S13 401.196-1/2008/3E
Erkenntnis
Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Kirschbaum als Einzelrichterin über die Beschwerde der mj. P.S., geb. 00.00.2008, StA. Russische Föderation, gesetzlich vertreten durch: P.L., gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 01.08.2008, FZ. 08 06.067-EAST-Ost, zu Recht erkannt:
Der Beschwerde wird gemäß § 41 Abs. 3 Satz 2 AsylG iVm § 58 Abs. 1 und 2, § 60 AVG stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Verfahrensgang und Beschwerde:
Der Verfahrensgang vor dem Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle Ost, ergibt sich aus dem Verwaltungsakt und stellt sich im Wesentlichen wie folgt dar:
Die minderjährige Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Russischen Föderation, wurde am 00.00.2008 als Tochter und Schwester von Asylwerbern in Österreich geboren.
Sie stellte am 14.07.2008 durch ihre Mutter, P.L., als gesetzliche Vertreterin einen Antrag auf internationalen Schutz.
Mit Bescheid vom 01.08.2008, Zl.: 08 06.067- EAST-Ost (im Folgenden: angefochtener Bescheid), wies das Bundesasylamt (Erstaufnahmestelle Ost) ihren Antrag auf internationalen Schutz vom 14.07.2008 ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurück.
Weiters stellte es in Spruchpunkt I des Bescheides fest, dass gemäß Art. 4 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates die Slowakei für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz zuständig sei. In Spruchpunkt II wird festgestellt, dass die Beschwerdeführerin gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Slowakei ausgewiesen wird und dass demzufolge gemäß § 10 Abs. 4 AsylG die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der minderjährigen Beschwerdeführerin nach Polen zulässig sei.
Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin durch ihre Mutter als gesetzliche Vertreterin fristgerecht Beschwerde.
In der Beschwerde beruft sich die Beschwerdeführerin im Wesentlichen darauf, dass ihrer Mutter und ihrer Schwester vom Verwaltungsgerichtshof aufschiebende Wirkung ihrer Beschwerden gegen die zurückweisenden Bescheide des Unabhängigen Bundesasylsenats zuerkannt worden seien. Im Übrigen wäre auf Grund ihres geringen Alters jede Abscheidung eine körperliche Belastung.
Die gegenständliche Beschwerde samt Verwaltungsakt langte am 26.08.2008 beim Asylgerichtshof ein.
II. Begründung
2. Der Asylgerichtshof hat durch die zuständige Richterin über die gegenständliche Beschwerde wie folgt erwogen:
2.1. Anwendbares Recht
Gemäß §§ 73 Abs. 1 und 75 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl, BGBl. I Nr. 100/2005 (in der Folge: AsylG) iVm § 1 AsylG ist das oben angeführte Gesetz auf Anträge auf internationalen Schutz anzuwenden, die ab dem 01.01.2006 gestellt wurden. Daraus folgt, dass für das gegenständliche Verfahren das AsylG 2005 anzuwenden war.
Gemäß § 23 AsylGHG sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG, BGBl. Nr. 1/1930), dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100) und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG, BGBl. Nr. 10) nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG, BGBl. Nr. 51) mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.
Die §§ 58 ff AVG regeln Form und Inhalt von Bescheiden. Danach haben Bescheide einen Spruch zu enthalten, der die normative Erledigung trifft. In der Begründung sind die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtsichtlich zusammen zu fassen. Schreibfehler oder diesen gleichzuhaltende, offenbar auf einem Versehen beruhende Unrichtigkeiten kann der Asylgerichtshof von Amts wegen beheben.
2.2. Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides
Der angefochtene Bescheid ist wegen Verstoßes gegen § 58 Abs. 1 und 2 sowie § 60 AVG formell rechtswidrig.
2.2.1. Verstoß gegen § 58 Abs. 1 AVG
Der angefochtene Bescheid verstößt gegen § 58 Abs. 1 AVG, da der Spruch an sich schon widersinnig formuliert ist, die Übersetzung in die Sprache der Beschwerdeführerin zudem vom deutschen Original abweicht und ebenfalls widersinnig formuliert ist.
Der Spruchteil I lautet :
"... für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz ist [...] die Slowakei zuständig."
In Spruchpunkt II wird die Beschwerdeführerin in die Slowakei ausgewiesen, jedoch ausgesprochen, dass
"...demzufolge ist die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Polen gemäß § 10 Abs. 4 AsylG zulässig."
Im Widerspruch zur deutschen Fassung des Spruchs wird in der Übersetzung in die Sprache der Beschwerdeführerin in Spruchpunkt I "Polen" als zuständiger Staat angegeben wird und in Spruchpunkt II die Ausweisung in die "Slowakei" ausgesprochen sowie die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in eben diesen Staat für zulässig erklärt.
2.2.2. Verstoß gegen § 58 Abs. 2 und § 60 AVG
Der angefochtene Bescheid verstößt weiters gegen die Begründungspflicht aus § 58 Abs. 2 und § 60 AVG, da seine Begründung
a) in Bezug auf die Vertretungsbefugnis der Mutter der Beschwerdeführerin nicht mit dem Akteninhalt übereinstimmt,
b) in Bezug auf das zuständige Land widersprüchlich, nicht mit dem Inhalt des Akts der Verwaltungsinstanz übereinstimmend sowie teilweise völlig sinnentleert ist und
c) sich in Bezug auf den Abschiebeschutz der Eltern und der Schwester der Beschwerdeführerin auf eine reine Behauptung beschränkt.
ad a) Zur Vertretungsbefugnis der Mutter der Beschwerdeführerin
Im angefochtenen Bescheid wird zu Unrecht festgestellt, dass "(a)uf Grund einer fehlenden Vollmacht in ihrem Verfahren und in dem ihrer Mutter und auf Grund der Tatsache, das bis dato keine Vollmacht eingelangt ist, geht die Behörde davon aus, dass Sie nicht vertreten sind". (Seite 23)
Diese Schlussfolgerung steht nämlich nicht im Einklang damit, dass die Geburtsurkunde, welche die Mutter genau bezeichnet, im Akt der Verwaltungsinstanz enthalten ist (Seite 1) und damit feststeht, dass die Mutter gesetzliche Stellevertreterin ist - wie das Bundesasylamt an anderer Stelle des Bescheides im Übrigen selbst anerkennt. (Seite 2).
Das Bundesasylgericht stellt fest, dass das Bundesasylamt an die beanstandete Feststellung jedoch keine Rechtsfolgen knüpft, insbesondere den Asylantrag nicht auf Grund der angeblich fehlenden Vollmacht zurückweist.
ad b) und c) Zur Zuständigkeit eines anderen EU-Staats gemäß der Verordnung 343/200 (im Folgenden: Dublin II-VO) und die Zulässigkeit der Abschiebung in diesen Staat.
In dem angefochtenen Bescheid finden sich - ohne erkennbaren Grund - über weite Teile (und teilweise im selben Satz) Feststellung und Beweiswürdigungen zu Polen und dann wieder zur Slowakei. Der angefochtene Bescheid bezieht sich außerdem in Teilen auf die Situation in Deutschland und Indien, ohne dass sich aus dem Inhalt des Verwaltungsakts entsprechende Hinweise auf Bezüge zu diesen Ländern ergeben.
So wird etwa im Teil "Feststellungen" in den Unterpunkten "zu ihrer Person" und "zur Begründung des Dublin-Tatbestandes" auf die mangelnde Gefahr Bezug genommen, in der Slowakei Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden (Seite 4 f). Weiters wird ausgeführt, dass sich die Slowakei gemäß Art .16 Abs. 1 lit. c) Dublin II-VO) für das Verfahren der Mutter der Beschwerdeführerin zuständig erklärt habe, woraus sich die Zuständigkeit dieses Staates gemäß Art 4 Abs. 3 Dublin II-VO ergebe (Seiten 4 und 5).
Es folgen in Unterpunkten "zu Ihrem Privat- und Familienleben" und "zur Lage im Mitgliedsstaat" mehrseitige Ausführungen, die sich wiederum ausschließlich mit Polen befassen.
Im Teil "Beweiswürdigung" des angefochtenen Bescheides wird im Unterpunkt "betreffend die Begründung des Dublin-Sachverhaltes" wieder ausgeführt, dass
"Aufgrund der Zustimmungserklärung der slowakischen Asylbehörde ... eindeutig fest(steht), dass ihre (sic) Mutter und ihr (sic) Vater am .7.2006 (sic) in der Slowakei einen Asylantrag eingebracht haben.
Bezüglich der Angaben ihrer (sic) Mutter, wonach in den letzten Jahren nur eine tschetschenische Familie in der Slowakei einen positiven Bescheid gekommen und Asylwerber von der Slowakei in ihr Herkunftsland abgeschoben werden, wird auf obige Feststellungen verwiesen, wonach kein Anlass besteht, ein ¿real risk' einer Verletzung von Art. 3 EMRK zu erleiden." (Seite 23)
Im Unterpunkt "betreffend die Lage im Mitgliedsstaat" würdigt das Bundesasylamt die zuvor gemachten Feststellungen, indem es lediglich wortgleich wiederholt, was bereits im Teil "Feststellungen" im Unterpunkt "zu Ihrer Person" ausgeführt wurde, dass nämlich keine stichhaltigen Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht worden sein, dass die Beschwerdeführerin in der Slowakei der konkret Gefahr liefe, Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden. Danach erfolgen erneut weitere Ausführungen zum (tatsächlichen) Vorbringen der Mutter der Beschwerdeführerin, die sich wieder auf Polen beziehen. (Seite 24 f).
Schließlich schlussfolgert das Bundesasylamt (im selben Satz), dass
"(s)omit ... aus diesen Angaben in keinster Weise die Sicherheit der Slowakei in Zweifel gezogen werden (kann), geschweige denn, ... daraus abgeleitet werden kann (kann), Sie selbst tatsächlich konkret Gefahr liefen, in Polen Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden ..."
(Seite 25)
Daran anschließend wird ausgeführt wird, dass
"auch keine von Amts wegen aufzugreifenden Anhaltspunkte dafür
(bestehen), dass sie, sollten Sie in Polen ein asylrelevantes
Vorbringen ... tätigen ..., Sie sohin also vor dem deutschen Asyl-
und Fremdenbehörden glaubhaft machen würden, dass ihre Freiheit oder
ihre Leben in Ihrem Heimatstaat ... bedroht wären ... tatsächlich
damit rechnen müssten, nicht bereits in erster Instanz Asyl oder ...
anderweitigen Schutz vor einer Abschiebung nach Indien erhalten würden. Auch gibt es keine vom Amts wegen (sic) aufzugreifenden Anhaltspunkte dafür, dass Deutschland etwa rechtliche Sonderpositionen vertreten würde, nach denen ... eine Schutzverweigerung zu erwarten hätten." (Seite 25)
Der Asylgerichtshof stellt dazu fest, dass sich aus dem Akt des Verfahrens vor dem Bundesasylamt nicht ergibt, dass eine Zuständigkeit Deutschlands in Betracht kommt. Es ist auch wenig ersichtlicht, warum das Bundesasylamt prüft, ob Deutschland Asylwerber aus Tschetschenien nach Indien abschieben sollte.
Der Teil "Beweiswürdigung" endet mit der mit der Bemerkung:
"Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass sich Polen ... ausdrücklich bereit erklärt hat, Sie ... zu übernehmen, und kann daher nicht erkannt werden, dass Ihnen der Zugang zum Asylverfahren in der Slowakei verweigert werden würde. Eine Schutzverweigerung in der Slowakei kann daher jedenfalls nicht erwartet werden." (Seite 26)
Im Teil "Rechtliche Beurteilung" im Unterpunkt "Anwendung auf den vorliegenden Sachverhalt" begründet das Bundesasylamt die Zuständigkeit "des im Spruch genannten Mitgliedsstaats" (Slowakei oder Polen ?) schließlich (im selben Satz) u.a. damit, dass dieser Staat bereit sei, die Beschwerdeführerin einreisen zu lassen und dass es sich bei der Slowakei um einen Staat handelt, bei dem die Achtung der EMRK gewährleitstet sei, weil sich keine notorischen Verletzungen in Polen erkennen lassen. (Seite 28)
Zum Abschiebeschutz der Eltern und der Schwester der Beschwerdeführerin
Der angefochtene Bescheid bezieht sich in diesem Punkt offenkundig auf falsche Tatsachen und Dokumente. Darüber hinaus erfolgt die rechtliche Schlussfolgerung ohne jede Begründung.
Es wird nämlich zunächst zwar festgestellt, dass die Mutter der Beschwerdeführerin einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der vom Unabhängigen Bundesasylsenat als unzulässig zurück gewiesen wurde, da Polen für das Verfahren zuständig sei, dass der dagegen angerufene Verwaltungsgerichtshof jedoch aufschiebende Wirkung zuerkannt habe (Seite 2).
Später führt das Bundesasylamt jedoch aus, dass
"(d)en Asylanträgen ihrer Eltern und den (sic) ihres Bruders ... vom VwGH am 21.11.2006 aufschiebende Wirkung zuerkannt (worden ist)" (Seite 31).
Das Bundesasylamt betont daran anschließend, dass ein Ausspruch der Ausweisung keinesfalls losgelöst vom Schicksal ihrer Bezugsperson gesehen werden kann, führt dann jedoch aus, dass
"unter Bedacht auf Art. 8 EMRK die Durchführbarkeit der ... Ausweisung der Bezugsperson gegeben ist" (Seite 31).
Der Asylgerichtshof stellt dazu erstens fest, dass sich das Bundesasylamt offenkundig nicht auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtshofes betreffend die aufschiebende Wirkung gegen die Vollstreckbarkeit der Bescheide der Kernfamilie der Beschwerdeführerin bezieht.
Aus der Geburtsurkunde ist nämlich gar nicht ersichtlich, wer der Vater der Beschwerdeführerin ist ("Eltern"), die Beschwerdeführerin hat auch keinen Bruder, sondern lediglich eine (ebenfalls minderjährige) Schwester, für die in Österreich ein Asylantrag gestellt worden ist. Außerdem datieren die entsprechenden Beschlüsse des Verwaltungsgerichtshofs über die Aufschiebende Wirkung nicht vom 21.11.2006, sondern vom 12.02.2007.
Der Asylgerichtshof stellt zweitens fest, dass sich die aus dem Vorliegen der aufschiebenden Wirkung zugunsten der Mitglieder der Kernfamilie der Beschwerdeführerin gezogene Schlussfolgerung des Bundesasylamts, wonach die Ausweisung der Beschwerdeführerin wegen der angeblichen Durchführbarkeit der Ausweisung "der Bezugsperson" im Einklang mit Art. 8 EMRK stehe, auf eine reine Behauptung beschränkt und kein Begründung enthält.
2.2.3. Behebung des angefochtenen Bescheides
Die in Punkt 2.2.2. festgestellten inhaltlichen Fehler, Widersprüche und das teilweise Fehlen jeglicher Begründung führen im vorliegenden Fall zur vollständigen Behebung des angefochtenen Bescheides.
Es ist für den Asylgerichtshof zwar offenkundig, dass das Bundesasylamt insbesondere die beanstandeten Widersprüchlichkeiten in Bezug auf den nach der Dublin II-VO zuständigen Mitgliedsstaat weitgehend durch willkürliche Verwendung von Textbausteinen aus anderen Bescheiden verursacht hat. Der Asylgerichtshof verkennt auch nicht, dass aufgrund Arbeitsüberlastung und möglichst rascher Erledigung der anfallenden Akten in Verfahren gemäß der Dublin II-VO generell einzelne Fehler passieren können.
Im vorliegenden Fall liegt jedoch bei einer Gesamtbetrachtung des angefochtenen Bescheides eine derartig umfassende und schwerwiegende Ansammlung von inhaltlichen Widersprüchen sowie das teilweise Fehler jeglicher Begründung in einer entscheidenden Rechtsfrage (Wirkung der aufschiebenden Wirkungen zu Gunsten der Mutter und der Schwester der Beschwerdeführerin) vor, dass eine vollständige Behebung des angefochtenen Bescheides gemäß § 41 Abs 3 Satz 2 AsylG sowie § 58 Abs. 1 und Abs. 2, § 60 AVG angezeigt ist.
2.4. Gemäß § 41 Abs. 4 AsylG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.