TE AsylGH Erkenntnis 2008/09/09 D3 254365-0/2008

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Veröffentlicht am 09.09.2008
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Spruch

D3 254365-0/2008/31E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. Clemens Kuzminski als Vorsitzenden und die Richterin Mag. Ulrike Scherz als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin Mag. Eva Pfleger über die Beschwerde der G.M., geb. 00.00.1978, StA. Russische Föderation (Tschetschenien), gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 13.10.2004, GZ. 03 22.248-BAE, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde wird stattgegeben und G.M. gemäß § 7 AsylG idF BGBI 126/2002 Asyl gewährt. Gemäß § 12 idF BGBI 126/2002 wird festgestellt, dass G.M. damit Kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:

 

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsbürgerin der Russischen Föderation und Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe, gelangte am 23.07.2003 unter Umgehung der Grenzkontrolle gemeinsam mit ihrem Gatten und zwei Kindern nach Österreich. Am 24.07.2003 stellte sie unter Angabe des Namens H.M., geb. 00.00.1979 einen Asylantrag. Anschließend wanderte sie nach Norwegen weiter, von wo sie in Anwendung des Dubliner Übereinkommens nach Österreich zurückgeschoben wurde.

 

Am 06.10.2004 wurde sie vom Bundesasylamt unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die russische Sprache wie folgt einvernommen:

 

REISEWEG

 

F: Haben Sie schon jemals in einem Staat der EU einen Asylantrag gestellt?

 

A: Ich weiß es nicht.

 

F: Haben Sie jemals schon einen Visumsantrag für einen EU-Staat, inklusive der Slowakei, Tschechien, Polen und Ungarn, gestellt?

 

A: Nein.

 

F: Waren Sie vor Ihrer nunmehr vorgebrachten Ausreise aus Ihrem Heimatstaat schon einmal außerhalb Ihres Heimatstaates aufhältig?

 

A: Nein. Bezüglich meines Reiseweges, möchte ich auf die Angaben meines Gatten verweisen. Wir, mein Mann meine zwei Kinder und ich, verließen im November des Jahres 2002 die Russische Föderation. Wir sind mit verschiedenen Fahrzeugen nach Georgien und anschließend nach Baku/Aserbaidschan gefahren. Von dort gelangten wir über die Slowakei nach Österreich.

 

F: Warum erfolgte Ihre Asylantragsstellung unter falscher Identität?

 

A: Die Schlepper hatten es uns empfohlen.

 

F: Warum reisten Sie trotz Asylantragsstellung in Österreich nach Norwegen?

 

A: Erstens hatte ich Angst, dass wir nach Tschetschenien zurückgeschickt werden würden. Andere Asylwerber erzählten davon. Es waren diesbezüglich Gerüchte in unserer Unterkunft. Auch habe ich einen Onkel in Norwegen. Er hält sich schon längere Zeit in Norwegen auf. Ich glaube, er hat dort Asyl bekommen.

 

F: Haben Sie familiäre Anknüpfungspunkte in Österreich? Hält sich jemand von Ihrer Familie bereits in Österreich auf?

 

A: Ja. Abgesehen von meinem Mann und meinen Kindern, hält sich auch ein Neffe meines Mannes in Österreich auf.

 

F: Von wo aus verließen Sie Tschetschenien?

 

A: Von zu Hause aus.

 

F: Haben Sie bezüglich des Reiseweges sonst noch etwas anzugeben?

 

A: Nein.

 

AUSREISEGRUND

 

F: Warum verließen Sie im November 2002 Ihr Heimatland und stellten in weiterer Folge einen Asylantrag in Österreich? Bringen Sie frei alles vor, was Sie dazu bewog! Schildern Sie all Ihre Beweggründe!

 

A: Auf Grund der dortigen allgemeinen Situation.

 

F: Können Sie dies näher erläutern bzw. waren Sie irgendwelchen Verfolgungshandlungen in der Russischen Föderation ausgesetzt?

 

A: Nein, ich war keinen persönlichen Verfolgungshandlungen ausgesetzt.

 

F: Warum verließen Sie die Russische Föderation?

 

A: Auf Grund der Person meines Mannes. Dieser hatte Probleme (AW schweigt).

 

F: Welche Probleme hatte Ihr Mann?

 

A: Er wurde verfolgt. Er hielt sich versteckt. Er wurde auch verletzt.

 

F: Inwiefern wurde Ihr Mann verfolgt?

 

A: Er wurde einmal festgenommen.

 

F: Wann?

 

A: Im Jahre 2001.

 

F: Wann im Jahre 2001?

 

A: Genau weiß ich es nicht. Ich glaube, dass es im August war.

 

F: Wie lange befand sich Ihr Gatte damals in Haft?

 

A: Die Verwandten kauften ihn frei.

 

F: Wie lange befand er sich in Haft?

 

A: Nicht lange.

 

F: Wie lange?

 

A: Ich weiß es nicht. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern.

 

F: War Ihr Mann nach dieser Festnahme im Jahre 2001 noch weiteren Verfolgungshandlungen ausgesetzt?

 

A: Nein. Er hat sich damals bei verschiedenen Verwandten versteckt gehalten, bis zur Ausreise.

 

F: Hatten Sie in dieser Zeit Kontakt zu Ihrem Mann?

 

A: Ja, ich sah ihn ab und zu. Er kam im Geheimen nach Hause, blieb kurz zu Hause und verschwand dann wieder im Geheimen.

 

F: War das konkret der Grund, der Sie bewogen hat, Ihr Heimatland zu verlassen und in Österreich einen Asylantrag zu stellen?

 

A: Ja.

 

F: Waren Sie in der Russischen Föderation politisch tätig und/oder Mitglied einer politischen Partei oder sonstigen Bewegung?

 

A: Nein.

 

F: Waren Sie in der Russischen Föderation jemals in Haft und/oder wurden Sie festgenommen?

 

A: Nein.

 

F: Waren Sie in der Russischen Föderation persönlichen Verfolgungen seitens staatlicher Stellen, sprich Polizei, Militär, Gerichten oder dgl., ausgesetzt?

 

A: Nein. Wie bereits ausgeführt, war ich persönlich keinen Verfolgungshandlungen ausgesetzt.

 

F: Haben Sie alles vorgebracht, was Sie bewogen hat, die Russischen Föderation zu verlassen?

 

A: Ja.

 

F: Was würde Ihnen im Falle einer Rückkehr in Ihr Heimatland drohen bzw. passieren?

 

A: Mir persönlich nichts. Ich wurde ja nicht verfolgt. Mein Mann würde aber wieder verfolgt werden.

 

F: Haben Sie alles vorgebracht, was Sie bewogen hat, Ihr Heimatland zu verlassen und was Sie gegenwärtig an einer Rückkehr dorthin hindert?

 

A: Ja.

 

Nach entsprechender Rechtsbelehrung, gebe ich an, dass ich die gesetzliche Vertretung unserer Kinder im laufenden Asylverfahren übernehme.

 

F: Waren Ihre Kinder persönlichen Verfolgungshandlungen in der Russischen Föderation ausgesetzt?

 

A: Nein. Sie sind ja noch klein. Unsere jüngste Tochter ist sogar erst in Norwegen zur Welt gekommen.

 

F: Die Einvernahme wird beendet. Haben Sie zu dem bereits Gesagten noch etwas hinzuzufügen?

 

A: Nein.

 

Mit Bescheid des Bundesasylamtes, Außenstelle Eisenstadt, vom 13.10.2004, ZI 03 22.248-BAE, wurde unter Spruchteil I. der Asylantrag vom 24.07.2003 gemäß § 7 AsylG abgewiesen, unter Spruchteil II. gemäß § 8 Abs. 1 AsylG die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Asylwerbers in die Russische Föderation für nicht zulässig erklärt und unter Spruchteil III. eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 3 AsylG bis zum 13.10.2005 erteilt.

 

In der Begründung des Bescheides wurde die bereits oben vollinhaltlich wiedergegebene Einvernahme dargestellt und festgehalten, dass die Antragsstellerin als Dokumente eine Heiratsurkunde und eine Urkunde über ihre Namensänderung in Vorlage gebracht habe. Anschließend wurden Feststellungen zur Situation der Tschetschenen in und außerhalb Tschetscheniens getroffen und auch die Quellen hiefür angeführt. Unter anderem wurde auch festgestellt, dass russische Staatsangehörige oft enorme Schwierigkeiten hätten, sich in einigen Städten zu registrieren und die Erlaubnis dazu nicht bekämen und die mangelnde Registrierung zu einer Beschneidung der meisten zivilen, sozialen und ökonomischen Rechte führe. Davon seien nicht nur Tschetschenen, sondern auch Vertriebene und Zuwanderer im Allgemeinen betroffen. Umso gefragter die Region sei, umso restriktiver sei im Allgemeinen die Praxis der Zuwanderungsregelungen. Bei abgeschobenen Personen, die sich in der Tschetschenienfrage engagiert hätten, sei davon auszugehen, dass diesen Personen von den russischen Behörden besondere Aufmerksamkeit gewidmet werde.

 

Beweiswürdigend wurde ausgeführt, dass hinsichtlich ihres Vorbringens - sie habe Tschetschenien auf Grund der einmaligen Verhaftung ihres Gatten und Furcht vor einer weiteren Anhaltung verlassen, sei selbst jedoch keinen Verfolgungshandlungen ausgesetzt gewesen - festzuhalten sei, dass dieses Vorbringen nicht geeignet sei eine Asylgewährung zu begründen. Daraus sei keine konkret gegen die Beschwerdeführerin gerichtete staatliche bzw quasi-staatliche Verfolgung aus asylrelevantem Grund erkennbar. Vielmehr sei aus dem vorgebrachten Sachverhalt erkennbar, dass Grund der Ausreise die Flucht ihres Gatten gewesen sei. Dass die Antragstellerin einer über die allgemeinen Bürgerkriegsfolgen hinausgehenden persönlichen Verfolgungsgefahr im Sinne der GFK ausgesetzt gewesen wäre, habe dem Vorbringen nicht entnommen werden können.

 

Zu Spruchteil I. wurde nach der Darlegung der Bezug habenden Rechtslage und Judikatur insbesondere festgehalten, dass die allgemeine Situation in der Russischen Föderation bzw. die Lage, welche durch den Bürgerkrieg in Tschetschenien hervorgerufen wurde, nicht geeignet sei, das Vorliegen von begründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne der GFK glaubhaft zu machen. Das Asylrecht habe nämlich nicht zur Aufgabe vor allgemeinen Unglücksfolgen, (zB auch Säuberungsaktionen im Zusammenhang mit der Suche nach Widerstandskämpfern und verstärkten Kontrollen etc.) zu bewahren, welche aus Kriegen, Bürgerkriegen und Revolutionen oder sonstigen Unruhen hervorgingen. Auch sei die Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe oder Minderheit grundsätzlich für eine Anerkennung als Konventionsflüchtling nicht ausreichend. Auf Grund der gegenwärtigen Lage in der Russischen Föderation könnten ferner keine Rückschlüsse darauf gezogen werden, dass in der Russischen Föderation eine Gruppenverfolgung der Tschetschenen, nämlich ein zielgerichtetes und systematisches Vorgehen des Staates zur Vertreibung und Ausrottung dieser Volksgruppe vorliege. Das Bundesasylamt sei daher nach eingehender rechtlicher Würdigung zur Ansicht gelangt, dass der Asylantrag abzuweisen sei.

 

Zu Spruchteil II. wurde ebenfalls zunächst die bezughabende Rechtslage und Judikatur dargestellt und ausgeführt, dass das Bestehen einer Gefährdungssituation im Sinne des § 57 Abs. 2 FrG bereits unter Spruchteil I. geprüft und verneint worden sei. Das Bundesasylamt vertritt jedoch die Auffassung, dass sich gegenwärtig für die Person der Antragstellerin ein Abschiebungshindernis in der Russischen Föderation ergebe, weil auf Grund der gegenwärtigen Lage nicht ausgeschlossen werden könne, dass sie im Falle der Rückkehr einer Gefahr im Sinne des § 57 Abs. 1 FrG (iVm Art. 3 EMRK und resultierend aus der allgemeinen Lage in der Russischen Föderation [allgemeine wirtschaftliche und soziale Lage, fehlende Anknüpfungspunkte außerhalb von Tschetschenien, allgemeine Versorgungslage]) ausgesetzt sein könnte. Es sei ihr daher auch eine befristete Aufenthaltsberechtigung zuzuerkennen gewesen.

 

Gegen diesen Bescheid, und zwar ausschließlich gegen Spruchteil I., erhob die Antragstellerin fristgerecht Berufung. Nach allgemeinem textbausteinartigem Vorbringen wurde kritisiert, dass die Antragstellerin im Bescheid erstmals Gelegenheit erhalten habe zu den Länderfeststellungen zu seinem Herkunftsstaat Stellung zu nehmen. Hätte sie dazu früher Gelegenheit gehabt, hätte sie ihr individuelles Vorbringen entsprechend präzisiert. Durch ihre Erlebnisse in ihrer Heimat und auf der Flucht leide sie nach wie vor unter einer Depression. Als Beweis dafür wurden mehrere Schreiben auf Norwegisch, darunter ein Befundbericht, vorgelegt. Anschließend wurde wiederum ein textbausteinartiges Vorbringen zur Rechtswidrigkeit des Inhaltes des Bescheides erstattet und verschiedene länderspezifischen Dokumente, insbesondere von amnesty international, beigelegt.

 

Mit Schreiben vom 13.04.2005 legte die Beschwerdeführerin einen Befundbericht von Dr. R.H., Fachärztin für Psychatrie, vor, welchem zu entnehmen ist, dass die Antragstellerin auf Grund schwerwiegender psychischer Probleme medikamentös behandelt werde.

 

Mit Bescheid des Bundesasylamtes, Außenstelle Eisenstadt, vom 19.10.2005 wurde der Antragstellerin eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 13.10.2006 erteilt.

 

Die (damalige) Berufungsbehörde, der Unabhängige Bundesasylsenat, führte am 05.05.2006 einen "selbständigen Augenschein" durch. Dabei wurde durch Beiziehung einer selbst aus Tschetschenien stammenden Dolmetscherin, sowie der länderkundlichen Sachverständigen Dr. L.L. erhoben, dass nach Ansicht der genannten Sachverständigen keinerlei Zweifel daran bestehe, dass die Beschwerdeführerin - wie von ihr angegeben - aus der Stadt U. in Tschetschenien stamme. Weiters wurde ein (generelles) Gutachten der genannten Sachverständigen gemeinsam mit Herrn Univ. Prof. Dr. H.G. H. zur Situation von tschetschenischen Vertriebenen in Russland "in das Verfahren eingeführt".

 

Die bereits erwähnten länderkundlichen Sachverständigen erstatteten ein zweites Gutachten zur innerstaatlichen Fluchtalternative in Tschetschenien, worauf das Bundesasylamt replizierte und die Sachverständigen eine schriftliche Stellungnahme abgaben und die Berufungsbehörde eine "einseitige Anhörung" mit Vertretern des Bundesasylamtes am 07.09.2006 durchführte.

 

Mit "Erkenntnis" des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 20.10.2006, ZI 254.365/19-II/04/06, wurde der "Beschwerde" der G.M. vom 27.10.2004 gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 13.10.2004, ZI 03 22.248-BAE, betreffend Spruchteil I. stattgegeben und der Genannten gemäß § 7 AsylG Asyl gewährt, sowie gemäß § 12 leg. cit. festgestellt, dass ihr Kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

 

Dieser Bescheid setzt sich vor allem mit den Einwendungen des Bundesasylamtes auseinander und gibt zusammenfassend einige Punkte des Sachverständigengutachtens wieder und kommt zu dem Schluss, dass eine zumutbare Zuflucht in einem anderen Teil Russlands der Beschwerdeführerin nicht zur Verfügung stehe.

 

Mit Bescheid des Bundesasylamtes, Außenstelle Eisenstadt, vom 31.10.2006 wurde der Beschwerdeführerin eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 31.10.2007 erteilt.

 

Gegen diesen Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates erhob der Bundesminister für Inneres Amtsbeschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. Mit Erkenntnis vom 26.06.2006, ZI 2006/20/0770-6, wurde der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit in Folge von Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. Begründend führte der Verwaltungsgerichtshof dazu aus, dass die bereits im Erkenntnis vom 19.12.2007, ZI 2006/20/0771, dargstellten gutächtlichen Äußerungen von einer asylrelevanten Verfolgung grundsätzlich alle Bewohner Tschetscheniens tschetschenischer Ethnie ausgehen, auf die von der Beschwerdeführerin vorgebrachte individuelle Verfolgungsbehauptung jedoch nicht eingingen. Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits in dem zitierten Erkenntnis dargelegt habe, seien die gutächtlichen Äußerungen der Sachverständigen nicht nachvollziehbar, widersprüchlich und insgesamt nicht geeignet, die zusammenfassende Behauptung der Sachverständigen hinsichtlich der Verfolgungswahrscheinlichkeit eines beliebigen Tschetschenen zu tragen.

 

Der Asylgerichtshof hat wie folgt festgestellt und erwogen:

 

Zur Person der Beschwerdeführerin wird festgestellt:

 

Ihr richtiger Name ist G.M.. Sie ist am 00.00.1978 in U., tschetschenische Republik, Russische Föderation geboren und gehört der tschetschenischen Volksgruppe sowie der islamischen Religion an. Sie besuchte nach der Grundschule für sechs Jahre die Universität. Am 00.00.2003 heiratete sie ihren Gatten G.C., geb am 00.00.1970, in

G..

 

Ihr Gatte war als Chauffeur und Leibwächter tätig, und zwar war er der Privatchauffeur (und Leibwächter) des damaligen Leiters der Bezirksverwaltung mit dem Namen A.A., welcher ein enger Mitarbeiter des ehemaligen tschetschenischen Präsidenten MASCHADOW war. Ihr Gatte hat sich bereits in den Jahren zuvor für die Unabhängigkeit Tschetscheniens eingesetzt und die Familie war Anhänger des früheren Präsidenten DUDAJEW. Ihr Gatte wurde Ende Juli, Anfang August 2001 im Zuge einer Säuberungsaktion verhaftet und drei Tage unter schweren Misshandlungen in einer Kaserne in U. angehalten. Er wurde unter anderem auch für den Tod eines russischen Kommandanten, welchen seine Nichte mit einer Bombe getötet hatte, verantwortlich gemacht, jedoch am vierten Tag gegen Bezahlung von Lösegeld frei gelassen. Anschließend hielt er sich wiederum versteckt und hoffte zunächst auf eine Besserung der Situation. Nach Geburt ihrer zweiten Tochter, reiste die Beschwerdeführerin mit ihrem Gatten und den beiden Kleinkindern im Jahre 2003 aus Tschetschenien aus und über die Ukraine und die Slowakei am 23.07.2003 - unter Umgehung der Grenzkontrolle - nach Österreich ein. Sie stellte am Tage darauf einen Asylantrag. Nachdem sie in der Folge nach Norwegen weiterreiste, wo sie über Verwandte verfügt, und in Anwendung des Dubliner Übereinkommens nach Österreich zurückgeschoben wurde, hält sie sich seither ununterbrochen in Österreich auf. Sie brachte in Österreich zwei weitere Töchter zur Welt.

 

Die Antragsstellerin leidet unter schweren psychischen, durch ihre Erlebnisse im Heimatland und anschließende Flucht ausgelösten Problemen und befindet sich dahingehend in Behandlung.

 

Ihrem Gatten wurde mit Erkenntnis vom 04.09.2008, D3 254364-0/2008/30E, gemäß § 7 AsylG Asyl gewährt und gemäß § 12 AsylG festgestellt, dass diesem die Flüchtlingseigenschaft zukomme.

 

Beweis wurde erhoben durch Einvernahme der Beschwerdeführerin durch die Behörde erster Instanz am 06.10.2004, durch Abhaltung eines "selbständigen Augenscheines", sowie einer einseitiger Anhörung (des Bundesasylamtes) nach Einholung von Sachverständigengutachten und schließlich durch Vorlage einer nationalen Heiratsurkunde und einer Urkunde über die Namensänderung der Beschwerdeführerin, sowie durch Vorlage mehrer medizinischer Befunde hinsichtlich der Depression der Antragsstellerin.

 

Die Beweise werden wie folgt gewürdigt:

 

Der richtige Name und das Geburtsdatum der Beschwerdeführerin ergeben sich aus den von ihr vorgelegten und in ihrer Unbedenklichkeit auch nicht von der Behörde erster Instanz angezweifelten Personaldokumenten.

 

Ihre Herkunft aus Tschetschenien und die Zugehörigkeit zur tschetschenischen Volksgruppe ist aus dem "selbständigen Augenschein" der länderkundlichen Sachverständigen und insbesondere den Ausführungen der selbst aus Tschetschenien stammenden Tschetschenisch - Dolmetscherin, die nach den eigenen Erfahrungen des nunmehr zuständigen Richters als sehr kompetent und seriös zu bezeichnen ist, abzuleiten.

 

Die Ausführungen der Antragstellerin in der erstinstanzlichen Einvernahme sind hinreichend klar, konkret und widerspruchsfrei. Solche werden auch nicht von der Behörde erster Instanz gesehen. Die Behörde erster Instanz bezweifelt in ihrer Beweiswürdigung insbesondere die persönliche Verfolgungsgefahr, trifft somit bereits eine rechtliche Schlussfolgerung, zieht aber das Vorbringen der Antragsstellerin nicht in Zweifel. Weiters stimmen die Ausführungen durchaus mit den Länderfeststellungen, aber insbesondere auch mit den Erfahrungen des zuständigen Richters der nunmehrigen Berufungsinstanz aus zahlreichen Berufungsverfahren betreffend Asylwerber tschetschenischer Ethnie überein.

 

Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass die Berufungsinstanz von den Ausführungen der Antragstellerin ausgeht und sie den personenbezogenen Sachverhaltsfeststellungen und damit der vorliegenden Entscheidung zu Grunde liegt.

 

Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

Gemäß § 75 Abs 7 Z 3 AsylG 2005 sind Verfahren, welche am 01.07.2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängig und einem Mitglied des Unabhängigen Bundesasylsenats zugeteilt waren, welches nicht als Richter des Asylgerichtshofes ernannt wurde, von dem nach Maßgabe der ersten Geschäftsverteilung vom zuständigen Senat des Asylgerichtshofes weiter zu führen.

 

Gemäß § 61 AsylG entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes, soweit nicht etwas anders in § 61 Abs 3 AsylG vorgesehen ist.

 

Durch die Behebung des Bescheides des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 20.10.2006, ZI 254.365/19-II/04/06, mit Erkenntnis vom Verwaltungsgerichtshofes vom 26.06.2008, ZI 2006/20/0770, ist dieses Verfahren wiederum in das Stadium vor Erlassung des behobenen Berufungsbescheides zurückgetreten. Da das seinerzeit verfahrensführende Senatsmitglied nicht zum Richter des Asylgerichtshofes ernannt wurde und es sich um ein Verfahren gegen einen abweisenden Bescheid (hinsichtlich Spruchteil I. - Asylgewährung) handelt, ist dieses nunmehr nach Maßgabe der ersten Geschäftsverteilung vom zuständigen Senat des Asylgerichtshofes weiter zu führen.

 

Gemäß § 75 AsylG 2005 BGBl. I Nr. 100/2005 sind alle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetztes 1997 zu Ende zu führen. § 44 AsylG 1997 gilt.

 

Gemäß § 44 Abs. 1 AsylG 1997 werden Verfahren zur Entscheidung über Asylanträge und Asylerstreckungsanträge, die bis zum 30. April 2004 gestellt wurden, nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 126/2002 geführt.

 

Da der gegenständliche Asylantrag am 24.07.2003 gestellt wurde, ist er nach der Rechtslage des Asylgesetzes 1997 idF BGBI I 126/2002 unter Beachtung der Bezug habenden Übergangsbestimmungen zu führen.

 

Gemäß § 7 Asylgesetz 1997 hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art. 1, Abschnitt A, Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

 

Flüchtling i.S.d. AsylG 1997 ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

 

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffs ist die "begründete Furcht vor Verfolgung."

 

Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht, (zB VwGH vom 19.12.1995, 94/20/0858, VwGH vom 14.10.1998, 98/01/0262).

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger Rechtssprechung ausgeführt, dass als Fluchtgründe unter dem Gesichtspunkt der Schwere des Eingriffes nur solche Maßnahmen in Betracht kommen, die einen weiteren Verbleib im Heimatland aus objektiver Sicht unerträglich erscheinen lassen (VwGH vom 16.09.1992, 92/01/0544, VwGH vom 07.10.2003, 92/01/1015, 93/01/0929, u.a.).

 

Trotz der äußerst problematischen Situation von Angehörigen der tschetschenischen Volksgruppe, insbesondere in Tschetschenien, kann aus der Sicht des zuständigen Richters des Asylgerichtshofes nicht von einer ganz pauschalen, generellen Verfolgung nur allein wegen der Zugehörigkeit zur tschetschenischen Ethnie ("Gruppenverfolgung") gesprochen werden, sondern ist weiterhin jeder konkrete Einzelfall umfassend an Hand der in der Genfer Flüchtlingskonvention taxativ aufgezählten Verfolgungsgründe zu prüfen (zum Beispiel UBAS vom 24.01.20007, Zahl: 254.119/0-VIII/22/04, UBAS vom 27.01.2007, Zahl:

256.753/5E-VIII/22/05 u.a., siehe auch das im Gegenstand ergangene Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26.06.2008, ZI 2006/20/0769, 0770 und das diesem zu Grunde liegende Erkenntnis vom 19.12.2007, ZI 2006/20/0771).

 

Wie der Verwaltungsgerichts in dem bereits mehrfach zitierten im vorigen Fall ergangenen Erkenntnis ausgeführt wird, ist im vorliegenden Fall insbesondere die vorgebrachte individuelle Verfolgungsbehauptung zu prüfen und einer Beurteilung zu unterziehen:

 

Nach der Rechtssprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH vom 19.12.2001, ZI. 98/20/0312, VwGH vom 26.02.2002, ZI. 2000/20/0517, VwGH vom 12.03.2002, ZI. 2001/01/0399) stellt die Familie eine soziale Gruppe dar und substituiert diese "soziale Gruppe" das Fehlen eines eigenen Verfolgungsgrundes nach der GFK, wenn Familienmitglieder etwa wegen (unterstellter) politischer Gesinnung oder ihrer ethnischen Herkunft oder Religion verfolgt werden.

 

Nach der Rechtssprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH vom 31.01.2002, ZI. 2000/20/0358) sind weiters Drohungen und andere Verfolgungshandlungen gegen Familienmitglieder unter Umständen auch für andere Familienmitglieder asylrelevant, wenn ein enger Zusammenhang feststellbar ist:

 

Ein solcher enger Zusammenhang ist im vorliegenden Fall mit den gegen den Ehemann der Berufungswerberin gesetzten Verfolgungshandlungen (Verhaftung und Misshandlung) feststellbar. Hinzu kommt der die Beschwerdeführerin persönlich treffende Familienzusammenhang zu einer "Terroristin", die einen russischen Kommandanten mit einer Bombe tötete.

 

Auch wenn es noch zu keinen körperlichen Übergriffen gegenüber der Berufungswerberin gekommen ist, ist aufgrund Situation in Tschetschenien und insbesondere den Verfolgungshandlungen gegenüber ihren Familienangehörigen mit durchaus maßgeblicher Wahrscheinlichkeit möglich, dass die Beschwerdeführerin auf Grund ihrer Familienbindungen bei einem weiteren Verbleib Eingriffen von hoher Intensität in ihre zu schützende Sphäre (Leben, Gesundheit, Freiheit) ausgesetzt wäre, was im Sinne der Asylentscheidung als Prognoseentscheidung im vorliegenden Fall zu berücksichtigen war (möge ihr individuelles Verfolgungsrisiko auch nicht ganz so hoch sein, wie das anderer tschetschenischer Asylwerber, so erscheint dieses aus der Sicht des zuständigen Mitgliedes der Berufungsbehörde nach wie vor asylrelevant).

 

Wie in den erstinstanzlichen Feststellungen ebenfalls festgehalten, haben insbesondere (aber nicht nur) Tschetschenen besondere Schwierigkeiten, sich außerhalb der Republik Tschetschenien registrieren zu lassen und führt die mangelnde Registrierung zu einer Beschneidung der meisten zivilen, sozialen und ökonomischen Rechte. Bei der Beschwerdeführerin sind keine Umstände dafür im Verfahren hervorgekommen, dass sie über ein Netz von Verwandten und Freunden außerhalb der tschetschenischen Republik verfügen würde oder auch selbst dort länger gelebt hat (vielmehr ist die Dolmetscherin und die Sachverständige von einem Aufenthalt der Beschwerdeführerin in Tschetschenien [bis zur Flucht]) ausgegangen. Es liegen somit aus der Sicht der Berufungsinstanz keine hinreichenden Indizien für das Vorliegen einer inländischen Schutzalternative vor, wie dies im Übrigen von UNHCR bei Tschetschenen generell verneint wird (Joe Hegenauer, Tschetschenien Workshop von ACCORD am 18.10.2007).

 

Der Beschwerde war daher unter besonderer Berücksichtigung der individuellen Situation Folge zu geben und der Beschwerdeführerin Asyl zu gewähren.

Schlagworte
asylrechtlich relevante Verfolgung, Familienverband, Familienverfahren, gesamte Staatsgebiet, gesundheitliche Beeinträchtigung, Intensität, soziale Gruppe, Volksgruppenzugehörigkeit
Zuletzt aktualisiert am
21.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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