Journalismus-Studenten verteilt habe, der sich mit der Frage befasst habe, warum es nur Männern im Islam erlaubt sei, mehrere Ehepartner zu haben. Dadurch sei er für schuldig befunden worden, dem Propheten Mohammed die Missachtung der Rechte von Frauen vorgeworfen zu haben. Das Oberhaus des afghanischen Parlaments habe dem Gerichtsurteil Ende Jänner zugestimmt. Der Staatspräsident, der ein Veto gegen die Vollstreckung von Todesurteilen besitzt, habe sich über das Urteil besorgt erklärt, werde aber erst einschreiten, wenn die afghanischen Gerichte ein abschließendes Urteil fällen.
3. Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens steht nachstehender entscheidungswesentliche Sachverhalt als erwiesen fest:
3.1 Zur Person:
Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Paschtunen an und ist durch Geburt Muslim. Er ist als zehnjährige Waise im Jahr 1985 in die damalige Sowjetunion gebracht worden, erhielt dort eine Ausbildung und ist seitdem nicht nach Afghanistan zurückgekehrt. Der Beschwerdeführer hat aufgrund seiner kommunistischen Erziehung und seinem Heranwachsen sowie täglichen Leben in säkularen Gesellschaften keinerlei Nahebeziehung zum Islam entwickelt, sondern lehnt diesen vielmehr ab. Er fühlt sich poltitisch, weltanschaulich und auch religiös den europäischen Wertvorstellungen verbunden. Er ist mit den afghanischen Sitten nicht vertraut bzw. lehnt die Ungleichbehandlung von Mann und Frau sowie andere islamisch- oder stammesgeprägte fundamentalistische Verhaltensregeln ab. Der Beschwerdeführer lehnt in diesem Zusammenhang sowohl die Bewegung der Taliban als auch die Mudjaheddin ab. Dem Beschwerdeführer ist bis auf einem Bruder seines Vaters, der ihn mit sieben Jahren in einem Waisenhaus untergebracht hat, kein Verwandter in Afghanistan bekannt.
3.2. Zum Herkunftsstaat:
Die Sicherheitslage in Afghanistan stellt sich regional sehr unterschiedlich dar und wirkt sich dementsprechend auf die Gefährdungssituation des Einzelnen aus. Ob eine Person sich einer möglichen Gefährdung durch ein Ausweichen im Land entziehen kann, hängt maßgeblich von dem Grad ihrer familiären, tribalen und sozialen Vernetzung ab. Der praktisch landesweit bestehende Zustand weitgehender Rechtlosigkeit des Einzelnen ist in Afghanistan trotz institutioneller Fortschritte (wie z. B. der Einrichtung einer unabhängigen Menschenrechtskommission und deren verfassungsrechtlicher Verankerung) noch nicht überwunden. Institutionen existieren zwar in der einen oder anderen Form, allerdings nicht landesweit. Nicht alle Streitigkeiten kommen mindestens vor ein Schura-Gericht. Viele Fälle werden durch das Recht des Stärkeren geregelt. Gerichte entscheiden oft willkürlich ohne Bezug auf die Gesetzeslage. Tatsächlich nehmen Gerichte, soweit sie ihre Funktion ausüben, eher auf Gewohnheitsrecht, auf Vorschriften des islamischen Rechts und auf die (nicht selten willkürliche) Überzeugung des einzelnen Richters als auf gültige Gesetze Bezug. Menschenrechtsverletzungen bleiben meistens ungeahndet. Eine Strafverfolgung außerhalb Kabuls wegen mutmaßlicher Menschenrechtsverletzungen ist praktisch nicht möglich. Die größte Gefahr für die Nichtbeachtung der Menschenrechte geht von lokalen Machthabern und Kommandeuren aus. Es handelt sich hierbei meist um Milizführer, die nicht mit staatlichen Befugnissen ausgestattet sind. Die Zentralregierung hat auf viele dieser Menschenrechtsverletzer praktisch keinen Einfluss. Sie kann diese Täter weder kontrollieren, noch ihre Taten untersuchen oder sie verurteilen. Wegen des desolaten Zustands des Verwaltungs- und Rechtswesens bleiben Menschenrechtsverletzungen häufig ohne Sanktionen. Lokale Machthaber (Clanchefs, Milizenführer) inhaftieren politisch Andersdenkende ohne förmliches Gerichtsverfahren und sollen geheime ¿persönliche' Gefängnisse unterhalten, z.T. um politische Gegner einzuschüchtern, z.T. um Lösegelder zu erpressen. Die Gefährdung des Einzelnen, zu einem Opfer von Gewalt oder einer Menschenrechtsverletzung zu werden, ist im gesamten Land gegeben.
Artikel 2 der neuen afghanischen Verfassung bestimmt in Absatz 1, dass der Islam Staatsreligion Afghanistans ist. Die in Artikel 2 Absatz 2 der Verfassung verankerte Glaubensfreiheit kommt nach dem Wortlaut allerdings nur für die "Anhänger anderer Religionen" (als dem Islam) und "im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen" zum Tragen. Laut Artikel 3 der Verfassung "darf kein Gesetz dem Glauben und den Bestimmungen des Islam widersprechen". Demnach besteht Glaubensfreiheit, die auch die freie Religionswahl beinhaltet, nicht für Muslime. Im Gegensatz hierzu steht jedoch Artikel 7 der Verfassung, in dem die Gültigkeit der von Afghanistan ratifizierten internationalen Verträge - wie der Internationale Pakt für bürgerliche und politische Rechte oder die Allgemeine Menschenrechtserklärung - festgeschrieben ist. Ob die noch junge afghanische Rechtsprechung den völkerrechtlichen Verpflichtungen Afghanistans entspricht und somit auch vom Islam konvertierten Christen die Ausübung ihrer Religion gestattet, bleibt abzuwarten. Die neue Verfassung garantiert in Artikel 34 das Recht auf Meinungs- und Pressefreiheit. Der bereits in der vorherigen Fassung enthaltene Islamvorbehalt (Artikel 3 der Verfassung) - das Verbot von Veröffentlichungen, die nicht mit dem Islam konform sind - bleibt bestehen. Am 17.09.2003 hat Präsident Karzai die Einsetzung eines islamischen religiösen Rates (Schura) per Dekret genehmigt. Die Schura, in der Religionsgelehrte aller Provinzen vertreten sein sollen, umfasst rund 2.600 Mitglieder. Die Religionsgelehrten sollen dafür Sorge tragen, dass die Gebote des Islam eingehalten werden und insbesondere auch der Propaganda entgegenwirken, die zum Heiligen Krieg gegen die Regierung aufruft. Mit Blick auf Körperstrafen nach islamischem Recht ist festzustellen, dass seit Amtsantritt der Übergangsregierung einzelne Berichte über deren strengste Formen (Amputationen und Steinigungen) bekannt geworden sind. Diese Strafen waren während der Taliban-Herrschaft üblich. Mitte März 2006 wurde ein afghanischer Staatsangehöriger wegen Konvertierung zum Christentum angeklagt. Seinen eigenen Angaben zufolge war er vor ca. 16 Jahren in Pakistan zum Christentum übergetreten, hatte einige Jahre in Europa gelebt und war 2003 schließlich freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt. Seine Familie hatte sich afghanischen Behörden gegenüber im Rahmen eines Familienstreits auf seine Konversion berufen, worauf ein Verfahren gegen ihn wegen Apostasie eröffnet wurde. Infolge internationalen Drucks wurde er Ende März 2006 freigelassen. Er fand Exil in Italien, das sich zu seiner Aufnahme bereit erklärt hatte. Die Entscheidung zur Freilassung des Konvertiten führte zu einer heftigen Debatte im afghanischen Parlament. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses Sayyaf sprach von der Verschwörung einer "ungläubigen Organisation", der einige fremde Staaten, eine Anzahl von Konvertiten und auch Parlamentsmitglieder angehören sollen. Im Unterhaus wurde eine Resolution angenommen, die seine Freilassung als rechtswidrig beschrieb und ein Verbot zum Verlassen des Landes gegen ihn aussprach.
Rückkehrer, die außerhalb des Familienverbandes oder nach einer längeren Abwesenheit im westlich geprägten Ausland zurückkehren, stoßen auf größere Schwierigkeiten als Rückkehrer, die in größeren Familienverbänden geflüchtet sind oder in einen solchen zurückkehren, wenn ihnen das notwendige soziale oder familiäre Netzwerk, sowie die notwendigen Kenntnisse der örtlichen Verhältnisse fehlen. Sie können auf übersteigerte Erwartungen hinsichtlich ihrer finanziellen Möglichkeiten treffen, so dass von ihnen überhöhte Preise gefordert werden. Von den "Zurückgebliebenen" werden sie häufig nicht als vollwertige Afghanen akzeptiert.
Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die afghanische Regierung unter Präsident Karzai ehemalige Kommunisten verfolgt. Personen, die sich der immer noch schwachen säkular-demokratischen Bewegung Afghanistans zugehörig fühlen, berichten vor allem von deutlichen Repressionen aus den Reihen lokaler Kommandeure. Sie können sich öffentlich nicht zu säkularen Werten bekennen. Im Mai 2005 wurde eine ehemalige Moderatorin des privaten Fernsehsenders Tolo TV in ihrer Wohnung ermordet aufgefunden. Sie hatte das Musikprogramm "Hop" moderiert. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Frau wegen ihres modernen und von Konservativen als unsittlich empfundenen Lebensstils Missfallen erregt hat. (Bericht des deutschen Auswärtigen Amts über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan vom 17.03.2007, S. 8-9, 11-15, 19, 24-25).
3.3. Unter Zugrundelegung der oben ausgeführten politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in Afghanistan läuft der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr, aufgrund seiner säkularen politischen Gesinnung und seines nicht vorhandenen religiösen Bekenntnisses Opfer asylrelevanter Übergriffe - sei es von staatlichen Stellen, sei es von Privatpersonen, vor denen der afghanische Staat den Beschwerdeführer nicht schützen könnte - zu werden.
Der Beschwerdeführer, der mehr als zwei Drittel seines Lebens im europäisch geprägten Ausland verbracht hat, wurde in der ehemaligen Sowjetunion einer kommunistischen bzw. später jedenfalls säkularen Ausbildung unterzogen. Er fühlt sich heute politisch, weltanschaulich und religiös voll und ganz europäischen Wertvorstellungen verbunden, die in krassem Widerspruch zu dem äußerst traditionalistischen und von einer fundamentalistischen Auslegung des Koran geprägten Sittenkodex der afghanischen Stammesgesellschaft stehen. Die vom Beschwerdeführer deutlich gemachte Abneigung gegen den Islam (Vgl. S. 4 Verhandlungsprotokoll vom 04.12.2007) ist in der heutigen afghanischen Gesellschaft unvorstellbar und würde dem Beschwerdeführer, der sich nicht als Moslem fühlt und selbst elementare Glaubensregeln des Islam nicht beachtet, ja diese zum Teil nicht einmal kennt, etwa schon rasch dem Vorwurf aussetzen, im Westen zum Christentum übergetreten oder wenigstens vom Islam abgefallen zu sein, weswegen er unter Umständen strafrechtliche Ahndung, jedenfalls aber Verfolgung durch Fundamentalisten zu befürchten hätte. Da der Beschwerdeführer zudem zum gegenwärtigen Zeitpunkt über keine Kontakte zu sozialen Netzwerken, wie z.B. zu einer eigenen Großfamilie, verfügt, wäre er nach einer Rückkehr in seinem Herkunftsstaat in besonderer Weise exponiert und auf die Unterstützung seiner andersdenkenden Landsleute angewiesen, die ihm aufgrund des ihm anhaftenden Stigmas des in der Sowjetunion bzw. in säkularen Staaten westlicher Prägung aufgewachsenen und deren Weltanschauung teilenden "Ungläubigen" jede Hilfe versagen würden. Letztlich erreicht auch dieser qualifizierte Ausschluss von elementaren wirtschaftlichen und sozialen Rechten, der Beschwerdeführer würde rasch in eine ausweglose Lage geraten, eine relevante Intensität.
Mangels familiärer Anknüpfungspunkte und ausreichender Ressourcen steht dem Beschwerdeführer auch keine objektiv relevante und subjektiv zumutbare Fluchtalternative in Afghanistan offen.
4. Beweiswürdigung:
4.1. Die Feststellungen zur Identität und Herkunft der beschwerdeführenden Partei stützen sich auf die glaubwürdigen Angaben im Asylverfahren sowie auf die vorgelegten Dokumente, an deren Echtheit keine Zweifel bestehen.
Die entscheidungswesentlichen Feststellungen zu den Fluchtgründen stützen sich auf die glaubwürdigen Aussagen der beschwerdeführenden Partei vor dem Asylgerichtshof sowie auf die Ausführungen in der Beschwerde und in allenfalls vorgelegten Schriftsätzen.
Die Ausbildungszeiten in der Sowjetunion bzw. in deren Nachfolgestaaten konnte der Beschwerdeführer mit dementsprechenden Dokumenten (Schulbestätigungen, Zeugnisse) belegen. Auch das Bundesasylamt ging im angefochtenen Bescheid von der Glaubwürdigkeit des Vorbringens der beschwerdeführenden Partei zur Person sowie zu ihrem Vorbringen hinsichtlich ihres Aufenthalts bzw. der Ausbildung als Waise in der ehemaligen Sowjetunion bzw. später in deren Nachfolgestaaten aus. Die Angaben der beschwerdeführenden Partei zu ihren persönlichen Einstellungen und Fluchtgründen sind nicht zuletzt aufgrund ihres für glaubwürdig erachteten Lebenslaufes in sich stimmig, weisen keine gravierenden Widersprüche auf und sind zudem vor dem Hintergrund der Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat hinsichtlich der Gefährdung plausibel. Es besteht daher kein Grund an den Angaben zu zweifeln.
4.2. Die getroffenen Feststellungen zum Herkunftsstaat stützen sich im Wesentlichen auf den der gegenständlichen Entscheidung zu Grunde gelegten und anlässlich der öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung dargetanenen Bericht des deutschen auswärtigen Amtes vom 17.03.2007. Der herangezogene Bericht wurde von einer anerkannten staatlichen Institution erstellt, die sich eingehend aufgrund örtlicher Recherchen und einer Vielzahl unabhängiger Quellen über asyl- und abschiebungsrelevante Fragen im Herkunftsland der beschwerdeführenden Partei befasst. Es sind keine Umstände hervorgekommen, diese Quelle in Zweifel zu ziehen.
4.3. Im Übrigen wird in diesem Zusammenhang auf die Bescheide des unabhängigen Bundesasylsenats vom 28.11.2005, GZ. 220.724/0-VI/17/01, sowie vom 01.06.2005, GZ. 220.917/2-XIV/16/02, in denen Antragstellern in ähnlich gelagerten Fällen Asyl gewährt wurde, verwiesen.
4.4. Die Aufnahme weiterer Beweise war wegen Entscheidungsreife nicht mehr erforderlich.
Der im Verfahren gestellte Antrag, den Sachverständigen Dr. R. zur gegenüberstellenden Erörterung seines Gutachtens vom 19.10.2006 und seiner im Verfahren zu GZ. 220.724/0-VI/17/01 am 16.11.2005 als beigezogener Sachverständiger abgegebenen Einschätzung zu laden, erweist sich insofern als nicht notwendig, als sein Gutachten vom 19.10.2006 ausdrücklich von der Prämisse ausging, dass sich die beschwerdeführende Partei zum Islam bekenne, was im konkreten Fall nicht zutrifft.
II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:
1. Mit 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl (AsylG 2005, BGBL. I Nr. 100 i.d.g.F. BGBl. I Nr. 4/2008) in Kraft getreten und ist auf alle ab diesem Zeitpunkt gestellten Asylanträge anzuwenden.
Gemäß § 61 Abs. 1 Asylgesetz entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten oder, soweit dies in Abs. 3 vorgesehen ist, durch Einzelrichter (1.) über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes und (2.) Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesasylamtes.
Gemäß § 75 Abs. 1 Asylgesetz 2005 sind alle am 31.12.2005 anhängigen Verfahren - abgesehen von im gegebenen Zusammenhang nicht relevanten Bestimmungen - nach dem Asylgesetz 1997 zu Ende zu führen, wobei § 44 dieses Gesetzes gilt. Dieser normiert, dass Verfahren über Asylanträge und Asylerstreckungsanträge, die bis zum 30.4.2004 gestellt wurden, nach dem Asylgesetzes 1997 in der Fassung BGBl. I Nr. 126/2002 geführt werden, jedoch mit der Maßgabe, dass einzeln aufgezählte Bestimmungen - darunter § 8 AsylG - in der Fassung der Novelle anzuwenden sind.
Da der Antrag der beschwerdeführenden Partei vor dem 01.05.2004 gestellt wurde, kommt im gegenständlichen Verfahren das Asylgesetz 1997 i.d.F. BGBl. I Nr. 126/2002 zur Anwendung.
Gemäß § 75 Abs. 7 Z 1 Asylgesetz 2005 sind Verfahren, die am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängig sind, vom Asylgerichtshof weiterzuführen; Mitglieder des unabhängigen Bundesasylsenates, die zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannt worden sind, haben alle bei ihnen anhängigen Verfahren, in denen bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, als Einzelrichter weiterzuführen.
Soweit sich aus dem B-VG, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, sind gemäß § 22 Asylgerichtshofgesetz (AsylGHG) auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.
Gemäß § 66 Abs. 4 AVG hat der Asylgerichtshof, sofern die Beschwerde nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Er ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.
2. Gemäß § 7 AsylG 1997 hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Artikel 1, Abschnitt A, Ziffer 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht, und keiner der in Artikel 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.
Flüchtling im Sinne des AsylG 1997 ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine solche liegt dann vor, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht. Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung vorliegen muss. Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen können im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr darstellen, wobei hierfür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet. Besteht für den Asylwerber die Möglichkeit, in einem Gebiet seines Heimatstaates, in dem er keine Verfolgung zu befürchten hat, Aufenthalt zu nehmen, so liegt eine so genannte inländische Fluchtalternative vor, welche die Asylgewährung ausschließt. Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein.
3. In ihrem Asylantrag hat der Beschwerdeführer seinem Herkunftsstaat zurechenbare Verfolgung behauptet indem er vorbrachte, aufgrund seiner säkularen politischen Gesinnung infolge seines jahrzehntelangen Aufenthalts in der ehemaligen Sowjetunion bzw. deren Nachfolgestaaten und seiner Ablehnung des Islam einer erheblichen Gefährdung durch Übergriffe - sei es von staatlichen Stellen, sei es von Privatpersonen, vor denen der afghanische Staat ihn nicht schützen könnte - ausgesetzt zu sein.
4. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass glaubhaft ist, dass der beschwerdeführenden Partei in Afghanistan Verfolgung aus politisch-religiösen Gründen droht und auch keiner der in Artikel 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.
Gemäß § 12 AsylG 1997 war die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass S. I. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.