TE AsylGH Erkenntnis 2008/09/08 D2 258185-0/2008

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Veröffentlicht am 08.09.2008
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Spruch

D2 258185-0/2008/10E

 

D2 311905-1/2008/8E

 

ERKENNTNIS

 

1. Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. Feßl als Einzelrichter über die Beschwerde der mj. G.M., geb. 00.00.2004, StA. Estland, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 14.02.2005, FZ. 04 22.825-BAI, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20.08.2008 zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde wird stattgegeben und G.M. gemäß § 7 iVm § 10 AsylG 1997 Asyl gewährt. Gemäß § 12 leg. cit. wird festgestellt, dass G.M. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

 

2. Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. Feßl als Einzelrichter über die Beschwerde der mj. G.N., geb. 00.00.2007, StA. Estland, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 23.04.2007, FZ. 07 03.765-BAI, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20.08.2008 zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde wird stattgegeben und G.N. gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 4 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass G.N. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

Der Vater der mj. Beschwerdeführerinnen, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe, reiste am 14.10.2003 von der Slowakei kommend illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 15.10.2003 einen Antrag auf die Gewährung von Asyl. Nachdem er am 21.10.2003 einen zweiten Asylantrag gestellt hatte, zog er jenen vom 15.10.2003 freiwillig zurück.

 

Das Bundesasylamt trat in die inhaltliche Behandlung dieses Asylantrages ein und führte am 29.10.2003 durch einen Organwalter der Außenstelle Innsbruck eine Einvernahme durch, in welcher der Vater der Minderjährigen zu seinem Fluchtweg und seinen Fluchtgründen niederschriftlich befragt wurde und - kurz zusammengefasst - folgenden Sachverhalt vorbrachte:

 

Er sei insgesamt zweimal von russischen Soldaten gefangen genommen worden. Das erste Mal gemeinsam mit seiner Frau am 07.01.2003 und danach noch einmal Ende Mai 2003. Damals habe er noch bei seiner Mutter gewohnt. Bei der ersten Entführung sei er kurz darauf wieder aus dem (Militär-)Fahrzeug geworfen worden, das zweite Mal sei er zuerst mit einem Gewehrkolben niedergeschlagen und erst nach ca. zwei Tagen gegen die Zahlung eines Lösegelds wieder frei gelassen worden. Anschließend habe er sich bei Bekannten und Freunden in Grosny und Umgebung aufgehalten. In dieser Zeit seien wieder russische Soldaten zu seiner Mutter gekommen und hätten nach ihm gefragt und dann seinen Bruder mitgenommen. Die Soldaten würden wissen, dass er Kriegsteilnehmer gewesen sei, deswegen würde er auch in Zukunft keine Ruhe vor ihnen haben. Er habe am ersten Tschetschenien-Krieg vom 11.12.1994 bis 26.05.1995 teilgenommen und Verletzte bzw. Militärmaterial transportiert. Mit der Waffe habe er nicht gekämpft.

 

Am 28.01.2004 wurde der Vater der Minderjährigen neuerlich von einem Organwalter des Bundesasylamtes, Außenstelle Innsbruck, niederschriftlich einvernommen und legte bei dieser Gelegenheit schriftliche Rechtsgutachten sowie aktuelle Judikatur bezüglich tschetschenischer Asylwerber vor. Bei der Befragung gab er im Wesentlichen an, dass er am 26.05.1995 bei einem Feuergefecht angeschossen und anschließend im Krankenhaus V. operiert worden sei. Später sei er in die Türkei zur Therapie geschickt worden und habe dort geschäftliche Kontakte geknüpft, sodass er nach seiner Rückkehr nach Tschetschenien einen Marktstand mit türkischen Waren in seiner Heimatstadt S. aufgemacht habe.

 

Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 03.06.2004, FZ. 03 32.845-BAI, den Asylantrag des Vaters der mj. Beschwerdeführerinnen gem. § 7 AsylG 1997 ab (Spruchpunkt I.), stellte zugleich fest, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation gem. § 8 Abs. 1 AsylG 1997 zulässig sei (Spruchpunkt II.) und wies ihn gem. § 8 Abs. 2 AsylG 1997aus dem österreichischen Bundesgebiet aus (Spruchpunkt III.).

 

Begründend führte die erstinstanzliche Behörde dazu aus, dass sich die Angaben des Vaters zum Ausreisegrund zwar als "denkmöglich, weitestgehend nachvollziehbar und daher auch glaubwürdig" darstellten, die von ihm vorgebrachte kurzfristige Anhaltung bzw. Inhaftierung jedoch nicht die für eine Asylgewährung erforderliche Intensität aufweisen würde. Darüber hinaus liege die von ihm geltend gemachte Anhaltung bereits über vier Monate zurück und bestehe somit kein genügend enger Kausalzusammenhang zwischen Verfolgung und Ausreise in zeitlicher und sachlicher Hinsicht. Es lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Vater im Zeitpunkt der Ausreise noch mit Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen gehabt hätte. Darüber hinaus stehe ihm - unabhängig von nicht gegebener staatlicher Verfolgung - die reale Möglichkeit zur Verfügung, eine inländische Fluchtalternative in Russland, außerhalb der Republik Tschetschenien, in Anspruch zu nehmen.

 

Gegen diesen Bescheid wurde mit dem am 11.06.2004 eingebrachten Schriftsatz fristgerecht Berufung (nunmehr als Beschwerde zu werten) erhoben.

 

Die nunmehrigen Beschwerdeführerinnen sind die erst in Österreich geborenen Töchter des A.S. und der G.Z. (siehe die jeweils in den Akten des BAA einliegenden Geburtsurkunden). Die Mutter brachte für sie als gesetzliche Vertreterin am 09.11.2004 bzw. am 17.04.2007 schriftlich einen Asylantrag bzw. Antrag auf internationalen Schutz ein, unter dem Hinweis, dass für diese keine eigenen Fluchtgründe vorliegen würden, vielmehr ein Antrag auf Gewährung desselben Schutzes gestellt werde. Sie haben unbestrittenermaßen ebenso wie ihre Mutter die estnische Staatsangehörigkeit.

 

Mit den angefochtenen Bescheiden wurden die Anträge jeweils abgewiesen (hinsichtlich der 1. BF gemäß § 7 und § 8 Abs. 1 AsylG 1997, hinsichtlich der 2. BF gemäß § 3 Abs. 1 und § 8 Abs. 1 AsylG 2005) und die Ausweisung nach Estland gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 1997 bzw. § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 verfügt.

 

Mit den fristgerecht eingebrachten Berufungen (nunmehr als Beschwerden zu werten) wird die Asylgewährung bzw. Zuerkennung des Status des Asylberechtigten beantragt, dies im Wesentlichen unter Hinweis darauf, dass auf das Vorbringen des Vaters verwiesen werde und dass ein Familienverfahren vorliege.

 

Der Unabhängige Bundesasylsenat bzw. in der Folge der Asylgerichtshof als dessen Rechtsnachfolger hat im Zuge einer am 18.06.2007 und am 20.08.2008 stattgefunden habenden öffentlich-mündlichen Verhandlung ein ergänzendes Ermittlungsverfahren durchgeführt. Im Zuge dieser Verhandlung wurde Beweis erhoben durch Parteienvernehmung des Vaters der Minderjährigen und Einvernahme der Ehegattin G.Z. als Beteiligte, sowie durch Einsichtnahme in diverse Berichte und Schriftstücke.

 

Der Asylgerichtshof hat über die nunmehr entscheidungsgegenständlichen Beschwerden der G.M. und N. erwogen wie folgt:

 

Gemäß § 28 Abs. 1 Asylgerichtshofgesetz (in der Folge: AsylGHG) nimmt der Asylgerichtshof mit 1. Juli 2008 seine Tätigkeit auf. Gleichzeitig tritt das Bundesgesetz über den Unabhängigen Bundesasylsenat (UBASG), BGBl. I Nr. 77/1997, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2005, außer Kraft.

 

Gemäß § 75 Abs. 7 AsylG 2005 sind am 1. Juli 2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren vom Asylgerichtshof nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen weiterzuführen:

 

Mitglieder des Unabhängigen Bundesasylsenates, die zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannt worden sind, haben alle bei ihnen anhängige Verfahren, in denen bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, als Einzelrichter weiterzuführen.

 

Verfahren gegen abweisende Bescheide, in denen eine mündliche Verhandlung noch nicht stattgefunden hat, sind von dem nach der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes zuständigen Senat weiterzuführen.

 

Verfahren gegen abweisende Bescheide, die von nicht zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannten Mitgliedern des Unabhängigen Bundesasylsenates geführt wurden, sind nach Maßgabe der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes vom zuständigen Senat weiterzuführen.

 

Aus den bereits im Erkenntnis des Asylgerichtshofs vom 12.08.2008, GZ. C5 251212-0/2008/11E, dargelegten Gründen ist § 75 Abs. 7 AsylG 2005 - samt weiteren auf das Verfahren des Asylgerichtshofs bezogenen Bestimmungen des AsylG 2005 - auch auf Verfahren, die laut § 75 Abs. 1 AsylG 2005 nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 (AsylG) fortzuführen sind, sinngemäß anzuwenden. Die Entscheidung hat demnach gemäß § 75 Abs. 7 Z 1 AsylG 2005 durch den Einzelrichter zu erfolgen, zumal eine Verhandlung bereits vor dem 01.07.2008 vor demselben, nunmehr zum Richter des AsylGH ernannten Mitglied des unabhängigen Bundesasylsenates stattgefunden hatte.

 

Gemäß § 23 AsylGHG sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

Die Asylgewährung wurde vom Bundesasylamt hinsichtlich der mj. Beschwerdeführerinnen im Wesentlichen mit der Begründung verneint, dass eine Verfolgung in ihrem Herkunftsstaat nicht vorliege. Da sich die Verfolgungsbehauptungen letztlich nur auf den Vater beziehen und eine Verfolgung der mj. Beschwerdeführerinnen aus dem Vorbringen nicht abzuleiten ist, kann dieser Argumentation im Ergebnis nicht entgegengetreten werden. Überdies besitzen die mj.

Beschwerdeführerinnen die estnische Staatsangehörigkeit (und nicht die russische, wie ihr in der Russischen Föderation verfolgter Vater). Eine auf Estland bezogene Verfolgung wurde im Zuge des Verfahrens niemals behauptet.

 

Das Bundesasylamt ist demnach zu Recht davon ausgegangen, dass die mj. Beschwerdeführerinnen in eigener Person die Voraussetzungen der Asylgewährung bzw. der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (§ 7 AsylG iVm Art. 1 Abschn. A Z 2 der GFK hinsichtlich der 1. BF und § 3 Abs. 1 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK hinsichtlich des 2. BF) nicht erfüllen.

 

Doch hat der Asylgerichtshof dem Vater der nunmehrigen Beschwerdeführerinnen mit Erkenntnis vom heutigen Tag, GZ. 250780-0/2008/18E, gemäß § 7 AsylG Asyl gewährt und gemäß § 12 AsylG seine Flüchtlingseigenschaft festgestellt. Da es sich im vorliegenden Fall um ein sog. Familienverfahren im Sinne von § 10 AsylG idF BGBl I 101/2003 bzw. § 34 AsylG 2005 handelt war den Familienangehörigen ohne Prüfung weiterer Voraussetzungen gemäß § 10 Abs. 5 erster und zweiter Satz AsylG bzw. gemäß § 34 Abs. 4 erster und zweiter Satz AsylG 2005 "derselbe Schutzumfang" zu gewähren, im konkreten Fall sohin die Asylgewährung bzw. Zuerkennung des Status des Asylberechtigten samt Feststellung der Flüchtlingseigenschaft.

 

Zwar ist zu bedenken, dass die Durchführung eines Asylverfahrens hinsichtlich Staatsangehöriger von EU-Mitgliedstaaten überhaupt nur in Sonderfällen, und zwar in den im Protokoll Nr. 29 zum EGV (sog. Asylprotokoll, angeschlossen durch den Vertrag von Amsterdam) angeführten Ausnahmefällen in Betracht kommt. Sowohl das Asylgesetz 1997 als auch das AsylG 205 gebietet allerdings die Gewährung von Asyl an Angehörige von Flüchtlingen; dies ungeachtet dessen, dass es sich bei diesen Angehörigen um EU-Bürger handelt; dies soll offenbar nicht den Intentionen des Asylprotokolls zuwiderlaufen, sondern im Hinblick auf das Recht auf Familienleben (Art. 8 EMRK) eine Gleichbehandlung mit dem verfolgten - einem Drittstaat angehörigen - Familienangehörigen sicherstellen. Es ist ausgehend von dieser Zielsetzung trotz des sog. Asylprotokolls mit der Asylgewährung vorzugehen.

 

Gemäß § 75 Abs. 1 AsylG 2005 war das Verfahren betreffend die mj. 1. BF nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 (AsylG) zu Ende zu führen, wobei die Rechtslage nach der AsylG-Novelle 2003 zur Anwendung kommt. Das Verfahren hinsichtlich der 2. BF war hingegen, da der Antrag erst im Jahr 2007 eingebracht wurde, nach den Bestimmungen des AsylG 2005 zu führen.

Schlagworte
Familienverfahren
Zuletzt aktualisiert am
31.12.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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