GZ. B16 254.510-0/2008/2E
ERKENNTNIS
Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Nowak als Vorsitzenden und den Richter Mag. Perl als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin VB Widhalm über die Beschwerde des M.A., geb. 00.00.1949, StA. Kroatien, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 15.10.2004, FZ. 04 11.201-BAT, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Absatz 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
I.
1. VERFAHRENSGANG:
1.1 Der Beschwerdeführer, ein kroatischer Staatsangehöriger, brachte am 29.05.2004 beim Bundesasylamt einen Asylantrag ein.
1.2 Am 02.06.2004 wurde der Beschwerdeführer von der Erstbehörde, Außenstelle Traiskirchen, einvernommen. Hierüber wurde eine Niederschrift aufgenommen, auf welche verwiesen wird. Im Wesentlichen brachte er vor, dass er zur serbischen Minderheit gehöre, welche Verfolgungen ausgesetzt wäre. Er hätte überhaupt keine Rechte in Kroatien und dürfe keiner Beschäftigung nachgehen. Er hätte oft Anzeige bei der Polizei erstattet, jedoch hätte diese ihn ausgelacht und die Anzeigen nicht entgegen genommen. In seinem Haus seien Flüchtlinge aus Bosnien untergebracht worden.
1.3 Am 22.09.2004 wurde der Beschwerdeführer ein weiteres Mal von der Erstbehörde, Außenstelle Traiskirchen, einvernommen. Hierüber wurde eine Niederschrift aufgenommen, auf welche verwiesen wird. Im Wesentlichen führte er aus, dass sein Haus nach dem Krieg von der kroatischen Regierung an bosnische Kroaten abgegeben worden sei. Er hätte über UNHCR vergebens versucht sein Haus zu erlangen.
Ferner verwies er nochmals darauf, dass er aufgrund seiner Angehörigkeit zur serbischen Volksgruppe keinen Arbeitsplatz in Kroatien bekommen habe.
1.4 Mit Bescheid vom 15.10.2004, Zahl 04 11.201-BAT, wies die Erstbehörde im Spruchteil I den Asylantrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997 ab, im Spruchteil II erklärte sie die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Kroatien gemäß § 8 Absatz 1 Asylgesetz für zulässig. Im Spruchteil III wies die Erstbehörde den Beschwerdeführer gemäß § 8 Absatz 2 Asylgesetz aus dem österreichischen Bundesgebiet aus.
Beweiswürdigend führte die Erstbehörde aus, dass den Ausführungen des Beschwerdeführers hinsichtlich der Untätigkeit der kroatischen Polizei die Glaubwürdigkeit abgesprochen würde.
1.5 Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde und brachte im Wesentlichen nochmals vor, als Angehöriger der serbischen Volksgruppe aus Kroatien vertrieben worden zu sein. Seine Existenzgrundlage sei durch die Abnahme seiner Besitztümer durch den kroatischen Staat völlig entzogen und sei es ihm als Angehöriger zur serbischen Volksgruppe nicht möglich, neuerlich eine Existenzgrundlage in Kroatien aufzubauen.
1.6 Mit Einrichtung des Asylgerichtshofes wurde der gegenständliche Verfahrensakt der Gerichtsabteilung B16 zugeteilt.
2. SACHVERHALT:
Der Beschwerdeführer hat seinen Asylantrag erkennbar auf Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zur serbischen Minderheit in Kroatien gestützt. Mit diesem Vorbringen hat sich die Erstbehörde nicht auseinandergesetzt.
II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:
1. Gemäß § 75 Abs. 7 Z 1 Asylgesetz 2005 idF Art. 2 BG BGBl. I 4/2008 sind Verfahren, die am 1. Juli 2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängig sind, vom Asylgerichtshof weiterzuführen.
Gemäß § 23 AsylGHG sind auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof - soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985, BGBl. Nr.10, nichts anderes ergibt - die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, das an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.
Gemäß § 44 Abs. 1 AsylG 1997 BGBl. I Nr. 76/1997 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBI. I Nr. 101/2003 werden Verfahren zur Entscheidung über Asylanträge und Asylerstreckungsanträge, die bis zum 30. April 2004 gestellt wurden, nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 126/2002 geführt. Anträge die danach gestellt wurden nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 in der Fassung des Bundesgesetzes idF. BGBI. I Nr. 101/2003.
Alle übrigen Verfahren werden nach den Bestimmungen des Asylgesetz 2005 (BGBl. 100/2005) geführt.
2. Gemäß § 66 Absatz 2 AVG kann der Asylgerichtshof den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Gemäß § 66 Absatz 3 AVG kann der Asylgerichtshof jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist (...)
Nach Ausführungen zur Frage der Anwendbarkeit des § 66 Abs. 2 AVG außerhalb des abgekürzten Berufungsverfahrens mit dem Ergebnis, dass von einer generellen Unzulässigkeit der Anwendung des § 66 Absatz 2 AVG nicht auszugehen sei, führt der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 21. November 2002, Zl. 2002/20/0315, aus, wie folgt:
"In diese Richtung gehen auch die Gesetzesmaterialen zu § 38 Asylgesetz (RV 686 BlgNR 20. GP 30), weil diese ausdrücklich die Geltung des AVG für das Verfahren vor dem Unabhängigen Bundesasylsenat betonen und daran anschließend hervorheben, dass die Möglichkeit der ¿Zurückverweisung' durch § 32 Asylgesetz ¿erweitert' worden sei, was in Bezug auf Berufungsverfahren vor der belangten Behörde, in denen § 32 Asylgesetz nicht anzuwenden ist, eine positive Anknüpfung an die in § 66 Absatz 2 AVG vorgesehene Zurückverweisungsmöglichkeit bedeutet (...).
Der Verwaltungsgerichthof hat im Erkenntnis vom 27. April 1989, Zl. 86/09/0012, Slg. Nr. 12.917/A, aus einer in den Verwaltungsvorschriften angeordneten zwingenden und ohne Ausnahme bestehenden Verpflichtung zur Durchführung einer Berufungsverhandlung trotz Fehlens einer ausdrücklichen Ausnahme hinsichtlich der Geltung des § 66 Abs. 2 AVG die Unanwendbarkeit dieser Bestimmung in einem solchen Berufungsverfahren gefolgert. Das steht aber zu der hier - für das Verfahren vor der belangten Behörde - zu Grunde gelegten gegenteiligen Auffassung schon deshalb nicht im Widerspruch, weil eine derartige uneingeschränkte Verhandlungspflicht für den Unabhängigen Bundesasylsenat nicht besteht. (...)
Die Berufungsbehörde darf eine kassatorische Entscheidung nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes, sondern nur dann treffen, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Die Berufungsbehörde hat dabei zunächst in rechtlicher Gebundenheit zu beurteilen, ob angesichts der Ergänzungsbedürftigkeit des ihr vorliegenden Sachverhaltes die Durchführung einer mündlichen Verhandlung als ¿unvermeidlich erscheint'. Für die Frage der Unvermeidlichkeit einer mündlichen Verhandlung im Sinne des § 66 Abs. 2 AVG ist es aber unerheblich, ob eine kontradiktorische Verhandlung oder nur eine Vernehmung erforderlich ist (vgl. etwa das Erkenntnis vom 14. März 2001, Zl. 2000/08/0200; zum Begriff ¿mündliche Verhandlung' iSd § 66 Abs. 2 AVG siehe auch die Nachweise im Erkenntnis vom 21.11.2002, Zl. 2000/20/0084)."
Nach grundsätzlicher Bejahung der Frage der Anwendbarkeit des § 66 Abs. 2 AVG durch den Unabhängigen Bundesasylsenat führte der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315 zur Frage der Gesetzmäßigkeit der Ermessensübung im Sinne des § 66 Abs. 2 und 3 AVG Folgendes aus:
"Der Gesetzgeber hat in Asylsachen ein zweiinstanzliches Verfahren (mit nachgeordneter Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts) eingerichtet, wobei der belangten Behörde die Rolle einer ¿obersten Berufungsbehörde' zukommt (Art. 129c Abs. 1 B-VG). In diesem Verfahren hat bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln und es ist gemäß § 27 Abs. 1 AsylG grundsätzlich verpflichtet, den Asylwerber dazu persönlich zu vernehmen. Diese Anordnungen des Gesetzgebers würden aber unterlaufen, wenn es wegen des Unterbleibens eines Ermittlungsverfahrens in erster Instanz zu einer Verlagerung nahezu des gesamten Verfahrens vor die Berufungsbehörde käme und die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen damit zur bloßen Formsache würde. Es ist nicht im Sinne des Gesetzes, wenn die Berufungsbehörde, statt ihre (umfassende) Kontrollbefugnis wahrnehmen zu können, jene Behörde ist, die erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und einer Beurteilung unterzieht..."
Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 21.11.2002, Zl. 2000/20/0084, zur Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG durch den Unabhängigen Bundesasylsenat ausgeführt: "In der Abstandnahme von der durch § 66 Abs. 3 AVG der Berufungsbehörde eingeräumten Möglichkeit, die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme selbst durchzuführen, ¿wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist', kann im vorliegenden Fall keine Ermessensfehler gelegen sein. Es trifft zwar zu, dass durch die mit der Kassation verbundene Eröffnung eines zweiten Instanzenzuges das Verfahren insgesamt verlängert werden kann. Dieser von Rohrböck (Das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl [1999] 492) offenbar verkannten Überlegung wurde in dem Vorerkenntnis vom 23. Juli 1998 bei der Deutung der Vorschriften über das abgekürzte Berufungsverfahren nach § 32 AsylG erhebliche Bedeutung beigemessen (Wiederin, ZUV 2000/1,20f). Im vorliegenden Fall geht es aber nicht um die Auslegung von Sondervorschriften über ein abgekürztes, der besonders raschen Verfahrensbeendigung dienendes Berufungsverfahren, sondern um die Interpretation des § 66 AVG außerhalb eines solchen Verfahrens.
Diesbezüglich ist zunächst auf die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, E 381f zu § 66 AVG, wiedergegebene Rechtsprechung zu verweisen, wonach es gemäß § 66 Abs. 3 AVG nicht auf das Gesamtverfahren, sondern nur auf die Ersparnis an Zeit und Kosten für die konkrete Amtshandlung ankommt. Unter diesem Gesichtspunkt wurde eine rechtswidrige Ausübung des Ermessens durch eine auf § 66 Abs. 2 AVG gestützte Entscheidung schon dann nicht angenommen, wenn die beteiligten Behörden ihren Sitz am selben Ort hatten (Erkenntnis vom 29. Jänner 1987, Zl. 86/08/0243).
Bei der Abwägung der für und gegen eine Entscheidung gemäß § 66 Abs. 2 AVG sprechenden Gesichtspunkte muss nämlich auch berücksichtigt werden, dass das Asylverfahren nicht nur möglichst kurz sein soll. Zur Sicherung seiner Qualität hat der Gesetzgeber einen Instanzenzug vorgesehen, der zur belangten Behörde und somit zu einer gerichtsähnlichen, unparteilichen und unabhängigen Instanz als besonderem Garanten eines fairen Asylverfahrens führt (vgl. bereits das Erkenntnis vom 16. April 2002, Zl. 99/20/0430). Die der belangten Behörde in dieser Funktion schon nach der Verfassung zukommende Rolle einer ¿obersten Berufungsbehörde' (Art. 129c 1 B-VG) wird aber ausgehöhlt und die Einräumung eines Instanzenzuges zur bloßen Formsache degradiert, wenn sich das Asylverfahren einem eininstanzlichen Verfahren vor der Berufungsbehörde nähert, weil es das Bundesasylamt ablehnt, auf das Vorbringen sachgerecht einzugehen und brauchbare Ermittlungsergebnisse in Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen. Diese über die Unvollständigkeit der Einvernahme hinaus gehenden Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens sprechen auch bei Bedachtnahme auf die mögliche Verlängerung des Gesamtverfahrens unter dem Gesichtspunkt, dass eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst bei der "obersten Berufungsbehörde" beginnen und zugleich - abgesehen von der im Sachverhalt beschränkten Kontrolle der letztinstanzlichen Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof - bei derselben Behörde enden soll, für die mit der Amtsbeschwerde bekämpfte Entscheidung."
3. Der Verwaltungsgerichtshof hat nun zusammengefasst in verschiedenen Erkenntnissen betont, dass eine umfangreiche und detaillierte Erhebung des asylrechtlich relevanten Sachverhaltes durch die Behörde erster Instanz durchzuführen ist. Im vorliegenden Fall ist dies in qualifizierter Weise unterlassen worden, dies aus folgenden Erwägungen:
Der gegenständliche erstinstanzliche Bescheid enthält zunächst keinerlei Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers. Weiters fehlen Feststellungen zur allgemeinen Lage in Kroatien, sowie Feststellungen hinsichtlich der serbischen Minderheit in Kroatien. Selbst bei unglaubwürdig erachtetem Vorbringen sind solche aber zumindest zur allgemeinen Lage und Rückkehrsituation notwendig. Es wäre daher jedenfalls erforderlich gewesen, Feststellungen zur allgemeinen Lage, zur Rückkehrsituation, sowie zur Zugehörigkeit zur serbischen Volksgruppe als kroatischer Staatsbürger zu treffen.
Aber auch die Beweiswürdigung der Erstbehörde erweist sich als grob mangelhaft, da sie sich lediglich auf ein Detail des Vorbringens stützt. Der Rest des Vorbringens wurde weder in den Feststellungen, noch in der Beweiswürdigung berücksichtigt.
Der Verwaltungsgerichtshof verlangt in seiner jüngsten Rechtsprechung eine ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens eines Asylwerbers unter dem Gesichtspunkt der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers und der objektiven Wahrscheinlichkeit seines Vorbringens, wobei letzteres eine Auseinandersetzung mit (aktuellen) Länderberichten verlangt (VwGH vom 26.11.2003, Zl.: 2003/20/0389). Aufgrund des augenscheinlich mangelnden Ermittlungsverfahrens der Erstbehörde - fehlende Feststellungen, qualifiziert mangelhafte Beweiswürdigung zur persönlichen Unglaubwürdigkeit, hat die Erstbehörde jedenfalls eine solche ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens nicht vorgenommen.
Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.