TE AsylGH Erkenntnis 2008/09/15 S11 401400-1/2008

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Veröffentlicht am 15.09.2008
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Spruch

GZ: S11 401.400-1/2008/2E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Mag. Neumann als Einzelrichterin über die Beschwerde der E.K., geb. 00.00.1983, StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 11.08.2008, Zahl: 08 04.894, zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 5 und 10 AsylG idF BGBl. I Nr. 100/2005 als unbegründet abgewiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

1. Der Verfahrensgang vor der erstinstanzlichen Behörde ergibt sich aus dem erstinstanzlichen Verwaltungsakt.

 

Die Beschwerdeführerin reiste laut eigenen Angaben im Jahr 2002 gemeinsam mit ihren Eltern und ihren Geschwistern illegal in Polen ein, wo sie einen Asylantrag stellte. Dieser wurde am 12.03.2004 rechtskräftig abgewiesen, die Familie erhielt jedoch ein "Pobyt" (Duldung). Am 04.04.2007 reiste die Beschwerdeführerin mit ihrer Schwester illegal über Deutschland nach Österreich ein, wo sie am 06.04.2007 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Laut eigenen Angaben lernte die Beschwerdeführerin am 04.04.2008 - dem Tag ihrer Einreise nach Österreich - einen in Österreich anerkannten tschetschenischen Flüchtling kennen, den sie am 08.04.2007 nach moslemischem Recht heiratete. Im August 2007 folgte die Scheidung. Im November 2007 lernte sie ihren derzeitigen Lebensgefährten und Gatten bei Bekannten kennen, zog am 20.04.2008 zu ihm und heiratete ihn am 21.04.2008 nach muslimischer Tradition und am 17.05.2008 in einer Moschee. Zwischenzeitlich wurde ihr Antrag auf internationalen Schutz mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 08.01.2005 ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und die Beschwerdeführerin am 22.05.2008 nach Polen verbracht.

 

Am 04.06.2008 reiste die Beschwerdeführerin erneut illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag neuerlich einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

Am 04.06.2008 fand vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes eine Erstbefragung, sowie am 03.07.2008 eine Einvernahme vor dem Bundesasylamt in Gegenwart eines Rechtsberaters statt.

 

Am 09.06.2008 richtete das Bundesasylamt aufgrund eines EURODAC-Treffers sowie aufgrund der Aktenlage an Polen ein Ersuchen um Wiederaufnahme der Beschwerdeführerin gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (Dublin II-Verordnung), welches am selben Tag elektronisch über DubliNET übermittelt wurde.

 

Am 10.06.2008 bestätigte die Beschwerdeführerin mit ihrer Unterschrift den Erhalt der Mitteilung des Bundesasylamtes gemäß § 29 Abs. 3 Z. 4 AsylG, wonach beabsichtigt sei, ihren Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen, da Konsultationen mit Polen geführt würden. Die Mitteilung über die Führung von Konsultationen wurde der Beschwerdeführerin sohin innerhalb der 20-Tagesfrist nach der Antragseinbringung, übermittelt.

 

Mit Schreiben vom 11.06.2008, eingelangt beim Bundesasylamt am 12.06.2008, stimmten die polnischen Behörden der Übernahme der Beschwerdeführerin zur Prüfung des Asylantrags gem. Art. 16 Abs. 1 lit. e der Dublin II-Verordnung zu.

 

Die Beschwerdeführerin brachte im Verfahren folgenden entscheidungsrelevanten Sachverhalt vor: Sie sei zusammen mit ihrer Schwester am 04.04.2007 erstmals nach Österreich gekommen, da sie in Polen Probleme mit ihrem Vater hätte und nicht mehr bei ihrer Familie bleiben könne. Überdies wolle sie nunmehr bei ihrem Lebensgefährten beziehungsweise. Ehemann sein, in Polen sei sie verloren, überdies sei sie womöglich schwanger

 

Eine gutachtliche Stellungnahme gemäß § 10 AsylG 2005 vom 17.06.2008 hielt fest, dass bei der Beschwerdeführerin keine Hinweise auf eine krankheitswertige psychologische Störung oder behandlungsbedürftige Traumatisierung vorliegen.

 

Seitens der Beschwerdeführerin wurde eine Psychotherapeutische Stellungnahme von H. vom 01.10.2007 vorgelegt, wonach die Beschwerdeführerin seit April 2007 wegen "hochgradiger posttraumatischer Belastungsstörung zu Folge serieller Traumatisierung im Übergang zur andauernden Persönlichkeitsveränderung nach Extremtrauma" in Behandlung sei.

 

2. Das Bundesasylamt hat mit Bescheid vom 11.08.2008, zugestellt am 21.08.2008, Zl: 08 04.894, den Antrag auf internationalen Schutz der Beschwerdeführerin ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass für die Prüfung des gegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. e Dublin II-Verordnung Polen zuständig sei. Gleichzeitig wurde die Beschwerdeführerin gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen und gemäß § 10 Abs. 4 AsylG 2005 festgestellt, dass die Abschiebung nach Polen zulässig sei.

 

Beweiswürdigend wurde hervorgehoben, dass bezüglich der Beschwerdeführerin aufgrund des aktuellen Gutachtens vom 17.06.2008 keine Hinweise auf eine krankheitswertige psychologische Störung oder behandlungsbedürftige Traumatisierung vorlägen. Die aktuelle Eheschließung wurde von der Erstbehörde als Versuch qualifiziert, eine Abschiebung nach Polen zu verhindern und dass keine nach Art. 8 EMRK relevante Lebensgemeinschaft vorläge. Eine ausreichende Begründung der Beschwerdeführerin, weshalb sie nicht nach Polen zurück könne wurde nicht gesehen.

 

3. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht am 04.09.2008 Beschwerde erhoben. Darin wird im Wesentlichen behauptet, dass die Beschwerdeführerin nicht nach Polen zurück könne, da sie ihr Vater verstoßen habe. Die derzeitige Ehe sei nicht ausreichend gemäß Art. 8 EMRK berücksichtigt worden. Weiters habe die Beschwerdeführerin in Polen eine Freiheitsstrafe wegen illegalen Grenzübertritts zu vergegenwärtigen.

 

4. Die gegenständliche Beschwerde samt erstinstanzlichem Verwaltungsakt langte am 09.09.29008 beim Asylgerichtshof ein.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus dem vorliegenden Verwaltungsakt.

 

2. Rechtlich ergibt sich Folgendes:

 

Mit Datum 01.01.2006 ist das neue Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG idF BGBl. I Nr. 100/2005) und ist somit auf alle ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.

 

Am 01.07.2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren sind vom Asylgerichtshof nach Maßgabe des § 75 AsylG 2005 idF. BGBl. I Nr. 4/2008 weiterzuführen.

 

Gemäß § 23 AsylGHG sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10/1985, in den jeweilig geltenden Fassungen nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51/1991, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

2.1. Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 ist ein nicht gemäß § 4 AsylG erledigter Asylantrag als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Dublin II-Verordnung zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Asylbehörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG ist die Zurückweisung eines Antrages nach Maßgabe des § 10 Abs. 3 und Abs. 4 AsylG mit einer Ausweisung zu verbinden. Die Dublin II-Verordnung ist eine Verordnung des Gemeinschaftsrechts im Anwendungsbereich der

1. Säule der Europäischen Union (vgl. Art. 63 EGV), die Regelungen über die Zuständigkeit zur Prüfung von Asylanträgen von Drittstaatsangehörigen trifft. Sie gilt also nicht für mögliche Asylanträge von EU-Bürgern, ebenso wenig ist sie auf Personen anwendbar, denen bereits der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Das wesentliche Grundprinzip ist jenes, dass den Drittstaatsangehörigen in einem der Mitgliedstaaten das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Asylverfahren zukommt, jedoch nur ein Recht auf ein Verfahren in einem Mitgliedstaat, dessen Zuständigkeit sich primär nicht aufgrund des Wunsches des Asylwerbers, sondern aufgrund der in der Verordnung festgesetzten hierarchisch geordneten Zuständigkeitskriterien ergibt.

 

2.1.1. Es ist daher zunächst zu überprüfen, welcher Mitgliedstaat nach den hierarchisch aufgebauten (Art. 5 Abs. 1 Dublin II-Verordnung) Kriterien der Art. 6 bis12 beziehungsweise 14 und Art. 15, beziehungsweise dem Auffangtatbestand des Art. 13 Dublin II-Verordnung zur inhaltlichen Prüfung zuständig ist.

 

2.1.1.1. Im vorliegenden Fall ist dem Bundesasylamt zuzustimmen, dass eine Zuständigkeit der Republik Polen gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. e Dublin II-Verordnung kraft vorangegangener erster Asylantragstellung in der Europäischen Union gemäß Art 13 Dublin II-Verordnung besteht. Die erste Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der getroffenen Unzuständigkeitsentscheidung ist somit gegeben und ist diese im Verfahren nicht bestritten worden.

 

2.1.1.2. Es sind auch aus der Aktenlage keine Hinweise ersichtlich, wonach die Führung der Konsultationen im gegenständlichen Fall derart fehlerhaft erfolgt wäre, sodass von Willkür im Rechtssinn zu sprechen wäre und die Zuständigkeitserklärung des zuständigen Mitgliedstaates wegen Verletzung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundsätze aus diesem Grund ausnahmsweise keinen Bestand haben könnte (Filzwieser, Subjektiver Rechtsschutz und Vollziehung der Dublin II-Verordnung - Gemeinschaftsrecht und Menschenrechte, migraLex, 1/2007, 22ff; vgl auch das Gebot der Transparenz im "Dublin-Verfahren", VwGH 23.11.2006, Zl. 2005/20/0444). Das Konsultationsverfahren erfolgte mängelfrei.

 

2.1.2. Das Bundesasylamt hat ferner von der Möglichkeit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-Verordnung keinen Gebrauch gemacht. Es war daher noch zu prüfen, ob von diesem Selbsteintrittsrecht im gegenständlichen Verfahren ausnahmsweise zur Vermeidung einer Verletzung der EMRK zwingend Gebrauch zu machen gewesen wäre.

 

Der VfGH hat mit Erkenntnis vom 17.06.2005, Zl. B 336/05-11 festgehalten, die Mitgliedstaaten hätten kraft Gemeinschaftsrecht nicht nachzuprüfen, ob ein anderer Mitgliedstaat generell sicher sei, da eine entsprechende normative Vergewisserung durch die Verabschiedung der Dublin II-Verordnung erfolgt sei, dabei aber gleichzeitig ebenso ausgeführt, dass eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung im Einzelfall gemeinschaftsrechtlich zulässig und bejahendenfalls das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-Verordnung zwingend geboten sei.

 

Die Judikatur des VwGH zu den Determinanten dieser Nachprüfung lehnt sich an die Rechtsprechung des EGMR an und lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben werden soll, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen. Wenn keine Gruppenverfolgung oder sonstige amtswegig zu berücksichtigende notorische Umstände grober Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten der EU in Bezug auf Art. 3 EMRK vorliegen (VwGH 27.09.2005, Zl. 2005/01/0313), bedarf es zur Glaubhaftmachung der genannten Bedrohung oder Gefährdung konkreter auf den betreffenden Fremden bezogener Umstände, die gerade in seinem Fall eine solche Bedrohung oder Gefährdung im Fall seiner Abschiebung als wahrscheinlich erscheinen lassen (VwGH 26.11.1999, Zl 96/21/0499, VwGH 09.05.2003, Zl. 98/18/0317; vgl auch VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059): "Davon abgesehen liegt es aber beim Asylwerber, besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vorzubringen und glaubhaft zu machen. Dazu wird es erforderlich sein, dass der Asylwerber ein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art 3 EMRK, nach sich ziehen könnte, und er die Asylbehörden davon überzeugt, dass der behauptete Sachverhalt (zumindest) wahrscheinlich ist." (VwGH 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949).

 

Die Vorlage allgemeiner Berichte ersetzt dieses Erfordernis in der Regel nicht (vgl. VwGH 17.02.1998, Zl. 96/18/0379; EGMR Mamatkulov & Askarov v Türkei, Rs 46827, 46951/99, 71-77), eine geringe Anerkennungsquote, eine mögliche Festnahme im Falle einer Überstellung ebenso eine allfällige Unterschreitung des verfahrensrechtlichen Standards des Art. 13 EMRK sind für sich genommen nicht ausreichend, die Wahrscheinlichkeit einer hier relevanten Menschenrechtsverletzung darzutun. Relevant wäre dagegen etwa das Vertreten von mit der GFK unvertretbaren rechtlichen Sonderpositionen in einem Mitgliedstaat oder das Vorliegen einer massiv rechtswidrigen Verfahrensgestaltung im individuellen Fall, wenn der Asylantrag im zuständigen Mitgliedstaat bereits abgewiesen wurde (Art. 16 Abs. 1 lit. e Dublin II-Verordnung). Eine ausdrückliche Übernahmeerklärung des anderen Mitgliedstaates hat in die Abwägung einzufließen (VwGH 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582, VwGH 31.05.2005, Zl. 2005/20/0025, VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/19/0673), ebenso andere Zusicherungen der europäischen Partnerstaaten Österreichs (zur Bedeutung solcher Sachverhalte Filzwieser/ Liebminger, Dublin II VO, K13. zu Art 19 Dublin II-Verordnung).

 

Weiterhin hatte der Asylgerichtshof folgende Umstände zu berücksichtigen:

 

Bei entsprechender Häufung von Fällen, in denen in Folge Ausübung des Selbsteintrittsrechts die gemeinschaftsrechtliche Zuständigkeit nicht effektuiert werden kann, kann eine Gefährdung des "effet utile" Grundsatzes des Gemeinschaftsrechts entstehen.

 

Zur effektiven Umsetzung des Gemeinschaftsrechts sind alle staatlichen Organe kraft Gemeinschaftsrechts verpflichtet.

 

Der Verordnungsgeber der Dublin II-Verordnung, offenbar im Glauben, dass sich alle Mitgliedstaaten untereinander als "sicher" ansehen können, wodurch auch eine Überstellung vom einen in den anderen Mitgliedstaat keine realen Risken von Menschenrechtsverletzungen bewirken könnte (vgl. insbesondere den 2. Erwägungsgrund der Präambel der Dublin II-Verordnung), hat keine eindeutigen verfahrens- oder materiellrechtlichen Vorgaben für solche Fälle getroffen hat, diesbezüglich lässt sich aber aus dem Gebot der menschenrechtskonformen Auslegung des Gemeinschaftsrechts und aus Beachtung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundrechte ableiten, dass bei ausnahmsweiser Verletzung der EMRK bei Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat eine Überstellung nicht stattfinden darf. Die Beachtung des Effizienzgebots (das etwa eine pauschale Anwendung des Selbsteintrittsrechts oder eine innerstaatliche Verfahrensgestaltung, die Verfahren nach der Dublin II-Verordnung umfangreicher gestaltet als materielle Verfahren verbietet) und die Einhaltung der Gebote der EMRK stehen daher bei richtiger Anwendung nicht in Widerspruch (Filzwieser, migraLex, 1/2007, 18ff, Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO, K8-K13. zu Art. 19).

 

Die allfällige Rechtswidrigkeit von Gemeinschaftsrecht kann nur von den zuständigen gemeinschaftsrechtlichen Organen, nicht aber von Organen der Mitgliedstaaten rechtsgültig festgestellt werden. Der EGMR hat festgestellt, dass der Rechtsschutz des Gemeinschafts-rechtes regelmäßig den Anforderungen der EMRK entspricht (30.06.2005, Bosphorus Airlines v Irland, Rs 45036/98).

 

Es bedarf sohin europarechtlich eines im besonderen Maße substantiierten Vorbringens und des Vorliegens besonderer vom Antragsteller bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, um die grundsätzliche europarechtlich gebotene Annahme der "Sicherheit" der Partnerstaaten der Europäischen Union als einer Gemeinschaft des Rechts im individuellen Fall erschüttern zu können. Diesem Grundsatz entspricht auch die durch das AsylG 2005 eingeführte gesetzliche Klarstellung des § 5 Abs. 3 AsylG, die Elemente einer Beweislastumkehr enthält. Es trifft zwar ohne Zweifel zu, dass Asylwerber in ihrer besonderen Situation häufig keine Möglichkeit haben, Beweismittel vorzulegen (wobei dem durch das Institut des Rechtsberaters begegnet werden kann), und dies mitzubeachten ist (VwGH, 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949), dies kann aber nicht pauschal dazu führen, die vom Gesetzgeber - im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht - vorgenommene Wertung des § 5 Abs. 3 AsylG überhaupt für unbeachtlich zu erklären (dementsprechend in ihrer Undifferenziertheit verfehlt, Feßl/Holzschuster, AsylG 2005, 225ff). Eine Rechtsprechung, die in Bezug auf Mitgliedstaaten der EU faktisch höhere Anforderungen entwickelte, als jene des EGMR in Bezug auf Drittstaaten wäre jedenfalls gemeinschaftsrechtswidrig.

 

2.1.2.1. Mögliche Verletzung des Art. 8 EMRK

 

Eine außergewöhnliche Nahebeziehung im Sinne eines Abhängigkeitsverhältnisses zu der ebenso in Österreich aufhältigen Tante und der Schwester der Beschwerdeführerin und deren Familien wurde vom Bundesasylamt zu Recht nicht festgestellt und von der Beschwerdeführerin auch nicht behauptet.

 

Hinsichtlich des Lebensgefährten/Gatten ist der Beweiswürdigung der Erstbehörde vollinhaltlich zu folgen. In der Niederschrift vom 25.07.2008 mit dem Gatten konnte nicht der Eindruck gewonnen werden, dass der Ehemann ein tieferes Verhältnis zur Beschwerdeführerin hat. Unter anderem gab er an, dass sie bei einem Telefonat geweint habe, er habe aber nicht nachgefragt, weshalb. Er habe sie auch nicht über ihre Abschiebung nach Polen gefragt. Er kann nichts näheres über die Familie der Beschwerdeführerin sagen und er habe sie auch nichts über ihre erste Ehe gefragt. Weiters weiß er weder etwas über ihre Asylverfahren, noch über ihre vorgebrachte psychische Erkrankung. Die Angaben in der Beschwerde, dass der Gatte sehrwohl gewusst habe, dass die Beschwerdeführerin am 21.05.2008 nach Polen abgeschoben wurde, vermag, wenn man diesen Angaben folgen will - nichts daran zu ändern, dass der Gatte über keinerlei für sein Frau existenzrelevante Fakten und Daten (Asylverfahren, medizinische Probleme) Bescheid weiß. Die Aussage in der Beschwerde, dass sie "eine Beziehung langsam angehen wolle" , wäre im allgemeinen Sprachgebrauch wohl eher so zu verstehen, dass man sich erst kennenlernt und dann eine nähere Beziehung (etwa eine Ehe) eingeht, nicht jedoch umgekehrt. Das beharrliche und konsequente Nichtwissen des Ehegatten kann weder auf Verunsicherung noch auf Respekt sondern zurückgeführt werden, sondern ist wohl eher mit Desinteresse auszulegen, da es jeden Bereich des Lebens seiner Gattin umfasst. Nach dem Vorbringen des Gatten klar erkennbar ist, dass keine Art. 8 EMRK relevante Lebensgemeinschaft vorliegt, weitere Einvernahmen von Zeugen, die in diese Beziehung weit weniger Einblick haben als der Gatte selbst, waren daher nicht vorzunehmen.

 

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass trotz aufrechter Ehe diese offensichtlich in der Absicht geschlossen wurde, aufgrund der drohenden Überstellung nach Polen einen Verbleib in Österreich zu erzwingen. Selbst bei einem bestehenden Familienleben im eheüblichen Sinn - von dem aufgrund des vorliegenden Sachverhaltes nicht auszugehen war - ist davon auszugehen, dass aufgrund des extrem kurzen Aufenthaltes in Österreich und des Wissens um den Stand des Verfahrens eine Interessensabwägung zuungunsten der Beschwerdeführerin ausgeht. Von weitere Erhebungen oder Befragungen zur Frage des tatsächlichen Bestehens einer Ehe oder gar eines entsprechenden Familienlebens konnte daher abgesehen werden. Die Beziehung zu den sonstigen Verwandten der Beschwerdeführerin kann auch nicht als Art. 8 EMRK relevant eingestuft werden.

 

Vom Vorliegen eines iSd Art. 8 EMRK relevanten, tatsächlichen und hinreichend intensiven Familienlebens oder eines relevantes Abhängigkeitsverhältnisses der Beschwerdeführerin zu ihren Verwandten war daher nicht auszugehen. Eine Abwägung der privaten Interessen der Beschwerdeführerin am Verbleib in Österreich gegen die Interessen des Staates an einer Umsetzung der Dublin II-Verordnung geht auch aufgrund obgenannter Überlegungen zuungunsten der Beschwerdeführerin aus. Dabei wurde auch berücksichtigt, dass die Beschwerdeführerin laut eigenen Angaben polnisch spricht, eine gute Ausbildung hat, in Polen zum Aufenthalt und zur Arbeitsaufnahem berechtigt ist und somit eine Existenz in Polen wieder aufnehmen beziehungsweise aufbauen kann. Die Probleme mit ihrem Vater sind kaum als relevant zu werten, da sie offensichtlich keine Probleme damit hat, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen und in Polen bereits besser integriert ist (Ausbildung, Sprache) als in Österreich und daher zu erwarten ist, dass sie durchaus zurechtkommt.

 

2.1.2.2.1 Kritik am polnischen Asylwesen

 

Hiezu ist einleitend festzuhalten, dass die seinerzeitige Judikatur zu § 4 AsylG 1997 und vor dem Beitritt zur Europäischen Union am 01.04.2006 nicht mehr unmittelbar relevant ist (zuletzt VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/19/0673). Konkretes Vorbringen, das geeignet wäre, anzunehmen, dass Polen in Hinblick auf tschetschenische AsylwerberInnen unzumutbare rechtliche Sonderpositionen vertreten würde, ist nicht erstattet worden. Der bloße Umstand, dass eine Reihe von Asylverfahren negativ endet (wobei in Polen notorischerweise AntragstellerInnen aus Tschetschenien zumindest tolerierten Aufenthalt erhalten) ist mangels Bestehen eines allgemeinen Konsens über eine Gruppenverfolgung von Tschetschenen in Russland (auch in Österreich wird eine solche in der Regel nicht bejaht) und mangels verifizierbarer Angaben über ein Fehlverhalten polnischer Behörden im vorliegenden Fall kein ausreichendes Argument die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG erschüttern zu können.

 

2.1.2.2.2 Die aktuellen auf Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation beruhenden Feststellungen des Bundesasylamtes zu Polen werden diesem Erkenntnis zugrunde gelegt. Hervorzuheben ist insbesondere, dass bei tschetschenischen AntragstellerInnen aus Tschetschenien aus Polen praktisch keine Abschiebungen in die Russische Föderation erfolgen. Aus einer Mitteilung des Verbindungsbeamten des BMI in Polen vom 23.08.2007 geht hervor, dass die jüngsten Änderungen in der polnischen Gesetzeslage für Fremde und Asylwerber insbesondere die Einführung des subsidiären Schutzes entsprechend gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben betreffen sollen (S. 22 des Bescheides des BAA). Die Einführung des "subsidiären Schutzstatus" neben Flüchtlingsstatus und "tolerated stay" lässt ebenso keine potentielle Gefährdung tschetschenischer Schutzsuchender erkennen, sodass auf die näheren Details des Inkrafttretens der jeweiligen Regelungen und des genauen Inhalts vorangegangener Gesetzesänderungen hier mangels Entscheidungsrelevanz nicht näher einzugehen war, da jedenfalls keine dieser Gesetzesänderungen Grund zur Annahme gibt, dass Polen nunmehr allgemein oder im Besonderen gegenüber tschetschenischen Schutzsuchenden bedenkliche Sonderpositionen verträte.

 

Verfahrensrelevante Mängel des polnischen Asylverfahrens sind nicht amtsbekannt und wurden von der Beschwerdeführerin auch nicht behauptet. Das Verfahren in Polen ist abgeschlossen , die Beschwerdeführerin ist zum Aufenthalt berechtigt.

 

2.1.2.3. Medizinische Krankheitszustände; Behandlung in Polen

 

Unbestritten ist, dass nach der allgemeinen Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK und Krankheiten, die auch im vorliegenden Fall maßgeblich ist, eine Überstellung nach Polen nicht zulässig wäre, wenn dort wegen fehlender Behandlung sehr schwerer Krankheiten eine existenzbedrohende Situation drohte und diesfalls das Selbsteintrittsrecht der Dublin II-Verordnung zwingend auszuüben wäre.

 

In diesem Zusammenhang ist vorerst auf das jüngste diesbezügliche Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes (VfGH vom 06.03.2008, Zl: B 2400/07-9) zu verweisen, welches die aktuelle Rechtsprechung des EGMR zur Frage der Vereinbarkeit der Abschiebung Kranker in einen anderen Staat mit Art. 3 EMRK festhält (D. v. the United Kingdom, EGMR 02.05.1997, Appl. 30.240/96, newsletter 1997,93; Bensaid, EGMR 06.02.2001, Appl. 44.599/98, newsletter 2001,26; Ndangoya, EGMR 22.06.2004, Appl. 17.868/03; Salkic and others, EGMR 29.06.2004, Appl. 7702/04; Ovdienko, EGMR 31.05.2005, Appl. 1383/04; Hukic, EGMR 29.09.2005, Appl. 17.416/05; EGMR Ayegh, 07.11.2006; Appl. 4701/05; EGMR Goncharova & Alekseytsev, 03.05.2007, Appl. 31.246/06).

 

Zusammenfassend führt der VfGH aus, das sich aus den erwähnten Entscheidungen des EGMR ergibt, dass im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder selbstmordgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gibt. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung des Art. 3 EMRK. Solche liegen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben (Fall D. v. the United Kingdom).

 

Aus diesen Judikaturlinien des EGMR ergibt sich jedenfalls der für das vorliegende Beschwerdeverfahren relevante Prüfungsmaßstab.

 

Nach der geltenden Rechtslage ist eine Überstellung dann unzulässig, wenn die Durchführung eine in den Bereich des Art. 3 EMRK reichende Verschlechterung des Krankheitsverlaufs oder der Heilungsmöglichkeiten bewirken würde (siehe Feststellungen des Innenausschusses zu § 30 AsylG); dabei sind die von den Asylbehörden festzustellenden Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat als Hintergrundinformation beachtlich, sodass es sich quasi um eine "erweiterte Prüfung der Transportfähigkeit" handelt.

 

Maßgebliche Kriterien für die Beurteilung der Art. 3 EMRK-Relevanz einer psychischen Erkrankung angesichts einer Abschiebung sind Aufenthalte in geschlossenen Psychiatrien infolge von Einweisungen oder auch Freiwilligkeit, die Häufigkeit, Regelmäßigkeit und Intensität der Inanspruchnahme medizinisch-psychiatrischer Leistungen, die Möglichkeit einer wenn auch gemessen am Aufenthaltsstaat schlechteren medizinischen Versorgung im Zielstaat sowie die vom Abschiebestaat gewährleisteten Garantien in Hinblick auf eine möglichst schonende Verbringung. Rechtfertigen diese Kriterien eine Abschiebung, hat eine denkmögliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes oder ungünstige Entwicklung des Gesundheitszustands außer Betracht zu bleiben, geschweige denn vermag die Verursachung von überstellungsbedingtem mentalen Stress eine Abschiebung unzulässig machen.

 

Akut existenzbedrohende Krankheitszustände oder Hinweise einer unzumutbaren Verschlechterung der Krankheitszustände im Falle einer Überstellung nach Polen sind der Aktenlage (Gutachtliche Stellungnahme vom 17.06.2008) nicht zu entnehmen. Die nicht als aktuell zu betrachtende Stellungnahme vom 01.10.2007 zu der angeblich seit April 2007 stattfindenden Behandlung betreffend "hochgradiger posttraumatischer Belastungsstörung zu Folge serieller Traumatisierung im Übergang zur andauernden Persönlichkeitsveränderung nach Extremtrauma" wird als für das gegenständliche Verfahren irrelevant eingestuft, insbesondere, da die Beschwerdeführerin eine Stellungnahme vorlegt, die ein dreiviertel Jahr zurückliegt. Auch in der Einvernahme vom 03.07.2008 sowie in der Beschwerde wird auf bestehende angebliche psychische Krankheiten keinerlei Bezug genommen. Vielmehr war die Beschwerdeführerin laut eigenen Angaben zuletzt im Dezember 2007 in Behandlung. Es ist daher davon auszugehen, dass die behauptete psychische Erkrankung ebenso wie die zwischendurch vorgebrachte und nie wieder relevierte Schwangerschaft der Beschwerdeführerin lediglich Versuche sind, eine Zurückstellung nach Polen zu verhindern.

 

Ebenso ins Leere geht die Behauptung der Beschwerdeführerin, sie laufe Gefahr in Polen wegen unerlaubten Grenzübertritts bestraft zu werden. Die Beschwerdeführerin ist zum Aufenthalt in Polen berechtigt, der illegale Grenzübertritt erfolgte in Österreich beziehungsweise in Deutschland, nicht jedoch in Polen. Mangels Übertretung einer Rechtsnorm ist auch nicht von einer Bestrafung auszugehen.

 

Zusammengefasst stellt daher eine Überstellung der Beschwerdeführerin nach Polen keinesfalls eine Verletzung des Art. 3 EMRK und somit auch keinen Anlass zur Ausübung des Selbsteintrittsrechtes Österreichs nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-Verordnung dar.

 

2.1.2.4. Zusammenfassend sieht der Asylgerichtshof im Einklang mit der diesbezüglichen Sichtweise der Erstbehörde keinen Anlass, Österreich zwingend zur Anwendung des Art. 3 Abs. 2 VO 343/2003 infolge drohender Verletzung von Art. 3 oder Art. 8 EMRK zu verpflichten.

 

2.1.3. Spruchpunkt I der erstinstanzlichen Entscheidung war sohin bei Übernahme der Beweisergebnisse und rechtlichen Würdigung der Erstbehörde mit obiger näherer Begründung zu bestätigen.

 

2.2. Spruchpunkt II:

 

Die Erwägungen der Erstbehörde zu Spruchpunkt II waren vollinhaltlich zu übernehmen. Auch im Beschwerdeverfahren sind keine Hinweise hervorgekommen, die eine Aussetzung der Überstellung nach Polen in Vollzug der Ausweisung aus Österreich erforderlich erschienen ließen. Diese erweist sich daher bezogen auf den Entscheidungszeitpunkt als zulässig.

 

2.3. Gemäß § 41 Abs. 4 AsylG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden. Eine gesonderte Erwägung bezüglich einer allfälligen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung konnte angesichts des Spruchinhaltes entfallen.

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Abhängigkeitsverhältnis, Ausweisung, Ehe, familiäre Situation, gesundheitliche Beeinträchtigung, Intensität, Interessensabwägung, Lebensgrundlage, medizinische Versorgung, real risk, Überstellungsrisiko (ab 08.04.2008)
Zuletzt aktualisiert am
07.11.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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