TE AsylGH Erkenntnis 2008/09/08 S8 400338-1/2008

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Veröffentlicht am 08.09.2008
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Spruch

S8 400.338-1/2008/3E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Büchele als Einzelrichter über die Beschwerde des S. A., geb. 00. 00.1980, StA. Afghanistan, vertreten durch Dr. Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2 - 4, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 19.06.2008, FZ. 08 03.766-EAST Ost, zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 5, 10 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005, als unbegründet abgewiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, ist am 28.04.2008 illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist und hat am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz (in der Folge: Asylantrag) gestellt.

 

2. Bei der Erstbefragung am Tag der Antragstellung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Polizeiinspektion Traiskirchen in Anwesenheit eines Dolmetschers für Dari gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, er sei vor circa acht Monaten mit dem PKW in Richtung Pakistan ausgereist. Von Kuwait sei er illegal schlepperunterstützt in den Iran eingereist, wo er circa ein Woche aufhältig gewesen sei. Er habe gemeinsam mit drei weiteren Personen zu Fuß die iranisch-türkische Grenze überquert. Auf der türkischen Seite hätten sie von dem Schlepper einen gefälschten Reisepass bekommen, mit welchem sie mit einem Linienbus nach Istanbul gereist seien. In Istanbul seien sie einem anderen Schlepper übergeben worden, welcher sie zur Küste gebracht habe. Sie seien mit einem Schlauchboot nach Griechenland gereist, wo sie in Mytilini an Land gegangen seien. Nach zwei Tagen seien sie von der Polizei aufgriffen, kontrolliert und ihnen die Fingerabdrücke abgenommen worden. Er sei für circa fünf bis sechs Tage in polizeilichem Gewahrsam gewesen. Er sei aufgefordert worden, innerhalb eines Monats Griechenland selbstständig zu verlasen; es sei für ihr ein Ausreisezertifikat ausgestellt worden. Er sei mit einer Fähre nach Athen und dann mit dem Zug weiter nach Patras gefahren. Von dort aus sei er versteckt auf der Ladefläche eines LKW mittels Fähre nach Italien gereist. In welcher Stadt der LKW die Fähre verlassen habe, wisse er nicht. Er sei dann mit dem LKW bis nach Rom gefahren. In Rom habe ihm ein Schlepper ein Zugticket nach Österreich besorgt. Mit dem Zug sei er dann nach Österreich gekommen.

 

3.1. Eine Eurodac-Abfrage von selben Tag ergab, dass der Beschwerdeführer bereits am 11.10.2007 in Mytilini/Griechenland erkennungsdienstlich behandelt wurde.

 

Am 06.05.2008 richtete das Bundesasylamt auf der Grundlage der konkreten Angaben des Beschwerdeführers über seinen Reiseweg und des Eurodac-Treffers ein dringliches Aufnahmeersuchen gemäß Art. 10 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedsstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedsstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (kurz: Dublin-Verordnung) an die zuständige griechische Behörde. Die Frist zur Beantwortung wurde darin gemäß Art 17 Abs. 2 Dublin-Verordnung auf ein Monat verkürzt. Die entsprechende Mitteilung gemäß § 28 Abs. 2, zweiter Satz AsylG 2005 über die Führung von Konsultationen mit Griechenland erhielt der Beschwerdeführer am 13.05.2008. Mit Schreiben vom 10.06.2008 teilte das Bundesasylamt der zuständigen griechischen Behörde mit, dass die Zuständigkeit zur Prüfung des Asylantrages des Beschwerdeführers aufgrund des Zeitablaufes auf Griechenland übergegangen sei. Mit Schreiben vom 11.06.2008 (beim Bundesasylamt am 30.06.2008 eingelangt) erklärte sich Griechenland gemäß Art. 18 Abs. 7 Dublin-Verordnung ausdrücklich für die Aufnahme des Beschwerdeführers für zuständig.

 

3.2. Mit Schreiben vom 16.06.2008 nahm der Beschwerdeführervertreter zur allfällig geplanten Zurückweisung des Asylantrages des Beschwerdeführers wie folgt Stellung:

 

Eine Zurückweisung sei rechtlich unzulässig, zumal die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005 nach der Entscheidung des UBAS, Zl. 319129-1/3E-II/04/08, auf Griechenland derzeit nicht zutreffe; vielmehr bestehe die rechtliche Notwendigkeit den Selbsteintritt Österreichs nach Art. 3 Abs.2 der Dublin-Verordnung zu Anwendung zu bringen, um eine Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte zu vermeiden. Da die Tatsachenlage im konkreten Fall der genannten Entscheidung entspräche und auch in der Person des Beschwerdeführers keine Gründe gelegen seien, die dafür sprächen, dass gerade er in Griechenland Schutz vor Verfolgung finde würde, sei daher die genannte Rechtsprechung beachtlich.

 

Davon abgesehen würde eine Überstellung nach Griechenland dem durch Art. 8 EMRK garantierten Recht auf Privat- und Familienleben widersprechen, da seine Schwester seit acht Jahren in Linz lebe. Er habe mit ihr bereist vor seiner Flucht telefonischen Kontakt gehabt; sie und sein Schwager seien für den Beschwerdeführer eine unersetzbare Stütze. Er würde nunmehr täglich mit seiner Schwester telefonieren.

 

Der Stellungnahme wurde ein Artikel der Wochenzeitung Profil, vom 21.01.2008 mit dem Titel "Schifferl versenken" sowie eine Kopie des Reisepasses seiner Schwester angefügt.

 

4. Am 17.06.2008 wurde der Beschwerdeführer vom Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle Ost, nach erfolgter Rechtsberatung in Anwesenheit des Rechtsberaters sowie eines geeigneten Dolmetschers für Farsi niederschriftlich einvernommen. Er gab dabei im Wesentlichen an, dass er körperlich und geistig in der Lage sei, die Einvernahme durchzuführen. Seine Schwester lebe seit acht Jahren in Österreich und besitze auch die österreichische Staatsbürgschaft. In Afghanistan habe er mit seiner Schwester bis zu deren 14. Lebensjahr im Haus der Eltern in einem gemeinsamen Zimmer gelebt. Mit 14 Jahren habe sie geheiratet und sei ausgezogen. Sie habe in der Nachbarschaft gelebt. Nach der Flucht seiner Schwester aus Afghanistan habe er in unregelmäßigen Abständen mit ihr telefonischen Kontakt gehabt. Seit er in Österreich aufhältig sei, telefoniere er öfter mit seiner Schwester. Er habe sie auch drei Mal in Wien getroffen. Zur geplanten Ausweisung nach Griechenland gab der Beschwerdeführer an, er habe kein Interesse nach Griechenland geschickt zu werden, weil dort die Menschenrechte nicht beachtet würden. Bei seiner Ankunft in Griechenland sei er dort nicht in die Flüchtlingsbetreuung aufgenommen und auch sonst nicht betreut worden. Es sei auch kein Dolmetscher anwesend gewesen. Er habe für sich selbst sorgen müssen. Er habe sich während seines sechsmonatigen Aufenthalts lediglich einmal duschen können; hierfür habe er bezahlen müssen. Er sei auch von der griechischen Polizei mit dem Schlagstock geschlagen worden, sodass er sei sein Rücken angeschwollen war. Er habe in Athen einen Asylantrag stellen wollen; eine "iranische" Dolmetscherin habe ihm jedoch gesagt, dass er in zwei Wochen wiederkommen solle und dass es in Griechenland keine Betreuung und auch kein Flüchtlingslager gäbe.

 

5. Mit dem beim Asylgerichtshof angefochtenen Bescheid entschied das Bundesasylamt gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005, dass der Asylantrag des Beschwerdeführers vom 28.04.2008 als unzulässig zurückzuweisen sei. Für die Prüfung des Asylantrages sei gemäß Art. 10 Abs. 1 der Dublin-Verordnung Griechenland zuständig. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 wurde der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Griechenland ausgewiesen; eine Abschiebung des Beschwerdeführers nach Griechenland sei somit gemäß § 10 Abs. 4 AsylG 2005 zulässig. Das Bundesasylamt traf umfangreiche länderkundliche Feststellungen zu Griechenland, insbesondere zum griechischen Asylwesen und zur Versorgung von Asylwerbern in Griechenland. Beweiswürdigend hielt die Erstbehörde im Wesentlichen fest, dass aus den Angaben des Beschwerdeführers keine stichhaltigen Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht worden seien, dass dieser konkret Gefahr liefe, in Griechenland verfolgt zu werden. Es drohe ihm keine Verletzung der durch Art. 3 und Art. 8 EMRK gewährleisteten Rechte.

 

6. Mit Schriftsatz vom 07.07.2008 wurde in der - fristgerecht eingebrachten - Beschwerde im Wesentlichen auf die Stellungnahme vom 16.06.2008 verwiesen. Ergänzend wurde vorgebracht, dass der Beschwerdeführer glaubhaft dargetan habe, dass ihm in Griechenland eine Behandlung widerfahren sei, die den gemeinschaftsrechtlichen Mindeststandards, der GFK und dem nationalen österreichischen Recht nicht entspräche; der Selbsteintritt Österreichs sei daher rechtlich geboten. Die belangte Behörde habe den Begriff des durch Art. 8 EMRK geschützten Familienlebens und der durch Art. 8 EMRK gebotenen Interessensabwägung verkannt. Seine Schwester, welche auch die österreichische Staatsbürgerschaft besitze, lebe bereits seit mehreren Jahren in Österreich. Durch die Flucht aus seinem Heimatland sei er psychisch stark belastet, weshalb er auf die Hilfe seiner Schwester angewiesen sei. Schließlich sei das Verfahren mangelhaft geblieben, weil nicht das zur Entscheidung berufene Organ die Einvernahme durchgeführt habe. Die Behörde habe dies im Aktenvermerk vom 19.06.2008 mit organisatorischen Gründen aufgrund des Fristenmanagement begründet. Diese Begründung sei allerdings nicht ausreichend; das Verfahren sei daher mangelhaft.

 

7. Mit Beschluss des Asylgerichtshofes vom 17.07.2008 wurde der Beschwerde gemäß § 37 Abs. 1 AsylG 2005 aufschiebende Wirkung zuerkannt.

 

II. Der Asylgerichtshof hat durch den zuständigen Richter über die Beschwerde wie folgt erwogen:

 

1. Folgender Sachverhalt wird der Entscheidung zugrunde gelegt:

 

1.1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, ist am 28.04.2008 illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist und hat am selben Tag einen Asylantrag gestellt. Der Beschwerdeführer war ca. acht Jahre alt, als seine Schwester in Afghanistan aus dem gemeinsamen Haushalt auszog und eine eigene Familie gründete. Vor seiner Flucht lebte der Beschwerdeführer gemeinsam mit seiner eigenen Familie zusammen und bestritt seinen Lebensunterhalt als Taxifahrer. Die Schwester des Beschwerdeführers ist österreichische Staatsbürgerin und lebt seit acht Jahren in Österreich. Zu seiner Schwester hatte der Beschwerdeführer vor seiner illegalen Einreise in Österreich nur unregelmäßigen Kontakt. Der Beschwerdeführer und seine Schwester leben weder im gemeinsamen Haushalt - die Schwester des Beschwerdeführers lebt gemeinsam mit ihrer Familie in Linz, der Beschwerdeführer selbst in Wien in einer Unterkunft des Bundesasylamtes - noch besteht eine finanzielle oder sonstige Abhängigkeit. Dass die verfahrensgegenständliche Beschwerde von seiner Schwester bzw. vor seinem Schwager finanziert wurde, führt noch nicht zu einer finanziellen Abhängigkeit. Es besteht seit der Ankunft des Beschwerdeführers in Österreich lediglich ein loser Kontakt durch gelegentliche gegenseitige Besuche und Telefonaten.

 

Der Beschwerdeführer hat in Griechenland nicht um Asyl angesucht, sondern wurde dort lediglich erkennungsdienstlich behandelt.

 

1.2. Am 06.05.2008 wurde ein Aufnahmeersuchen gemäß Art. 10 Abs. 1 Dublin-Verordnung an Griechenland gestellt. Nachdem Griechenland nicht in der vorgegebenen Frist eine Antwort beim Bundesasylamt eintraf, besteht gemäß Art. 18 Abs. 7 Dublin-Verordnung eine Zuständigkeit Griechenlands durch Verfristung. Mit Schreiben vom 11.06.2008 (beim Bundesasylamt eingetroffen am 30.06.2008) erklärte sich Griechenland gemäß Art. 18 Abs. 7 Dublin-Verordnung ausdrücklich für die Aufnahme des Beschwerdeführers für zuständig.

 

Die in § 28 Abs. 2 AsylG 2005 festgelegte zwanzigtätige Frist zur Erlassung eines zurückweisenden Bescheides nach § 5 AsylG gilt nicht, weil dem Beschwerdeführer das Führen von Konsultationen gemäß der Dublin-Verordnung am 13.05.2008 mitgeteilt wurde, weshalb kein Übergang der Zuständigkeit an Österreich wegen Fristüberschreitung eingetreten ist.

 

2. Der festgestellte Sachverhalt gründet sich auf folgende Beweiswürdigung:

 

Die oben angeführten Feststellungen ergeben sich aus dem erstinstanzlichen Verwaltungsakt, insbesondere aus den Angaben des Beschwerdeführers bei der Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 28.04.2008 (Aktenseite 13 bis 23), aus der niederschriftlichen Einvernahme des Beschwerdeführers am 17.06.2008 (Aktenseite 101 bis 111) sowie aus der Zuständigkeitserklärung Griechenlands vom 11.06.2008 (Aktenseite 213); Unterlagen zum Asylverfahren der Schwester des Beschwerdeführers (Aktenseite 113 bis 127).

 

3. Rechtlich ergibt sich Folgendes:

 

3.1. Gemäß § 5 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 2005 - AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 4/2008, (in der Folge: AsylG 2005) ist ein nicht gemäß § 4 AsylG 2005 erledigter Asylantrag als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Antrages zuständig ist. Die Zuständigkeit zur Prüfung des Asylantrags innerhalb der EU richtet sich nicht nach der freien Wahl eines Asylwerbers sonder ist zwingend gemeinschaftsrechtlich durch die Dublin-Verordnung vorgegeben. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat das Bundesasylamt als Asylbehörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist.

 

Sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesasylamt oder beim Asylgerichtshof offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, ist davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach § 5 Abs. 1 AsylG 2005 Schutz vor Verfolgung findet (§ 5 Abs. 3 AsylG 2005). Mit dieser Regelung wurde eine teilweise Beweislastumkehr geschaffen. Es trifft zwar ohne Zweifel zu, dass Asylwerber in ihrer besonderen Situation häufig keine Möglichkeit haben, ihr Beschwerdevorbringen zu untermauern (wobei dem auch durch das Institut des Rechtsberaters begegnet werden kann), und dies mitzubeachten ist (VwGH, 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949); dies kann aber nicht pauschal dazu führen, die vom Gesetzgeber - im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht - vorgenommene Wertung in dieser Bestimmung überhaupt für unbeachtlich zu erklären.

 

Die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates nach der Dublin-Verordnung ist als negative Prozessvoraussetzung hinsichtlich des Asylverfahrens in Österreich konstruiert. Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens ist somit die Frage der Zurückweisung des Asylantrages wegen Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates.

 

Nach Art. 3 Abs. 1 Dublin-Verordnung prüfen die Mitgliedstaaten jeden Asylantrag, den ein Drittstaatsangehöriger (eine Person, die nicht Bürgerin oder Bürger der Europäischen Union ist) an der Grenze oder im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin-Verordnung als zuständiger Staat bestimmt wird. Kapitel III enthält in den Artikeln 6 bis 13 die Zuständigkeitskriterien, die nach Art. 5 Abs. 1 "in der in diesem Kapitel genannten Reihenfolge" Anwendung finden.

 

3.2. Art. 10 Abs. 1 Dublin-Verordnung lautet:

 

"(1) Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 18 Absatz 3 genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach Kapitel III der Verordnung (EG) Nr. 2725/2000 festgestellt, dass ein Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig. Die Zuständigkeit endet zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts."

 

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach dem AsylG 2005 mit einer Ausweisung zu verbinden, wenn der Asylantrag zurückgewiesen wird. Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 sind Ausweisungen nach Abs. 1 unzulässig, wenn dem Fremden entweder im Einzelfall ein nicht auf dieses Bundesgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht zukommt oder diese eine Verletzung von Art. 8 EMRK darstellen würden. Gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 ist, wenn die Durchführung der Ausweisung aus Gründen, die in der Person des Asylwerbers liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, gleichzeitig mit der Ausweisung auszusprechen, dass die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben ist. Gemäß § 10 Abs. 4 AsylG 2005 gilt eine Ausweisung, die mit einer Entscheidung gemäß Abs. 1 Z 1 verbunden ist, stets auch als Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den betreffenden Staat. Besteht eine durchsetzbare Ausweisung, hat der Fremde unverzüglich auszureisen.

 

Gemäß § 28 Abs. 2 AsylG 2005 ist der Antrag zuzulassen, wenn das Bundesasylamt nicht binnen zwanzig Tagen nach seiner Einbringung entscheidet, dass er zurückzuweisen ist, es sei denn, es werden Konsultationen gemäß der Dublin-Verordnung oder einem entsprechenden Vertrag geführt. Dass solche Verhandlungen geführt werden, ist dem Asylwerber innerhalb der 20-Tages-Frist mitzuteilen.

 

3.3. Im gegenständlichen Fall ist das Bundesasylamt ausgehend davon, dass dem Beschwerdeführer in Griechenland am 11.10.2007 die Fingerabdrücke abgenommen wurden und Griechenland nach der Verfristung gemäß Art. 18 Abs. 7 Dublin-Verordnung, zu Recht von einer Zuständigkeit Griechenlands zur Prüfung des Asylantrages ausgegangen.

 

Festzuhalten ist auch, dass die in § 28 Abs. 2 AsylG 2005 normierte 20-tägige Frist im gegenständlichen Fall durch Mitteilung der Konsultationen an den Beschwerdeführer weggefallen ist.

 

3.4. Zu prüfen bleibt daher, ob Österreich im gegenständlichen Fall verpflichtet wäre, im Hinblick auf Art. 3 EMRK oder Art. 8 EMRK von seinem Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin-Verordnung Gebrauch zu machen.

 

3.4.1. Zur möglichen Verletzung des Art. 3 EMRK:

 

Der Verfassungsgerichtshof sprach in seinem Erkenntnis VfSlg. 16.122/2001 aus, dass § 5 AsylG nicht isoliert zu sehen sei; das im Dubliner Übereinkommen festgelegte Selbsteintrittsrecht Österreichs verpflichte - als Teil der österreichischen Rechtsordnung - die Asylbehörde unter bestimmten Voraussetzungen zur Sachentscheidung in der Asylsache und damit mittelbar dazu, keine Zuständigkeitsbestimmung im Sinne des § 5 vorzunehmen. Eine strikte, zu einer Grundrechtswidrigkeit führende Auslegung (und somit Handhabung) des § 5 Abs. 1 AsylG sei durch die Heranziehung des Selbsteintrittsrechtes zu vermeiden. Dieser Rechtsansicht schloss sich der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 23.01.2003, Zl. 2000/01/0498, an.

 

Hatte der Verfassungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis VfSlg. 17.340/2004 ausgesprochen, dass jene zum Dubliner Übereinkommen angestellten Überlegungen auch für das Selbsteintrittsrecht des Art. 3 Abs. 2 Dublin-Verordnung zutreffen, ergänzte er in seinem Erkenntnis VfSlg. 17.586/2005 dies dahingehend, dass die Mitgliedstaaten nicht nachzuprüfen haben, ob ein bestimmter Mitgliedstaat generell sicher sei, da die entsprechende Vergewisserung durch den Rat erfolgt sei; eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung eines Asylwerbers in einen anderen Mitgliedstaat im Einzelfall sei jedoch gemeinschaftsrechtlich zulässig. Sollte diese Überprüfung ergeben, dass Grundrechte des betreffenden Asylwerbers etwa durch eine Kettenabschiebung bedroht sind, sei aus verfassungsrechtlichen Gründen das Eintrittsrecht zwingend auszuüben.

 

In seinem Erkenntnis vom 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582, (dem ein - die Zuständigkeit Italiens nach dem Dubliner Übereinkommen betreffender - Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates zugrunde lag) sowie in dem (bereits die Dublin-Verordnung betreffenden) Erkenntnis vom 31.05.2005, Zl. 2005/20/0095, führte der Verwaltungsgerichtshof aus, dass in Verfahren wie dem gegenständlichen eine Gefahrenprognose zu treffen ist, ob ein - über die bloße Möglichkeit hinausgehendes - ausreichend substantiiertes reale Gefahr ("real risk") besteht, dass ein aufgrund der Dublin-Verordnung in den zuständigen Mitgliedstaat ausgewiesener Asylwerber trotz Berechtigung seines Schutzbegehrens, also auch im Falle der Glaubhaftmachung des von ihm behaupteten Bedrohungsbildes, im Zielstaat der Gefahr einer - direkten oder indirekten - Abschiebung in den Herkunftsstaat ausgesetzt ist, wobei insbesondere zu prüfen sei, ob der Zielstaat rechtliche Sonderpositionen vertritt, nach denen auch bei der Zugrundelegung der Behauptungen des Asylwerbers eine Schutzverweigerung zu erwarten wäre. Weiters wird ausgesprochen, dass geringe Asylanerkennungsquoten im Zielstaat für sich allein genommen keine ausreichende Grundlage dafür sind, um vom Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen.

 

Nach der Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (kurz: EGMR) muss der Betroffene die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer aktuellen und ernsthaften Gefahr schlüssig darstellen (vgl. EGMR, Entsch. vom 07.07.1987 Nr. 12877/87 [Kalema gegen Frankreich], DR 53, S. 254 [264]; zum Maßstab des "real risk" siehe auch die Nachweise in VwGH 31.03.2005, 2002/20/0582).

 

Zur Kritik am griechischen Asylwesen:

 

Im gegenständlichen Fall kann nun nicht gesagt werden, dass der Beschwerdeführer ausreichend substantiiert und glaubhaft dargelegt hätte, dass ihm durch eine Rückverbringung nach Griechenland die - über eine bloße Möglichkeit hinausgehende - Gefahr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung drohen würde.

 

Während des gesamten Verfahrens hat der Beschwerdeführer keine substantiierten Gründe vorgebracht, die gegen seine Rücküberstellung nach Griechenland sprechen, sondern hat sich im Wesentlichen auf eine allgemeine Kritik an der Situation in Griechenland beschränkt. Er hat bei seiner Einreise bzw. im Rahmen seines Aufenthaltes in Griechenland keinen Asylantrag gestellt und hat die griechischen Behörden nicht ausdrücklich um Unterstützung ersucht. Dass die griechischen Behörden den Beschwerdeführer nach der erkennungsdienstlichen Behandlung angewiesen haben, das Land zu verlassen, war nur die Folge, dass dieser keinen Asylantrag gestellt hat da er sich nicht rechtmäßig in Griechenland aufgehalten hat. Die Behauptung des Beschwerdeführers, es sei ihm versagt gewesen, einen Asylantrag in Griechenland zu stellen, ist keinesfalls nachvollziehbar; dies insbesondere deshalb, weil es sich hierbei lediglich um eine allgemein gehaltene Behauptung handelt, die der Beschwerdeführer unbelegt in den Raum gestellt hat. Ferner ist anzuführen, dass in Ermangelung eines Asylantrags des Beschwerdeführers wohl kaum vom griechischen Staat als Asylwerber versorgt wird. So geht auch das Vorbringen in der Beschwerde, die Erstbehörde habe nicht ausreichend nach den Lebensumständen des Beschwerdeführers in Griechenland als Asylwerber gefragt, ins Leere. Da der Beschwerdeführer in Griechenland keinen Asylantrag gestellt hat, hat der griechische Staat keine Veranlassung, ihn als Asylwerber zu versorgen und wurde er daher auch nicht von staatlichen Einrichtungen sondern - seinen eigenen Angaben zufolge - von kirchlichen Institutionen unterstützt.

 

Zur allgemeinen Kritik des Beschwerdeführers an Griechenland ist unbestritten, dass der UNHCR das Absehen von Überstellungen empfohlen hat und in einigen Berichten von Nicht-Regierungs-Organisationen wiederholte Kritik an verschiedenen Aspekten des griechischen Asylverfahrens und des Umgangs mit Asylwerbern geübt wurde. Dies hat auch zur Aufhebung bestimmter Bescheide des Bundesasylamtes durch den UBAS bzw. den Asylgerichtshof geführt; dies allerdings nur dann, wenn sich diese Bescheide mit dieser Erkenntnislage nicht hinreichend auseinandergesetzt haben (vgl. z.B. UBAS Bescheid vom 05.05.2008, Zahl: 318.977-1/2E-XV/53/08 sowie Erkenntnis des AsylGH vom 18.07.2005, Zahl: S8 400.003-1/2008/3E), da jedenfalls bei einem entsprechenden Vorbringen von einer Erschütterung der Regelvermutung des § 5 Abs 3 AsylG ausgegangen hätte werden können.

 

Im vorliegenden Fall hat sich die belangte Behörde jedoch in der Begründung des bekämpften Bescheides auf das Ergebnis einer Fact Finding Mission des Schwedischen Migrationsamtes betreffend die Anwendung der Dublin-Verordnung im Verhältnis zu Griechenland (Bericht vom 07.05.2008) sowie auf das UNHCR Positionspapier zur Überstellung von Asylsuchenden nach Griechenland gemäß der Dublin-Verordnung vom April 2008 gestützt.

 

Entscheidendes Ergebnis des Berichts zur Fact Finding Mission des Schwedischen Migrationsamtes ist, dass bei Überstellungen nach der Dublin-Verordnung ein tatsächlicher Zugang zum griechischen Asylverfahren besteht. Probleme des Zugangs zum Asylverfahren, wie sie sich etwa in anderen - insbesondere älteren - Berichten bei der Ersteinreise von Personen aus der Türkei nach Griechenland widerspiegeln, sind daher nicht relevant. Auch wenn im gegenständlichen Fall die Zuständigkeit Griechenlands durch Fristablauf und nicht durch ausdrückliche Zustimmung eingetreten ist, hat der Asylgerichtshof keinen Grund, den griechischen Asylbehörden einen gemeinschaftswidrigen Vollzug der europarechtlichen Standards im Asylverfahren zu unterstellen. Auch das schwedische Migrationsamt hat in 26 überprüften Fällen bei Überstellungen nach Griechenland keine Mängel erkennen können bzw. festgestellt, dass in all diesen 26 Fällen den Asylwerbern ein inhaltliches Asylverfahren gewährt wurde.

 

Da im konkreten Fall nach den eigenen Angaben des Beschwerdeführers kein Asylverfahren anhängig war, verbieten sich auch spekulative Erwägungen über dessen Ausgang und die Erfolgsaussichten des Beschwerdeführers. In keiner der Quellen des vorliegenden Verfahrens wurden Fälle angeführt, in denen Asylwerber tatsächlich in ihre Herkunftsländer aus Griechenland abgeschoben wurden. So hat etwa der britische Court of Appeal in der zeitlich nach der Veröffentlichung der UNHCR-Position (und unter ausdrücklicher Auseinandersetzung mit derselbigen) ergangenen Berufungsentscheidung vom 14.05.2008 ([2008] EWCA Civ 464, Jawad NASSARI), in welcher eine Überstellung eines afghanischen Asylwerbers nach Griechenland im Einklang mit der im vorliegenden Erkenntnis des Asylgerichtshofes vertretenen Rechtsauffassung, abgewiesen wurde, ausgeführt: (Punkte 40 - 41, per Lord Justice Laws):

 

"There are clearly concerns about the conditions in which asylum-seekers may be detained in Greece. It is not however shown that they give rise to systemic violations of Article 3. As regards refoulement, Mr Nicol in a note dated 2 May 2008 submits that the earlier evidence taken together with the new UNHCR material shows "at the very least, a serious cause for concern as to whether the Greek authorities would onwardly remove the respondent to Afghanistan in breach of Article 3. I certainly accept that such evidence as there is, and in particular the recent UNHCR Paper, shows that the relevant legal procedures are to say the least shaky, although there has been some improvement. I have considered whether the right course would be to send the case back to the High Court for a fuller examination of the factual position. But in truth there are currently no deportations or removals to Afghanistan, Iraq, Iran, Somalia or Sudan, and as I understand it no reports of unlawful refoulement to any destination. That seems to me to be critical. I would accordingly hold, on the evidence before us, that as matters stand Greece's continued presence on the list does not offend the United Kingdom's Convention obligations. It follows that there is no case for a limited declaration of incompatibility relating only to Greece [...]"

 

Auch der von der belangten Behörde herangezogene Bericht des Schwedischen Migrationsamtes bestätigt, dass das reale Risiko einer Verletzung des Art. 3 EMRK durch eine Kettenabschiebung infolge Verstoßes gegen das Non-Refoulement Gebot nicht besteht. Dass gerade der Beschwerdeführer - bei dem keine besonders berücksichtigungswürdigen Faktoren vorliegen, wie z.B. eine schwere Erkrankung oder Minderjährigkeit - bei einer Rückkehr in eine aussichtslose Situation wegen Verweigerung der Unterbringung kommen würde, lässt sich aus der allgemeinen Berichtslage, bei aller Kritik an Einzelfällen, nicht ableiten.

 

Im Ergebnis hat die vorgenommene Prüfung somit nicht ergeben, dass allgemein Überstellungen nach Griechenland nicht vorgenommen werden dürfen. Dies entspricht auch der Rechtsansicht der Europäischen Kommission (vgl. Pressemitteilung vom 09.04.2008), ebenso wie des zitierten Judikats des britischen Court of Appeal. Explizit gegenteilige Judikatur ist zum Entscheidungszeitpunkt aus keinem Mitgliedstaat bekannt (die norwegische Position beinhaltet ja lediglich eine Aussetzung von Entscheidungen im Zusammenhang mit einer näheren Prüfung der Berichtslage). In Ermangelung sonstiger individueller Gründe und individuellen Vorbringens des Beschwerdeführers erweist sich daher in diesem Fall das von der Erstbehörde beigeschaffte Tatsachensubstrat als ausreichend und die individuelle Beweiswürdigung als zutreffend. Ein zwingender Grund zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts besteht daher im Hinblick auf die mögliche Verletzung von Rechten nach Art. 3 EMRK in diesem Zusammenhang nicht.

 

Der Beschwerdeführer hat sohin kein Vorbringen erstattet, insbesondere keine konkreten Bedrohungen genannt, welches die Annahme rechtfertigen könnte, dass ihm in Griechenland mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung drohen würde.

 

Soweit aus dem Beschwerdevorbringen herauszulesen ist, dass der Beschwerdeführer in Griechenland möglicherweise kein Asyl erhalten werde und nach Afghanistan abgeschoben werden könnte, ist ihm entgegenzuhalten, dass es nicht Aufgabe der österreichischen Asylbehörden sein kann, "hypothetische Überlegungen über den möglichen Ausgang" eines von einem anderen Staat zu führenden Asylverfahrens anzustellen (vgl. u.a. VwGH vom 31.05.2005, Zl. 2005/20/0095).

 

Im Zusammenhang mit dem griechischen Asylverfahren ist lediglich der Vollständigkeit halber noch anzuführen, dass auch geringe Asylanerkennungsquoten im Zielstaat für sich genommen keine ausreichende Grundlage dafür sind, dass die österreichischen Asylbehörden vom Selbsteintrittsrecht Gebrach machen müssten (vgl. u. a. VwGH 31.05.2005, Zl. 2005/20/0095).

 

Aus der Rechtsprechung des EGMR lässt sich eine systematische, notorische Verletzung fundamentaler Menschenrechte in Griechenland keinesfalls erkennen und gelten im Übrigen die Mitgliedstaaten der EU als sichere Staaten für Drittstaatsangehörige. Zudem war festzustellen, dass ein im besonderen Maße substantiiertes Vorbringen bzw. das Vorligen besonderer von dem Beschwerdeführer bescheinigter außergewöhnlicher Unstände, die die Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK im Falle einer Überstellung ernstlich möglich erscheinen ließen, im Verfahren nicht hervorgekommen sind. Konkret besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass etwa der Beschwerdeführer im Zuge einer so genannten "ungeprüften Kettenabschiebung" in sein Heimatland zurückgeschoben werden könnte.

 

3.4.2. Zur möglichen Verletzung gemäß Art. 8 EMRK:

 

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in Ausübung dieses Rechts ist gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

Der EGMR bzw. die EKMR verlangen zum Vorliegen des Art. 8 EMRK das Erfordernis eines "effektiven Familienlebens", das sich in der Führung eines gemeinsamen Haushaltes, dem Vorliegen eines Abhängigkeitsverhältnisses oder eines speziell engen, tatsächlich gelebten Bandes zu äußern hat (vgl. das Urteil Marckx [Ziffer 45] sowie Beschwerde Nr. 1240/86, V. Vereinigtes Königreich, DR 55, Seite 234; hierzu ausführlich: Kälin, "Die Bedeutung der EMRK für Asylsuchende und Flüchtlinge: Materialien und Hinweise", Mai 1997, Seite 46).

 

Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse gemeinsame Intensität erreichen. Als Kriterien hierfür kommen etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes oder die Gewährung von Unterhaltsleistungen in Betracht. In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (vgl. EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; siehe auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (vgl. EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311), und zwischen Onkel und Tante und Neffen bzw. Nichten (vgl. EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1989, 761; Rosenmayr ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (vgl. EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Auch nach der jüngsten Rechtsprechung des VwGH zur familiären Beziehung unter Erwachsenen steht diese nur dann unter den Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK, wenn auf Grund einer entsprechenden Bindung noch zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit hinzutreten, die über die übliche Bindungen hinausgehen (vgl. VwGH vom 26.06.2007, 2007/01/0479 und die dort zitierte Vorjudikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts sowie des EGMR).

 

Diese Voraussetzungen liegen aber im vorliegenden Fall nicht vor. Im Fall des Beschwerdeführers lebt seine Schwester mir ihrer Familie in Österreich. Sie ist österreichische Staatsbürgerin. Diesbezüglich ist zunächst auszuführen, dass die Beziehung zwischen erwachsenen Geschwistern nach der oben zitierten Judikatur nur unter besonderen Umständen vom Schutzumfang des Art. 8 Abs. 1 EMRK umfasst ist. Es ist daher zu prüfen, ob die iS. der oben zitierten Rechtsprechung die geforderte Beziehungsintensität im gegenständlichen Fall vorliegt. Hierzu ist zunächst festzuhalten, dass die Schwester des Beschwerdeführers bereits seit etwa acht Jahren in Österreich lebt, während der Beschwerdeführer selbst erst seit circa vier Monaten in Österreich aufhältig ist und mit seiner Schwester nicht in gemeinsamen Haushalt lebt, sondern in der Betreuungsstelle Ost untergebracht ist (siehe ZMR-Ausdruck). Ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis ist der Aktenlage ebenfalls nicht zu entnehmen. Dass die Schwester des Beschwerdeführers bzw. sein Schwager die verfahrensgegenständliche Beschwerde durch einen Rechtsanwalt finanziert haben, begründet noch nicht eine derartige finanzielle Abhängigkeit. Der Vollständigkeit halber ist ebenso darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer mit seiner Schwester seit deren Ausreise aus Afghanistan nach eigenen Angaben nur unregelmäßig telefonischen Kontakt hatte und er bereits in Afghanistan ab dem 14. Lebensjahr seiner Schwester nicht in gemeinsamen Haushalt mit dieser gelebt hatte. Es liegen auch sonst keine Hinweise auf eine bereits erfolgte außergewöhnliche Integration in Österreich, etwa aufgrund sehr langer Verfahrensdauer, vor (vgl. VfGH 26.02.2007, B 1802/06 u.a.).

 

Weitere familiäre Beziehungen zu einem österreichischen Staatsbürger bzw. -bürgerin oder einem bzw. einer dauernd aufenthaltsberechtigten Fremden in Österreich hat der Beschwerdeführer nicht angeführt, weshalb der Beschwerdeführer bei einer Überstellung nach Griechenland in seinem durch Art. 8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nicht verletzt werden würde.

 

3.4.3. Es sind auch aus der Aktenlage keine Hinweise ersichtlich, wonach die Führung der Konsultationen im gegenständlichen Fall derart fehlerhaft erfolgt wäre, dass von Willkür im Rechtssinn zu sprechen wäre und die Zuständigkeitserklärung des zuständigen Mitgliedstaates wegen Verletzung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundsätze aus diesem Grund ausnahmsweise keinen Bestand haben könnte (Filzwieser, Subjektiver Rechtsschutz und Vollziehung der Dublin-Verordnung - Gemeinschaftsrecht und Menschenrechte, migraLex 1/2007, 22 ff; vgl. auch das Gebot der Transparenz im "Dublin-Verfahren", VwGH 27.09.2005, Zl. 2005/01/0313). Das Konsultationsverfahren erfolgte mängelfrei.

 

3.4.4. Zusammenfassend kann daher gesagt werden, dass kein Anlass für einen Selbsteintritt Österreichs gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin-Verordnung aufgrund einer drohenden Verletzung der durch Art. 3 und Art. 8 EMRK gewährleisteten Rechte besteht.

 

3.4.5. Zum behaupteten Verfahrensmangel wegen einer Verletzung des § 19 Abs. 2 AsylG 2005:

 

Gemäß § 19 Abs. 2 AsylG 2005 ist der Asylwerber persönlich von dem zur jeweiligen Entscheidung berufenen Organ des Bundesasylamtes einzuvernehmen, soweit dies ohne unverhältnismäßigen Aufwand möglich ist.

 

Der Asylgerichtshof ist in einer Gesamtschau des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes der Ansicht, dass im Falle der Einvernahme durch das zur Entscheidung berufene Organ keine andere Entscheidung zu erwarten gewesen wäre, weshalb im konkreten Fall kein Verfahrensmangel vorliegt. Anders als im Fall des zum Erkenntnis des VwGH vom 30.082005, 2004/01/0602, führenden Fall, wo eine entsprechende Begründung iS § 27 Abs. 1 erster Satz AsylG 1997 (der Vorgängerbestimmung zu § 19 Abs. 2 AsylG 2005), überhaupt keine entsprechende Rechtfertigung des Bundesasylamtes vorlag. Im vorliegenden Fall hat das Bundesasylamt im nachvollziehbarer Weise festgehalten, dass es im gegenständlichen Fall aus organisatorischen Gründen ohne unverhältnismäßigen Aufwand aufgrund des Fristenmanagements nicht möglich gewesen sei, die Einvernahme durch den zur Entscheidung berufenen Organwalter des Bundesasylamtes durchzuführen. Vor Bescheiderstellung habe eine genaue Absprache zwischen dem einvernehmenden Referenten und dem Bescheidersteller stattgefunden (Aktenseiten 207).

 

3.5. Hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides ist noch auszuführen, dass keine Hinweise für eine Unzulässigkeit der Ausweisung im Sinne des § 10 Abs. 2 AsylG 2005 ersichtlich sind, da weder ein nicht auf das AsylG 2005 gestütztes Aufenthaltsrecht aktenkundig ist noch der Beschwerdeführer in Österreich über Angehörige im Sinne des Art. 8 EMRK verfügt. Darüber hinaus sind auch keine Gründe für einen Durchführungsaufschub gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 ersichtlich.

 

Was schließlich den seitens des Bundesasylamtes in dem Bescheidspruch aufgenommenen Ausspruch über die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Griechenland anbelangt, so ist darauf hinzuweisen, dass die getroffene Ausweisung, da diese mit einer Entscheidung gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 verbunden ist, gemäß § 10 Abs. 4 erster Satz AsylG 2005 schon von Gesetzes wegen als Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den betreffenden Staat gilt.

 

3.6. Von der Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung konnte gemäß § 41 Abs. 4 AsylG 2005 abgesehen werden.

Schlagworte
Abhängigkeitsverhältnis, Ausweisung, familiäre Situation, Intensität, real risk, Rechtsschutzstandard
Zuletzt aktualisiert am
31.12.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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