TE AsylGH Erkenntnis 2008/09/08 E9 400377-1/2008

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Veröffentlicht am 08.09.2008
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Spruch

E9 400.377-1/2008-5E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Reinhard Engel als Vorsitzenden und den Richter Mag. Hermann Leitner als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin Fr. Mayer über die Beschwerde der mj. G. A., geb. 00.00.1995, StA. Armenien, vertreten durch die Mutter S. N. als gesetzliche Vertreterin, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 17.06.2008, FZ. 07 07.197-BAE, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß § 3 AsylG 2005 BGBl I 2005/100 idF BGBl I 2008/4 als unbegründet abgewiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

 

I. Die mj. Beschwerdeführerin (in der Folge: BF), ihren Angaben nach eine Staatsangehörige von Armenien und christlichen Glaubens, verließ Anfang Juni 2007 gemeinsam mit ihren Eltern G. G. (Zl. E9 400.376) und S. N. (Zl. E9 400.378) Armenien und stellte nach Einreise unter Umgehung der Grenzkontrolle am 07.08.2007 - vertreten durch ihre Mutter als gesetzliche Vertreterin - beim Bundesasylamt (BAA) einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

Zuvor war sie mit ihrer Familie im Februar 2005 nach Schweden gereist und hatte dort ebenfalls um Asyl angesucht. Im Oktober 2006 war sie - ohne eine Entscheidung in ihrem Asylverfahren in Schweden erhalten zu haben - nach Armenien zurückgekehrt.

 

Mit der tschechischen Republik wurden in der Folge Konsultationen gemäß der Dublin-VO geführt und erteilten die tschechischen Dublin-Behörden mit Schreiben vom 15.10.2007 die Zustimmung zur Rückübernahme der BF sowie ihrer Familie.

 

Bei der BF wurden im Zuge der Untersuchungen im Rahmen des Zulassungsverfahrens schwere psychische Störungen festgestellt. Diese stünden einer Überstellung nach Tschechien entgegen und erscheine eine solche Überstellung - nach entsprechender Behandlung - frühestens in einem Jahr möglich. Erkennbarerweise wurde daher das Verfahren in Österreich zugelassen und das materielle Asylverfahren durchgeführt.

 

Als Begründung für das Verlassen ihres Herkunftsstaates Armenien brachte ihre gesetzliche Vertreterin (zusammengefasst dargestellt) im Wesentlichen vor, dass sie deshalb ausgereist seien, weil sie zuvor in Schweden Probleme mit armenischen Landsleuten gehabt hätten. Diese Probleme seien nach der Rückkehr aus Schweden in Armenien bestehen geblieben und sie hätten das Land wieder verlassen müssen. Ihre Tochter sei keinen persönlichen Verfolgungen ausgesetzt.

 

Im Rahmen der Beweiswürdigung führte das Bundesasylamt aus, dass das Vorbringen der BF bzw. ihrer Angehörigen im gegenständlichen Familienverfahren schon grundsätzlich nicht geeignet sei, das Vorliegen einer asylrechtsrelevanten Verfolgung zu begründen und erachtete dieses zudem aus den im angefochtenen Bescheid dargestellten Gründen als nicht glaubhaft.

 

Der Antrag auf internationalen Schutz wurde folglich vom BAA gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status einer Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs 1 Z 1 AsylG wurde der Beschwerdeführerin - aufgrund ihres Gesundheitszustandes und weil bei ihr Überstellungshindernisse vorlagen - der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Armenien zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihr gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 17.06.2009 erteilt.

 

Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides erhob die Beschwerdeführerin durch ihre Mutter als gesetzliche Vertreterin innerhalb offener Frist Beschwerde (Berufung). Hinsichtlich des konkreten Inhaltes der Beschwerde, der bei den Erwägungen des Asylgerichtshof berücksichtigt wurde, wird auf den Akteninhalt verwiesen (VwGH 16.12.1999, 99/20/0524).

 

Die im angefochtenen Bescheid bereits enthaltene Sachverhaltsdarstellung und die getroffenen Feststellungen werden hiermit zum Inhalt dieser Entscheidung erklärt. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist das erkennende Gericht berechtigt, näher bezeichnete Teile des angefochtenen Bescheides zum Inhalt des gegenständlichen Erkenntnisses zu erheben, ohne sie wiederholen zu müssen (vgl. z.B. das Erk. d. VwGH vom 4. 10. 1995, 95/01/0045; VwGH 24. 11. 1999, 99/01/0280; auch VwGH 8. 3. 1999, 98/01/0278).

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den vorliegenden Verwaltungsakt.

 

Die belangte Behörde legte im Rahmen der Beweiswürdigung - unter Hinweis auf die Verfahren ihrer Familienangehörigen bzw. Eltern im Rahmen des Familienverfahrens - dar, dass keine Verfolgung aus einem asylrelevanten Motiv glaubhaft gemacht werden konnte.

 

Im Beschwerdeschriftsatz wird auf die diesbezüglichen Ausführungen in der Beschwerde (Berufung) des Vaters verwiesen.

 

Dort wird der beweiswürdigenden Auseinandersetzung zu den unplausiblen Angaben des BF damit entgegen getreten, dass er die Personen, die bei seinem Nachbarn bzw. seiner Schwester nach ihm gefragt hatten näher beschrieb, auch den Pkw, mit dem diese unterwegs gewesen seien näher bezeichnete und die Vermutung äußerte, dass es die gleichen Männer seien. Diese ausführlichen Details hätte er (im Zuge der Einvernahmen) angeben können. Die belangte Behörde habe hier gefehlt, als sie es unterlassen habe, den Sachverhalt umfassend zu ermitteln; sie hätte durch ergänzende Fragen daraufhin wirken müssen. Der BF habe sich in Schweden sehr wohl an staatliche Behörden gewandt und sei er mit seiner Familie in der Folge auch zweimal an einen anderen Wohnsitz verlegt worden, dort aber von den Kriminellen ausgeforscht worden. Er habe auch in den Einvernahmen jeweils ausführliche Angaben machen wollen, sei aber stets vom Einvernahmeleiter zurückgehalten worden. Schließlich habe ihn das Bundesasylamt mit den Argumenten, die zum Schluss der Unglaubwürdigkeit führten, nicht konfrontiert und damit das Parteiengehör verletzt, auch habe der Sachverhalt mit der Länderdokumentation nicht in Relation gesetzt werden können, weil keine Ermittlungen geführt worden seien, ob sein Recht durchsetzbar sei.

 

Im gegenständlichen Fall kann es dahingestellt bleiben, ob die Beweiswürdigung des Bundesasylamtes hinsichtlich der Nichtglaubhaftmachung der vorgebrachten und zuletzt ausreisekausalen Angaben im Sinne der allgemeinen Denklogik und der Denkgesetze in sich schlüssig und stimmig ist, denn selbst bei Wahrunterstellung des diesbezüglichen Sachverhaltes käme es unter Einbeziehung der Feststellungen zum Herkunftsstaat, im Ergebnis zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung.

 

Soweit in der Beschwerde erstmals zu den vom BAA getroffenen Feststellungen zum Herkunftsstaat, ua. auch durch Zitierung von Berichten, Stellung bezogen und insbesondere moniert wird, dass die Umsetzung des staatlichen Rechtsschutzes mangelhaft sei, Korruption ein großes Problem darstelle und dass die BF mangels staatlichen Schutzes aus Armenien fliehen musste, handelt es sich um neue Tatsachen und Beweismittel.

 

In Beschwerden gegen Entscheidungen des Bundesasylamtes dürfen nur eingeschränkt neue Tatsachen und Beweismittel vorgebracht werden.

 

Die dafür maßgebliche Norm des § 40 Asylgesetz 2005 BGBl I Nr. 100/2005 idF BGBl I Nr. 2008/4 lautet:

 

"(1) In einer Beschwerde gegen eine Entscheidung des Bundesasylamtes dürfen neue Tatsachen und Beweismittel nur vorgebracht werden,

 

1. wenn sich der Sachverhalt, der der Entscheidung zu Grunde gelegt wurde, nach

 

der Entscheidung erster Instanz entscheidungsrelevant geändert hat;

 

2. wenn das Verfahren erster Instanz mangelhaft war;

 

3. wenn diese dem Asylwerber bis zum Zeitpunkt der Entscheidung

 

erster Instanz nicht zugänglich waren (nova reperta) oder

 

4. wenn der Asylwerber nicht in der Lage war, diese vorzubringen.

 

(2) Über die Zulässigkeit des Vorbringens neuer Tatsachen und Beweise muss nicht entschieden werden, wenn diese für die Entscheidung des Asylgerichtshofes nicht maßgeblich sind."

 

Das Bundesasylamt hat im gegenständlichen Verfahren das Parteiengehör zu den getroffenen Feststellungen zum Herkunftsstaat dadurch gewahrt, dass ihnen - im Beisein des Dolmetschers - im Rahmen der Einvernahme dazu konkret die Möglichkeit eingeräumt wurde, was sie aber ablehnten ["Nein, das möchte ich nicht"]. Die gesetzlichen Vertreter der BF wurden beim BAA - abgesehen von den schriftlichen Belehrungsblättern - im Rahmen der Einvernahme nochmals ausdrücklich darauf hingewiesen, bereits beim BAA alles Relevante vorzubringen und nichts zu verschweigen und wurde überdies auch auf das Neuerungsverbot im Berufungs[Beschwerde]verfahren aufmerksam gemacht. Durch diese Nichtinanspruchnahme der Möglichkeit zum Parteiengehör im Rahmen der Einvernahme war das BAA nicht verpflichtet, darüber hinaus nochmals das Parteiengehör iSd § 45 Abs 3 AVG zu gewähren, da sie der Partei die Gelegenheit gegeben hat, ihre Rechte zu wahren. (vgl. zB VwSlg 8807 A/1975; VwGH 14.4.1994, 94/06/0016; VwSlg 9695 A/1978; VwSlg 9695 A/1978; vgl. auch VwSlg 8807 A/1975). Ist die Partei der Meinung, dass die Ermittlungen unvollständig oder nicht richtig sind, muss sie - im Rahmen des ihr zu gewährenden Parteiengehörs - konkrete Vorbringen erstatten, was gegen die Ermittlungsergebnisse der Behörde spricht und allenfalls Gegenbeweise vorlegen (zB VwGH 14.12.1995, 95/19/1046). Unterlässt sie die erforderliche Mitwirkung, kann der Behörde aus der Unterlassung weiterer Ermittlungen kein Vorwurf gemacht werden (zB VwGH 20.9.1999, 98/21/0138). So kann die Untätigkeit der Partei im Rahmen ihrer freien Beweiswürdigung -idR zu Lasten der Partei - berücksichtigt werden (zB VwGH 26.2.2002, 2001/11/0220; Thienel, Verwaltungsverfahrensrecht, 3. Auflage, S 172; Feßl/Holzschuster, Asylgesetz 2005 Kommentar, mwN auf die Judikatur des VwGH

 

Nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes ist dem Anliegen des Gesetzgebers, Missbräuchen vorzubeugen, auch dadurch Rechnung getragen, dass die Ausnahmen vom Neuerungsverbot "auf jene Fälle beschränkt" werden, in denen der Asylwerber "aus Gründen, die nicht als mangelnde Mitwirkung" am Verfahren zu werten sind, "nicht in der Lage war", Tatsachen und Beweismittel bereits in erster Instanz vorzubringen. Somit bleibt vom Neuerungsverbot ein Vorbringen erfasst, mit dem ein Asylwerber das Verfahren missbräuchlich zu verlängern versucht. (VfGH 15. 10. 2004, G 237/03 ua).

 

Aus dieser Judikatur des Verfassungsgerichtshofes ist demnach abzuleiten, dass nicht jede Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens zu einer Durchbrechung des Neuerungsverbotes führt, sondern nur jene, welche "kausal" dafür ist, dass der Asylwerber "nicht in der Lage war" die erst im Beschwerdeverfahren vorgebrachten neuen Tatsachen und Beweismittel schon im erstinstanzlichen Verfahren vorzubringen.

 

Soweit vertreten wird, dass etwa hinsichtlich des Parteiengehörs das erstinstanzliche Verfahren mangelhaft gewesen sei, ist auf die oa. Ausführungen zu verweisen, die eben nicht diese Annahme rechtfertigen, zumal es den gesetzlichen Vertretern der BF schon beim BAA möglich gewesen wäre dazu Stellung zu beziehen und dies auch ihrer zumutbaren Mitwirkungsverpflichtung entsprochen hätte. Darüber hinaus ist im gegenständlichen Fall kein relevanter Verfahrensmangel ersichtlich, der ursächlich dafür gewesen wäre, dass sie diese Tatsachen und Beweismittel nicht schon im erstinstanzlichen Verfahren hätte darlegen können. Im Ergebnis sind unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände hier keine Ausnahmetatbestände iSd § 40 Abs 1 AsylG 2005 erfüllt, die zur Zulässigkeit dieser Neuerungen führen würde.

 

Am Boden der zu dieser Bestimmung ergangenen und für deren Auslegung maßgeblichen Judikatur der beiden Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts (siehe VfGH 15.10.2004, Zahl G237/03 ua., Punkt III.4.7.4.2.; VwGH 27.09.2005, Zahl 2005/01/0313) ist in diesem Kontext noch zu beurteilen, ob diese späte, erst im Stadium der Beschwerde erfolgte Tatsachenbehauptung von dem Versuch gekennzeichnet ist, das Asylverfahren missbräuchlich zu verlängern. Im Rahmen einer gesamthaften Abwägung gelangt der Asylgerichtshof angesichts der ob dargelegten Ausführungen zu der Ansicht, dass im Falle der Beschwerdeführerin, bzw. deren gesetzliche Vertreter, das Vorliegen eines Missbrauchs zu bejahen ist.

 

2. Gemäß § 61 (1) AsylG 2005 BGBl I Nr. 100/2005 idF BGBl I Nr. 4/2008 entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten oder, soweit dies in Abs. 3 vorgesehen ist, durch Einzelrichter über

 

1. Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes und

 

2. [.....]

 

(2) [.....]

 

(3) Der Asylgerichtshof entscheidet durch Einzelrichter über Beschwerden gegen

 

1. zurückweisende Bescheide

 

[......]

 

(4) Über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde entscheidet der für die Behandlung der Beschwerde zuständige Einzelrichter oder Senatsvorsitzende.

 

Soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, sind auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof gem. § 23 Asylgerichtshofgesetz (AsylGHG) die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

Gemäß § 66 Abs 4 AVG idgF hat der Asylgerichtshof [Berufungsbehörde], sofern die Beschwerde [Berufung] nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Er [sie] ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung (§ 60) seine [ihre] Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

 

Die gegenständliche Berufung bezog sich ausdrücklich nur auf den ersten Spruchpunkt. Die weiteren Spruchpunkte II. und III. der erstinstanzlichen Entscheidung wurden daher mangels Anfechtung rechtskräftig.

 

Zum Spruchpunkt I.:

 

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG hat die Behörde einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, den Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

 

Der Antrag auf internationalen Schutz ist gem. § 3 Abs 3 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht oder der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat.

 

Flüchtling im Sinne von Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist eine Person, die aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder die sich als Staatenlose infolge solcher Ereignisse außerhalb des Landes befindet, in welchem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte, und nicht dorthin zurückkehren kann oder wegen der erwähnten Befürchtungen nicht dorthin zurückkehren will.

 

Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes müssen konkrete, den Asylwerber selbst betreffende Umstände behauptet und bescheinigt werden, aus denen die von der zitierten Konventionsbestimmung geforderte Furcht rechtlich ableitbar ist (vgl zB vom 8. 11. 1989, 89/01/0287 bis 0291 und vom 19. 9 1990, 90/01/0113). Der Hinweis eines Asylwerbers auf einen allgemeinen Bericht genügt dafür ebenso wenig wie der Hinweis auf die allgemeine Lage, zB. einer Volksgruppe, in seinem Herkunftsstaat (vgl VwGH 29. 11. 1989, 89/01/0362; 5. 12. 1990, 90/01/0202; 5. 6. 1991, 90/01/0198; 19. 9 1990, 90/01/0113).

 

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Konvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes befindet.

 

Eine asylrelevante Verfolgung kann im Lichte der Genfer Flüchtlingskonvention und der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht nur dann angenommen werden, wenn die Verfolgungshandlungen vom Verfolgerstaat ausgehen, sondern auch wenn die staatlichen Maßnahmen nicht im Ergebnis dazu führen, dass der Eintritt eines asylrechtlich, relevante Intensität erreichenden Nachteils aus der von dritter Seite ausgehenden Verfolgung nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit abgewendet werden kann (vgl. hiezu etwa VwGH 30.06.2005, Zahl 2002/20/0205; VwGH 01.09.2005, Zahl 2005/20/0357), was im letzteren Fall dann Relevanz zeitigen könnte, wenn die staatlichen Behörden nicht "schutzwillig" oder "schutzfähig" gegenüber solchen - aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen erfolgenden - Angriffen Dritter sind.

 

An der Schutzwilligkeit würde es dann fehlen, wenn der Staat nicht gewillt ist, von Privatpersonen (nichtstaatlichen Akteuren) ausgehende Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, sofern diesen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - Asylrelevanz zukommen sollte (vgl. hiezu etwa VwGH 23.07.1999, Zahl 99/20/0208; VwGH 21.09.2000, Zahl 2000/20/0226). Handelt es sich beim Vorgehen von Privatpersonen (nichtstaatlichen Akteuren) lediglich um von den Konventionsgründen losgelöste "kriminelle Machenschaften", kommt diesen lediglich dann Asylrelevanz zu, wenn die Verweigerung des staatlichen Schutzes selbst wiederum auf einem dieser Gründe beruht (VwGH 11.12.1997, Zahl 96/20/0045; VwGH 24.06.1999, Zahl 98/20/0574; VwGH 13.11.2001, Zahl 2000/01/0098).

 

An der Schutzfähigkeit würde es dann mangeln, wenn nicht mit ausreichenden Chancen einer "präventiven Verhinderung" der von dritter Seite ausgehenden Verfolgung seitens staatlicher Stellen gerechnet werden kann (vgl. hiezu etwa VwGH 30.06.2005, Zahl 2002/20/0205; VwGH 01.09.2005, Zahl 2005/20/0357; VwGH 17.10.2006, Zahl 2006/20/0120).

 

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes muss - im Falle der Annahme einer Bedrohung durch nichtstaatliche Akteure - staatlicher Schutz gegen die betreffenden Übergriffe gesucht worden sein oder ein solcher Versuch von vornherein aussichtslos sein (VwGH 9.9.1993, 93/01/0338; 26.11.1993, 93/01/0108).

 

Nach der Judikatur des EGMR, H.L.R gegen Frankreich, Urteil vom 29.4.1997, ist es in erster Linie Aufgabe des Antragstellers, konkret darzustellen bzw. glaubhaft zu machen, dass die staatlichen Autoritäten nicht in der Lage sind ausreichend vor solchen Gefahren zu schützen.

 

Die Verpflichtung der Behörde zur amtswegigen Ermittlungspflicht geht nicht so weit, dass sie in jeder denkbaren Richtung Ermittlungen durchzuführen hätte, sondern sie besteht nur insoweit, als konkrete Anhaltspunkte aus den Akten (etwa das Vorbringen der Partei (VwSlg 13.227 A/1990) dazu Veranlassung geben (VwGH 4.4.2002, 2002/08/0221).

 

Abgesehen davon, dass hinsichtlich der BF keine sie persönlich treffende Verfolgungsgefahr konkret behauptet wurde, läge hier - zu entnehmen aus dem Vorbringen der Eltern - eine durch kriminelle Personen im Sinne von nichtstaatlichen Akteuren vor. Dass diese Bedrohung auf einem asylrelevanten Motiv beruhen würde, hatten sie weder im erstinstanzlichen Verfahren noch in der Beschwerde konkret dargelegt. Auch kam im Verfahren unter Berücksichtigung aller bekannten Tatsachen nicht hervor, dass die für die Schutzgewährung zuständigen Stellen in Armenien aus asylrelevanten Motiven nicht gewillt wären Schutz zu bieten. Die "Verfolgungsgefahr" iSe "mittelbaren staatlichen Verfolgung" entfaltet daher, mangels Anknüpfungspunkt zu einem GFK relevanten Grund, keine Asylrelevanz.

 

Selbst wenn man den "Verfolgern" im gegenständlichen Fall ein asylrelevantes Motiv (zB aus Gründen der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe) unterstellen würde, so sind dem Vorbringen - soweit es nicht auf Grund des Neuerungsverbotes unbeachtlich zu bleiben hat - keine konkreten Hinweise (Auszug aus der Niederschrift mit der gesetzlichen Vertreterin: F: Was wäre, wenn Sie sich im Falle einer Rückkehr an staatliche Stellen in Armenien, sprich an die Polizei wenden würden? A: Wenn uns schon in Schweden kein diesbezüglicher Schutz gewährt werden konnte, wie sollte uns dann ein solcher in Armenien gewährt werden können.") zu entnehmen, dass gegen derartige Gefahren, insbesondere unter Berücksichtigung des bisher Geschehenen (Aussagen des Vaters: "Diese Leute haben mich unter Druck gesetzt und meine Familie und mich belästigt"; "Verfolgungen war ich in dieser Zeit nicht ausgesetzt"; "Bei meiner Schwester und ehemaligen Nachbarn von mir wurde nach uns gefragt (...) es waren Männer. Verdächtige Personen. Es waren sicher Freunde der kriminellen Organisation in Schweden" ; F: Abgesehen von diesen Nachfragen, hatten Sie noch sonstige Probleme und/oder Schwierigkeiten vor Ihrer Ausreise im August 2007? F: Nein, abgesehen von den gesundheitlichen Problemen meiner Tochter nicht.") und des befürchteten Übels ("Wir haben Angst vor der kriminellen Organisation von der wir schon in Schweden bedroht wurden und die dann auch in Armenien nach uns gesucht hat") durch nichtstaatlicher Akteure keine ausreichenden Schutzmechanismen der zuständigen staatlichen Stellen vorhanden wären, um den Eintritt eines von der Beschwerdeführerin für möglich gehaltenen Erfolges mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nicht eintreten zu lassen. Die BF bzw. deren gesetzliche Vertreter hatten bislang diesbezüglich vor ihrer letzten Ausreise nicht versucht Schutz bei den staatlichen Behörden in Armenien zu erlangen. Auch wurde nicht konkret behauptet bzw. glaubhaft gemacht, dass sie keinen Zugang zu den Schutzmechanismen hätten oder substantiiert dargelegt, ein Versuch staatlichen Schutz zu erlangen wäre von vornherein aussichtslos, was auch amtswegig im konkreten Fall, insbesondere auch auf Grund der Berichtslage nicht festgestellt werden kann.

 

Unter Berücksichtigung aller bekannten Tatsachen kann auch bei richtlinienkonformer Interpretation der Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit nicht ohne weiteres davon gesprochen werden, dass die für die Sicherheitsmechanismen zuständigen Stellen in Armenien iSd Art 6 lit c Richtlinie 2004/83 EG des Rates vom 29. April 2004 "erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens wären, Schutz vor Verfolgung bzw. ernsthaftem Schaden iSd Art 7 leg cit gegen derartige Gefahren zu bieten".

 

Artikel 7 Richtlinie 2004/83 EG des Rates vom 29. April 2004 lautet:

 

(1) Schutz kann geboten werden

 

a) vom Staat oder

 

b) von Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichenTeil des Staatsgebiets beherrschen.

 

(2) Generell ist Schutz gewährleistet, wenn die unter Absatz 1 Buchstaben a) und b) genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung oder den ernsthaften Schaden zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung oder einen ernsthaften Schaden darstellen, und wenn der Antragsteller Zugang zu diesem Schutz hat.

 

(3) Bei der Beurteilung der Frage, ob eine internationale Organisation einen Staat oder einen wesentlichen Teil seines Staatsgebiets beherrscht und den in Absatz 2 genannten Schutz gewährleistet, ziehen die Mitgliedstaaten etwaige in einschlägigen Rechtsakten des Rates aufgestellte Leitlinien heran.

 

Unter Zugrundelegung dieser - nicht unmittelbar anwendbaren - europarechtlichen Norm gelangt man unter Einbeziehung der berücksichtigten Berichtslage auch zum Ergebnis, dass "geeignete Schritte" in Armenien eingeleitet wurden bzw. werden, um Handlungen, die eine Verfolgung oder einen ernsthaften Schaden darstellen, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu verhindern und sich keine konkreten Hinweise ergeben, dass diese Schutzmechanismen für Personen in der Lage der Beschwerdeführerin nicht zugänglich wären.

 

Bei dieser Beurteilung war auch zu berücksichtigen, dass es aus dem Umstand, dass im Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin vereinzelt - wie auch in anderen Staaten - es zu solchen Vorfällen (überhaupt) kommt, keinen hinreichenden Grund bietet, allein daraus bereits den Schluss zu ziehen, dass die (schutzbereiten) staatlichen Stellen des Herkunftslandes nicht in der Lage sind, Schutz vor solchen Übergriffen zu bieten. Wollte man nämlich die "Effektivität" der Schutzfähigkeit dahingehend verstehen, dass es "sicher auszuschließen" sein müsse, dass der jeweilige Asylsuchende im Falle der Rückkehr Opfer eines Übergriffs würde, so ginge das an der Lebenswirklichkeit, wie gesagt nicht nur in Armenien, vorbei (zB. VwGH 4. 5. 2000, 99/20/0177). Jedem Staat würde damit letztlich etwas Unmögliches abverlangt. Auch ein hochentwickelter Staat kann gegen Übergriffe nichtstaatlicher Akteure keinen absoluten Schutz des Lebens und der Sicherheit gewährleisten, ohne dass darin eine staatliche oder dem Staat zurechenbare - asylrelevante -Verfolgung gelegen wäre (VwGH 31.8.1995, 94/19/1388; 26.3.1996, 95/19/0046).

 

Im gegenständlichen Fall war daher davon auszugehen, dass auf Grund ausreichender Schutzmechanismen, zu denen die Beschwerdeführerin auch Zugang hat, eine Furcht vor einer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwartenden asylrelevanten Verfolgung, unter Zugrundelegung eines objektiv-subjektiven Maßstabes (VwGH 9.5.1996, Zl.95/20/0380), nicht als wohlbegründet zu erachten wäre.

 

Die BF konnte auch auf Grund des Familienverfahrens mit ihren Eltern (Zl. 400.378, 400.376) gemäß § 34 AsylG 2005 keinen Titel zur Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten erlangen, zumal deren Beschwerde hinsichtlich des angefochtenen Spruchpunktes I. ebenfalls abgewiesen wurde.

 

Es war unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände daher zu Recht der Status einer Asylberechtigten nicht zu gewähren, die Entscheidung des BAA im Ergebnis zu bestätigen und die Beschwerde somit abzuweisen.

 

III. Gemäß § 41 Abs 7 AsylG 2005 kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 67 d AVG.

 

Im gegenständlichen Fall konnte das Unterlassen der mündlichen Verhandlung auf die 1. Fallvariante gestützt werden. Es wurde hier aufgezeigt, dass es auch bei Zugrundelegung der ausreisekausalen Angaben - soweit das Vorbringen in Folge des Neuerungsverbotes zu berücksichtigen war - im Ergebnis zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung führt. Die BF haben in der Beschwerde auch nicht behauptet, dass der Asylgerichtshof auf Grund des persönlichen Eindruckes zu einem anderen Ergebnis hätte gelangen können, was auch amtswegig nicht festgestellt werden könnte, zumal es dem Vorbringen schon an einer Anknüpfung an ein asylrelevantes Motiv mangelt und ein solches auch in der Beschwerde nicht konkret dargelegt wurde. Weder war der maßgebliche Sachverhalt ergänzungsbedürftig noch erschien er in entscheidenden Punkten als nicht richtig. Rechtlich relevante und zulässige Neuerungen wurden nicht vorgetragen. Es konnte daher eine mündliche Verhandlung unterbleiben.

Schlagworte
Familienverfahren
Zuletzt aktualisiert am
26.01.2009
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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