TE AsylGH Erkenntnis 2008/09/08 D12 319328-1/2008

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Veröffentlicht am 08.09.2008
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Spruch

D12 319328-1/2008/2E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Auttrit als Vorsitzenden und den Richter Dr. Dajani als Beisitzer über die Beschwerde der V. Z., geb. 00.00.1971, StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 23.04.2008, FZ. 05 05.829-BAL, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß § 66 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51 in der Fassung BGBl. I Nr. 5/2008, iVm § 61 Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 4/2008, und § 7 AsylG 1997 als unbegründet abgewiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Russischen Föderation, reiste am 24.04.2005 in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Asylantrag. Hierzu wurde sie am 26.04.2005 im Beisein eines geeigneten Dolmetschers für die russische Sprache und am 01.02.2006 im Beisein eines geeigneten Dolmetschers für die tschetschenische Sprache vor dem zur Entscheidung berufenen Organwalter des Bundesasylamtes niederschriftlich befragt.

 

Am 29.04.2005 langte beim Bundesasylamt eine gutachtliche Stellungnahme im Zulassungsverfahren von Dr. H. ein, der zu entnehmen ist, dass bei der Beschwerdeführerin eine Anpassungsstörung bestehe. Die Störung hindere die Beschwerdeführerin mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht, ihre Interessen im Verfahren wahrzunehmen.

 

Mit Schreiben vom 15.05.2006 wurde die Beschwerdeführerin vom Bundesasylamt aufgefordert, zur allgemeinen Lage in Tschetschenien Stellung zu nehmen. Einlangend am 26.09.2006 legte die Beschwerdeführerin eine Stellungnahme vor.

 

Am 16.11.2006 wurde die Beschwerdeführerin erneut im Beisein eines geeigneten Dolmetschers für die tschetschenische Sprache vor dem zur Entscheidung berufenen Organwalter des Bundesasylamtes niederschriftlich befragt.

 

Am 20.11.2006 stellte das Bundesasylamt zur Überprüfung der Angaben der Beschwerdeführerin eine Botschaftsanfrage an die Österreichische Botschaft in Moskau, welche mit Schreiben vom 24.12.2007 beantwortet wurde. Nach dem Ergebnis der Erhebungen durch den Vertrauensanwalt habe die Beschwerdeführerin tatsächlich versucht, bei der Polizei Anzeige wegen des Todes ihres Ehemannes zu erstatten, und angegeben, ihr Ehemann sei von russischen Soldaten erschossen worden. Da die Polizei für solche Fälle nicht zuständig sei, sei ihre Anzeige zurückgewiesen worden und ihr empfohlen worden, bei der Militärstaatsanwaltschaft zu erstatten. Aus inoffiziellen Quellen sei bekannt, dass die Beschwerdeführerin auf ihrer Anzeige bestanden habe und die Polizei ihren Sohn, V. R., für einen Tag festgenommen habe. Die Festnahmen sei nicht offiziell registriert worden. Nach der Zurücknahme der Anzeige sei der Sohn der Beschwerdeführerin freigelassen worden. Obwohl die Beschwerdeführerin bei der Polizei Anzeige erstattet habe, sei diese Anzeige nicht offiziell registriert worden. Der Ehemann der Beschwerdeführerin, V. B., sei am 00.00.2005 von unbekannten Personen erschossen worden. Es gebe jedoch keine zuverlässigen Angaben über die Umstände und die Ursache seines Todes.

 

Mit Schreiben vom 26.07.2007 legte die Beschwerdeführerin die Kopien eines Ambulanzberichtes der Abteilung für Allgemeine Neurologie und Schmerzmedizin des Konventhospitals der Barmherzigen Brüder Linz vom 00.00.2007 sowie eines Kurzarztberichtes der Psychiatrie I der Oberösterreichischen Landes-Nervenklinik Wagner-Jauregg vom 00.00..2007 vor.

 

Nach Übermittlung der aktuellen Länderinformationen zur Lage in der Russischen Föderation langte am 01.04.2008 eine Stellungnahme der Beschwerdeführerin zu diesen Feststellungen ein.

 

Das Bundesasylamt hat den Asylantrag der Beschwerdeführerin mit Bescheid vom 23.04.2008, FZ. 05 05.829-BAL, gemäß § 7 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I). Unter einem wurde festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin in die Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 1 AsylG nicht zulässig sei (Spruchpunkt II). Gemäß § 8 Abs. 3 iVm. § 15 Abs. 2 AsylG wurde der Beschwerdeführerin eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 22.04.2009 erteilt (Spruchpunkt III). Gegen Spruchpunkt I dieses am 30.04.2008 zugestellten Bescheides wurde mit Schriftsatz vom 08.05.2008 fristgerecht Beschwerde erhoben.

 

Begründet wird die Beschwerde im Wesentlichen mit den schon vor dem Bundesasylamt gemachten Angaben. Die Beschwerdeführerin bringt vor, das Bundesasylamt habe verkannt, dass nach der Judikaur des VwGH die Angaben eines Asylwerbers nur unter Einbeziehung der konkreten Lage im Herkunftsstaat des Betroffenen einer Plausibilitätskontrolle zugänglich seien, habe ihr Vorbringen allerdings unter Zugrundelegung allgemeiner Länderberichte gewertet und hinsichtlicht der Gefährdungssituation von Angehörigen von vermuteten Rebellen oder anderen missliebigen Personen nicht ermittelt. Zum Beweis verweist die Beschwerdeführerin auf Auszüge des Berichtes des deutschen Auswärtigen Amtes von Februar 2006 und vom 17.03.2007, eines Berichts der Schweizer Flüchtlingshilfe zur Entwicklung im Nordkaukasus von Januar 2007 sowie des Länderberichtes zur Russischen Föderation des US Department of State vom 11.03.2008. Die Beschwerdeführerin führt weiter aus, es seien nicht nur Angehörige von Rebellen, sondern auch Angehörige von Personen, die Menschenrechtsverletzungen der russischen oder prorussischen Behörden öffentlich machten oder die Täter zur Verantwortung ziehen wollten, immer wieder von Verfolgungsmaßnahmen betroffen. Sie selbst habe die Ermordung ihres Mannes angezeigt und sei ihr Sohn daraufhin festgenommen worden. Die Beschwerdeführerin verweist hierzu auf den Bericht des Berichterstatters des Europarates zu Menschenrechtsverletzungen in der Russischen Föderation vom 21.12.2005.

 

Unter Verweis auf das Anti-Folter-Komitee des Europarates und die Menschenrechtsorganisation Memorial brachte die Beschwerdeführerin vor, Folter und Misshandlungen seien im Nordkaukasus und in Tschetschenien üblich, jedoch würden es Folteropfer kaum wagen, sich an Menschenrechtsorganisationen zu wenden. Frauen würden hierbei von Verfolgungshandlungen keineswegs verschont.

 

Des weiteren führte die Beschwerdeführerin aus, die innerstaatliche Fluchtalternative sei vor dem Hintergrund zahlreicher internationaler Berichte entgegen der Behauptung des Bundesasylamtes jedenfalls zu verneinen.

 

Das Bundesasylamt wäre darüber hinaus gehalten gewesen, die bei der Beschwerdeführerin diagnostizierte posttraumatische Belastungsstörung im Rahmen ihrer Beweiswürdigung zu berücksichtigen. Wenn der Beschwerdeführerin vorgehalten werde, sie sei Fragen zur Bedrohung durch Soldaten ausgewichen und habe sich in zahlreiche Widersprüche verwickelt, so hätte sich das Bundesasylamt die Frage stellen müssen, ob dieses Ausweichen auf Fragen möglicherweise aufgrund ihres psychischen Zustandes erfolgt sei. Die Beschwerdeführerin beantrage daher zum Beweis ihrer Glaubwürdigkeit die Erstellung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens.

 

II. Der Asylgerichtshof hat dazu erwogen:

 

1. Aufgrund des Akteninhaltes steht nachstehender entscheidungswesentlicher Sachverhalt als erwiesen fest.

 

Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige der Russischen Föderation und Angehörige der Volksgruppe der Tschetschenen. Sie lebte von 1996 bis 2005 gemeinsam mit ihrem Ehemann und ihren Kindern in E.. Am 00.00.2005 wurde der Ehemann der Beschwerdeführerin von unbekannten Personen erschossen, woraufhin die Beschwerdeführerin Anzeige bei der Polizei erstattete. Wenig später wurde der Sohn der Beschwerdeführerin von maskierten uniformierten Personen festgenommen, eine Nacht lang festgehalten und misshandelt. Nachdem die Beschwerdeführerin ihre Anzeige zurückgezogen hatte, wurde ihr Sohn wieder freigelassen. Der Mann der Beschwerdeführerin war weder im Widerstand tätig noch hatte er Verbindungen zu Widerstandskämpfern. Bis zu ihrer Ausreise wohnte die Beschwerdeführerin mit ihren Kindern im eigenen Haus in E..

 

Nicht festgestellt werden kann unter Zugrundelegung des Vorbringens der Beschwerdeführerin, dass der Beschwerdeführerin in der Russischen Föderation Verfolgung aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Ansichten drohen würde.

 

Im gegenständlichen Fall sind nach Ansicht des Asylgerichtshofes die dargestellten Voraussetzungen, nämlich eine aktuelle Verfolgungsgefahr aus einem in der GFK angeführten Grund nicht gegeben.

 

2. Beweiswürdigung:

 

Hinsichtlich der Sachverhaltsfeststellungen und der Beweiswürdigung wird grundsätzlich auf die zutreffenden Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid verwiesen, zumal das Bundesasylamt ein mängelfreies und ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt und in der Begründung des angefochtenen Bescheides die Ergebnisse dieses Verfahrens sowie die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen klar und übersichtlich zusammengefasst hat (zur Zulässigkeit dieses Vorgehens vgl. VwGH 04.10.1995, Zahl 95/01/0045;

VwGH 25.3.1999, Zahl 98/20/0559; VwGH 24.11.1999, Zahl 99/01/0280;

VwGH 8.6.2000, Zahl 99/20/0366; VwGH 30.11.2000, Zahl 2000/20/0356;

VwGH 22.2.2001, Zahl 2000/20/0557; VwGH 21.6.2001, Zahl 99/20/0460).

 

Die Angaben der Beschwerdeführerin zur ihrer Person sowie in Bezug auf die Tatsache, dass ihr Sohn aufgrund einer Anzeige wegen der Tötung ihres Ehemannes festgenommen wurde, sind glaubwürdig.

 

Die Beschwerdeführerin hat angegeben, ihr Ehemann sei auf dem Heimweg von seinem Arbeitsplatz von unbekannten Männern - vermeintlich russischen Soldaten - erschossen worden. Die Beschwerdeführerin habe deshalb mit Hilfe des Bürgermeisters von E. Anzeige bei der Polizei erstattet. Aufgrund der Anzeige der Beschwerdeführerin kamen maskierte uniformierte Männer in das Haus der Familie und nahmen den Sohn der Beschwerdeführerin mit. Ihr wurde mitgeteilt, dass ihr Sohn wieder freigelassen würde, wenn sie die Anzeige zurückzöge. Nachdem die Beschwerdeführerin am Tag darauf die Anzeige zurückzog, wurde ihr Sohn freigelassen. Daraufhin beschloss die Beschwerdeführerin, die Russische Föderation zu verlassen.

 

Bei ihrer ersten Einvernahme wurden von der Beschwerdeführerin keine anderen Fluchtgründe als die Festnahme ihres Sohnes angegeben. Im Verlauf der Einvernahmen steigerte die Beschwerdeführerin ihr Vorbringen dahingehend, dass auch sie und ihre Tochter im Rahmen der Festnahme ihres Sohnes sowie danach Bedrohungen ausgesetzt gewesen seien, konnte jedoch in der Einvernahme vor dem Bundesasylamt auch auf mehrmaliges Nachfragen keine näheren Angaben hierzu machen und konnte weder eine nähere Beschreibung der Art und Weise, in der sie bedroht worden seien, noch durch wen oder in etwa wann diesen Bedrohungen erfolgt seien, abgeben. Diesem Vorbringen kann daher aufgrund Angaben der Beschwerdeführerin, die durchwegs vage und unsubstantiiert geblieben sind, kein Glauben geschenkt werden, sodass nicht davon auszugehen ist, dass es insbesondere nach der Freilassung des Sohnes der Beschwerdeführerin nach Zurückziehung der Anzeige zu weiteren Drohungen gekommen wäre. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass die Berufungswerberin und ihre Familie offenbar bis zu ihrer Ausreise aus der Russischen Föderation weiterhin unbehelligt in ihrem Haus in E. lebten.

 

Aufgrund einer Anzeige, die die Beschwerdeführerin wegen des Todes ihres Ehemannes erstattet hat, wurde deren Sohn von maskierten Männern entführt. Nachdem sie die Anzeige zurückgezogen hatte, wurde jedoch der Sohn der Beschwerdeführerin wieder freigelassen. Zu weiteren Bedrohungen gegenüber der Beschwerdeführerin oder ihrer Kinder kam es danach nicht. Die Beschwerdeführerin hat vor dem Bundesasylamt auch angegeben, dass ihr Ehemann nicht im Widerstand gekämpft habe, nicht in Verbindung zu Widerstandskämpfern gestanden sei und sie auch - abgesehen von dem geschilderten Vorfall - nie Probleme mit den Behörden gehabt habe. Die Beschwerdeführerin konnte nicht glaubhaft machen, dass sie auch nach der Zurückziehung ihrer Anzeige Bedrohungen durch russische Soldaten ausgesetzt sein würde.

 

3. Rechtliche Beurteilung:

 

Gemäß § 28 Abs. 1 Asylgerichtshofgesetz (AsylGHG) tritt dieses Bundesgesetz mit 1. Juli 2008 in Kraft. Gleichzeitig tritt das Bundesgesetz über den unabhängigen Bundesasylsenat - UBASG, BGBl. I Nr. 77/1997, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I. Nr. 100/2005, außer Kraft.

 

Mit 1. Juli 2008 entscheidet der Asylgerichtshof gemäß Art. 129c Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, idgF, in Verbindung mit § 61 Abs. 1 Aslygesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, in der geltenden Fassung in Senaten oder, soweit dies in Abs. 3 leg. cit. vorgesehen ist, durch Einzelrichter über

 

1. Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes und

 

2. Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesasylamtes.

 

Durch Einzelrichter/Einzelrichterin entscheidet der Asylgerichtshof gemäß § 61 Abs. 3 Z 1 AsylG 2005 ausnahmslos über Beschwerden gegen zurückweisende Bescheide

 

a) wegen Drittstaatssicherheit gemäß § 4 leg. cit.;

 

b) wegen Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß § 5 leg. cit. sowie

 

c) wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG.

 

Eine mit diesen Entscheidungen verbundene Ausweisung fällt gemäß § 61 Abs. 3 Z 2 leg. cit. ebenfalls in die Kompetenz des/der zuständigen Einzelrichters/ Einzelrichterin.

 

Gemäß § 75 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, sind alle am 31.12.2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen.

 

Gemäß § 75 Abs. 7 Z 2 AsylG sind am 1. Juli 2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren gegen abweisende Bescheide, in denen eine mündliche Verhandlung noch nicht stattgefunden hat, von dem nach der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes zuständigen Senat weiterzuführen.

 

Im vorliegenden Fall handelt es sich um ein Rechtsmittelverfahren gegen einen abweisenden Bescheid. Daher ist das Verfahren der Beschwerdeführerin nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997, idF BGBl. I Nr. 101/2003 (AsylG) vor dem zuständigen Senat des Asylgerichtshofes weiterzuführen.

 

Gemäß § 23 Asylgerichtshofgesetz (Asylgerichtshof-Einrichtungsgesetz; Art. 1 BG BGBl. I 4/2008) sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt."

 

Gemäß § 7 AsylG hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art. 1, Abschnitt A, Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

 

Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

 

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffs ist die "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung".

 

Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. zB. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht. (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011).

 

Für eine "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH 26.2.1997, 95/01/0454, 09.04.1997, Zl. 95/01/055), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl. VwGH 18.4.1996, 95/20/0239; 16.02.2000, Zl. 99/01/0397), sondern erfordert eine Prognose. Verfolgungshandlungen die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (vgl. VwGH 09.03.1999, 98/01/0318).

 

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; 15.03.2001, 99/20/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein (VwGH 16.06.1994, 94/19/0183, 18.02.1999, 98/20/0468).

 

Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

 

Da die Beschwerdeführerin keine im Zeitpunkt der Entscheidung bestehende aktuelle Bedrohung durch Verfolgungshandlungen hat glaubhaft machen können, liegt die Voraussetzung für die Gewährung von Asyl nicht vor, nämlich die Gefahr einer aktuellen Verfolgung aus einem der in der GFK genannten Gründe.

 

Auch wenn der Verlust des Ehemannes durch Schüsse unbekannter Personen für die Beschwerdeführerin tragisch ist und nachvollziehbar ist, dass die Festnahme des Sohnes und die damit einhergehende Beunruhigung sowie die Mühen um die Zurückziehung der Anzeige für sie traumatische Erlebnisse darstellten, ist aufgrund des Vorbringens der Beschwerdeführerin nicht davon auszugehen, dass sie oder ihre Familie in der Russischen Föderation aktuelle Verfolgungshandlungen zu gewärtigen hätten. Mit der Zurücknahme der Anzeige durch die Beschwerdeführerin besteht keine Veranlassung für die russischen Behörden, weiterhin Druck auf die Beschwerdeführerin auszuüben und konnte auch nicht festgestellt werden, dass es nach der Freilassung des Sohnes der Beschwerdeführerin zu weiteren Bedrohungen gekommen wäre.

 

Auch der Beschwerde vermag der Asylgerichtshof keine neuen Sachverhaltselemente zu entnehmen, welche geeignet wären, die von der Behörde getroffene Entscheidung in Frage zu stellen, weshalb die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Asylgerichtshof unterbleiben konnte, da der maßgebende Sachverhalt durch die Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt war (vgl. § 41 Abs. 7 AsylG iVm § 67d AVG idgF).

 

Es ergibt sich aus § 23 AsylGHG, dass die dort als Rechtsfolge vorgesehene sinngemäße Anwendung des AVG 1991 unter dem Vorbehalt anderer Regelungsinhalte des B-VG, des AsylG 2005 und des VwGG steht. Derartige ausdrückliche andere Regelungen für das Verfahren vor dem Asylgerichtshof sind, in den in der Erläuterung laut AB 371 XXIII.GP genannten §§ 20, 22 und 41 AsylG 2005 enthalten, wohl aber auch in den §§ 42, 61 und 62 AsylG 2005. Durch die Verweisung aus § 23 AsylGHG ergibt sich somit die Anwendung von Verfahrensbestimmungen für den Asylgerichtshof in allen anhängigen Verfahren einschließlich der gemäß den Übergangsbestimmungen des AsylG 2005 nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führenden "Altverfahren", ohne dass es dafür einer Nennung dieser Bestimmungen (auch) im § 75 Abs. 1 AsylG 2005 bedürfte.

 

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur außer Kraft getretenen Regelung des Art. II Abs. 2 lit. D Z 43a EGVG war der Sachverhalt nicht als geklärt anzusehen, wenn die erstinstanzliche Beweiswürdigung in der Berufung substantiiert bekämpft wird oder der Berufungsbehörde ergänzungsbedürftig oder in entscheidenden Punkten nicht richtig erscheint, wenn rechtlich relevante Neuerungen vorgetragen werden oder wenn die Berufungsbehörde ihre Entscheidung auf zusätzliche Ermittlungsergebnisse stützen will (VwGH 2.3.2006, Zl. 2003/20/0317 mit Hinweisen auf VwGH 23.1.2003, Zl. 2002/20/0533; 12.06.2003, Zl. 2002/20/0336).

 

Soweit die Beschwerdeführerin auf den Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes von Februar 2006 bzw. von März 2007 verweist, ist ihr entgegen zu halten, dass es sich bei den ihrer Beschwerde zugrunde gelegten Berichten nicht um die aktuellsten Lageberichte zur Situation in Tschetschenien handelt. Vielmehr ist die zitierte Textpassage im jüngsten Bericht des Auswärtigen Amtes vom Januar 2008, welchen auch das Bundesasylamt seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, gerade nicht mehr enthalten. Zudem beziehen sich die von der Beschwerdeführerin herangezogenen Berichte auf Entführungen von Angehörigen von tschetschenischen Kämpfern, die das Ziel haben, diese zum Aufgeben zu zwingen oder deren Aufenthaltsort in Erfahrung zu bringen. Aus diesen Berichten ist jedoch für die individuelle Situation der Beschwerdeführerin nichts zu gewinnen, deren Ehemann nach eigenen Angaben weder im tschetschenischen Widerstand gekämpft hatte noch Verbindungen zu Kämpfern hatte und auch niemals Schwierigkeiten mit russischen oder tschetschenischen Behörden hatte. Auch der Bericht des Berichterstatters des Europarates bezieht sich ausschließlich auf die Situation von Kämpfern und deren Angehörigen sowie von Personen, die Übergriffen unterliegen, weil sie Beschwerden an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingereicht hatten. Auch diese Bedrohungssituation betrifft nicht die Beschwerdeführerin, die zunächst auch angegeben hatte, außer der Festnahme ihres Sohnes sowie Bedrohungen im Laufe der Festnahme keinen Übergriffen ausgesetzt gewesen zu sein. Nach der Zurückziehung der Anzeige sind damit auch keine weiteren Verfolgungshandlungen gegenüber der Beschwerdeführerin und ihrer Familie zu erwarten. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass dieser Bericht im Übrigen aus dem Jahr 2005 stammt und sich auf Vorfälle bezieht, die in den Jahren 2004 und 2005 lagen. Die von der Beschwerdeführerin angeführten Berichte sind sohin nicht geeignet, ihr Vorbringen zu untermauern und eine aktuelle Gefahr weiterer Verfolgungshandlungen gegen die Beschwerdeführerin erkennen zu lassen.

 

Die Beschwerdeführerin weist weiter darauf hin, dass das vom Bundesasylamt wahrgenommene Ausweichen auf Fragen möglicherweise aufgrund ihres psychischen Zustandes erfolgt sei. Es ist jedoch, wie im Rahmen der Beweiswürdigung bereits ausgeführt, festzuhalten, dass die Beschwerdeführerin keineswegs bei allen Fragen nach den von ihr beschriebenen Geschehnissen in dieser Weise ausgewichen ist, sondern genaue Angaben zum Tod ihres Mannes sowie der darauffolgenden Geschehnisse um die Festnahme ihres Sohnes machen konnte. Lediglich auf die Frage nach den geschilderten weiteren Bedrohungen der Beschwerdeführerin und ihrer Tochter konnte die Beschwerdeführerin keine genauen Angaben machen, obwohl das Bundesasyslamt der Beschwerdeführerin im Rahmen ihrer Einvernahme am 16.11.2006 mehrmals Gelegenheit gegeben hat, Missverständnisse aufzuklären, und seine Frage nach den Umständen dieser Bedrohungen mehrmals wiederholt hat. Auch der Verweis auf den psychischen Zustand der Beschwerdeführerin kann daher nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Beschwerdeführerin gerade zu diesem Vorbringen keine näheren Ausführungen machen konnte und ist vor dem Hintergrund der ausführlichen Befragung der Beschwerdeführerin durch das Bundesasylamt und die schlüssige Begründung des angefochtenen Bescheides nicht geeignet, den vom Bundesasylamt im Rahmen eines umfassenden Ermittlungsverfahrens festgestellten Sachverhalt in Frage zu stellen.

 

Somit war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I des Bescheides des Bundesasylamtes abzuweisen.

Schlagworte
aktuelle Bedrohung, Familienverband, gesteigertes Vorbringen, Glaubhaftmachung, Glaubwürdigkeit, Misshandlung, Volksgruppenzugehörigkeit
Zuletzt aktualisiert am
24.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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