TE AsylGH Erkenntnis 2008/09/09 A5 400179-1/2008

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Veröffentlicht am 09.09.2008
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Spruch

A5 400.179-1/2008/3E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. SCHREFLER-KÖNIG als Vorsitzende und die Richterin Mag. UNTERER als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin VB Wilhelm über die Beschwerde der I. N., geb. am 00.00.2008, StA. NIGERIA, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 04.06.2008, Zl. 08 04.510-BAE, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

I. Die Beschwerde von I. N. wird gemäß § 3 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, abgewiesen.

 

II. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 /2005, wird I. N. der Status einer subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Nigeria nicht zuerkannt.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang

 

I.1. Mit dem angefochtenen Bescheid hat das Bundesasylamt den Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz vom 23.05.2008 gemäß § 3 AsylG 2005 abgewiesen und ihr den Status einer subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Nigeria nicht zuerkannt.

 

I.2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht eingebrachte Beschwerde. Mit 08.07.2008 wurde gegenständliche Beschwerdeangelegenheit dem nunmehr erkennenden Senat des Asylgerichtshofes zur Entscheidung zugewiesen.

 

I.3. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde gemäß § 41 Abs. 7 AsylG 2005 auf Grund des aus der Aktenlage als geklärt anzusehenden Sachverhaltes Abstand genommen (siehe dazu auch die Begründung unter Punkt II.3.).

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

II.1. Folgender Sachverhalt wird der Entscheidung zugrunde gelegt:

 

II.1.1. Die minderjährige Beschwerdeführerin trägt den im Spruch angeführten Namen und ist Staatsangehörige von Nigeria.

 

II.1.2. Sie wurde am 00.00.2008 in Österreich geboren und stellte im Wege ihrer Mutter und gesetzlichen Vertreterin, die ihrerseits im Jahr 2002 einen Asylantrag in Österreich gestellt hatte, über welchen zum Zeitpunkt der Geburt der nunmehrigen Beschwerdeführerin bereits rechtskräftig entschieden wurde, am 23.05.2008 einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

II.1.3. In der am 02.06.2008 beim Bundesasylamt, Außenstelle Eisenstadt, eingelangten Stellungnahme der Beschwerdeführerin bezüglich ihres Verfahrensantrages gemäß § 34 AsylG führte sie durch ihren Rechtsbeistand kursorisch aus, sie liefe - ebenso wie ihre 2006 in Österreich geborene Schwester - im Falle einer Rückkehr nach Nigeria Gefahr, auf Grund der dort vorherrschenden Tradition beschnitten zu werden. Überdies sei eine Wiederaufnahme in den Familienverband ihrer Mutter wegen der bestehenden Spannungen nicht möglich. Eine alleinerziehende Mutter könne zudem bei Fehlen jeglichen familiären Rückhaltes nicht ausreichend für sich und ihre Kinder sorgen. Eine Umsiedelung in eine Großstadt würde ein Leben in den Slums bedeuten, denn entgegen der Ansicht des Bundesasylamtes stünden die Chancen für eine Frau ohne besondere Schulbildung, eine adäquate Arbeit zu finden, sehr schlecht. Private beziehungsweise staatliche Hilfsorganisationen, die auch praktische Hilfe anböten, gebe es nicht. Der Zugang zu Einrichtungen wie "nursery schools" sei auf die nigerianische Mittelklasse beschränkt, weshalb derartige Annehmlichkeiten nicht für eine alleinerziehende Mutter in Frage kämen.

 

II.1.4. Die belangte Behörde wies den Antrag der nunmehrigen Beschwerdeführerin ab und begründete ihre Entscheidung im Wesentlichen damit, dass sich aus den Länderfeststellungen zu Nigeria ergäbe, dass der Staat Genitalverstümmelungen nicht toleriere und die Inanspruchnahme staatlicher Hilfe möglich sei. Zudem sei es durch Wohnsitznahme in einer Großstaat möglich, der Gefahr einer Beschneidung zu entgehen.

 

II.1.5. Die Mutter der minderjährigen Beschwerdeführerin, die gemeinsam mit dem 2001 geborenen Halbbruder der Beschwerdeführerin am 14.02.2002 nach Österreich eingereist war, brachte in dem sie betreffenden Verfahren bei der belangten Behörde folgendes vor:

 

Im Rahmen ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde gab die Mutter der nunmehrige Beschwerdeführerin am 11.4.2002, befragt zu ihren Fluchtgründen, an, dass ihr Vater kurz nach ihrer Geburt vergiftet worden sei und ihre Mutter sie dann zu ihrer Tante und ihrem Onkel gegeben habe, wo sie aufgewachsen sei. Ihr Vater sei vergiftet worden, weil es in der Familie einen Streit um Land gegeben habe. Im Dezember 2000 sei der Onkel der Mutter der nunmehrigen Beschwerdeführerin verstorben und kurz darauf auch die Mutter, da sie beide krank gewesen seien. Ihre Familie sei mit der Wahl ihres Mannes nicht einverstanden gewesen, weil er kein Land besessen habe. Die Mutter der Beschwerdeführerin sei daher von ihrer Familie bedroht worden, dass sie nie wieder zu ihrer Familie zurückkönne, wenn sie ihren Mann nicht verlasse. Der Vater ihres Mannes, so die Mutter der Beschwerdeführerin weiter, sei gestorben und hätte dann auch ihr Mann Probleme mit seiner Familie bekommen. Der Mann der Mutter der Beschwerdeführerin sei vergiftet worden, weil seine Familie das Land seines Vaters haben wolle. Im Krankenhaus habe man ihrem Mann gesagt, er sei gesund. Erst ein Naturheiler habe ihm helfen können. Die Schwester ihres Mannes habe danach erzählt, dass die Familie im Haus Gift auf den Boden gestreut habe und dieses Gift bei Betreten der Stelle über den Fuß in den Körper gelange. Nachdem sie nicht mehr in das Haus zurück hätten können und auch der Vater des Mannes der Mutter der Beschwerdeführerin diesem vor seinem Tod geraten habe, nicht gegen die Familie zu kämpfen, sondern besser seine Heimat zu verlassen, hätten sie sich gemeinsam zur Flucht entschlossen. Zunächst seien sie nach Lagos gefahren, jedoch sei es dort zu gefährlich gewesen, von den Familienangehörigen gefunden zu werden. Die Mutter der Beschwerdeführerin und ihr Mann hätten sich nicht an die Polizei gewandt, da diese bestechlich sei. Ihr Mann habe einmal mit dem Dorfoberhaupt über sein Problem gesprochen; dieser habe ihm aber gesagt, dass dies kein Problem sei. Die Mutter der Beschwerdeführerin fürchte im Fall ihrer Rückkehr nach Nigeria, dass ihr Sohn getötet werden könne, weil "sie" das Land ihres Mannes haben wollten.

 

Die belangte Behörde wies den Asylantrag der Mutter der nunmehrigen Beschwerdeführerin ab und begründete ihre Entscheidung mit der fehlenden Glaubwürdigkeit der Angaben der Mutter der Beschwerdeführerin. Selbst aber bei der Annahme, dass es zu Übergriffen durch Private gekommen sei- wofür sich keine Anhaltspunkte ergeben hätten - könnte nicht von einer fehlenden Schutzfähigkeit oder Schutzwilligkeit des Staates ausgegangen werden, so dass insgesamt die Voraussetzungen für eine Asylgewährung nicht erfüllt seien.

 

II.1.6. Die Mutter der Beschwerdeführerin bekämpfte den Bescheid der belangten Behörde fristgerecht mittels Berufung und wandte Verfahrensfehler sowie materielle Rechtswidrigkeit ein. Der Unabhängige Bundesasylsenat wies die Berufung mit Bescheid vom 26.06.2007, Zahl 228.092/0/9E-XV/54/02, gemäß §§ 7, 8 AsylG 1997 idgF, ab.

 

II.1.7. Die gegen diese Entscheidung erhobenen Verwaltungsgerichtshofbeschwerde vom 02.11.2007, Zahl 2007/20/1345-2 wurde mit 27.11.2007 genehmigt und ihr die aufschiebende Wirkung zuerkannt. Die Beschwerde ist nach wie vor beim Verwaltungsgerichtshof anhängig.

 

II.2. Zur Lage in Nigeria

 

Die im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen zu Nigeria werden zum Gegenstand des Erkenntnisses des Asylgerichtshofes erhoben.

 

II.3. Rechtliche Beurteilung und Beweiswürdigung

 

II.3.1 Gemäß § 28 Abs. 1 AsylGHG, BGBl.I Nr. 2008/4 nimmt der Asylgerichtshof mit 01.07.2008 seine Tätigkeit auf. Das Bundesgesetz über den Unabhängigen Bundesasylsenat (UBASG), BGBl. I Nr. 77/1997, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2005, tritt mit 01.07.2008 außer Kraft.

 

II.3.2. Gemäß § 23 AsylGHG sind auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof, sofern sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005, BGBl. Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG) mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

II.3.3. Gemäß § 9 leg.cit. entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten, sofern bundesgesetzlich nicht die Entscheidung durch Einzelrichter oder verstärkte Senate (Kammersenate) vorgesehen ist.

 

II.3.4. Gemäß § 61 Abs. 1 AsylG entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes und über Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesasylamtes. Gemäß Abs. 3 entscheidet der Asylgerichtshof durch Einzelrichter über Beschwerden gegen zurückweisende Bescheide wegen Drittstaatssicherheit gemäß § 4, wegen Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß § 5 und wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG sowie über die mit diesen Entscheidungen verbundene Ausweisung.

 

II.3.5. Gemäß § 75 Abs. 7 AsylG 2005 sind am 1.7.2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren vom Asylgerichtshof nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen weiterzuführen:

 

Mitglieder des Unabhängigen Bundesasylsenates, die zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannt worden sind, haben alle bei ihnen anhängigen Verfahren, in denen bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, als Einzelrichter weiterzuführen.

 

Verfahren gegen abweisende Bescheide, in denen eine mündliche Verhandlung noch nicht stattgefunden hat, sind von dem nach der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes zuständigen Senat weiterzuführen.

 

Verfahren gegen abweisende Bescheide, die von nicht zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannten Mitgliedern des Unabhängigen Bundesasylsenates geführt wurden, sind nach Maßgabe der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes vom zuständigen Senat weiterzuführen.

 

II.3.6. Gemäß § 41 Abs.7 AsylG 2005 kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 67d AVG.

 

II.3.7. Gemäß § 18 Abs. 1 AsylG 2005 haben das Bundesasylamt und der Asylgerichtshof in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amtswegen beizuschaffen. Gemäß Abs. 2 ist im Rahmen der Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Vorbringens eines Asylwerbers auf die Mitwirkung im Verfahren Bedacht zu nehmen.

 

II.3.8. Gemäß § 15 AsylG 2005 hat ein Asylwerber am Verfahren nach diesem Bundesgesetz mitzuwirken; insbesondere hat er ohne unnötigen Aufschub seinen Antrag zu begründen und alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen. Weiters hat er bei Verfahrenshandlungen und Untersuchungen durch einen Sachverständigen persönlich und rechtzeitig zu erscheinen, und an diesen mitzuwirken sowie unter anderen auch dem Bundesasylamt oder dem Asylgerichtshof alle ihm zur Verfügung stehenden Dokumente und Gegenstände am Beginn des Verfahrens, oder soweit diese erst während des Verfahrens hervorkommen oder zugänglich werden, unverzüglich zu übergeben, soweit diese für das Verfahren relevant sind.

 

Im gegenständlichen Fall liegen die unter Punkt II.1.6 bis II.1.8 genannten Voraussetzungen des § 41 Abs.7 AsylG 2005 für den Entfall einer mündlichen Verhandlung vor. Das Bundesasylamt hat ein im beschriebenen Sinne ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt und enthält der Beschwerdeschriftsatz zudem kein Vorbringen, das geeignet wäre, die in der schlüssigen Beweiswürdigung des angefochtenen Bescheids zum Ausdruck kommende Beurteilung der belangten Behörde zu entkräften oder in Zweifel zu ziehen. Der verfahrensrelevante Sachverhalt ist daher nach dem Dafürhalten des Asylgerichtshofes als aus der Aktenlage als geklärt anzusehen.

 

II.3.9. Gemäß § 66 Abs.4 AVG hat die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

 

Auf die oben zitierte Bestimmung des § 23 ASylGHG, demzufolge die Bestimmungen des AVG mit der Maßgabe anzuwenden sind, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt, wird hingewiesen.

 

II.3.10. Die Beschwerdeführerin hat den Antrag auf Gewährung von internationalem Schutz am 23.05.2008 gestellt. Daher gelangen im gegenständlichen Verfahren die Bestimmungen des AsylG 2005 vollumfänglich zur Anwendung.

 

II.3.11. Zu Spruchpunkt I

 

Gemäß § 3 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatssicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist und glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

 

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK (idF des Art. 1 Abs.2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

 

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. z.B. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde.

 

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/011). Für eine "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH 26.2.1997, 95/01/0454; 9.4. 1997, 95/01/0555), denn die Verfolgungsgefahr -Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl VwGH 18.4.1996, 95/20/0239; vgl. auch VwGH 16.2.2000, 99/01/097), sondern erfordert eine Prognose.

 

Verfolgungshandlungen, die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (vgl. dazu VwGH 9.3.1999, 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 9.9.1993, 93/01/0284; 15.3.2001, 99720/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorherigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein (VwGH 16.6.1994, 94/19/0183; 18.2.1999, 98/20/0468). Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 9.3.1999, 98/01/0318; 19.10.2000, 98/20/0233).

 

Der Asylgerichtshof kommt unter Abstandnahme einer mündlichen Verhandlung zum Ergebnis, dass dem Vorbringen der Beschwerdeführerin, die infolge ihrer Minderjährigkeit von ihrer Mutter vertreten wurde, keine Asylrelevanz im oben beschriebenen Sinn zukommt.

 

Da sich die minderjährige Beschwerdeführerin im Rahmen ihres Asylverfahrens im Gegensatz zu ihren Geschwistern nicht auf die Fluchtgründe ihrer Mutter berief, beschränkte sich der Asylgerichtshof auf die Beurteilung der Frage, ob die Beschwerdeführerin im Falle ihrer Rückkehr nach Nigeria Gefahr liefe, beschnitten zu werden.

 

Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass im Süden Nigerias, d.h. auch in dem Dorf, aus dem die Mutter der Beschwerdeführerin behauptet, zu stammen, traditionell Beschneidungen an Mädchen und Frauen durchgeführt werden. So gibt die Mutter der Beschwerdeführerin an, selbst als kleines Kind beschnitten worden zu sein; sie könne sich aber nicht daran erinnern und insbesondere auch keine Aussage dazu treffen, wer dieses Ritual an ihr vorgenommen habe.

 

Wie bereits die belangte Behörde zu Recht ausgeführt hat, hat sich die nigerianische Regierung in den vergangenen Jahren gegen Genitalverstümmelung ausgesprochen. Diese Haltung hat bis dato aber noch nicht zur Verankerung bundesweiter gesetzlicher Verbote geführt. Letztlich aber würden auch bestehende Gesetze nur dann effektiven Schutz bieten, wenn deren praktische Umsetzung gewährleistet ist, so dass die fehlende Existenz landesweiter gesetzlicher Verbote alleine noch kein Argument ist, von fehlenden (staatlichen) Schutzmöglichkeiten zu sprechen.

 

Wenngleich es die belangte Behörde in gegenständlichem Verfahren auch verabsäumt hat, die erforderlichen Feststellungen bezüglich der Problematik betreffend weibliche Genitalverstümmelungen in Nigeria zu treffen, so ist auf die bereits rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahren der Mutter und der Schwester der Beschwerdeführerin zu verweisen, in deren Rahmen diese Problematik ausführlich behandelt wurde.

 

Hat der UBAS weiters festgestellt, dass aufgrund der als nicht glaubwürdig erachteten familiären Probleme der Mutter der Beschwerdeführerin grundsätzlich eine Rückkehr in die Dorf- und Familiengemeinschaft möglich ist, so erscheint aufgrund der dort

 

drohenden Beschneidung der 2008 in Österreich geborenen Beschwerdeführerin, eine Ansiedlung der Familie in einer anderen Stadt oder im Norden des Landes als geboten.

 

Es kann im Ergebnis aber nicht davon ausgegangen werden, dass die glaubhafte Behauptung drohender Beschneidung für sich betrachtet die Voraussetzungen für eine Asylgewährung erfüllt. Es handelt sich dabei in erster Linie um ein familiäres Problem und nicht, wie von der minderjährigen Beschwerdeführerin behauptet, um eine generelle Problematik geschlechtsspezifischer Diskriminierung. Wie sie bereits in ihrem Beschwerdeschriftsatz richtigerweise festgestellt hat, basiert die weibliche Genitalverstümmelung vornehmlich auf Tradition und Gewohnheitsrecht und somit nicht auf staatlichen Regelungen. Es ist überdies in Hinblick auf die dem bekämpften Bescheid zugrunde gelegten Länderfeststellungen nicht davon auszugehen, dass die nigerianischen Behörden gänzlich unwillig seien, sich der spezifisch frauenrechtlichen Probleme anzunehmen. Eine staatliche Zurechenbarkeit ist daher nicht gegeben. Des Weiteren ist darauf aufmerksam zu machen, dass zahlreiche Hilfsorganisationen in Nigeria tätig sind, die sich mit ihrer Hilfe gerade an unterprivilegierte Personen wenden, um diese unter anderem auch im Umgang mit Behörden zu unterstützen. Selbst wenn aber die Beschwerdeführerin bzw. deren Mutter sich persönlich aufgrund familiären Drucks in dieser Frage nicht an die Polizei, an ein Gericht oder an die Menschenrechtskommission zu wenden traut, so kann sie durch Niederlassung im Norden des Landes bzw. in einer nigerianischen Großstadt faktisch der Gefahr entgehen.

 

II.3.12. Zu Spruchpunkt II

 

Gemäß § 8 Abs.1 AsylG ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn er in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, wenn eine Zurückweisung oder Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

 

Der Asylgerichtshof hat somit zu klären, ob im Falle der Verbringung der Beschwerdeführerin in ihr Heimatland Art. 2 EMRK (Recht auf Leben), Art. 3 (Verbot der Folter) oder das Protokoll Nr. 6 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde. Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger Rechtssprechung erkannt, dass der Antragsteller das Bestehen einer aktuellen Bedrohung der relevanten Rechtsgüter, hinsichtlich derer der Staat nicht willens oder nicht in der Lage ist, Schutz zu bieten, glaubhaft zu machen hat, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist (VwGH 26.6.1997, 95/18/1291; 17.7.1997, 97/18/0336).

 

Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind, und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.9.1993, 93/18/0214).

 

Im Sinne der Judikatur des EGMR und jener des darauf in seiner Rechtssprechung Bezug nehmenden VwGH - vgl. etwa VwGH vom 23.09.2004, Zl. 2004/21/0134 mit weiteren Nachweisen - hat die entsprechende Prüfung von Refoulementschutz dahingehend zu erfolgen, ob im Herkunftsstaat des Antragstellers eine derart extreme Gefahrenlage herrscht, dass praktisch jedem, der in diesen Staat abgeschoben wird, Gefahr für Leib und Leben in einem Maße droht, dass die Abschiebung im Lichte des Art. 3 EMRK unzulässig erschiene.

 

Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den der Fremde abgeschoben werden soll, genügt nach der ständigen Rechtssprechung des VwGH (vgl. E. vom 01.07.1999, Zl. 97/21/0804; E. vom 09.05.2003, Zl. 1998/18/0317), nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde.

 

Im Fall der Beschwerdeführerin konnten keine derart exzeptionellen Umstände festgestellt werden, die der Gefahr der Verletzung des Art. 3 EMRK gleichzuhalten wären.

 

Der Asylgerichtshof verkennt in diesem Zusammenhang nicht, dass es sich bei der Beschwerdeführerin um ein minderjähriges Mädchen handelt, das bei ihrem eigenen Fortkommen in der Heimat in erster Linie auf die Geschicke ihrer Mutter angewiesen ist. Soweit davon ausgegangen wird, dass eine grundsätzlich jederzeit mögliche Rückkehr der Mutter der Beschwerdeführerin in deren Familien- und Dorfverband (siehe dazu auch die Ausführungen des UBAS im Bescheid die Mutter betreffend) die Gefahr einer Beschneidung der Beschwerdeführerin nach sich zieht, ist die Frage zu prüfen, ob im Fall der Niederlassung der Beschwerdeführerin und ihrer Mutter z.B. in einer Großstadt Nigerias von einer EMRK- relevanten Behandlung auszugehen ist.

 

Der Asylgerichtshof verneint dies im konkreten Fall aus folgenden Erwägungen:

 

Die Mutter der Beschwerdeführerin hat die Grundschule besucht und vor Verlassen der Heimat als Friseurin gearbeitet. Dabei handelt es sich um eine Arbeit, die nicht auf die konkrete Herkunft abzielt, sondern wohl im ganzen Land, ortsunabhängig, ausgeübt werden kann. Es ist der Mutter der Beschwerdeführerin als gesunder, junger Frau daher zumutbar, als Friseurin den Unterhalt und das Fortkommen zu sichern. Bevor sie mit ihrem Mann Nigeria verlassen hat, hat die Mutter der Beschwerdeführerin nach eigenen Angaben bei einem Freund in Lagos gelebt. Somit wird es der Mutter der Beschwerdeführerin möglich sein, nach ihrer Rückkehr, zunächst wenigstens vorübergehend, bei Freunden außerhalb ihrer Dorfgemeinschaft unterzukommen. Letztlich ist auch auf die in Nigeria existenten Hilfsorganisationen für Frauen hinzuweisen (z.B. WACOL), die auch im Fall der Beschwerdeführerin und ihrer Mutter unmittelbar nach deren Rückkehr ein soziales Auffangnetz darstellen.

 

Die minderjährige Beschwerdeführerin behauptet oder bescheinigt auch keinen sonstigen auf ihre Person bezogenen "außergewöhnlichen Umstand", der ein Abschiebungshindernis im Sinne von Art. 3 EMRK i. V.m. § 8 Abs. 1 AsylG darstellen könnte.

 

Es ist darüber hinaus festzuhalten, dass in ganz Nigeria keine derart extreme Gefahrenlage gegeben ist, dass praktisch jedem, der in diesen Staat abgeschoben wird, eine Gefahr für Leib und Leben in hohem Maße droht.

 

Wie das Bundesasylamt richtigerweise festgestellt hat, existieren in Nigeria diverse soziale Einrichtungen, die sich speziell auf die Probleme allein erziehender Mütter spezialisiert haben, weshalb es dem nun erkennenden Gericht - in Hinblick auf die generell stabile Sicherheitslage in Nigeria - als durchaus zumutbar erscheint, diese Hilfe auch in Anspruch zu nehmen. Abschließend ist noch anzumerken, dass der Zweck einer sozialen Einrichtung darin besteht, finanziell schlecht gestellten Personen die nötige Unterstützung ohne Auferlegung von Kosten zu gewähren, weshalb auch dieser Einwand der Beschwerdeführerin ins Leere ging.

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

 

II.4. Die öffentliche Verkündung des Erkenntnisses hatte gemäß § 67g Abs. 2 Z. 1 AVG zu entfallen.

Schlagworte
Beschneidung, Familienverfahren, Glaubhaftmachung, inländische Schutzalternative, non refoulement, Rechtsschutzstandard, Sicherheitslage, soziale Verhältnisse, staatlicher Schutz, Zumutbarkeit, Zurechenbarkeit
Zuletzt aktualisiert am
28.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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