E3 229.175-4/2008-14E
ERKENNTNIS
Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. HERZOG-LIEBMINGER als Vorsitzende und den Richter Mag. HUBER-HUBER als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin Fr. MITTERMAYR über die Beschwerde des M.B. auch M.V., geb. 00.00.1966, StA. Iran, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 07.04.2003, FZ. 01 28.020-BAT, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
I. Verfahrensgang
1. Der erstinstanzliche Verfahrensgang ergibt sich aus dem Verwaltungsakt des Bundesasylamtes. Der Beschwerdeführer (nachfolgend: BF) stellte am 01.12.2001 einen Asylantrag und wurde am 09.01.2002 niederschriftlich zu seinem Asylantrag einvernommen.
2. Mit Bescheid vom 16.05.2002, FZ. 01 28.020-BAT, wies das Bundesasylamt den Asylantrag gemäß § 6 Ziffer 2 und 3 und § 8 AsylG ab. Dagegen wurde fristgerecht Berufung erhoben.
3. Nach Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung hat der Unabhängige Bundesasylsenat mit Bescheid vom 23.12.2002, Zahl:
229.175/0-VI/42/02, der Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid gemäß § 32 Absatz 2 AsylG stattgegeben, den angefochtenen Bescheid behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und Erlassung eines Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen. Im wesentlichen mit der Begründung, dass die Voraussetzungen für eine Abweisung des Asylantrages gemäß § 6 Ziffer 2 und 3 AsylG nicht vorlägen. Aufgrund des Umstandes, dass der Berufungswerber armenischer Christ sei und er ein Vorbringen erstattet habe, welchem grundsätzlich Asylrelevanz zukommen kann und dieses überdies nicht vorweg als tatsachenwidrig angesehen werden könne, sei das Tatbestandselemente "offensichtlich" im Sinne des § 6 AsylG nicht erfüllt.
4. Die Erstbehörde hat in weiterer Folge - ohne weitere Verfahrensschritte - mit Bescheid vom 07.04.2003, FZ. 01 28.02ß-BAT, zugestellt am 09.04.2003, den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß §§ 7, 8 AsylG ab.
5. Dagegen wurde am 16.04.2003 Berufung (nunmehr als Beschwerde zu werten) eingebracht.
6. Mit Einrichtung des Asylgerichtshofes wurde der gegenständliche Verfahrensakt der Gerichtsabteilung E3 zugeteilt.
II. DER ASYLGERICHTSHOF HAT ERWOGEN:
1. Am 1. Juli 2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren sind vom Asylgerichtshof nach Maßgabe des § 75 AsylG 2005 idF. BGBl. I Nr. 4/2008 weiterzuführen.
Gem. § 23 des Bundesgesetzes über den Asylgerichtshof, BGBl. I, Nr. 4/2008 (Asylgerichtshofgesetz - AsylGHG) idgF sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr.51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt, weshalb im gegenständlichen Fall im hier ersichtlichen Umfang das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG, BGBl. Nr.51 zur Anwendung gelangt.
Gemäß § 66 Abs. 4 AVG hat die erkennende Behörde, sofern die Beschwerde nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, im Spruch und in der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.
Im vorliegenden Fall war das AsylG 1997, BGBl. I Nr. 76 in der Fassung BGBl. I Nr. 126/2002, die §§ 8, 15, 22, 23 Abs. 3, 5 und 6, 36, 40 und 40a in der Fassung BGBl. I Nr. 101/2003 (im Folgenden: "AsylG 1997"), das AVG, BGBl. Nr. 51/1991 in der geltenden Fassung und das ZustG, BGBl. Nr. 200/1982 in der geltenden Fassung anzuwenden. Hinsichtlich des Verfahrens vor dem Asylgerichthof waren die einschlägigen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005, BGBl. I Nr. 100 in der geltenden Fassung (im Folgenden: "AsylG 2005") anzuwenden.
2. Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde (kraft oben zitierter Bestimmung auch der AsylGH, es bestehen diesbezüglich keine materiellrechtlichen Sondernormen), so der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen.
Gemäß Absatz 3 dieser Gesetzesstelle kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.
Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnissen vom 21. November 2002, Zl. 2002/20/0315 und Zl. 2000/20/0084, grundsätzliche Ausführungen zur Anwendbarkeit des § 66 Abs. 2 AVG im Asylverfahren im Allgemeinen und durch den Unabhängigen Bundesasylsenat im Besonderen getätigt. Dabei hat er im letztgenannten Erkenntnis insbesondere ausgeführt:
"Bei der Abwägung der für und gegen eine Entscheidung gemäß § 66 Abs. 2 AVG sprechenden Gesichtspunkte muss nämlich auch berücksichtigt werden, dass das Asylverfahren nicht nur möglichst kurz sein soll. Zur Sicherung seiner Qualität hat der Gesetzgeber einen Instanzenzug vorgesehen, der zur belangten Behörde und somit zu einer gerichtsähnlichen, unparteilichen und unabhängigen Instanz als besonderem Garanten eines fairen Asylverfahrens führt (vgl. bereits das Erkenntnis vom 16. April 2002, Zl. 99/20/0430). Die der belangten Behörde in dieser Funktion schon nach der Verfassung zukommende Rolle einer ¿obersten Berufungsbehörde' (Art. 129c 1 B-VG) wird aber ausgehöhlt und die Einräumung eines Instanzenzuges zur bloßen Formsache degradiert, wenn sich das Asylverfahren einem eininstanzlichen Verfahren vor der Berufungsbehörde nähert, weil es das Bundesasylamt ablehnt, auf das Vorbringen sachgerecht einzugehen und brauchbare Ermittlungsergebnisse in Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen."
In Erkenntnis vom 17.10.2006 (Zl 2005/20/0459) hat der VwGH betont, dass eine Behebung nach § 66 Abs 2 AVG nur zulässig ist, wenn eine weitere Verhandlung/Einvernahme erforderlich ist, was nicht der Fall wäre, wenn die Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens durch schriftliches Parteiengehör saniert hätten werden können.
3. Der Verwaltungsgerichtshof hat nun zusammengefasst in verschiedenen Erkenntnissen betont, dass eine umfangreiche und detaillierte Erhebung des asylrechtlich relevanten Sachverhaltes durch die Behörde erster Instanz durchzuführen ist. Im vorliegenden Fall ist dies in qualifizierter Weise unterlassen worden, dies aus folgenden Erwägungen:
Der erstinstanzliche Bescheid enthält keinerlei Feststellungen zur Situation im Iran. Auch bei unglaubwürdigem Vorbringen sind aber jedenfalls Erhebungen zur allgemeinen Lage und Rückkehrsituation nach erfolgloser Asylantragstellung zu treffen. Im gegenständlichen Fall wären aber jedenfalls auch Feststellungen zur Situation von armenischen Christen im Iran sowie zu Repressalien des iranischen Staates bei unmoralischen Verhaltens aufzunehmen gewesen bzw. Ermittlungen hinsichtlich des Vorbringens des BF anzustellen gewesen.
Insbesondere hat der Unabhängige Bundesasylsenat im Kassationsbescheid festgestellt, dass nicht per se von der Unglaubwürdigkeit des Vorbringens des Antragstellers ausgegangen werden könne, zumal die Widersprüche in den Aussagen nicht zweifelsfrei darlegen würden, dass das Vorbringen eindeutig als tatsachenwidrig anzusehen sei und auch aufgrund des persönlich in der Verhandlung gewonnnen Eindruckes die Behauptung, dass der Bruder des Antragstellers über keine Schulbildung verfüge und auch dessen Einfluss von Drogen Ursache für die Widersprüche im Vorbringen sein könne, insbesondere auch im Konnex zum Vorbringen des Bruder, nicht evidentermaßen unzutreffend sei. Es wäre sohin jedenfalls Aufgabe der Erstbehörde gewesen, im Rahmen einer nochmaligen Einvernahmen eine Glaubwürdigkeitsprüfung des Vorbringens anzustellen. Auch hätte sich die Erstbehörde mit dem seitens des Antragstellers in der Berufungsverhandlung neu erstattetem Vorbringen, dass er den Iran auch deshalb verlassen habe, weil er sehr viele Schulden habe, beweiswürdigend auseinander zu setzen gehabt. Indem die Erstbehörde im angefochtenen Bescheid die Beweiswürdigung des Bescheides vom 16.05.2002, FZ. 01 28.020-BAT , welchen der UBAS mit Bescheid vom 23.12.2002, Zahl: 229.175/0-VI/42/02 behoben hat, zur Gänze übernommen hat und im fortgesetzten Verfahren keine weitere Prüfung der Glaubwürdigkeit angestellt hat, ist das Verfahren jedenfalls mit Rechtswidrigkeit behaftet.
Der Asylgerichtshof verkennt nicht, dass die einzelnen Ungereimtheiten und Widersprüche im Vorbringen des BF Anlass für den Befund der Unglaubwürdigkeit geben können, aber dennoch hätte eine ergänzende Erörterung der Glaubwürdigkeit des Vorbringens, basierend auf individuellen Feststellungen, stattzufinden gehabt.
Zu Frage der Glaubwürdigkeit und auch zur Erörterung der Ländersituation wird eine ergänzende Einvernahme des Antragstellers durchzuführen sein. Überdies wird die Erstbehörde auch den aktuellen Gesundheitszustand des BF (vgl. den ärztlichen Befund des AKH N. vom 00.00.2006) festzustellen haben.
Darüber hinaus ist die rechtliche Würdigung der Erstbehörde zu Spruchpunkt I, nämlich dass selbst bei Glaubwürdigunterstellung des Vorbringens diesem keine Asylrelevanz zukomme, jedenfalls verfehlt und hat die Erstbehörde die entscheidungsrelevante Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Verbindung von Staat und Religion sowie zur Unverhältnismäßigkeit von Bestrafungen bei unmoralischen Verhalten im Iran völlig außer Acht gelassen. Auch damit wird sich die Erstbehörde im fortgesetzten Verfahren jedenfalls auseinander zu setzen haben.
Der Verwaltungsgerichtshof verlangt in seiner jüngsten Rechtsprechung eine ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens eines Asylwerbers unter dem Gesichtspunkt der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers und der objektiven Wahrscheinlichkeit seines Vorbringens, wobei letzteres eine Auseinandersetzung mit (aktuellen) Länderberichten verlangt (VwGH vom 26.11.2003, Zl.: 2003/20/0389). Aufgrund des augenscheinlich mangelnden Ermittlungsverfahrens der Erstbehörde - fehlende Feststellungen, qualifiziert mangelhafte Beweiswürdigung zur persönlichen Unglaubwürdigkeit, mangelnde Würdigung von Beweismitteln - hat die Erstbehörde jedenfalls eine solche ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens nicht vorgenommen, da das Bundesasylamt dieses offensichtlich nicht anhand der konkret entscheidungsrelevanten aktuellen Situation gewürdigt hat.
Aus Sicht der Berufungsbehörde verstößt das Prozedere der Erstbehörde somit gegen die von § 28 AsylG 1997 determinierten Ermittlungspflichten. Der für den Umfang der Ermittlungspflicht maßgebliche § 28 AsylG bestimmt nämlich, dass die Asylbehörden in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen durch Fragestellung oder in anderer geeigneter Weise darauf hinzuwirken haben, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amts wegen beizuschaffen. Diese Rechtsnorm, die eine Konkretisierung der aus § 37 AVG i.V.m. § 39 Abs. 2 leg. cit. hervorgehenden Verpflichtung der Verwaltungsbehörde, den maßgeblichen Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln und festzustellen ist, hat die Erstbehörde in diesem Verfahren missachtet.
Es hätte jedenfalls im Sinne des § 45 Abs 3 AVG auch einer Konfrontation der Partei mit dem (wie oben aufgezeigt) amtswegig zu ermittelnden Sachverhalt und den diesbezüglichen Beweismitteln bedurft. Den Parteien ist das Ergebnis der behördlichen Beweisaufnahme in förmlicher Weise zur Kenntnis zu bringen und ausdrücklich unter Setzung einer angemessenen Frist Gelegenheit zu geben, zu diesen Ergebnissen Stellung zu nehmen (VwGH 05.09.1995, Zl. 95/08/0002), was nicht geschehen ist. Gegenstand des Parteiengehörs sind sämtliche Ergebnisse der Beweisaufnahme. Auch soweit die Behörde bestimmte Tatsachen als offenkundig behandelt, ist dies der Partei bekannt zu geben (VwGH 17.10.1995, Zl. 94/08/0269). Gemäß der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 27.02.2003, Zl. 2000/18/0040) ist die Verletzung des Parteiengehörs zwar saniert, wenn im Bescheid die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens dargelegt werden und die Partei die Möglichkeit hat, in ihrer Berufung dagegen Stellung zu nehmen - Voraussetzung einer solchen Sanierung ist aber, dass in der erstinstanzlichen Bescheidbegründung tatsächlich alle Beweisergebnisse dargelegt werden, da ansonsten die Berufungsbehörde das Parteiengehör einräumen müsste (VwGH 25.03.2004, Zl. 2003/07/0062). Durch die oben dargestellte mangelhafte Bescheidbegründung ist dieses Erfordernis aber mit Sicherheit nicht erfüllt.
4. Im gegenständlichen Fall ist der angefochtene Bescheid des Bundesasylamtes und das diesem zugrunde liegende Verfahren im Ergebnis so mangelhaft, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Weder erweist sich der Sachverhalt in Verbindung mit der Beschwerde als geklärt, noch ergibt sich aus den bisherigen Ermittlungen sonst zweifelfrei, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspräche. Im Gegenteil ist das Verfahren der Erstbehörde mit den unter Punkt 3 oben dargestellten schweren Mängeln behaftet. Sämtliche Erhebungen, welche grundsätzlich von der Erstbehörde durchzuführen sind, wären demnach durch den Asylgerichtshof zu tätigen, sohin verbietet sich unter Berücksichtigung der oben dargestellten Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes und unter Effizienzgesichtspunkten eine Heranziehung des § 66 Abs 3 AVG.
Der Asylgerichtshof verkennt dabei nicht, dass das gegenständliche Verfahren bereits seit April 2003 bei der Berufungsbehörde anhängig war; aufgrund der Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens ist die Anwendung des § 66 Abs 2 AVG jedoch im vorliegenden Fall gerechtfertigt.
5. Die Rechtssache war daher spruchgemäß an die Behörde erster Instanz zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Die Erstbehörde wird im fortzusetzenden Verfahren die dargestellten Verfahrensschritte nachzuholen haben; insbesondere eine individuelle Würdigung der Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers auf Basis einer ergänzenden eingehenden Befragung vorzunehmen und aktuelle einzelfallbezogene Feststellungen zur Lage im Iran zu treffen haben. Auf § 44 Abs 3 AsylG 1997 idgF ist Bedacht zu nehmen.