TE AsylGH Bescheid 2008/09/08 B11 310283-1/2008

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Veröffentlicht am 08.09.2008
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Spruch

B11 310.283-1/2008/9E

 

Y. N.,

 

geb. 1988, StA: Türkei;

 

schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten

 

Bescheides des unabhängigen Bundesasylsenates

 

BESCHEID

 

SPRUCH

 

Der unabhängige Bundesasylsenat hat durch das Mitglied Dr. Moritz gemäß § 66 Abs. 4 AVG, BGBl. Nr. 51/1991 i.d.g.F., i.V.m. § 61 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, entschieden:

 

I. Die Berufung von Y. N. vom 28.02.2007 gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 13.02.2007, Zahl: 06 13.014 EAST Ost, hinsichtlich des Spruchteils I. wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG abgewiesen.

 

II. Der o.g. Berufung hinsichtlich des Spruchteils II. wird gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG stattgegeben und Y. N. der Status einer subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Türkei zuerkannt.

 

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG wird Y. N. eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 08.09.2009 erteilt.

 

IV. Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides betreffend die Ausweisung der Y. N. aus dem österreichischen Bundesgebiet wird ersatzlos behoben.

Text

BEGRÜNDUNG

 

I. Verfahrensgang

 

Mit o.a. Bescheid des Bundesasylamtes (im Folgenden auch: BAA) wurde der Asylantrag der o.g. berufenden Partei, Staatsangehörige der Türkei, gemäß § 3 Abs. 1 AsylG abgewiesen, ihr der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei nicht zuerkannt und es wurde die berufende Partei gemäß § 10 Abs. 1 Z. 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Türkei ausgewiesen, wogegen Berufung erhoben wurde. Am 04.04.2008 führte der unabhängige Bundesasylsenat (im Folgenden auch: UBAS) eine mündliche Verhandlung durch, nach deren Schluss sogleich der Berufungsbescheid mit dem o.a. Spruch beschlossen und öffentlich verkündet wurde.

 

II. Der unabhängige Bundesasylsenat hat erwogen:

 

1. Folgender Sachverhalt wird festgestellt:

 

Für den als maßgeblich festgestellten Sachverhalt wird der Inhalt folgender den Parteien dieses Verfahrens zugänglichen und auch im Rahmen der öffentlichen Verhandlung der erkennenden Behörde erörterten Aktenteile zum Inhalt des gegenständlichen Bescheides erklärt, nämlich

 

-) die Angaben der berufenden Partei zu ihrer Person im Wesentlichen in den Punkten 1. sowie 4. bis 9. in der betreffenden Niederschrift des Bundesasylamtes vom 01.12.2006 (s. BAA-Akt, S. 25 f.);

 

-) die Angaben der berufenden Partei zu ihrer Person in der Niederschrift des unabhängigen Bundesasylsenates vom 09.11.2007, S. 2, Abschnitt: "EL: Können Sie chronologisch Ihren Lebenslauf schildern?" samt Antwort;

 

-) die Angaben der berufenden Partei zu ihren Fluchtgründen in der genannten Niederschrift, S. 2 bis 7, Abschnitt ab: "EL: Hat ihr Lebensgefährte eine Wohnung oder ein Haus in der Türkei?" samt Antwort bis: "EL: Wie war die soziale Stellung der Familie der Frau?" samt Antwort;

 

-) die Angaben des Zeugen A. G. in der Niederschrift der Verhandlung des unabhängigen Bundesasylsenates vom 04.04.2008, S. 4 f.;

 

-) die Angaben in den Informationsunterlagen (s. ihre Anführung in der Niederschrift der Verhandlung des unabhängigen Bundesasylsenates vom 04.04.2008, S. 3 f.) zur politischen und menschenrechtlichen Situation im Herkunftsstaat der berufenden Partei, sowie

 

-) das schriftliche Gutachten des im Berufungsverfahren beigezogenen Sachverständigen vom 03.04.2008, s. Anlage A zur o.a. Niederschrift des unabhängigen Bundesasylsenates.

 

2. Der festgestellte Sachverhalt beruht auf folgender Beweiswürdigung:

 

2.1. Die Feststellungen betreffend die berufende Partei beruhen im Wesentlichen auf ihrem Vorbringen im gesamten Verfahren einschließlich den im Akt befindlichen Dokumenten (türkischer Reisepass der berufenden Partei; s. BAA-Akt, S. 5 u. 7). Für die Glaubwürdigkeit der Angaben der berufenden Partei im Lichte des oben festgestellten maßgeblichen Sachverhaltes (s. Pt. II.1.) sprach, dass diese im Wesentlichen widerspruchsfrei waren bzw. etwaige aufgetretene Ungereimtheiten letztlich so weit nachvollziehbar aufgeklärt werden konnten, dass die Zweifel an der Richtigkeit dieser Angaben nicht überwiegten. Auch die dem unabhängigen Bundesasylsenat vorliegenden Informationen über die politische und Menschenrechtslage im Herkunftsstaat der berufenden Partei lassen nicht den Schluss zu, dass dieses Vorbringen unwahr ist. Zudem zog auch das Bundesasylamt die Angaben der berufenden Partei nicht in Zweifel (siehe BAA-Bescheid, S. 27). Weiters sprach die Authentizität der berufenden Partei für die Glaubwürdigkeit dieses Vorbringens. Belegt wurde dieses außerdem durch die von der berufenden Partei vorgelegten Dokumente anlässlich der o.a. Verhandlung des UBAS (siehe Anlagen B bis E zur Niederschrift). Ihr Vorbringen wurde auch unterstützt durch die glaubwürdigen Angaben ihres Lebensgefährten und Gatten nach islamischem Recht. In Würdigung aller Umstände überwiegen im Ergebnis diejenigen, die für eine Heranziehung des angeführten Vorbringens der berufenden Partei als maßgeblichen Sachverhalt für die gegenständliche Entscheidung sprechen (vgl. UNHCR, Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, 1979, Rz. 203, mit dem Hinweis, nach dem Grundsatz "im Zweifel für den Antragsteller" zu verfahren).

 

2.2. Der von der erkennenden Behörde festgestellte Sachverhalt hinsichtlich der politischen und Menschenrechtslage im Herkunftsstaat der berufenden Partei bzw. bezüglich der Situation der berufenden Partei im Falle ihrer Rückkehr in diesen Staat beruht im Wesentlichen auf die oben zitierten Gutachten des o.g. Sachverständigen sowie auf den stellvertretend für andere Informationsunterlagen, insbesondere auch die vom Sachverständigen verfassten und von diesem in das Berufungsverfahren eingeführten und erörterten Berichten und Gutachten von als seriös und fachlich-kompetent anerkannten Quellen von als seriös und fachlich-kompetent anerkannten Quellen (s. Pt. II.1.; zu den in diesen Unterlagen angeführten und auch vom Bundesasylamt sowie vom unabhängigen Bundesasylsenat als speziell eingerichtete Bundesbehörden als notorisch anzusehenden und daher jedenfalls auch von Amts wegen zu berücksichtigenden Tatsachen vgl. die einschlägige Judikatur z.B. VwGH 12.05.1999, Zl. 98/01/0365, und VwGH 25.11.1999, Zl. 99/20/0465; zu den laufenden Ermittlungs- bzw. Informationspflichten der Asylbehörden VwGH 06.07.1999, Zl. 98/01/0602, u.v.a.).

 

Die den Feststellungen zugrunde liegenden Ausführungen sind mit weiteren Nachweisen substantiiert, schlüssig und nachvollziehbar. Auf eine Ausgewogenheit von sowohl amtlichen bzw. staatlichen als auch von nichtstaatlichen Quellen, die auch aus verschiedenen Staaten stammen, wurde Wert gelegt. Zudem wird die Seriosität und Aktualität der oben zitierten Ausführungen des im Berufungsverfahren beigezogenen Sachverständigen durch die ausführlichen und differenzierenden, auf die besonderen Umstände im Herkunftsstaat der berufenden Partei eingehenden Angaben bestätigt. Seine Fachkompetenz wurde bereits durch seine in einer Vielzahl von Verfahren vor dem unabhängigen Bundesasylsenat nicht nur beim erkennenden Mitglied erstatteten nachvollziehbaren und schlüssigen Gutachten über die aktuelle Lage im Herkunftsstaat der berufenden Partei unter Beweis gestellt - und wird auch durch seine berufliche Laufbahn unterstrichen. Der Sachverständige ist österreichischer Staatsbürger kurdischer Herkunft, der in der Türkei geboren und aufgewachsen ist. Er absolvierte sein Studium der Politikwissenschaft an der Universität Wien, bei der er anschließend als Referent tätig war. Im Rahmen seiner Tätigkeit als Experte für die politische und menschenrechtliche Situation in der Türkei ist er u.a. als Mitarbeiter bei der "Gesellschaft für bedrohte Völker" sowie als Vertrauensperson beim "Helsinki Komitee" und bei "Amnesty International-Sektion Österreich" beschäftigt. Ferner weist er eine Vielzahl an Publikationen zu seinem Fachgebiet auf. Seit 2004 wird er als Sachverständiger vom unabhängigen Bundesasylsenat beigezogen. Er verfügt bis heute über gute Kontakte mit türkischen Rechtsanwälten (deren Hilfe er sich auch für seine Ermittlungstätigkeiten in der Türkei bedient) und demokratischen Kräften in der Türkei.

 

Die Würdigung der Ausführungen des Sachverständigen erfolgte auch vor dem Hintergrund der Angaben der sonstigen dem unabhängigen Bundesasylsenat vorliegenden Informationen (s. u.a. auch die anderen in das Berufungsverfahren eingeführten o.a. Unterlagen). Ihre Aussagen ergeben zusammen mit den in diesen Dokumenten angeführten und mit weiteren Nachweisen versehenen Angaben sowie auch mit den sonstigen dem unabhängigen Bundesasylsenat vorliegenden Informationen insofern ein stimmiges Gesamtbild, als die vom Sachverständigen getroffenen Differenzierungen bei der Einschätzung der Verfolgungssituation bestimmter Personengruppen auch von diesen Quellen bestätigt werden (bzw. sich zumindest innerhalb des Spektrums der zu diesem Thema geäußerten Beurteilungen befinden).

 

Die herangezogenen Bescheinigungsmittel wurden im Hinblick sowohl auf ihre Anerkennung als seriöse und zuverlässige Quellen als auch auf ihre inhaltliche Richtigkeit von den Parteien dieses Verfahrens nicht bestritten bzw. sind diesbezüglich keine Zweifel hervorgekommen. Weiters wurden im Verfahren von den Parteien keine Umstände vorgebracht und haben sich bisher keine Anhaltspunkte ergeben, auf Grund derer sich die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat der berufenden Partei in nachvollziehbarer Weise als unrichtig erwiesen hätten. Die bei der Verhandlung der erkennenden Behörde vom 04.04.2008 anwesende berufende Partei stimmte den Ausführungen im Gutachten des Sachverständigen sowie der Beurteilung der politischen und menschenrechtlichen Situation in deren Herkunftsstaat durch das erkennenden Mitglied auch ausdrücklich zu.

 

3. Rechtlich ergibt sich:

 

Mit 01.07.2008 hat der Gesetzgeber den Asylgerichtshof als unabhängige Kontrollinstanz in Asylsachen eingerichtet. Die maßgeblichen verfassungsmäßigen Bestimmungen bezüglich der Einrichtung des Asylgerichtshofes befinden sich in den Art. 129c ff. B-VG. Gemäß Art. 151 Abs. 39 Z. 1 B-VG wird mit 01.07.2008 der bisherige unabhängige Bundesasylsenat zum Asylgerichtshof. Laut Z. 4 leg. cit. sind am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren vom Asylgerichtshof weiterzuführen. Bereits aufgrund der genannten Bestimmungen und der in ihnen erkennbar vom Verfassungsgesetzgeber vorgesehenen Kontinuität ergibt sich, dass der Asylgerichtshof auch für die schriftliche Ausfertigung von mündlich verkündeten Bescheiden des unabhängigen Bundesasylsenates zuständig ist. Im vorliegenden Fall wurde der Berufungsbescheid mit o. a. Spruch am 04.04.2008 und damit vor Einrichtung des Asylgerichtshofes beschlossen und öffentlich verkündet.

 

Gemäß § 73 Abs. 1 und § 75 AsylG 2005 i.V.m. § 1 AsylG 2005 ist das Asylgesetz 2005 auf Anträge auf internationalen Schutz anzuwenden, die ab dem 01.01.2006 gestellt wurden. Im gegenständlichen Verfahren findet daher das neue Asylgesetz Anwendung.

 

Gemäß § 61 AsylG entscheidet der unabhängige Bundesasylsenat über Rechtsmittel gegen Bescheide des Bundesasylamtes.

 

3.1.1. Gemäß § 3 AsylG hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

 

Im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) vom 28.07.1951, BGBl. Nr. 55/1955, i. V.m. Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31.01.1967, BGBl. Nr. 78/1974, ist als Flüchtling anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und sich nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obige Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

 

Zentraler Aspekt der [...] in Art. 1 Abschnitt A Z. 2 Genfer Flüchtlingskonvention definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 19.12.1995, Zl. 94/20/0858, u.a.m., S.a. VfGH 16.12.1992, Zl. B 1035/92, Slg. 13314).

 

3.1.2. Die o.a. Feststellungen (s. Pt. II.1.) zugrundelegend kann hinreichend davon ausgegangen werden, dass der berufenden Partei im Falle ihrer Rückkehr in diesem Staat keine asylrelevante Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht (s. für viele VwGH 19.04.2001, Zl. 99/20/0273). Diese Beurteilung ergibt sich auf Grund der Gesamtsituation aus objektiver Sicht (s. hierzu VwGH 12.05.1999, Zl. 98/01/0365), die nicht nur die individuelle Situation der berufenden Partei, sondern auch die generelle politische Lage in ihrem Herkunftsstaat sowie die Menschenrechtssituation derjenigen Personen bzw. Personengruppe berücksichtigt, deren Fluchtgründe mit ihren vergleichbar sind.

 

Zwar darf nicht übersehen werden, dass im Herkunftsstaat der berufenden Partei willkürliche Übergriffe von Seiten der Behörden oder von Privatpersonen bzw. -gruppierungen nicht ausgeschlossen werden können. Doch erfolgen diese nicht in einer Weise, dass durch ihre Regelmäßigkeit oder Häufigkeit jedermann bzw. -frau mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit einer diesbezüglichen Verfolgungsgefahr zu rechnen hat (s. in ständiger Judikatur etwa VwGH 19.12.1995, Zl. 94/20/0858, 19.10.2000, Zl. 98/20/0233, wonach eine Verfolgungsgefahr dann anzunehmen sei, wenn eine Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohe; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung reiche nicht aus; vgl. für viele VwGH 30.09.1997, Zl. 97/01/0755, 14.10.1998, Zl. 98/01/0260, wonach die allgemeine Gefahr der Bevölkerung, Opfer von Übergriffen zu werden, keine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgung indiziere; s.a. VwGH 04.05.2000, Zl. 99/20/0177 u.a., dass ein lückenloser Schutz vor privater Verfolgung naturgemäß nicht gewährleistet werden könne, weshalb dem Fehlen eines solchen auch keine Asylrelevanz zukomme, sowie schließlich z.B. VwGH 13.01.1999, Zl. 98/01/0366, dass am Fehlen der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit einer individuell dem Beschwerdeführer drohenden Verfolgung mit asylrelevanter Intensität auch der Hinweis darauf nichts ändern könne, es geschehe allgemein immer wieder, dass es zu größeren Menschenrechtsverletzungen wie Folter und Umbringen von Personen komme; s.a. etwa VwGH 14.03.1995, Zl. 94/20/0798, wonach allein aus der Zugehörigkeit zu einer ethnischen Minderheit bzw. aus dem Hinweis auf deren schlechter allgemeinen Situation nicht das Vorliegen von Verfolgung i.S.d. GFK abgeleitet werden kann). Auch ist zu berücksichtigten, dass die Opfer dieser Übergriffe regelmäßig Menschen sind, bei denen in ihrer Person Umstände vorlagen, die eine konkrete, individuell gegen sie gezielte Verfolgung durch ihre Gegner, d.h. gerade gegen sie persönlich gerichtete Angriffe hervorriefen. Solche eventuell im Lichte der GFK relevanten Umstände liegen allerdings bei der berufenden Partei nicht vor bzw. konnten von ihr nicht glaubhaft gemacht werden (s. die ständige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, wonach konkrete, den Asylwerber selbst betreffende Umstände behauptet und bescheinigt werden müssen, aus denen die von der zitierten Konventionsbestimmung geforderte Furcht rechtlich ableitbar sei, z.B. VwGH 05.12.1990, Zl. 90/01/0202, 05.06.1991, Zl. 90/01/0198). So brachte die berufende Partei vor, die Türkei lediglich aufgrund der Sehnsucht nach ihren Kindern verlassen zu haben. Soweit sie davon sprach, inmitten von Türken gelebt und in dieser Situation herabwürdigend behandelt worden zu sein, ist festzuhalten, dass daraus für die erkennende Behörde keinerlei Verfolgungshandlungen zu erkennen waren und die berufende Partei ihre Angaben diesbezüglich auch nicht konkretisierte. Auch andere die Annahme asylrelevanter Verfolgung begründende Umstände sind nicht hervorgekommen (etwa wegen der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe; s. VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0287, 12.05.1999, Zl. 98/01/0576, 16.06.1999, Zl. 99/01/0072, u.v.m., oder wegen Sippenhaft, vgl. dazu z.B. VwGH 28.03.1996, Zl. 95/20/0027). Im Übrigen wird hinsichtlich der Situation der berufenden Partei im Falle ihrer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat auch auf die oben wiedergegebenen Ausführungen zur dortigen politischen und Menschenrechtssituation erwiesen (s. Pt. II.1.).

 

Eine allgemeine desolate wirtschaftliche und soziale Situation, könne nach ständiger Judikatur auch nicht als hinreichender Grund für eine Asylgewährung herangezogen werden (s. dazu etwa VwGH 17.06.1993, Zl. 92/01/1081, wonach die allgemeine wirtschaftliche Lage im Heimatland eines Asylwerbers nicht als konkret gegen eine bestimmte Person gerichtete Verfolgung gewertet werden könne, oder VwGH 22.04.1998, Zl. 96/01/0502, der die Eignung wirtschaftlicher Gründe zur Begründung der Flüchtlingseigenschaft abspricht).

 

3.2.1. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten einem Fremden zuzuerkennen, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

 

Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten demnach zuzuerkennen - und die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung eines Fremden folglich unzulässig - wenn dieser dadurch der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen würde (Art. 3 EMRK), wenn sein Recht auf Leben verletzt würde (Art. 2 EMRK) oder ihm die Vollstreckung der Todesstrafe drohen würde (Art. 1 des 13. Zusatzprotokolls zur EMRK).

 

Zu § 8 AsylG 2005 kann die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 8 Abs. 1 AsylG 1997 i.V.m. § 57 Abs. 1 FrG als Auslegungsbehelf herangezogen werden. Da sich § 57 Abs. 1 FrG in der durch BGBl. I Nr. 126/2002 geänderten Fassung inhaltlich weitgehend mit § 57 Abs. 1 FrG in der ursprünglichen Fassung (BGBl. I Nr. 75/1997) deckt und die Neufassung im Wesentlichen nur der Verdeutlichung diente, kann die bisherige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu § 57 Abs. 1 FrG i.d.F. BGBl. I Nr. 75/1997 weiterhin als Auslegungsbehelf herangezogen werden. Zur Auslegung des § 57 FrG ist die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zum inhaltsgleichen § 37 Fremdengesetz, BGBl. Nr. 838/1992, heranzuziehen. Danach erfordert die Feststellung nach dieser Bestimmung das Vorliegen einer konkreten, den Berufungswerber betreffenden, aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder (infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt) von diesen nicht abwendbaren Gefährdung bzw. Bedrohung. Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher ohne Hinzutreten besonderer Umstände, welche ihnen noch einen aktuellen Stellenwert geben, nicht geeignet, die begehrte Feststellung nach dieser Gesetzesstelle zu tragen (vgl. VwGH 14.10.1998, Zl. 98/01/0122, m.w.N.). Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat unter dem Gesichtspunkt des § 57 FrG als unzulässig erscheinen zu lassen (vgl. VwGH 27.02.2001, Zl. 98/21/0427). Im Übrigen ist auch im Rahmen des § 8 AsylG zu beachten, dass mit konkreten, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerten Angaben das Bestehen einer aktuellen Gefährdung bzw. Bedrohung i.S.d. § 57 Abs. 1 oder 2 FrG glaubhaft zu machen ist (vgl. VwGH 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).

 

3.2.2. Der immer noch bestehenden angespannten wirtschaftlichen und sozialen Lage im Herkunftsstaat der berufenden Partei lassen sich den o.g. Informationsquellen zufolge (s. Pt. II.1.) Hinweise auf eine allgemeine lebensbedrohende Notlage i.S.d. Rechtsprechung zu Art. 3 EMRK i.V.m. § 57 Abs. 1 FrG entnehmen (s. Urteil des EGMR in D vs. Vereinigtes Königreich vom 02.05.1997, wonach nur unter "außergewöhnlichen Umständen" - z.B. fehlende medizinische Behandlung bei lebensbedrohender Erkrankung - auch von den Behörden des Herkunftsstaates nicht zu vertretende lebensbedrohende Ereignisse ein Abschiebungshindernis i.S.v. Art. 3 EMRK i.V.m. § 57 Abs. 1 FrG darstellen können; s.a. für viele VwGH 25.11.999, Zl. 99/20/0365, wonach auch eine extreme Gefahrenlage, durch die praktisch jeder, der in den Staat, in dem diese Gefahrenlage herrscht, abgeschoben wird, auch ohne Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei der konkreten Gefahr einer Verletzung im Besonderen der auch durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre, der Abschiebung eines Fremden in diesen Staat entgegenstehen könne). Insbesondere aus dem Gutachten des o.g. Sachverständigen ergibt sich, dass die berufende Partei in der Türkei über keinen nennenswerten finanziellen Rückhalt verfügt und im Falle einer Rückkehr in ihren Heimatstaat in eine existenzbedrohende Lage kommen dürfte. Auch kann sie auf eine inländische Fluchtalternative (s. hierzu für viele zur Zulässigkeit der Prüfung einer etwaigen innerstaatlichen Fluchtalternative im Rahmen der Non-Refoulement-Prüfung etwa VwGH 27.11.1998, Zl. 97/21/0626, B 16.12.1999, Zl. 99/20/0552; vgl. dazu auch allgemein zur Gefahrlosigkeit z.B. VwGH 25.11.1999, Zl. 98/20/0523, bzw. zur Frage der Zumutbarkeit z.B. VwGH 08.09.1999, Zl. 98/01/0614) nicht verwiesen werden. Im Übrigen wird hinsichtlich der Situation der berufenden Partei im Falle ihrer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat auch auf die oben wiedergegebenen Ausführungen zur dortigen politischen und Menschenrechtssituation verwiesen (s. Pt. II.1).

 

Die berufende Partei vermochte im Lichte der einschlägigen Judikatur eine Gefahr i.S.d. § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 glaubhaft zu machen bzw. durch Bescheinigungsmittel zu belegen. Vor dem Hintergrund der oben getroffenen Feststellungen (s. Pt. II.1.) finden sich somit Anhaltspunkte dafür, dass die berufende Partei bei einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat, mit der in diesem Zusammenhang maßgeblichen Wahrscheinlichkeit, einer Gefährdungssituation i.S.d. § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ausgesetzt wäre.

 

Die berufende Partei würde als alleinstehende Frau ohne familiären Beistand in der Türkei vor sehr schwer bis kaum zu bewältigenden Anforderungen zur Sicherung einer menschenwürdigen Lebensweise stehen. Ergänzend wird auch auf die Ausführungen des sachverständigen in dessen schriftlichen Gutachten verwiesen (s. Kap. "Bewertung" ebendort). Zudem kommt für die Situation der berufenden Partei erschwerend ihre derzeitige Schwangerschaft hinzu.

 

3.3. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG ist einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird, gleichzeitig von der zuerkennenden Behörde eine befristete Aufenthaltsberechtigung zu erteilen. Diese gilt für ein Jahr und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über Antrag des Fremden vom Bundesasylamt verlängert.

 

Im Falle der berufenden Partei liegen die Voraussetzungen für eine Erteilung der befristeten Aufenthaltsberechtigung vor. Auch ist auf Grund der oben festgestellten Verhältnisse im Herkunftsstaat der berufenden Partei nicht davon auszugehen, dass sich ihre Rückkehrsituation innerhalb der nächsten Monate maßgeblich ändern wird. Im Übrigen wird hinsichtlich der betreffenden Situation auch auf die oben wiedergegebene Ausführungen zur dortigen politischen und Menschenrechtssituation verwiesen (s. Pt. II.1).

 

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
befristete Aufenthaltsberechtigung, Glaubhaftmachung, Schwangerschaft, soziale Gruppe, subsidiärer Schutz
Zuletzt aktualisiert am
31.12.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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