TE AsylGH Erkenntnis 2008/09/10 E8 401304-1/2008

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.09.2008
beobachten
merken
Spruch

E8 401.304-1/2008-6E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. Diehsbacher als Vorsitzenden und den Richter Dr. Bracher als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin Fr. Schwarz über die Beschwerde des S.T., geb. 00.00.1973, StA. nicht feststellbar, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 19.08.2008, FZ. 07 01.730-BAW, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gem. § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt

 

1. Der BF, eigenen Angaben zufolge ein staatenloser Angehöriger der Volksgruppe der Palästinenser aus dem Irak, stellte am 16.02.2007 nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz, den er bei seiner Erstbefragung im Wesentlichen damit begründete, er sei Palästinenser und habe nach dem Tod von Saddam Hussein keinen Schutz mehr im Irak; vermummte Gruppierungen seien gekommen und hätten gedroht, alle Palästinenser umzubringen (AS. 37).

 

2. Am 23.02.2007 (AS. 39 ff), am 13.06.2008 (AS. 161 ff) sowie am 19.08.2008 (AS. 243 ff) wurde der BF jeweils vor dem Bundesasylamt niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er als Fluchtgrund im Wesentlichen an, die Palästinenser würden nach dem Sturz von Saddam Hussein im Irak verfolgt und seien eine Zielscheibe für die jetzige Bevölkerung. Die Palästinenser würden von bewaffneten und vermummten Männern angehalten und niedergemetzelt werden.

 

3. Am 13.06.2008 wurde der BF via Telefongespräch einer Sprachanalyse unterzogen und langte am 14.07.2008 beim Bundesasylamt das schriftliche Gutachten des Instituts Lingua aus der Schweiz ein (AS. 203 ff).

 

4. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 19.08.2008, Zahl: 07 01.730-BAW, wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gem. § 3 Abs. 1 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.); gem. § 8 Abs. 6 AsylG wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt II.); gem. § 8 Abs. 6 AsylG wurde der BF aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen (Spruchpunkt III.); gem. § 38 "Abs. 3 und 5" AsylG wurde einer Beschwerde gegen diesen Bescheid die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt IV).

 

Begründend führte das Bundesasylamt auf das Wesentlichste zusammengefasst aus, es sei - insbesondere auch in Anbetracht des vorliegenden Sprachgutachtens - klar hervorgekommen, dass der BF nicht aus dem Irak stammen könne, zumal es ihm an grundlegendem Wissen über seine behauptete Herkunftsregion mangle. Insofern sei auch von der offensichtlichen Unglaubwürdigkeit seiner geschilderten Fluchtgründe auszugehen.

 

5. Gegen diesen Bescheid erhob der BF mit Schriftsatz vom 23.08.2008 fristgerecht Beschwerde (AS. 347 ff). Darin bemängelt der BF insbesondere, dass er davon in Unkenntnis gelassen worden sei, ob hinsichtlich der Sprachanalyse ein schriftliches Gutachten angefertigt wurde. Bejahendenfalls wäre ihm zur Wahrung des Parteiengehörs jedenfalls eine Kopie des Gutachtens auszuhändigen und eine angemessene Frist zur Einbringung einer Stellungnahme zu erteilen gewesen.

 

II. DER ASYLGERICHTSHOF HAT ERWOGEN:

 

1. Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde, so der ihr vorliegende Sachverhalt derart mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen.

 

Gemäß Absatz 3 dieser Gesetzesstelle kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnissen vom 21. November 2002, Zl. 2002/20/0315 und Zl. 2000/20/0084, grundsätzliche Ausführungen zur Anwendbarkeit des § 66 Abs. 2 AVG im Asylverfahren im Allgemeinen und durch den Unabhängigen Bundesasylsenat im Besonderen getätigt. Dabei hat er im letztgenannten Erkenntnis insbesondere ausgeführt:

 

"Bei der Abwägung der für und gegen eine Entscheidung gemäß § 66 Abs. 2 AVG sprechenden Gesichtspunkte muss nämlich auch berücksichtigt werden, dass das Asylverfahren nicht nur möglichst kurz sein soll. Zur Sicherung seiner Qualität hat der Gesetzgeber einen Instanzenzug vorgesehen, der zur belangten Behörde und somit zu einer gerichtsähnlichen, unparteilichen und unabhängigen Instanz als besonderem Garanten eines fairen Asylverfahrens führt (vgl. bereits das Erkenntnis vom 16. April 2002, Zl. 99/20/0430). Die der belangten Behörde in dieser Funktion schon nach der Verfassung zukommende Rolle einer ¿obersten Berufungsbehörde' (Art. 129c 1 B-VG) wird aber ausgehöhlt und die Einräumung eines Instanzenzuges zur bloßen Formsache degradiert, wenn sich das Asylverfahren einem eininstanzlichen Verfahren vor der Berufungsbehörde nähert, weil es das Bundesasylamt ablehnt, auf das Vorbringen sachgerecht einzugehen und brauchbare Ermittlungsergebnisse in Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen."

 

In Erkenntnis vom 17.10.2006 (Zl 2005/20/0459) hat der VwGH betont, dass eine Behebung nach § 66 Abs 2 AVG grundsätzlich nur zulässig ist, wenn eine weitere Verhandlung/Einvernahme erforderlich ist, was nicht der Fall wäre, wenn die Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens durch schriftliches Parteiengehör saniert hätten werden können.

 

2. In gegenständlichem Verfahren wurde der BF am 13.06.2008 einer Sprachanalyse unterzogen und langte am 14.07.2008 beim Bundesasylamt das schriftliche Gutachten des Instituts Lingua ein (AS. 203 ff). Dieses ausführliche Gutachten befasst sich insbesondere mit dem vom BF angegebenen Lebenslauf, mit seinem Wissen über die örtlichen Gegebenheiten sowie mit seinem sprachlichen Dialekt. Letztlich gelangt der Gutachter zu dem Ergebnis, dass der BF über keine Kenntnisse von der Westbank und über sehr wenige Kenntnisse der palästinensischen Gegebenheiten im Allgemeinen verfüge; ebenso seien seine Kenntnisse vom Irak sehr gering. Die Sprache des BF zeige auch kaum Elemente des palästinensischen Dialekts, sondern mehrheitlich Elemente des syrischen und ägyptischen Dialekts. Der BF entstamme eindeutig nicht einem palästinensischen Milieu in der Westbank oder dem Irak; anhand seiner Sprache sei die Herkunft aus Ägypten oder aus Syrien sehr wahrscheinlich (AS. 217).

 

Mit diesem Gutachten wurde der BF in seiner Einvernahme vom 19.08.2008 (lediglich) insofern konfrontiert, als ihm mitgeteilt wurde, dass die Sprachanalyse ergeben habe, dass er weder aus dem Irak komme, noch Palästinenser sei (AS. 245). Zu dieser Aussage wurde der BF in erwähnter Einvernahme zur Stellungnahme aufgefordert, woraufhin er angab, er sei zwar kein Iraker, aber Palästinenser (AS. 245). In weiterer Folge wurde noch am selben Tag der bekämpfte Bescheid erlassen.

 

3. Zunächst ist vom Asylgerichtshof festzuhalten, dass es nicht zwingend erforderlich gewesen wäre, dem BF das schriftliche Gutachten in Kopie zum Zwecke der Abgabe einer Stellungnahme zu übergeben. Jedoch muss der Partei der Inhalt von Sachverständigengutachten (das heißt, Befund und Gutachten im engeren Sinne) bekannt gegeben werden (z.B. Hengstschläger/Leeb, AVG, RZ 28 zu § 45). Diesem Erfordernis wird der in der Einvernahme vom 19.08.2008 diesbezüglich in einem einzigen Satz getätigte Vorhalt, wonach eine Sprachanalyse zu dem Ergebnis geführt habe, dass der BF weder aus dem Irak komme, noch Palästinenser sei, jedenfalls nicht gerecht, sondern wird lediglich der Befund - auf das kürzeste zusammen gefasst - dargestellt.

 

Weiters sei angemerkt, dass der BF mit einem wesentlichen Teil des Befundes des Gutachtens überhaupt nicht konfrontiert wurde, nämlich, dass er sehr wahrscheinlich aus Ägypten oder Syrien stamme.

 

Der Asylgerichtshof verkennt jedoch nicht, dass nach ständiger Rechtsprechung des VwGH derartige Verfahrensfehler durch die mit der Beschwerde verbundene Möglichkeit einer Stellungnahme saniert werden können. Dies gilt jedoch im Fall eines Sachverständigengutachtens nur dann, wenn im Bescheid "sowohl der Befund als auch das Gutachten im engeren Sinne in allen wesentlichen Teilen dargelegt" werden (so Hengstschläger/Leeb RZ 40 zu § 46 AVG). Im bekämpften Bescheid (AS. 283) wird jedoch lediglich festgehalten, dass die Sprachanalyse zu dem Ergebnis geführt habe, dass der BF weder Palästinenser sei noch im Irak gelebt habe und es wird zum Gutachten abschließend ausgeführt: "Das Sprachgutachten selbst ist schlüssig und legt die Quellen und die Ausgangssituation und den Analyseverlauf sehr ausführlich dar. Für das Bundesasylamt ergaben sich daher weder Bedenken hinsichtlich des darin festgestellten Sachverhalts noch zum Gutachter."

 

Auch damit werden dem BF der Befund und das Gutachten im engeren Sinne nicht ausreichend zur Kenntnis gebracht, sodass mit Erhebung der Beschwerde durch den BF keine Sanierung des aufgezeigten Mangels stattfinden konnte. Dem BF war es somit nicht möglich, eine Stellungnahme zum Gutachten abzugeben.

 

Der Asylgerichtshof übersieht nicht, dass bei gegebener Sachlage zunächst die Möglichkeit bestünde, den BF schriftlich zur Stellungnahme zu besagtem Gutachten aufzufordern. Eine schriftliche Stellungnahme durch den BF zu dem ihm erstmals zur Kenntnis gebrachten Gutachten hätte jedoch zumeist die Konsequenz, dass der Asylgerichtshof in weiterer Folge zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung verpflichtet wäre und würde dies somit zu einer weiteren Verzögerung des Verfahrens führen. Insbesondere aber handelt es sich bei gegenständlichem Verfahren um ein fristgebundenes Verfahren, bei dem der Asylgerichtshof - würde er zunächst selbst den Weg der Aufforderung des BF zur schriftlichen Stellungnahme gehen - der Beschwerde des BF die aufschiebende Wirkung zuerkennen müsste. In dieser Hinsicht ist jedoch anzumerken, dass der BF (lediglich) aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen wurde und somit keine gem. § 38 Abs 2 AsylG im Zusammenhang mit der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung zu prüfende Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des BF in seinen Herkunftsstaat ausgesprochen wurde, sodass eine Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung jedenfalls im Wortlaut des AsylG keine Deckung finden würde.

 

4. Die Rechtssache war daher spruchgemäß an die Behörde erster Instanz zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Schlagworte
Kassation
Zuletzt aktualisiert am
30.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten