TE AsylGH Erkenntnis 2008/09/15 B9 240025-0/2008

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Veröffentlicht am 15.09.2008
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Spruch

B9 240.025-0/2008/9E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat gemäß § 61 iVm § 75 Abs. 7 Ziffer 3 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 4/2008, (AsylG 2005) und 66 Abs. 4 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG), durch die Richterin Mag. Ursula SAHLING als Vorsitzende und den Richter Mag. Stefan HUBER als Beisitzer über die Beschwerde des Q.A., geboren am 00.00.1982, kosovarischer Staatsangehöriger, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 22.07.2003, Zl. 02 32.979 - BAE, zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde wird stattgegeben und Q.A. gemäß § 7 Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 idF BG BGBl. I Nr. 126/2002 (AsylG), Asyl gewährt. Gemäß § 12 leg. cit. wird festgestellt, dass Q.A. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang:

 

Der Beschwerdeführer ist gemeinsam mit seiner Mutter Q.V., geb. 00.00.1954, aus dem Kosovo geflüchtet und hat am 13.11.2002 gemeinsam mit seiner Mutter den verfahrensgegenständlichen Antrag gestellt.

 

Mit dem angefochtenen Bescheid wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers vom 13.11.2002 gemäß § 7 AsylG ab (Spruchpunkt I.) und erklärte gemäß § 8 AsylG seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Serbien und Montenegro, Provinz Kosovo für zulässig (Spruchpunkt II.).

 

Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht eingebrachte, nun als Beschwerde (vgl. dazu weiter unten) zu behandelnde (und daher in Folge so bezeichnete) Berufung.

 

Mit Erkenntnissen des Asylgerichtshofes vom 26.08.2008 GZ. B3 247.638-0/2008/8E und GZ. B3 247.431-0/2008/11E wurde seiner Schwester Q.V. und seinem Cousin Q.H. die Flüchtlingseigenschaft wegen ihrer gemischt-ethnischen Abstammung bzw. wegen ihrer Angehörigeneigenschaft zu ihrem Vater aus dem Konventionsgrund der "sozialen Gruppe" der Familie zuerkannt.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Folgender Sachverhalt wird der Entscheidung zugrunde gelegt:

 

1.1. Zur hier relevanten Situation im Kosovo:

 

Seit der Veröffentlichung des UNHCR-Positionspapiers vom März 2005 hat sich die Sicherheitslage im Kosovo schrittweise verbessert. Die Anzahl der Minderheitenangehörigen, die für die Provisorischen Selbstverwaltungsorgane im Kosovo (PISG) und für das Kosovo Protection Corps (KPC) arbeiten, ist gestiegen; die Freizügigkeit hat sich grundsätzlich verbessert; eine Reihe von wichtigen Maßnahmen wurde unternommen, um den Eigentumsschutz zu stärken; zur Überwachung des Zugangs von Minderheiten zu öffentlichen Einrichtungen wurde eine Inter-Ministerielle Kommission eingerichtet.

 

Die UN-Verwaltung der Vereinten Nationen im Kosovo (UNMIK) berichtete im Mai 2006, dass die Kriminalitätsstatistik im ersten Quartal dieses Jahres für Delikte, bei denen ein ethnischer Hintergrund nicht ausgeschlossen werden konnte, merklich gesunken sei. Trotz dieser Verbesserungen bleibt die Sicherheitssituation - wenn auch stabil - fragil und in gewisser Weise unvorhersehbar. Während die Anzahl der an die Öffentlichkeit gebrachten schweren ethnisch-motivierten Verbrechen insgesamt zurückgegangen ist, sind serbische Volkszugehörige weiterhin von einer beachtlichen Zahl von Zwischenfällen betroffen.

 

Angehörige ethnischer Minderheiten sind auch weiterhin Opfer von ethnisch motivierten sicherheitsrelevanten Zwischenfällen geringerer Intensität wie z.B. tätlichen und verbalen Angriffen und Drohungen, Brandstiftungen, Steinwürfen, Einschüchterungen, Belästigungen, Plünderungen, aber auch von schwereren Übergriffen, wie z.B. Schießereien und Ermordungen. Viele dieser Zwischenfälle werden nicht zur Anzeige gebracht, da die Opfer Vergeltungsmaßnahmen durch die aus der Mehrheitsgemeinschaft stammenden Täter befürchten. Zwischenfälle gegen Angehörige der albanischen Mehrheit wurden in der Nähe der Hauptbrücke von Mitrovica berichtet, wo es im Rahmen von Ausweiskontrollen durch serbische so genannte Brückenbeobachter u. a. zu Einschüchterungen und physischen Tätlichkeiten kam. Angehörige der Volksgruppe der Roma zögern, der kosovarischen Polizei (KPS) oder der serbischen Polizei (SUP), die im nördlichen Teil des Kosovo tätig ist, solche Zwischenfälle anzuzeigen. Der Grund dafür liegt möglicherweise in ihrer sozial und wirtschaftlich schwachen Stellung und dem Mangel an Vertrauen in die Fähigkeit oder den Willen der dortigen Behörden, sie vor Vergeltungsmaßnahmen zu schützen. Hinzu kommt, dass Roma nur selten das Gerichtssystem in Anspruch nehmen, z.B. weil sie in entlegenen Gebieten leben.

 

Die Durchsetzung der Strafverfolgung wird von vielen Beobachtern als unzureichend bewertet, wenn es um strafrechtliche Handlungen mit ethnischem Hintergrund geht. Das Unvermögen, die Täter vieler - bekannt gewordener - schwerer Straftaten einer gerechten Strafe zuzuführen, trägt zu einem Klima der Straflosigkeit bei, das durch die ethnisch ungleiche Zusammensetzung der örtlichen Strafverfolgungsbehörden noch verschärft wird.

 

...

 

Vor dem Hintergrund der derzeit fragilen Sicherheitssituation im Kosovo und der nach wie vor vorherrschenden Einschränkungen grundlegender Menschenrechte der Kosovo-Serben, Roma und Kosovo-Albaner in einer Minderheitensituation bekräftigt UNHCR seine Auffassung, dass für Angehörige dieser Volksgruppen nach wie vor ein Verfolgungsrisiko besteht und diese Minderheiten in ihren jeweiligen Zufluchtsstaaten als Flüchtlinge im Sinne von Artikel 1 A (2) des Abkommens von 1951 und des Protokolls von 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge betrachtet werden sollten. Für den Fall, dass ein Staat nach nationaler Gesetzeslage keinen Flüchtlingsstatus gewähren kann, aber die Person nicht vom internationalen Schutz ausgeschlossen ist, sollte komplementärer Schutz gewährt werden. Die

 

Rückkehr von Angehörigen dieser Personengruppen sollte ausschließlich auf einer strikt freiwilligen Grundlage erfolgen. Personen, die den Wunsch äußern, freiwillig zurückzukehren, sollten dies aus freiem Willen und in voller Kenntnis der gegenwärtigen Situation im Kosovo tun können.

 

...

 

In der gegenwärtig komplexen Situation im Kosovo können auch Personen, die nicht einer der oben ausdrücklich genannten Personengruppen angehören, eine begründete Furcht vor Verfolgung aus einem der Konventionsgründe haben. Diese Personen können aus Volksgruppen stammen, die nicht als besonders schutzbedürftig bezeichnet wurden oder anderen schutzbedürftigen Personengruppen angehören. Nicht abschließende Beispiele dafür sind:

 

Personen in gemischt-ethnischen Ehen oder von gemischt-ethnischer Abstammung/Herkunft;

 

Personen, die der Zusammenarbeit mit dem serbischen Regime nach 1990 verdächtigt werden;

 

Opfer von Menschenhandel.

 

Quelle: UNHCR-Position zur fortdauernden Schutzbedürftigkeit von Personen aus dem Kosovo vom Juni 2006 (Beilage D zur VS, S. 3ff und 9)

 

1.2. Zur Person und den Fluchtgründen:

 

Der Beschwerdeführer wurde am 00.00.1982 in G. geboren. Er trägt den im Spruch angeführten Namen und ist kosovarischer Staatsbürger. Väterlicherseits ist er albanischer und mütterlicherseits serbischer Abstammung.

 

Nach den Angaben seiner Schwester Q.V. stand der Vater im Dienste der serbischen Polizei. Ihm wurde von der albanischen Bevölkerung unterstellt, für Massaker an Albanern verantwortlich gewesen zu sein. Deswegen kam es immer wieder zu Übergriffen auf die Schwester des Beschwerdeführers und ihre Familienangehörigen. Im Jahre 1996 zog ihr Cousin Q.H., dessen Vater ein Angehöriger der albanischen Volksgruppe ist und dessen Mutter der Volksgruppe der Roma angehört, zu ihnen, um sie gegen Übergriffe der Bevölkerung zu schützen. Am 00.00.1997 wurde er von vier Personen albanischer Volksgruppenzugehörigkeit entführt. Sie verlangten von ihm, die Mutter des Beschwerdeführers wegen ihrer serbischen Herkunft zu ermorden und ihnen die Waffen des Vaters des Beschwerdeführers, die dieser als Polizist besaß, auszuhändigen. Da sich der Cousin des Beschwerdeführers weigerte, wurde er geschlagen und schließlich mit dem Kopf gegen eine heiße Herdplatte gedrückt, wovon er noch immer sichtbare Narben trägt. Weder der Vater des Beschwerdeführers bzw. die Sicherheitsbehörden konnten die Täter ausforschen. Am 00.00.1998 wurde der Vater des Beschwerdeführers auf Grund seiner Tätigkeit für die serbische Polizei von Angehörigen der UCK erschossen. Der ältere Bruder des Beschwerdeführers wurde im Sommer 1999 infolge seiner Anzeige eines Autodiebstahls mehrere Tage bei der Polizei festgehalten und verhört. Im Juni 2001 wurde die Schwester des Beschwerdeführers auf dem Weg zur Arbeit - sie arbeitete für die KFOR - von zwei Männern wegen ihrer serbischen Abstammung beschimpft und in weiterer Folge in ein Auto gezerrt. Dort versuchten sie, die Schwester des Beschwerdeführers zu vergewaltigen, ließen jedoch von ihr ab, als KFOR-Soldaten vorbeifuhren. Da es immer wieder zu Übergriffen kam, flüchteten am 10. November 2002 (zunächst) die Mutter und der Beschwerdeführer aus dem Kosovo nach Österreich, wo sie jeweils einen Asylantrag stellten. Als am 22. Dezember 2002 der ältere Bruder des Beschwerdeführer zu Hause überfallen, geschlagen und ausgeraubt wurde, flüchtete die Schwester gemeinsam mit dem älteren Bruder und ihrem Cousin in Begleitung der UNMIK nach Prizren, wo sie ihre Flucht aus dem Kosovo vorbereiteten. Am 14. März 2003 flüchtete die Schwester des Beschwerdeführers schließlich gemeinsam mit ihrem Cousin aus dem Kosovo.

 

Der ältere Bruder des Beschwerdeführers flüchtete am 04.10.2003 gemeinsam mit seiner Ehefrau und seinen minderjährigen Kindern ebenfalls nach Österreich.

 

Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus folgender Beweiswürdigung:

 

Die Feststellungen zur Situation im Kosovo stützen sich auf die zitierte Quelle. Angesichts der Seriosität dieser Quelle und der Plausibilität ihrer Aussagen, denen die Verfahrensparteien nicht entgegengetreten sind, besteht für den Asylgerichtshof kein Grund, an der Richtigkeit dieser Angaben zu zweifeln.

 

Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen Vorbringen und dem vorgelegten Personalausweis sowie den korrespondierenden Angaben der Schwester des Beschwerdeführers.

 

Die Feststellungen zu den Fluchtgründen der Schwester des Beschwerdeführers basieren auf den beweiswürdigenden Ausführungen im bezughabenden Erkenntnis des Asylgerichtshofes GZ. B3 247.638-0/2008/8E und stimmen mit den Angaben des Beschwerdeführers sowie des älteren Bruders Q.A. betreffend der Abstammung, der Verwandtschaftsverhältnisse sowie der Ermordung des Vaters überein. Die Angaben über die Festnahme des älteren Bruders anlässlich der Diebstahlsanzeige im Sommer 1999 stimmen mit dessen Angaben überein.

 

Rechtlich ergibt sich Folgendes:

 

Gemäß § 23 Asylgerichtshofgesetz (Asylgerichtshof-Einrichtungsgesetz; Art. 1 BG BGBl. I 4/2008) sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

Die Zuständigkeit des Asylgerichtshofes stützt sich auf § 38 AsylG 1997. Diese Bestimmung spricht zwar vom "unabhängigen Bundesasylsenat" und ist durch das AsylGH-EinrichtungsG nicht geändert worden; auch die Übergangsbestimmungen des AsylG 2005 ergeben insoweit nichts. Da jedoch gemäß Art. 151 Abs. 39 Z 1 B-VG der unabhängige Bundesasylsenat am 1. Juli 2008 zum Asylgerichtshof geworden ist und dieses Gericht gemäß Art. 151 Abs. 39 Z 4 B-VG die am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängigen Verfahren weiterzuführen hat, ist davon auszugehen, dass sich § 38 AsylG 1997 nunmehr auf den Asylgerichtshof bezieht. Ebenso ist davon auszugehen, dass sich jene Bestimmungen des AsylG 1997, die von "Berufungen" sprechen, nunmehr auf Beschwerden beziehen (vgl. AsylGH 12.8.2008, C5 251.212-0/2008/11E).

 

Gemäß § 75 Abs. 7 Z 3 Asylgesetz 2005 idF Art. 2 BG BGBl. I 4/2008 sind Verfahren, die am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängig sind, vom Asylgerichtshof weiterzuführen; Verfahren gegen abweisende Bescheide, die von nicht zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannten Mitgliedern des unabhängigen Bundesasylsenates durchgeführt wurden, sind nach der Maßgabe der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes vom zuständigen Senat weiterzuführen.

 

Da im vorliegenden Verfahren vor dem 1. Juli 2008 eine mündliche Verhandlung nicht durch einen nunmehrigen Richter des Asylgerichtshofes stattgefunden hat, ist von einer Senatszuständigkeit auszugehen.

 

Gemäß § 75 Abs. 1 Asylgesetz 2005 sind "[A]lle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren [...] nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen. § 44 AsylG 1997 gilt."

 

Gemäß § 44 Abs. 1 AsylG 1997 idF der AsylG-Novelle 2003 sind Verfahren über Asylanträge, die bis zum 30. April 2004 gestellt worden sind, nach den Bestimmungen des AsylG idF BG BGBl. I 126/2002 zu führen.

 

Der Beschwerdeführer hat seinen Asylantrag vor dem 1. Mai 2004 gestellt; das Verfahren war am 31. Dezember 2005 anhängig; das Verfahren ist daher nach dem AsylG idF BG BGBl. I 126/2002 zu führen.

 

Gemäß § 23 AsylG ist auf Verfahren nach dem AsylG, soweit nicht anderes bestimmt ist, das AVG anzuwenden (vgl. auch Art. II Abs. 2 lit. D Z 43 a EGVG). Gemäß § 66 Abs. 4 AVG hat die Rechtsmittelinstanz, sofern die Beschwerde nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

 

Gemäß § 7 AsylG hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 55/1955 (Genfer Flüchtlingskonvention, in der Folge: GFK) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

 

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (idF des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren."

 

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. zB VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011). Für eine "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH 26.2.1997, 95/01/0454; 9.4.1997, 95/01/0555), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl. VwGH 18.4.1996, 95/20/0239; vgl. auch VwGH 16.2.2000, 99/01/0397), sondern erfordert eine Prognose. Verfolgungshandlungen, die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (vgl. dazu VwGH 9.3.1999, 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 9.9.1993, 93/01/0284; 15.3.2001, 99/20/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein (VwGH 16.6.1994, 94/19/0183; 18.2.1999, 98/20/0468). Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 9.3.1999, 98/01/0318; 19.10.2000, 98/20/0233). Besteht für den Asylwerber die Möglichkeit, in einem Gebiet seines Heimatstaates, in dem er keine Verfolgung zu befürchten hat, Aufenthalt zu nehmen, so liegt eine inländische Fluchtalternative vor, welche die Asylgewährung ausschließt (vgl. VwGH 24.3.1999, 98/01/0352). Das einer "inländischen Fluchtalternative" innewohnende Zumutbarkeitskalkül setzt voraus, dass der Asylwerber im in Frage kommenden Gebiet nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal auch wirtschaftliche Benachteiligungen dann asylrelevant sein können, wenn sie jegliche Existenzgrundlage entziehen (VwGH 8.9.1999, 98/01/0614, 29.3.2001, 2000/20/0539).

 

Angesichts des festgestellten Sachverhalts besteht für den Beschwerdeführer eine objektiv nachvollziehbare Verfolgungsgefahr als Person gemischt-ethnischer Abstammung bzw. auf Grund der Verwandtschaft zu seinem 1998 ermordeten Vater, der als serbischer Polizist tätig war.

 

Die Schwester des Beschwerdeführers war zahlreichen Übergriffen bis hin zu einem Vergewaltigungsversuch ausgesetzt. Ursachen dafür waren einerseits die Verwandtschaft zu ihrem Vater, der als Kollaborateur mit den Serben angesehen und auch in Zusammenhang mit Massakern an Albanern gebracht wurde, andererseits ihre serbische Abstammung mütterlicherseits.

 

Der Beschwerdeführer fällt damit ebenfalls in zwei der vom UNHCR ausdrücklich als schutzwürdig angesehenen Gruppen (zur Indizwirkung entsprechender Empfehlungen internationaler Organisationen vgl. VwGH 20.4.2006, 2005/01/0556; 24.8.2004, 2003/01/0463; 16.7.2003, 2003/01/0059). Der Beschwerdeführer selbst bringt vor, gemeinsam mit seiner Familie nach der Ermordung seines Vaters aus dem elterlichen Wohnhaus vertrieben worden zu sein, weil sein Vater Polizist gewesen und seine Mutter Serbin sei. Sein Bruder sei 1999 bei der Erstattung einer Anzeige zu einem Autodiebstahl festgenommen und zwei Tage von den Albanern festgehalten worden. Schon allein vor dem Hintergrund der gemischt-ethnischen Abstammung bzw. der Verwandtschaft zu seinem 1998 ermordeten Vater, der als Polizist tätig war, ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in den Kosovo Repressalien von asylrelevanter Intensität seitens der albanischen Mehrheitsbevölkerung ausgesetzt sein wird, die durch die nunmehrige internationale Ordnungsmacht im Kosovo - trotz grundsätzlicher Schutzwilligkeit - nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit verhindert werden könnten. Dass derartige Eingriffe nicht direkt von staatlicher sondern von dritter Seite drohen, ist dabei nicht von Bedeutung, da es für einen Verfolgten keinen Unterschied macht, ob er auf Grund staatlicher Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ob ihm dieser Nachteil mit derselben Wahrscheinlichkeit auf Grund einer Verfolgung droht, die von anderen ausgeht und die vom Staat nicht ausreichend verhindert werden kann. In beiden Fällen ist es dem Verfolgten nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen (vgl. VwGH 22.3.2000, 99/01/0256; 14.5.2002, 2001/01/0140). Weiters steht dem Beschwerdeführer keine zumutbare Ausweichmöglichkeit innerhalb der Republik Kosovo zur Verfügung, weil er dort weder über ein ausreichendes familiäres Netz noch über eine Existenzgrundlage verfügt.

 

Eine Verweisung des Beschwerdeführers in den (allfälligen) zweiten Herkunftsstaat Serbien ist schon deshalb auszuschließen, weil der Beschwerdeführer dort über keine familiären bzw. sonstigen Anknüpfungspunkte verfügt und aufgrund seiner albanischen Abstammung väterlicherseits Anfeindungen und Diskriminierung zu befürchten hätte.

 

Zusammenfassend ergibt sich, dass sich der Beschwerdeführer aus wohlbegründeter Furcht, wegen seiner gemischt-ethnischen Abstammung bzw. wegen seiner Angehörigeneigenschaft zu seinem Vater (vgl. zum Konventionsgrund "soziale Gruppe" bei Verfolgungsgefahr als Familienmitglied etwa VwGH 24.6.2004, 2002/20/0165, 0166; 17.9.2003, 2000/20/0137; 14.1.2003, 2001/01/0508, jeweils mwN) verfolgt zu werden, außerhalb seines Herkunftsstaates aufhält und dass auch keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- und Ausschlussgründe vorliegt. Gemäß § 12 AsylG war die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

 

Gemäß § 41 Abs. 7 AsylG hat der Asylgerichtshof § 67d AVG mit der Maßgabe anzuwenden, dass eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur außer Kraft getretenen Regelung des Art. II Abs. 2 lit. D Z 43a EGVG war der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung nicht als geklärt anzusehen, wenn die erstinstanzliche Beweiswürdigung in der Berufung substantiiert bekämpft wird oder der Berufungsbehörde ergänzungsbedürftig oder in entscheidenden Punkten nicht richtig erscheint, wenn rechtlich relevante Neuerungen vorgetragen werden oder wenn die Berufungsbehörde ihre Entscheidung auf zusätzliche Ermittlungsergebnisse stützen will (VwGH 02.03.2006, 2003/20/0317 mit Hinweisen auf VwGH 23.01.2003, 2002/20/0533; 12.06.2003, 2002/20/0336). Gemäß dieser Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes konnte im vorliegenden Fall die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beim Asylgerichtshof unterbleiben, da der maßgebliche Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde und im Zusammenhang mit den Verhandlungen vom 21.2. 2008 betreffend die Verfahren Q.H. und Q.V. geklärt war.

Schlagworte
asylrechtlich relevante Repressionsmaßnahmen, Diskriminierung, Familienverband, gesamte Staatsgebiet, kriminelle Delikte, Misshandlung, Schutzunfähigkeit, Sicherheitslage, soziale Gruppe, Volksgruppenzugehörigkeit, Zumutbarkeit
Zuletzt aktualisiert am
28.11.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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