A3 267.529-2/2008/2E
ERKENNTNIS
Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Holzschuster als Einzelrichterin über die Beschwerde des O.K., geb. 00.00.1987 alias 00.00.1967, StA. Nigeria, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 19.08.2008, FZ. 08 06.494-EAST Ost, zu Recht erkannt:
Der Beschwerde von O.K. wird stattgegeben und der bekämpfte Bescheid gemäß § 41 Abs. 3 AsylG 2005 ersatzlos behoben.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Der nunmehrige Beschwerdeführer ist nach eigenen Angaben am 16.07.2004 ohne gültiges Reisedokument in das Bundesgebiet eingereist und hat an demselben Tag beim Bundesasylamt einen Asylantrag eingebracht.
In der am 20.07.2004 vor dem Bundesasylamt durchgeführten Einvernahme brachte er - kurz zusammengefasst - folgenden entscheidungswesentlichen Sachverhalt vor:
Sein Vater sei Priester eines Schreins gewesen und von den "Adu" umgebracht worden. Seine Mutter und er seien christlich und hätte er den Platz seines Vaters übernehmen sollen. Weil er den Platz nicht habe einnehmen wollen, haben ihn die Leute vom Schrein umbringen wollen. Seine Mutter und seine Schwester seien zu Hause. Nur er sei verfolgt worden, da sie gewollt haben, dass er Häuptling werde und die Stellung seines Vaters übernehme. Gleich darauf erklärte der Beschwerdeführer, dass sein Vater nicht Priester des Schreins gewesen sei, sondern sein Großvater. Da der Vater des Beschwerdeführers, der erste Sohn gewesen sei, habe er die Position des Priesters übernehmen sollen. Dieser habe jedoch abgelehnt, weil er Christ sei und sei er deshalb umgebracht worden. Nun solle der Beschwerdeführer als erster Sohn die Stelle einnehmen, die sein Vater hätte übernehmen sollen. Sein Onkel habe ihn zu einem Pfarrer gebracht und dieser habe seine Flucht organisiert.
Dieser erste Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 12.01.2006, Zl. 04 14.488-BAG gemäß § 7 AsylG 1997 abgewiesen. Gleichzeitig wurde die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Nigeria gemäß § 8 Abs. 1 AsylG für zulässig erklärt und die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Nigeria ausgesprochen. Die fristgerecht dagegen erhobene Berufung wurde mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 30.11.2007, Zl. 267.529/0/13E-XII/37/06 gemäß § 7 AsylG abgewiesen und die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Nigeria für zulässig erklärt. Gleichzeitig wurde der nunmehrige Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Nigeria ausgewiesen. Dies im Wesentlichen mit der Begründung, dass aus den unbestimmten und widersprüchlichen Aussagen des Beschwerdeführers der Schluss zu ziehen sei, dass er die von ihm geschilderten Ereignisse tatsächlich nicht erlebt habe und seinem Vorbringen insgesamt die Glaubwürdigkeit zu versagen war. Der nunmehrige Beschwerdeführer war nicht im Stande grundlegende Fragen im Zusammenhang mit seinem fluchtauslösenden Ereignis zu beantworten, die jedoch von jeder Person ungeachtet der von ihm behaupteten nicht vorhandenen Schulausbildung beantworten können müsste. Die vom Beschwerdeführer angegebenen Verletzungen können jedenfalls nicht im Zusammenhang mit seinem Fluchtvorbringen, welches als völlig unglaubwürdig zu qualifizieren sei, entstanden sein. Dieser Bescheid erwuchs am 11.12.2007 in Rechtskraft.
Am 28.07.2008 brachte der nunmehrige Beschwerdeführer den nunmehr entscheidungsgegenständlichen zweiten Asylantrag ein. In der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 25.07.2008 brachte er - kurz zusammengefasst - folgenden Sachverhalt vor:
Als sein erster Asylantrag abgelehnt worden sei, sei er im Gefängnis in Krems in Strafhaft gewesen. Er sei krank und auch in ärztlicher Behandlung. Wegen seiner Krankheit, Immunschwäche, habe er sich nicht um sein negatives Asylverfahren kümmern können. Da die Ablehnung seines Antrages in der Zwischenzeit rechtskräftig geworden sei und er nichts mehr dagegen machen könne, stelle er jetzt einen neuerlichen Antrag. Er wolle, dass seine Gründe nochmals überprüft und beurteilt werden. Am Fluchtgrund habe sich nichts geändert und es komme auch nichts dazu.
In der Einvernahme vor der Erstaufnahmestelle Ost am 04.08.2008 gab der nunmehrige Beschwerdeführer an, dass er in Nigeria Probleme habe. Er habe Probleme wegen dem Voodoo-Kult. Es seien dieselben Probleme, welcher er bereits in seiner ersten Antragstellung vorgebracht habe. Als er letztes Jahr im Gefängnis gewesen sei, habe er mit einem Freund in Afrika telefoniert. Dieser habe gemeint, er solle auf keinen Fall zurückkehren. Auf die Frage, wann er mit diesem Freund telefoniert habe, erklärte er, dass dies lange her sei. Nach Wiederholung der Frage erklärte der Beschwerdeführer ca. September oder Oktober 2007. Neue Beweismittel oder neue Gründe, die seinen nunmehrigen Asylantrag begründen, könne er nicht vorbringen. Er sei krank, er sei HIV-positiv. Das habe er von seiner Freundin. In Afrika gebe es hinsichtlich seiner Krankheit keine Medikamente. Er habe diese Krankheit in Österreich bekommen.
Mit dem angefochtenen Bescheid hat das Bundesasylamt den nunmehr entscheidungsgegenständlichen (zweiten) Asylantrag wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen und die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Nigeria ausgesprochen. Dies im Wesentlichen mit der Begründung, dass der nunmehrige Beschwerdeführer ausschließlich Umstände geltend gemacht habe, die seinen Schilderungen zufolge schon vor Eintritt der Rechtskraft des Bescheides im ersten Asylverfahren bestanden haben. Da somit weder in der maßgeblichen Sachlage - und zwar im Hinblick auf jenen Sachverhalt, der in seiner Sphäre gelegen sei, noch auf jene, welche von Amtswegen aufzugreifen sei - noch im Begehren und auch nicht in den anzuwendenden Rechtsnormen eine Änderung eingetreten sei, welche eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages nicht von vornherein als ausgeschlossen erscheinen ließe, stehe die Rechtskraft des ergangenen Bescheides seinem neuerlichen Antrag entgegen, weswegen die Asylbehörde zu seiner Zurückweisung verpflichtet sei. Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung sei festzustellen, dass seinem privaten Interesse an einem weiteren Aufenthalt in Österreich im Rahmen einer Interessensabwägung ein geringerer Stellenwert zukomme, als den öffentlichen Interessen an einer Beendigung seines Aufenthaltes im Bundesgebiet. Er habe angegeben, seit zwei Jahren mit einer Frau befreundet zu sein. Er habe jedoch keine näheren Angaben zu dieser Frau machen können. Weiters sei er zumindest während dieser Zeit für zehn Monate im Gefängnis gewesen und könne daher von einem intensiven Familienleben nicht ausgegangen werden. zweifellos sei aus der Dauer seines bisherigen Aufenthaltes im Bundesgebiet private Interessen an einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet ableitbar. Jedoch habe das private Interesse an einem Fortbestand des Aufenthaltes im Bundesgebiet hinter das öffentliche Interesse an einem geordneten Zuzug nach Österreich im Sinne der Unterbindung von Einreisen unter Umgehung der Grenzkontrolle bzw. illegaler Einreisen in Verbindung mit Schlepperkriminalität und in weiterer Folge der Beendigung von Aufenthalten im Bundesgebiet zurückzutreten. Eine gegenteilige Ansicht widerspräche den Bestimmungen des Fremdenrechts, welche den Zuzug von Fremden ins Bundesgebiet regeln und würde in letzter Konsequenz bedeuten, dass diese Bestimmungen durch den faktischen Vollzug des Fremdenrechts durch Einreise unter Umgehung der Grenzkontrolle in der Rechtswirklichkeit de facto außer Kraft gesetzt werden würde.
In der fristgerecht eingebrachten Beschwerde wird im Wesentlichen betont, dass der Beschwerdeführer wieder über seine persönliche Verfolgung durch den Voodoo-Kult berichtet habe. Ihm sei nicht gestattet worden, dies eingehend zu schildern. Der Beschwerdeführer habe auch seine HIV-Infektion angegeben. Dies sei auch ärztlich bestätigt worden. Er habe deutlich ausgeführt, dass die ursprünglichen Angaben im ersten Asylantrag der Wahrheit entsprechen und er nach wie vor asylrelevant bedroht sei. Er habe deutlich dargelegt, dass er mit dem Tode bedroht sei. Er habe auch deutlich einen Sachverhalt vorgebracht, der über die Angaben des ursprünglichen Antrages hinausgehe bzw. habe er eingehender erzählen wollen, jedoch sei er von der Verhandlungsleiterin wiederholt in seinen Ausführungen unterbrochen worden. Des Weiteren sei die HIV-Infektion ein neues Faktum, eine Entscheidung nach bereits entschiedener Sache wäre von daher gar nicht möglich gewesen. Der belangten Behörde sei daher vorzuwerfen, dass sie kein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt habe. Des Weiteren seien keine Experten beigezogen worden. Die Asylbehörde sei verpflichtet, bei Folgeanträgen zu überprüfen, ob ein glaubwürdiger Kern vorliege, an dem eine positive Prognose anknüpfbar sei. Dies erfordere, dass bereits die Glaubwürdigkeit überprüft werde. Die belangte Behörde habe dies jedoch im gegenständlichen Fall unterlassen. Das Bundesasylamt habe übersehen, dass sich gegenüber dem ersten Asylverfahren die Rechtslage und der Sachverhalt persönlich für den Beschwerdeführer geändert habe. Die belangte Behörde habe auch nicht darlegen können, warum trotz der faktischen Unmöglichkeit einer Behandlung der HIV-Infektion in Nigeria, welche der bekämpfte Bescheid über mehrere Seiten hinweg bestätige, für den Beschwerdeführer eine Rückkehr unter Wahrung der in Art. 2 und 3 EMRK garantierten Rechte möglich sein sollte. Angemerkt werde weiters, dass die belangte Behörde völlig übersehen habe, dass der Beschwerdeführer aufgrund der HIV-Infektion in Nigeria stigmatisiert wäre. Dies allein führe - noch ohne dass die Krankheit in voller Stärke ausgebrochen wäre - zu einer Unmöglichkeit der Aufrechterhaltung einer in Nigeria lebensnotwendigen sozialen Vernetzung.
Über diese Berufung hat der Unabhängige Bundesasylsenat erwogen wie folgt:
Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wenn die Behörde nicht Anlass zu einer Verfügung gemäß den Absätzen 2 bis 4 findet, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.
"Sache" des Berufungsverfahrens ist regelmäßig die Angelegenheit, die den Inhalt des Spruches des Bescheides der Unterinstanz gebildet hat, soweit dieser angefochten wurde (VwSlg 7548A/1969; VfSlg 7240/1973; VwGH 08.10.1996, 94/04/0248; Walter-Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze2, 1265 mwH).
Im vorliegenden Fall ist Sache des Berufungsverfahrens die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung des zweiten Asylantrages wegen entschiedener Sache. Die Rechtsmittelbehörde darf nur über die Frage entscheiden, ob die Zurückweisung (wegen entschiedener Sache) durch die Vorinstanz zu Recht erfolgt ist und hat dementsprechend entweder - im Falle des Vorliegens entschiedener Sache - das Rechtsmittel abzuweisen oder - im Falle der Unrichtigkeit dieser Auffassung - den bekämpften Bescheid ersatzlos mit der Konsequenz zu beheben, dass die erstinstanzliche Behörde in Bindung an die Auffassung der Rechtsmittelbehörde den gestellten Antrag jedenfalls nicht neuerlich wegen entschiedener Sache zurückweisen darf. Es ist der Rechtsmittelbehörde aber verwehrt, über den Antrag selbst meritorisch zu entscheiden (VwSlg 2066A/1951; VwGH 30.05.1995, 93/08/0207; Walter-Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze2, 1433 mwH).
Entschiedene Sache liegt vor, wenn sich gegenüber dem früheren Bescheid weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert haben (VwGH 21.03.1985, 83/06/0023, und andere). Aus § 68 AVG ergibt sich, dass Bescheide mit Eintritt ihrer Unanfechtbarkeit auch prinzipiell unwiderrufbar werden, sofern nicht anderes ausdrücklich normiert ist. Über die mit einem rechtswirksamen Bescheid erledigte Sache darf nicht neuerlich entschieden werden. Nur eine wesentliche Änderung des Sachverhaltes - nicht bloß von Nebenumständen - kann zu einer neuerlichen Entscheidung führen (vgl. z. B. VwGH 27.09.2000, Zl. 98/12/0057; siehe weiters die bei Walter/Thienel, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze, Bd. I, 2. Aufl. 1998, E 80 zu § 68 AVG wiedergegebene Judikatur).Es ist Sache der Partei, die in einer rechtskräftig entschiedenen Angelegenheit eine neuerliche Sachentscheidung begehrt, dieses Begehren zu begründen (VwGH 08.09.1977, 2609/76).
Gemäß § 41 Abs. 3 AsylG ist in einem Verfahren über eine Beschwerde gegen eine zurückweisende Entscheidung und die damit verbundene Ausweisung § 66 Abs. 2 AVG nicht anzuwenden. Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesasylamtes im Zulassungsverfahren statt zu geben, ist das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch statt zu geben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.
Der Beschwerdeführer gibt im neuerlichen Asylantrag an, an HIV erkrankt zu sein. Diese HIV-Erkrankung könnte unter bestimmten Voraussetzungen subsidiären Schutz rechtfertigen (siehe D. gegen Vereinigtes Königreich, EGMR Urteil vom 02.05.1997). Auch wenn ein subsidiärer Schutzgrund neu entsteht, kann dies nach dem AsylG 2005 die Durchführung eines neuerlichen Asylverfahrens rechtfertigen. Die Rechtsprechung zum AsylG 1997, wonach nur neue Asylgründe die Durchführung eines weiteren inhaltlichen Verfahrens rechtfertigen, kann nicht aufrecht erhalten werden.
Es wäre somit im Sinne der Entscheidung D. gegen Vereinigtes Königreich zu prüfen, ob der Beschwerdeführer bereits an HIV erkrankt ist bzw. in welchem Stadium dieser erkrankt ist und welche Behandlungsmöglichkeiten dem Beschwerdeführer konkret zur Verfügung stünden.
Demnach hätte das Bundesasylamt über den nunmehrigen zweiten Asylantrag in der Sache zu entscheiden gehabt und erweist sich die Zurückweisung wegen entschiedener Sache als rechtswidrig.
Es war daher der Beschwerde Folge zu geben und der angefochtene Bescheid ersatzlos zu beheben. Eine inhaltliche Entscheidung über den Asylantrag ist dem Asylgerichtshof verwehrt, weil er als Beschwerdeinstanz an die Grenzen der vom Bundesasylamt entschiedenen Verwaltungssache gebunden ist (vgl. VwSlg 11237A).