TE AsylGH Erkenntnis 2008/09/09 D3 254367-2/2008

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Veröffentlicht am 09.09.2008
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Spruch

D3 254.367-2/2008/6E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. Kuzminski als Vorsitzenden und die Richterin Mag. Scherz als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin Mag. Pfleger über die Beschwerde der G.R., geb. 00.00.2001, StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 13.10.2004, GZ. 03 22.250-BAE, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und G.R. gemäß §§ 7 AsylG i.d.F. BGBL 126/2002 Asyl gewährt. Gemäß § 12 AsylG i.d.F. BGBL 126/2002 Asyl wird festgestellt, dass G.R. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

 

II. Der Devolutionsantrag wird gemäß § 73 Abs. 2 AVG als unzulässig zurückgewiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

Die minderjährige Beschwerdeführerin, eine russische Staatsbürgerin, tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit gelangte am 23.07.2003 unter Umgehung der Grenzkontrolle gemeinsam mit ihren Eltern und ihrer Schwester nach Österreich. Am 24.07.2003 stellte sie vertreten durch ihre Eltern unter Angabe des Namens H.Z., geb. 00.00.2001 einen Asylantrag. Anschließend wanderte sie mit ihren Eltern nach Norwegen weiter, von wo sie in Anwendung des Dubliner Übereinkommens nach Österreich zurückgeschoben wurde.

 

Am 06.10.2004 wurde ihre Mutter als gesetzliche Vertreterin vom Bundesasylamt unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die russische Sprache wie folgt einvernommen:

 

Nach entsprechender Rechtsbelehrung, gebe ich an, dass ich die gesetzliche Vertretung unserer Kinder im laufenden Asylverfahren übernehme.

 

F: Waren Ihre Kinder persönlichen Verfolgungshandlungen in der Russischen Föderation ausgesetzt?

 

A: Nein. Sie sind ja noch klein. Unsere jüngste Tochter ist sogar erst in Norwegen zur Welt gekommen.

 

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 13.10.2004, GZ. 03 22.250-BAE, wurde unter Spruchteil I. der Asylantrag vom 24.07.2003 gemäß § 7 Asylgesetz abgewiesen, unter Spruchteil II. gemäß § 8 Abs. 1 AsylG die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Asylwerberin in die Russische Föderation für nicht zulässig erklärt und unter Spruchteil III. eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 3 AsylG bis zum 13.10.2005 erteilt.

 

In der Begründung des Bescheides wurde die bereits oben vollinhaltlich wiedergegebene Einvernahme dargestellt und festgehalten, dass die gesetzliche Vertreterin der Antragsstellerin als Dokument eine Geburtsurkunde in Vorlage gebracht habe. Anschließend wurden Feststellungen zur Situation der Tschetschenen in und außerhalb Tschetscheniens getroffen und auch die Quellen hiefür angeführt. Unter anderem wurde auch festgestellt, dass russische Staatsangehörige oft enorme Schwierigkeiten hätten, sich in einigen Städten zu registrieren und die Erlaubnis dazu nicht bekämen und die mangelnde Registrierung zu einer Beschneidung der meisten zivilen, sozialen und ökonomischen Rechte führe. Davon seien nicht nur Tschetschenen, sondern auch Vertriebene und Zuwanderer im Allgemeinen betroffen. Umso gefragter die Region sei, umso restriktiver sei im Allgemeinen die Praxis der Zuwanderungsregelungen. Bei abgeschobenen Personen, die sich in der Tschetschenienfrage engagiert hätten, sei davon auszugehen, dass diesen Personen von den russischen Behörden besondere Aufmerksamkeit gewidmet werde.

 

Beweiswürdigend wurde ausgeführt, dass hinsichtlich des Vorbringens - die Antragstellerin sei persönlich keinen Verfolgungshandlungen ausgesetzt gewesen und habe die Russische Föderation verlassen, da ihr Vater Angst vor einer weiteren Verhaftung seitens der Russen gehabt habe - festzuhalten sei, dass dieses Vorbringen nicht geeignet sei eine Asylgewährung zu begründen. Daraus sei keine konkret gegen die Beschwerdeführerin gerichtete staatliche bzw quasi-staatliche Verfolgung aus asylrelevantem Grund erkennbar. Vielmehr sei aus dem vorgebrachten Sachverhalt erkennbar, dass Grund der Ausreise die Flucht ihres Vaters gewesen sei. Dass die Antragstellerin einer über die allgemeinen Bürgerkriegsfolgen hinausgehenden persönlichen Verfolgungsgefahr im Sinne der GFK ausgesetzt gewesen wäre, habe dem Vorbringen nicht entnommen werden können.

 

Zu Spruchteil I. wurde nach der Darlegung der Bezug habenden Rechtslage und Judikatur insbesondere festgehalten, dass die allgemeine Situation in der Russischen Föderation bzw. die Lage, welche durch den Bürgerkrieg in Tschetschenien hervorgerufen wurde, nicht geeignet sei, das Vorliegen von begründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne der GFK glaubhaft zu machen. Das Asylrecht habe nämlich nicht zur Aufgabe vor allgemeinen Unglücksfolgen, (zB auch Säuberungsaktionen im Zusammenhang mit der Suche nach Widerstandskämpfern und verstärkten Kontrollen etc.) zu bewahren, welche aus Kriegen, Bürgerkriegen und Revolutionen oder sonstigen Unruhen hervorgingen. Auch sei die Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe oder Minderheit grundsätzlich für eine Anerkennung als Konventionsflüchtling nicht ausreichend. Auf Grund der gegenwärtigen Lage in der Russischen Föderation könnten ferner keine Rückschlüsse darauf gezogen werden, dass in der Russischen Föderation eine Gruppenverfolgung der Tschetschenen, nämlich ein zielgerichtetes und systematisches Vorgehen des Staates zur Vertreibung und Ausrottung dieser Volksgruppe vorliege. Das Bundesasylamt sei daher nach eingehender rechtlicher Würdigung zur Ansicht gelangt, dass der Asylantrag abzuweisen sei.

 

Zu Spruchteil II. wurde ebenfalls zunächst die bezughabende Rechtslage und Judikatur dargestellt und ausgeführt, dass das Bestehen einer Gefährdungssituation im Sinne des § 57 Abs. 2 FrG bereits unter Spruchteil I. geprüft und verneint worden sei. Das Bundesasylamt vertritt jedoch die Auffassung, dass sich gegenwärtig für die Person der Antragstellerin ein Abschiebungshindernis in der Russischen Föderation ergebe, weil auf Grund der gegenwärtigen Lage nicht ausgeschlossen werden könne, dass sie im Falle der Rückkehr einer Gefahr im Sinne des § 57 Abs. 1 FrG (iVm Art. 3 EMRK und resultierend aus der allgemeinen Lage in der Russischen Föderation [allgemeine wirtschaftliche und soziale Lage, fehlende Anknüpfungspunkte außerhalb von Tschetschenien, allgemeine Versorgungslage]) ausgesetzt sein könnte. Es sei ihr daher auch eine befristete Aufenthaltsberechtigung zuzuerkennen gewesen.

 

Gegen diesen Bescheid erhob die Antragstellerin, gesetzlich vertreten durch ihre Mutter, fristgerecht Berufung. Begründend wurde auf den Familienzusammenhang zu ihrem Vater hingewiesen. Dessen Berufung sei beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängig, weshalb auch ihr Bescheid gemäß § 32 Abs 7 AsylG nicht in Rechtskraft erwachsen würde. Des Weiteren wurde ausgeführt, dass der angefochtene Bescheid völlig unzureichend begründet sei, zumal sich die Begründung in einem einzigen Absatz erschöpfe.

 

Mit Bescheid des Bundesasylamtes, Außenstelle Eisenstadt, vom 19.10.2005 wurde der Antragstellerin eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 13.10.2006 erteilt.

 

Mit Bescheid des Bundesasylamtes, Außenstelle Eisenstadt, vom 31.10.2006 wurde der Beschwerdeführerin eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 31.10.2007 erteilt.

 

Mit "Erkenntnis" des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 20.12.2006, ZI 254.367/4-II/04/06, wurde in Erledigung der "Beschwerde" der G.R. vom 27.10.2004 gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 13.10.2004, GZ. 03 22.250-BAE, der bekämpfte Bescheid behoben und gemäß § 66 Abs 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen. Begründend wurde im Bescheid dazu ausgeführt, dass sich das Bundesasylamt mit den in einer Vielzahl von gleichartigen Verfahren des Unabhängigen Bundesasylsenates zu Tage geförderten Ermittlungsergebnissen auseinanderzusetzen habe. Auf Grund der Komplexität des Sachverhaltes, welcher schon aus der ausführlichen Erörterung des länderkundlichen Gutachtens erkennbar sei, sei eine neuerliche Verhandlung notwendig. Die Asylgewährung auf Grund des in einem anderen Verfahren erzielten Ermittlungsstandes sei unzulässig.

 

Gegen diesen Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates erhob der Bundesminister für Inneres Amtsbeschwerde an den Verwaltungsgerichtshof.

 

Am 23.01.2008 stellte die gesetzliche Vertreterin der Beschwerdeführerin einen Devolutionsantrag gemäß § 73 Abs 2 AVG. Darin führte sie aus, dass der Unabhängige Bundesasylsenat vor mehr als 13 Monaten das Verfahren ihrer Tochter an das Bundesasylamt zur neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen habe. Sie habe dem Bundesasylamt in mehren Telefonaten und einem ergänzenden Schriftsatz mitgeteilt, dass ihr, der Mutter der Antragstellerin, sowie deren Vater mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates Asyl zuerkannt worden sei, sodass jedenfalls vom überwiegenden Verschulden des Bundesasylamtes an der Verspätung auszugehen sei.

 

Mit Erkenntnis vom 26.06.2006, ZI 2007/20/0170-9, wurde der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben. Begründend führte der Verwaltungsgerichtshof dazu aus, dass die im Bescheid als "jüngster Ermittlungstand" bezeichneten Gutachten angesichts der Tatsache, dass sie in sich widersprüchlich und insgesamt nicht nachvollziehbar seien, nicht geeignet seien einen "Ermittlungsstand" zu bilden und daher auch nicht die Notwendigkeit einer mündlichen Verhandlung begründen könnten. Da der Bescheid keinen anderen Grund für die Behebung gemäß § 66 Abs 2 AVG enthalte sei er wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes zu beheben gewesen.

 

Der Asylgerichtshof hat durch den zuständigen Senat, wie folgt, festgestellt:

 

Die Beschwerdeführerin ist russische Staatsbürgerin und Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe sowie der islamischen Religion. Sie wurde am 00.00.2001 als Kind des G.C. und der G.M. in Tschetschenien geboren. Nach Geburt ihrer jüngeren Schwester R. reiste sie mit ihren Eltern über die Ukraine und die Slowakei aus und gelangte am 23.07.2003 - unter Umgehung der Grenzkontrolle - nach Österreich. Sie stellte am 24.07.2003 vertreten durch ihre Eltern einen Asylantrag. Seitdem ihre Eltern mit ihr in der Folge nach Norwegen weiterreisten, wo ihre Mutter über Verwandte verfügt, und die Familie in Anwendung des Dubliner Übereinkommens nach Österreich zurückgeschoben wurde, hält sie sich ununterbrochen in Österreich auf.

 

Die Beweise werden wie folgt gewürdigt:

 

Der richtige Name und das Geburtsdatum der Beschwerdeführerin ergeben sich aus dem von ihrer gesetzlichen Vertreterin vorgelegten und in seiner Unbedenklichkeit auch nicht von der Behörde erster Instanz angezweifelten Personaldokument.

 

Ihre Herkunft aus Tschetschenien und die Zugehörigkeit zur tschetschenischen Volksgruppe ist aus dem Umstand abzuleiten, dass der "selbständige Augenschein" der länderkundlichen Sachverständigen und insbesondere die Ausführungen der selbst aus Tschetschenien stammenden Tschetschenisch - Dolmetscherin, die nach den eigenen Erfahrungen des nunmehr zuständigen Richters als sehr kompetent und seriös zu bezeichnen ist, ergeben haben, dass ihre Eltern der tschetschenischen Volksgruppe angehören.

 

Die Feststellungen zu ihrer Person ergeben sich aus dem erstinstanzlichen Verwaltungsakt.

 

Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

Gemäß § 75 Abs 7 Z 3 AsylG 2005 sind Verfahren, welche am 01.07.2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängig und einem Mitglied des Unabhängigen Bundesasylsenats zugeteilt waren, welches nicht als Richter des Asylgerichtshofes ernannt wurde, von dem nach Maßgabe der ersten Geschäftsverteilung vom zuständigen Senat des Asylgerichtshofes weiter zu führen.

 

Gemäß § 61 AsylG entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes, soweit nicht etwas anders in § 61 Abs 3 AsylG vorgesehen ist.

 

Durch die Behebung des Bescheides des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 20.12.2006, ZI 254.367/4-II/04/06, mit Erkenntnis vom Verwaltungsgerichtshofes vom 26.06.2006, ZI 2007/20/0170-9, ist dieses Verfahren wiederum in das Stadium vor Erlassung des behobenen Berufungsbescheides zurückgetreten. Da das seinerzeit verfahrensführende Senatsmitglied nicht zum Richter des Asylgerichtshofes ernannt wurde und es sich um ein Verfahren gegen einen abweisenden Bescheid (hinsichtlich Spruchteil I. - Asylgewährung) handelt, ist dieses nunmehr nach Maßgabe der ersten Geschäftsverteilung vom zuständigen Senat des Asylgerichtshofes weiter zu führen.

 

Gemäß § 75 AsylG 2005 sind alle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetz 1997 zu Ende zu führen. § 44 Asylgesetz 1997 gilt.

 

Gemäß § 44 Abs. 1 AsylG 1997 werden Verfahren zur Entscheidung über Asylanträge und Asylerstreckungsanträge, die bis zum 30. April 2004 gestellt wurden, nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 126/2002 geführt.

 

Da gegenständlicher Asylantrag am 24.07.2003 gestellt wurde, ist er nach der Rechtslage des AsylG 1997 idF 126/2002, unter Beachtung der Übergangsbestimmungen, zu beurteilen, woraus sich die gegenständliche Zuständigkeit ergibt.

 

Gemäß § 7 Asylgesetz 1997 hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art. 1, Abschnitt A, Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

 

Flüchtling i.S.d. AsylG 1997 ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

 

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffs ist die "begründete Furcht vor Verfolgung."

 

Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht, (zB VwGH vom 19.12.1995, 94/20/0858, VwGH vom 14.10.1998, 98/01/0262).

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger Rechtssprechung ausgeführt, dass als Fluchtgründe unter dem Gesichtspunkt der Schwere des Eingriffes nur solche Maßnahmen in Betracht kommen, die einen weiteren Verbleib im Heimatland aus objektiver Sicht unerträglich erscheinen lassen (VwGH vom 16.09.1992, 92/01/0544, VwGH vom 07.10.2003, 92/01/1015, 93/01/0929, u.a.).

 

Trotz der äußerst problematischen Situation von Angehörigen der tschetschenischen Volksgruppe, insbesondere in Tschetschenien, kann aus der Sicht des zuständigen Richters des Asylgerichtshofes nicht von einer ganz pauschalen, generellen Verfolgung nur allein wegen der Zugehörigkeit zur tschetschenischen Ethnie ("Gruppenverfolgung") gesprochen werden, sondern ist weiterhin jeder konkrete Einzelfall umfassend an Hand der in der Genfer Flüchtlingskonvention taxativ aufgezählten Verfolgungsgründe zu prüfen (zum Beispiel UBAS vom 24.01.20007, Zahl: 254.119/0-VIII/22/04, UBAS vom 27.01.2007, Zahl:

256.753/5E-VIII/22/05 u.a., siehe auch das im Gegenstand ergangene Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26.06.2008, ZI 2006/20/0769, 0770 und das diesem zu Grunde liegende Erkenntnis vom 19.12.2007, ZI 2006/20/0771).

 

Wie der Verwaltungsgerichts in dem bereits mehrfach zitierten im vorigen Fall ergangenen Erkenntnis ausgeführt wird, ist im vorliegenden Fall insbesondere die vorgebrachte individuelle Verfolgungsbehauptung zu prüfen und einer Beurteilung zu unterziehen:

 

Nach der Rechtssprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH vom 19.12.2001, ZI. 98/20/0312, VwGH vom 26.02.2002, ZI. 2000/20/0517, VwGH vom 12.03.2002, ZI. 2001/01/0399) stellt die Familie eine soziale Gruppe dar und substituiert diese "soziale Gruppe" das Fehlen eines eigenen Verfolgungsgrundes nach der GFK, wenn Familienmitglieder etwa wegen (unterstellter) politischer Gesinnung oder ihrer ethnischen Herkunft oder Religion verfolgt werden.

 

Nach der Rechtssprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH vom 31.01.2002, ZI. 2000/20/0358) sind weiters Drohungen und andere Verfolgungshandlungen gegen Familienmitglieder unter Umständen auch für andere Familienmitglieder asylrelevant, wenn ein enger Zusammenhang feststellbar ist:

 

Ein solcher enger Zusammenhang ist im vorliegenden Fall mit den gegen den Vater der Berufungswerberin gesetzten Verfolgungshandlungen (Verhaftung und Misshandlung) feststellbar. Hinzu kommt der für die Beschwerdeführerin der Familienzusammenhang zu einer "Terroristin", die einen russischen Kommandanten mit einer Bombe tötete.

 

Unter Berücksichtigung der allgemeinen Situation der tschetschenischen Volksgruppe in Tschetschenien, aber auch in anderen Teilen der Russischen Föderation, sowie der individuellen Gefährdungssituation der Beschwerdeführerin als nahe Familienangehörige eines als von den russischen Behörden als Rebellen Verdächtigten war auch hinsichtlich der minderjährigen Beschwerdeführerin die Frage nach einer asylrelevanten Verfolgungsgefahr (gerade noch) zu bejahen, wobei im vorliegenden Fall jedoch die Durchführung eines Verfahrens gem. §§ 10, 11 AsylG alte Fassung angezeigt gewesen wäre.

 

Wie in den erstinstanzlichen Feststellungen ebenfalls festgehalten, haben insbesondere (aber nicht nur) Tschetschenen besondere Schwierigkeiten, sich außerhalb der Republik Tschetschenien registrieren zu lassen und führt die mangelnde Registrierung zu einer Beschneidung der meisten zivilen, sozialen und ökonomischen Rechte. Bei der Beschwerdeführerin sind keine Umstände dafür im Verfahren hervorgekommen, dass sie über ein Netz von Verwandten und Freunden außerhalb der tschetschenischen Republik verfügen würde oder auch selbst dort länger gelebt hat (vielmehr ist die Dolmetscherin und die Sachverständige von einem Aufenthalt der Eltern der Beschwerdeführerin in Tschetschenien [bis zur Flucht]) ausgegangen. Es liegen somit aus der Sicht der Berufungsinstanz keine hinreichenden Indizien für das Vorliegen einer inländischen Schutzalternative vor, wie dies im Übrigen von UNHCR bei Tschetschenen generell verneint wird (Joe Hegenauer, Tschetschenien Workshop von ACCORD am 18.10.2007).

 

Der Beschwerde war daher unter besonderer Berücksichtigung der individuellen Situation Folge zu geben und der Beschwerdeführerin Asyl zu gewähren.

 

Die maßgeblichen verfassungsmäßigen Bestimmungen bezüglich der Einrichtung des Asylgerichtshofes befinden sich in den Art. 129c ff. B-VG. Gemäß Art. 151 Abs. 39 Z. 1 B-VG wird mit 01.07.2008 der bisherige Unabhängige Bundesasylsenat zum Asylgerichtshof. Laut Z. 4 leg. cit. sind am 1. Juli 2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren vom Asylgerichtshof weiterzuführen.

 

Gemäß Gemäß § 61 Abs 1 Z 1 AsylG entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten über Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesasylamtes, soweit nicht etwas anders in § 61 Abs 3 AsylG vorgesehen ist.

 

§ 73 Abs. 1 AVG sind die Behörden verpflichtet, wenn in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, über Anträge von Parteien (§ 8) und Berufungen ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber sechs Monate nach deren Einlangen den Bescheid zu erlassen. Wird der Bescheid nicht innerhalb der Entscheidungsfrist erlassen, so geht gemäß Abs. 2 leg. cit. auf schriftlichen Antrag der Partei die Zuständigkeit zur Entscheidung auf die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde, wenn aber gegen den Bescheid Berufung an den unabhängigen Verwaltungssenat erhoben werden könnte, auf diesen über (Devolutionsantrag). Der Devolutionsantrag ist bei der Oberbehörde (beim unabhängigen Verwaltungssenat) einzubringen. Er ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden der Behörde zurückzuführen ist.

 

Dem Devolutionsantrag ist stattzugeben, wenn die Behörde eine ihr obliegende Entscheidungspflicht verletzt hat. Trifft dies nicht zu, ist der Antrag zurückzuweisen (VwGH 22.1.1980, 997/79; 26.6.1985, 85/11/0117). Die Zulässigkeit des Devolutionsantrages ist auschließlich nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seiner Einbringung zu beurteilen (VwGH 10.11.1995, 95/17/0248; 26.3.1996, 95/19/1047).

 

Aufhebende Entscheidungen des Vewaltungsgerichtshofes entfalten ex tunc Wirkung. Das bedeutet, dass das Verfahren in jenes Stadium zurücktritt in welchem es sich vor der nunmehr behobenen Entscheidung befunden hat. Da somit der Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenat vom 20.12.2006, ZI 254.367/4-II/04/06, mit welchem der Bescheid des Bundesasylamtes vom 13.10.2004, GZ. 03 22.250-BAE, gemäß § 66 Abs 2 AVG behoben wurde, ex tunc weggefallen ist, bestand im Zeitpunkt der Einbringung des Devolutionsantrages keine Entscheidungspflicht des Bundesasylamtes. Damit war das Bundesasylamt zur Erlassung des geforderten Bescheides schon im Zeitpunkt der Stellung des Devolutionsantrages nicht zuständig. Der Devolutionsantrag war daher zurückzuweisen.

Schlagworte
Devolution, Familienverfahren
Zuletzt aktualisiert am
26.01.2009
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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