TE AsylGH Bescheid 2008/09/08 B11 225604-0/2008

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Veröffentlicht am 08.09.2008
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Spruch

B11 225.604-0/2008/9E

 

K. M.;

 

geb. 1983, StA.: Türkei;

 

schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten

 

Bescheides des unabhängigen Bundesasylsenates

 

BESCHEID

 

SPRUCH

 

Der unabhängige Bundesasylsenat hat durch das Mitglied Dr. Moritz gemäß § 66 Abs. 4 AVG, BGBl. Nr. 51/1991 i.d.g.F., i.V.m. § 75 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (im Folgenden: AsylG 2005), und § 38 Abs. 1 AsylG 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 i.d.F. BGBI. I Nr. 129/2004, entschieden:

 

Der Berufung von K. M. vom 21.12.2001 gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 06.12.2001, Zahl: 01 14.918-BAL, wird stattgegeben und K. M. gemäß § 7 AsylG Asyl gewährt.

 

Gemäß § 12 leg. cit. wird festgestellt, dass K. M. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Text

BEGRÜNDUNG

 

I. Verfahrensgang

 

Mit o.a. Bescheid des Bundesasylamtes (im Folgenden auch: BAA) wurde der Asylantrag der o.g. berufenden Partei, Staatsangehörige der Türkei, gemäß § 7 AsylG abgewiesen und ihre Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in ihren Herkunftsstaat gemäß § 8 AsylG für zulässig erklärt, wogegen Berufung erhoben wurde. Am 24.05.2007 führte der unabhängige Bundesasylsenat (im Folgenden auch: UBAS) eine mündliche Verhandlung durch, nach deren Schluss sogleich der Berufungsbescheid mit dem o.a. Spruch beschlossen und öffentlich verkündet wurde.

 

II. Der unabhängige Bundesasylsenat hat erwogen:

 

1. Folgender Sachverhalt wird festgestellt:

 

Für den als maßgeblich festgestellten Sachverhalt wird der Inhalt folgender den Parteien dieses Verfahrens zugänglichen und auch im Rahmen der öffentlichen Verhandlung der erkennenden Behörde erörterten Aktenteile zum Inhalt des gegenständlichen Bescheides erklärt, nämlich im Besonderen

 

-) die Angaben der berufenden Partei zu ihren persönlichen Daten (Name, Geburtsdatum und -ort, Staatsangehörigkeit, Religionsbekenntnis und Volksgruppenzugehörigkeit) im Wesentlichen unter den Punkten 1. sowie 4. bis 9. in der Niederschrift des Bundesasylamtes vom 24.07.2001, BAA-Akt, S. 14 f.;

 

-) die Angaben der berufenden Partei hinsichtlich des von ihr nicht abgeleisteten Wehrdienstes in der Türkei in der ergänzenden Einvernahme vor dem unabhängigen Bundesasylsenat am 15.12.2005, Abschnitt ab "Haben Sie wegen Ihrer politischen Tätigkeit größere Probleme beim Militärdienst zu erwarten?" samt folgender Antwort, bis "Gibt es eine Ladung zur Stellungskommission?" samt Antwort (S. 9);

 

-) die Angaben in den Informationsunterlagen (s. ihre Anführung in der Niederschrift der Verhandlung des unabhängigen Bundesasylsenates vom 24.05.2007, S. 3), sowie

 

-) das schriftliche Gutachten des im Berufungsverfahren beigezogenen Sachverständigen vom 23.05.2007 (s. Anlage A der o.a. Niederschrift des unabhängigen Bundesasylsenats).

 

2. Der festgestellte Sachverhalt beruht auf folgender Beweiswürdigung:

 

2.1. Die Feststellungen betreffend die berufende Partei beruhen im Wesentlichen auf ihrem Vorbringen im gesamten Verfahren einschließlich der im Akt befindlichen Dokumente, nämlich:

 

-

türkischer Personalausweis der berufenden Partei, Seiten 11 f. des Aktes des Bundesasylamtes;

 

-

Schreiben des türkischen Verteidigungsministeriums an die berufende Partei von 2006 (Original samt Übersetzung im UBAS-Akt, OZ 4).

 

Für die Glaubwürdigkeit der Ausführungen der berufenden Partei im Lichte des oben festgestellten maßgeblichen Sachverhaltes (s. Pt. II.1.) sprach, dass diese im Wesentlichen durchaus nachvollziehbar waren. Ihr Vorbringen bezüglich der ihr drohenden Verfolgung in ihrem Herkunftsland aufgrund der Nichtableistung ihres Wehrdienstes wird durch die Ergebnisse des Gutachtens des im Berufungsverfahren beigezogenen Sachverständigen vom 23.05.2007 vollinhaltlich gestützt. In diesem bestätigte der Sachverständige, dass die Angaben der berufenden Partei, bei Rückkehr in die Türkei als Wehrdienstverweigerer und Unterstützer für die PKK gemäß dem türkischen Militärstrafrecht verhaftet und im Gefängnis gefoltert zu werden, korrekt seien. Das vorgelegte Schreiben des türkischen Verteidigungsministeriums, wonach die berufende Partei seitens des türkischen Militärs als Fahnenflüchtling angesehen wird, begründete die vorgebrachte Furcht vor Verfolgung. Im Ergebnis war es somit für das erkennende Mitglied mit hinreichender Wahrscheinlichkeit überzeugend, dass die berufende Partei jedenfalls für den hier maßgeglichen Maßstab der Glaubwürdigkeit, nämlich mit überwiegender Wahrscheinlichkeit (vgl. hiezu die Erläuterungen zum Asylgesetz 1991, RV 270 BlgNR 18. GP, zu § 3, wonach im Zusammenhang mit der "Glaubhaftmachung" - bzw. der Beurteilung der Glaubwürdigkeit - lediglich die Überzeugung von der Wahrscheinlichkeit des festzustellenden Sachverhaltes erforderlich ist, die bereits bei geringfügigem Überwiegen der dafür sprechenden Gründe vorliegt, und die dort zitierte Judikatur: VwGH 14.01.1959, Zl. 81/56, 20.10.1966, Zl. 690/66, u.a.), die Wahrheit angegeben hat Zudem lassen die dem unabhängigen Bundesasylsenat vorliegenden Informationen über die politische und Menschenrechtslage im Herkunftsstaat der berufenden Partei, den Schluss zu, dass dieses Vorbringen wahr ist. In Würdigung aller Umstände überwiegen im Ergebnis diejenigen, die für eine Heranziehung des angeführten Vorbringens der berufenden Partei als maßgeblichen Sachverhalt für die gegenständliche Entscheidung sprechen (vgl. UNHCR, Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, 1979, Rz. 203, mit dem Hinweis, nach dem Grundsatz "im Zweifel für den Antragsteller" zu verfahren).

 

2.2. Der von der erkennenden Behörde festgestellte Sachverhalt hinsichtlich der politischen und Menschenrechtslage im Herkunftsstaat der berufenden Partei bzw. bezüglich ihrer Situation im Falle ihrer Rückkehr in diesen Staat beruht im Wesentlichen auf dem schriftlich erteilten Gutachten des o.g. Sachverständigen vom 23.05.2007, das u.a. den Gegenstand der Berufungsverhandlung vor dem unabhängigen Bundesasylsenat am 24.05.2007 bildete (s. Pt. II.1.) sowie auf den stellvertretend für andere Informationsunterlagen in das Berufungsverfahren eingeführten und erörterten Berichten und Gutachten von als seriös und fachlich-kompetent anerkannten Quellen (s. Pt. II.1.; zu den in diesen Unterlagen angeführten und auch vom Bundesasylamt sowie vom unabhängigen Bundesasylsenat als speziell eingerichtete Bundesbehörden als notorisch anzusehenden und daher jedenfalls auch von Amts wegen zu berücksichtigenden Tatsachen vgl. die einschlägige Judikatur z.B. VwGH 12.05.1999, Zl. 98/01/0365, und VwGH 25.11.1999, Zl. 99/20/0465; zu den laufenden Ermittlungs- bzw. Informationspflichten der Asylbehörden VwGH 06.07.1999, Zl. 98/01/0602, u.v.a.).

 

Die den Feststellungen zugrunde liegenden Ausführungen sind mit weiteren Nachweisen substantiiert, schlüssig und nachvollziehbar. Auf eine Ausgewogenheit von sowohl amtlichen bzw. staatlichen als auch von nichtstaatlichen Quellen, die auch aus verschiedenen Staaten stammen, wurde Wert gelegt. Zudem wird die Seriosität und Aktualität der oben zitierten Ausführungen des im Berufungsverfahren beigezogenen Sachverständigen durch die ausführlichen und differenzierenden, auf die besonderen Umstände im Herkunftsstaat der berufenden Partei eingehenden Angaben bestätigt. Seine Fachkompetenz wurde bereits durch seine in einer Vielzahl von Verfahren vor dem unabhängigen Bundesasylsenat nicht nur beim erkennenden Mitglied erstatteten nachvollziehbaren und schlüssigen Gutachten über die aktuelle Lage im Herkunftsstaat der berufenden Partei unter Beweis gestellt - und wird auch durch seine berufliche Laufbahn unterstrichen. Auch bediente er sich für seine Ermittlungen vor Ort im Herkunftsstaat der berufenden Partei dort tätiger Juristen und Anwälte, an deren Qualifikation und Seriosität auf Grund der dem unabhängigen Bundesasylsenat vorliegenden Informationen zu deren Person keine Zweifel hervorkamen. Der Sachverständige ist österreichischer Staatsbürger kurdischer Herkunft, der in der Türkei geboren und aufgewachsen ist. Er absolvierte sein Studium der Politikwissenschaft an der Universität Wien, bei der er anschließend als Referent tätig war. Im Rahmen seiner Tätigkeit als Experte für die politische und menschenrechtliche Situation in der Türkei ist er u. a. als Mitarbeiter bei der "Gesellschaft für bedrohte Völker" sowie als Vertrauensperson beim "Helsinki Komitee" und bei "Amnesty International-Sektion Österreich" beschäftigt. Ferner weist er eine Vielzahl an Publikationen zu seinem Fachgebiet auf. Seit 2004 wird er als Sachverständiger vom unabhängigen Bundesasylsenat beigezogen. Er verfügt bis heute über gute Kontakte mit türkischen Rechtsanwälten (deren Hilfe er sich auch für seine Ermittlungstätigkeiten in der Türkei bedient) und demokratischen Kräften in der Türkei.

 

Die Würdigung der Ausführungen des Sachverständigen erfolgte auch vor dem Hintergrund der Angaben der sonstigen dem unabhängigen Bundesasylsenat vorliegenden Informationen (s. u.a. auch die anderen in das Berufungsverfahren eingeführten o.a. Unterlagen). Ihre Aussagen ergeben zusammen mit den in diesen Dokumenten angeführten und mit weiteren Nachweisen versehenen Angaben sowie auch mit den sonstigen dem unabhängigen Bundesasylsenat vorliegenden Informationen insofern ein stimmiges Gesamtbild, als die vom Sachverständigen getroffenen Differenzierungen bei der Einschätzung der Verfolgungssituation bestimmter Personengruppen auch von diesen Quellen bestätigt werden (bzw. sich zumindest innerhalb des Spektrums der zu diesem Thema geäußerten Beurteilungen befinden).

 

Die herangezogenen Bescheinigungsmittel wurden im Hinblick sowohl auf ihre Anerkennung als seriöse und zuverlässige Quellen als auch auf ihre inhaltliche Richtigkeit von den Parteien dieses Verfahrens nicht bestritten bzw. sind diesbezüglich keine Zweifel hervorgekommen. Weiters wurden im Verfahren von den Parteien keine Umstände vorgebracht und haben sich bisher keine Anhaltspunkte ergeben, auf Grund derer sich die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat der berufenden Partei in nachvollziehbarer Weise als unrichtig erwiesen hätten.

 

3. Rechtlich ergibt sich:

 

Mit 01.07.2008 hat der Gesetzgeber den Asylgerichtshof als unabhängige Kontrollinstanz in Asylsachen eingerichtet. Die maßgeblichen verfassungsmäßigen Bestimmungen bezüglich der Einrichtung des Asylgerichtshofes befinden sich in den Art. 129c ff. B-VG. Gemäß Art. 151 Abs. 39 Z. 1 B-VG wird mit 01.07.2008 der bisherige unabhängige Bundesasylsenat zum Asylgerichtshof. Laut Z. 4 leg. cit. sind am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren vom Asylgerichtshof weiterzuführen. Bereits aufgrund der genannten Bestimmungen und der in ihnen erkennbar vom Verfassungsgesetzgeber vorgesehenen Kontinuität ergibt sich, dass der Asylgerichtshof auch für die schriftliche Ausfertigung von mündlich verkündeten Bescheiden des unabhängigen Bundesasylsenates zuständig ist. Im vorliegenden Fall wurde der Berufungsbescheid mit o. a. Spruch am 24.05.2007 und damit vor Einrichtung des Asylgerichtshofes beschlossen und öffentlich verkündet.

 

3.1.1. Gemäß § 75 Abs. 1 des Asylgesetzes 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (im Folgenden: AsylG 2005) sind alle am 31.12.2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen. § 44 AsylG i.d.F. BGBl. I Nr. 129/2004 (im Folgenden: AsylG) gilt. Gemäß § 44 Abs. 2 AsylG sind Asylanträge, die bis zum 30.04.2004 gestellt wurden, nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 16/2002 zu führen.

 

Gemäß § 38 Abs. 1 AsylG entscheidet der unabhängige Bundesasylsenat über Rechtsmittel gegen Bescheide des Bundesasylamtes.

 

3.1.2. Gemäß § 7 AsylG hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

 

Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) vom 28.07.1951, BGBl. Nr. 55/1955, i.V.m. Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31.01.1967, BGBl. Nr. 78/1974, ist als Flüchtling anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und sich nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obige Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

 

Zentraler Aspekt der [...] in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 19.12.1995, Zl. 94/20/0858, u.a.m., s.a. VfGH 16.12.1992, Zl. B 1035/92, Slg. 13314).

 

3.1.2. Die o.a. Feststellungen (s. Pt. II.1.) zugrundelegend kann hinreichend davon ausgegangen werden, dass der berufenden Partei im Falle ihrer Rückkehr in diesem Staat eine asylrelevante Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht (s. für viele VwGH 19.04.2001, Zl. 99/20/0273). Diese Beurteilung ergibt sich auf Grund der Gesamtsituation aus objektiver Sicht (s. hierzu VwGH 12.05.1999, Zl. 98/01/0365), die nicht nur die individuelle Situation der berufenden Partei, sondern auch die generelle politische Lage in ihrem Herkunftsstaat sowie die Menschenrechtssituation derjenigen Personen bzw. Personengruppe berücksichtigt, deren Fluchtgründe mit ihren vergleichbar sind.

 

Nach der älteren Rechsprechung des Verwaltungsgerichtshofes war davon auszugehen, dass die Verweigerung der Ableistung des Militärdienstes - sei es durch Nichtbefolgung eines Einberufungsbefehls, sei es durch Desertion - für sich allein grundsätzlich nicht die Anerkennung eines Asylwerbers als Flüchtling gerechtfertigt hat. Der Verwaltungsgerichtshof ging allerdings von einer asylrechtlich relevanten Furcht vor Verfolgung in solchen Fällen aus, in denen die Einberufung aus einem der in Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK angeführten Gründe erfolgt, bei dem damit gerechnet werden müsste, dass ein Asylwerber hinsichtlich seiner Behandlung oder seines Einsatzes während des Militärdienstes aus diesen Gründen im Vergleich zu Angehörigen anderer Volksgruppen in erheblicher, die Intensität einer Verfolgung erreichender Weise benachteiligt würde, oder in denen davon auszugehen ist, dass dem Asylwerber eine im Vergleich zu anderen Staatsangehörigen härtere Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung droht (VwGH 08.03.1999, Zl. 98/01/0371; 25.11.1999, Zl. 98/20/0523; 11.10.2000, Zl. 2000/01/0154, u.a.m.). Bereits nach diesen Kriterien ist im vorliegenden Fall davon auszugehen, dass die von der berufenden Partei im Fall ihrer Rückführung in die Türkei zu erwartende Behandlung im kausalen Zusammenhang zu einem der in der GFK angeführten Gründe steht. Denn den Feststellungen zu Folge ist damit zu rechnen, dass der berufenden Partei - selbst wenn sie nicht Angehörige der kurdischen Volksgruppe wäre -, aber als politisch oppositionell, aktiv für die kurdischen (separatistischen) Anliegen gilt, eine äußerst strenge Bestrafung droht.

 

Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass die berufende Partei mit erheblicher Wahrscheinlichkeit bei Verbüßung der ihr drohenden Haftstrafe dem Risiko grausamer oder unmenschlicher Behandlung ausgesetzt wäre (vgl. das Gutachten des Sachverständigen vom 23.05.2007). Nach der aktuellen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch der Umstand einer solchen - unverhältnismäßigen Behandlung oder Strafe bei Wehrdienstverweigerung - bei der Beurteilung, ob der drohende Eingriff in Zusammenhang zu einem GFK-Grund steht, heranzuziehen:

"Der Verwaltungsgerichtshof vertritt die Ansicht, dass auch die Gefahr einer allen Wehrdienstverweigerern bzw. Deserteuren im Herkunftsstaat gleichermaßen drohenden Bestrafung u.a. dann zur Asylgewährung führen kann, wenn das Verhalten des Betroffenen im Einzelfall auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht und den Sanktionen - wie etwa bei der Anwendung von Folter - jede Verhältnismäßigkeit fehlt (vgl. in diesem Zusammenhang Goodwin-Gill, The Refugee in International Law2 [Nachdruck 1998], 58; in der Entscheidung des United Kingdom Court of Appeal, Fall Sepet und Bulbul, vom 11. Mai 2001, die Absätze 61, 63, 65 und 111). Ist Letzteres der Fall, so kann dies aber auch auf der - generellen - Unterstellung einer oppositionellen Gesinnung beruhen, womit unabhängig von einer der Wehrdienstverweigerung bzw. Desertion im konkreten Fall wirklich zugrunde liegenden religiösen oder politischen Überzeugung der erforderliche Zusammenhang zu einem Konventionsgrund gegeben wäre. Dies träfe, wie der Vollständigkeit halber anzumerken ist, unter dem Gesichtspunkt einer aus Konventionsgründen - wenngleich generell - "schwereren" Bestrafung auch nach den Kriterien des Erkenntnisses des verstärkten Senates zu. Insoweit die (zitierten) Vorerkenntnisse einer dem Asylwerber bloß unterstellten oppositionellen Gesinnung gerade im hier gegebenen Zusammenhang keine Bedeutung beimessen wollen, ist an ihnen für das geltende Gesetz nicht festzuhalten (VwGH 21.03.2002, Zl. 99/20/0401; s.a. VwGH 22.10.2002, Zl. 2001/01/0197; 12.11.2002, Zl. 2001/01/0019; 21.11.2002, Zl. 2000/20/0562; u.v.m.). Im vorliegenden Fall besteht das Risiko einer in diesem Sinn jedenfalls "unverhältnismäßigen Behandlung oder Strafe". Nach der aktuellen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann also bereits im Umstand der Unverhältnismäßigkeit der Bestrafung eines Wehrdienstverweigerers die generelle Unterstellung einer oppositionellen politischen Gesinnung gegenüber der betroffenen Person zum Ausdruck kommen. Den Ausführungen des Sachverständigen zu Folge würde die berufende Partei durch ihre politischen Ansichten eine weitaus schlechtere Behandlung während ihres Militärdienstes drohen.

 

Im Fall der berufenden Partei ist davon auszugehen, dass sie im Fall ihrer Rückführung in die Türkei mit erheblicher Wahrscheinlichkeit dem Risiko ausgesetzt wäre, dass sie verhaftet und militärstrafrechtlich wegen des Tatbestands der Fahnenflucht zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt werden würde. Bei der Bemessung des Strafrahmens wirkt sich für die berufende Partei erschwerend aus, dass sie der kurdischen Volksgruppe angehört und ihr eine Nähe zur PKK vorgeworfen werden kann. Bei Abbüßung der Strafe ist sie mit dem erheblichen Risiko konfrontiert, Opfer von unmenschlicher oder grausamer Behandlung zu werden (vgl. das Gutachten des o.g. Sachverständigen vom 23.05.2007), wobei der Umstand ihrer kurdischen Herkunft sich auch hier als risikoerhöhend auswirkt.

 

Eine inländische Fluchtalternative steht der berufenden Partei aus folgenden Gründen nicht offen: Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes trägt der Begriff "inländische Fluchtalternative" dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss. Steht dem Asylwerber die gefahrlose Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht (VwGH 08.09.1999, Zl. 98/01/0503; 25.11.19999, Zl. 98/20/0523). Das einer "inländischen Fluchtalternative" innewohnende Zumutbarkeitskalkül setzt voraus, dass der Asylwerber im in Frage kommenden Gebiet nicht in eine ausweglose Lage gerät (VwGH 08.09.1999, Zl. 98/01/0614). Im konkreten Fall kann nicht angenommen werden, dass sich die berufende Partei der dargestellten Bedrohung durch Ausweichen in einen anderen Teil seines Herkunftsstaates entziehen kann; die Gebiets- und Hoheitsgewalt der türkischen Regierung erstreckt sich auf das gesamte türkische Staatsgebiet und die berufende Partei wird landesweit wegen Fahnenflucht gesucht. Es wäre ihr nicht möglich, sich dauerhaft verborgen zu halten und sich der Nachsuche zu entziehen (vgl. dazu auch Home Office, Operational Guidance Note Turkey, p. 3.10).

 

Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung aller relevanten Umstände bzw. Fluchtgründe kommt die erkennende Behörde zum Ergebnis, dass diese einzeln und isoliert betrachtet u.U. für sich allein nicht für eine Asylgewährung reichen könnten, jedoch jedenfalls in ihrer Summe (s.a. UNHCR, Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, 1979, Rz. 203, mit dem Hinweis, nach dem Grundsatz "im Zweifel für den Antragsteller" zu verfahren).

 

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Folter, gesamte Staatsgebiet, Haft, Militärdienst, politische Gesinnung, strafrechtliche Verfolgung, Volksgruppenzugehörigkeit
Zuletzt aktualisiert am
31.12.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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