S9 400.777-1/2008/5E
ERKENNTNIS
Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. DRAGONI als Einzelrichter über die Beschwerde der L. O., geb. 00.00.1998, StA. SERBIEN, gesetzlich vertreten durch L.D., vertreten durch Mory & Schellhorn OEG, Rechtsanwaltsgemeinschaft in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19/5, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 21.07.2008, FZ. 08 00.904 - BAL, zu Recht erkannt:
Der Beschwerde wird gemäß § 66 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG, BGBl 1991/51 stattgegeben und der bekämpfte Bescheid ersatzlos behoben.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
I. Verfahrensgang und Sachverhalt:
1. Der minderjährige Beschwerdeführer, ein serbischer Staatsangehöriger, reiste am 23.01.2008 gemeinsam mit seinen Eltern über UNGARN kommend in das österreichischen Bundesgebiet ein und stellte am 24.01.2008 gesetzlich vertreten durch L.D. (Vater) den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Das Bundesasylamt richtete am 28.01.2008 auf der Grundlage der konkreten Angaben des Beschwerdeführers über seinen Reiseweg ein dringliches Aufnahmeersuchen gemäß Art. 10 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003 (Dublin II-VO) an die zuständige ungarische Behörde, welches am selben Tag elektronisch über DubliNET übermittelt wurde. Die Frist zur Beantwortung wurde darin gemäß Art. 17 Abs. 2 Dublin II VO auf ein Monat verkürzt. Die entsprechende Mitteilung gemäß § 28 Abs. 2, 2. Satz AsylG 2005 über die Führung von Konsultationen mit UNGARN erhielt der gesetzliche Vertreter des Beschwerdeführers am 29.01.2008. Mit Schreiben vom 08.07.2008 (eingelangt am 09.07.2008) erklärte sich UNGARN gemäß Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO für die Durchführung des Asylverfahrens der Beschwerdeführerin zuständig.
3. Auf Grundlage einer am 09.06.2008 bei der EAST-Ost durchgeführten Untersuchung übermittelte Dr. H., Ärztin für Allgemeinmedizin und Psychotherapeutische Medizin, am 12.06.2008 dem Bundesasylamt eine gutachtliche Stellungnahme im Zulassungsverfahren. Die Ärztin kam zum Schluss, dass der minderjährige Beschwerdeführer durch die Ereignisse, die seiner Mutter zugestoßen seien, bedingt belastet sei; dies sei bedingt krankheitswertig. In erster Linie sollte die Störung der Mutter behandelt werden; dann würde sich erfahrungsgemäß auch die Sorge des Beschwerdeführers und damit die Symptomatik verringern. Einziges Symptom als Ausdruck der Sorge um die Mutter und der Belastung durch die Entwurzelung scheine das nächtliche Einnässen zu sein. Es könne derzeit kein medizinischer Grund gegen eine Überstellung nach UNGARN genannt werden. Unabhängig vom Aufenthaltsort sei eine Besserung des Zustandes des Beschwerdeführers erst mit Besserung der Symptome der Mutter zu erwarten.
4. Mit Aktenvermerk des Bundesasylamtes EAST Ost vom 18.06.2008 wurde das gemäß § 27 Abs.1 Z 1 AsylG 2005 eingeleitete Ausweisungsverfahren gemäß § 27 Abs. 4 AsylG 2005 eingestellt, da die gesetzlichen Voraussetzungen für die Einleitung nicht mehr vorliegen würden.
5. Auf Grundlage einer am 02.07.2008 durchgeführten Untersuchung übermittelte Dr. L., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, am 09.07.2008 dem Bundesasylamt ein Psychiatrisches Gutachten, aus welchem hervorgeht, dass der Beschwerdeführer an einer psychischen Erkrankung in Form einer Auffälligkeits- und Anpassungsstörung entsprechend eines Belastungssyndroms mit depressiver Konfliktverarbeitung leide. Eine Behandlungsbedürftigkeit bestehe allerdings nicht. Unter förderlichen Bedingungen bzw. der Stabilisierung der Mutter werde durch die Entlastung eine Besserung eintreten. Im Falle einer Überstellung nach UNGARN sei eine lebensbedrohliche Verschlechterung unwahrscheinlich. Wesentlich sei die Aufrechterhaltung des familiären Verbandes bzw. der Verbleib in einer harmonischen und angstfreien Atmosphäre und der Beginn einer pädagogischen bzw. psychotherapeutischen Behandlung.
6. Bei der am 14.07.2008 stattgefundenen niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt, Außenstelle Linz, wurden die Mutter und Vater des minderjährigen Beschwerdeführers einvernommen. Der Vater des Beschwerdeführers gab an, dass er den gemeinsamen minderjährigen Sohn gesetzlich vertrete. Die gemachten Angaben würden auch für diesen gelten.
7. Mit Schreiben vom 18.07.2008 (eingelangt am 21.07.2008) nahm der Beschwerdeführervertreter zur geplanten Überstellung nach UNGARN und zu den getroffenen länderkundlichen Feststellungen wie folgt Stellung:
Das Bundesasylamt sei an die im Akt befindliche Zulassungsentscheidung der EAST-Ost gebunden, insbesondere deshalb, weil sich die Faktenbasis nicht verändert habe. Eine Zurückweisung des Antrages auf internationalen Schutz sei daher aus rechtstheoretischen Gründen nicht mehr möglich.
Des Weiteren sei dem Akt aufgrund der mehrfachen gutachtlichen Stellungnahmen bzw. Psychiatrischen Gutachten zu entnehmen, dass der psychische Zustand der Mutter des Beschwerdeführers äußerst kritisch sei. Jede zusätzliche Belastung könne zu einem suizidalen Geschehen führen. Sie habe in ÖSTERREICH erstmals Kontakt mit einer weiblichen Person aus demselben Kulturkreis und mit denselben Erfahrungen, der sie sich öffnen könne. Eine Ausweisung nach UNGARN sei in einer solchen Situation daher das allerschlechteste. Es drohe eine Verschlechterung der psychischen Erkrankung bis hin zu einem möglichen Suizid.
Im Zusammenhang mit den Länderfeststellungen zu UNGARN ergäbe sich ebenfalls eine Vielzahl von Fragen. Die länderkundlichen Feststellungen gäben keinerlei konkrete Auskünfte darüber, ob die Mutter des Beschwerdeführers in UNGARN überhaupt die Möglichkeit haben werde, psychiatrisch betreut und therapiert zu werden.
Überdies liege eine Art. 8 EMRK-relevante Anknüpfung in ÖSTERREICH vor. Die Vertrauensperson der Mutter des Beschwerdeführers lebe in Österreich. Diese übe einen überaus positiven Einfluss auf sie aus. Sie benötige dringend ein einigermaßen stabiles, sicheres, menschenwürdiges und angenehmes Lebens- und Wohnumfeld. Die Mutter des Beschwerdeführers sei aufgrund ihrer Erkrankung daher darauf angewiesen, in ÖSTERREICH aufhältig zu bleiben.
Auch in Bezug auf den Beschwerdeführer selbst würden ähnliche Bedenken einer Überstellung der Familie nach UNGARN entgegenstehen.
8. Mit dem verfahrensgegenständlichen Bescheid vom 21.07.2008, Zahl:
08 00.904-BAL, wurde der Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und festgestellt, dass für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz gemäß Art. 10 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003 UNGARN zuständig sei. Gleichzeitig wurde der nunmehrige Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach UNGARN ausgewiesen und festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung und Abschiebung nach UNGARN gemäß § 10 Abs. 4 AsylG 2005 zulässig sei. Das Bundesasylamt traf umfangreiche länderkundliche Feststellungen zu UNGARN, insbesondere zum ungarischen Asylwesen sowie zur medizinischen Versorgung. Beweiswürdigend hielt die Erstbehörde im Wesentlichen fest, dass der nunmehrige Beschwerdeführer keine stichhaltigen Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht habe, dass er konkret Gefahr liefe, in UNGARN Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden oder dass ihm durch die Überstellung eine Verletzung der durch Art. 3 EMRK oder Art. 8 EMRK gewährleisteten Rechte drohen könnte. Der Bescheid wurde am 22.07.2008 vom gesetzlichen Vertreter des Beschwerdeführers nachweislich übernommen. Laut Aktenvermerk vom 28.07.2008 wurde der Bescheid vom zustellbevollmächtigten Vertreter des Beschwerdeführers am gleichen Tag übernommen.
10. Gegen den genannten Bescheid richtet sich die fristgerecht am 30.07.2008 eingebrachte Beschwerde, in welcher im Wesentlichen die Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften behauptet wurde. Im Wesentlichen verwies der Beschwerdeführer auf die am 21.07.2008 eingebrachte Stellungnahme. Als Beschwerdegründe wurden die Bindung an die Zulassungsentscheidung des Bundesasylamtes, Erstaufnahmestelle Ost, sowie der Gesundheitszustand der Mutter des Beschwerdeführers (Art. 3 EMRK-Verletzung) geltend gemacht.
11. Mit Beschluss des Asylgerichtshofes vom 08.08.2008, Zahl: S9 400.777-1/2008/2Z, wurde der Beschwerde gemäß § 37 Abs. 1 AsylG 2005 die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
12. Am 14.08.2008 langte beim Asylgerichtshof eine Nachreichung zur Beschwerdevorlage ein, mit welcher die Beschwerde betreffend den Großeltern und dem Onkel des Beschwerdeführers vorgelegt wurde. Der Beschwerdeschriftsatz der Familienangehörigen wurde als Berufungsergänzung eingereicht und wurde Folgendes vorgebracht:
Die erstinstanzliche Entscheidung stehe in Widerspruch zu Art. 3 und 8 EMRK und sei daher grundrechtswidrig. Das Bundesasylamt habe es unterlassen, die individuelle Gefährdungs- und Bedrohungslage des Beschwerdeführers (im Herkunftsstaat Kosovo aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Minderheit sowie in Ungarn) zu erheben noch die konkrete physische und psychische Konstitution der Mutter des Beschwerdeführers festzustellen. Aufgrund von Art. 8 EMRK sei es grundrechtswidrig, die Familien (L. und M.) zu trennen, zumal die Familienmitglieder an psychischen Störungen leiden würden.
Weiters sei nicht ausreichend ermittelt worden, welche asylrechtlichen Schutzmöglichkeiten und welche medizinischen Behandlungsmöglichkeiten sowie welche Lebensbedingungen der Beschwerdeführer in UNGARN vorfinden werde und welche Auswirkungen die Überstellung und Abschiebung nach UNGARN auf den Gesundheitszustand und die Gefährdungslage der Ehegattin des Beschwerdeführers haben könnte.
13. Die Beschwerde der Mutter des Beschwerdeführers, L.S., wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom heutigen Tag, GZ: S9 400.776-1/2008/5E, gemäß § 41 Abs. 3 AsylG 2005 stattgegeben und der bekämpfte Bescheid ersatzlos behoben.
II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:
Rechtlich ergibt sich Folgendes:
1. Mit Datum 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG 2005) und ist auf alle ab diesem Zeitpunkt gestellten Asylanträge anzuwenden. Im gegenständlichen Fall wurde der Asylantrag am 11.03.2008 gestellt, weshalb § 5 AsylG 2005 zur Anwendung gelangt.
2. Gemäß § 34 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 gilt der Antrag auf internationalen Schutz eines Familienangehörigen (§ 2 Z 22) eines Asylwerbers als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.
Gemäß § 34 Abs. 4 AsylG 2005 hat die Behörde Asylanträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen und es erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid.
§ 36 Abs. 3 AsylG 2005 besagt, dass wenn gegen eine zurückweisende oder abweisende Entscheidung im Familienverfahren auch nur von einem betroffenen Familienmitglied Berufung erhoben wird, gilt diese auch als Berufung gegen die die anderen Familienangehörigen (§ 2 Z 22) betreffenden Entscheidungen; keine dieser Entscheidungen ist dann der Rechtskraft zugänglich. Allen Berufungen gegen Entscheidungen im Familienverfahren kommt aufschiebende Wirkung zu, sobald zumindest einer Berufung im selben Familienverfahren aufschiebende Wirkung zukommt.
Gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 ist Familienangehöriger, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung unverheiratetes minderjähriges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Familieneigenschaft bei Ehegatten bereits im Herkunftsstaat bestanden hat.
2.1. Der Beschwerdeführer ist der minderjährig Sohn der L.S. und des L.D. und daher Familienangehörige im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005. Er hat selbst keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht. Der Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers gilt daher gemäß § 34 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes wie jener seiner Mutter.
Der Beschwerde der Mutter des Beschwerdeführers, L.S., wurde, wie oben ausgeführt, mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom heutigen Tag, gemäß § 66 Abs. 4 AVG stattgegeben und der bekämpfte Bescheid ersatzlos behoben.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Vorgängerbestimmung des § 34 Abs. 4 AsylG 2005 (§ 10 Abs. 5 AsylG 1997 idF BGBl. I Nr. 101/2003) bedeutet dies, dass in dem Fall, wenn der Bescheid auch nur eines Familienangehörigen behoben und die Angelegenheit zur Durchführung des materiellen Verfahrens an das Bundesasylamt zurückverwiesen wurde, dies auch für die Verfahren aller anderen Familienangehörigen gilt (vgl. VwGH vom 18.10.2005, Zl. 2005/01/0402).
2.2. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
3. Da der hier maßgebliche Sachverhalt durch die Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde eindeutig geklärt war, konnte die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung unterbleiben. Dem bleibt hinzuzufügen, dass der Asylgerichtshof gemäß § 41 Abs. 4 AsylG 2005 über Beschwerden gegen zurückweisende Bescheide im Zulassungsverfahren grundsätzlich ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung entscheiden kann.