TE AsylGH Erkenntnis 2008/09/16 S9 401351-1/2008

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Veröffentlicht am 16.09.2008
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Spruch

S9 401.351-1/2008/3E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Dragoni als Einzelrichter über die Beschwerde der C.K., geb. 00.00.1973, StA. RUSSISCHE FÖDERATION, vertreten durch Mag. RUDERSTALLER Judith, Asyl in Not, 1090 Wien, Währingerstraße 59/2, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 04.08.2008, FZ. 08 04.156 EAST-Ost, zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 5, 10 AsylG idF BGBL. I Nr. 100/2005 als unbegründet abgewiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

1. Die Beschwerdeführerin, eine russischer Staatsangehörige, reiste am 11.05.2008 gemeinsam mit ihrem Ehemann und ihren Kindern illegal mit einem Kleinbus aus POLEN kommend in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Sie wurde hierzu am Tag der Antragstellung durch einen Organwalter des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Polizeiinspektion Traiskirchen erstbefragt. Dabei gab sie an, sie sei am 05.05.2008 gemeinsam mit ihrer Familie und ihrer Schwägerin von Grosny mit dem Zug über Moskau nach Brest gefahren. Von dort aus sei sie nach Terispol weitergereist. Am 08.05.2008 seien sie im Zug von polnischen Grenzbeamten angehalten und festgenommen worden. Sie hätten auch in Polen um Asyl angesucht. In welchem Verfahrensstand ihr Asylverfahren in POLEN bei ihrer Ausreise gewesen sei, wisse sie nicht. Nach ihrer Entlassung hätten sie einen Mann angesprochen und ihn gefragt, ob er sie nach ÖSTERREICH bringen könne. Er habe zugesagt und habe sie mit einem Taxi nach Warschau gebracht, wo er sie in einer Wohnung versteckt habe. Dort hätten sie zwei Tage verbracht. Einen Tag vor ihrer Ankunft in ÖSTERREICH seien sie mit einem blauen Kleinbus von POLEN in Richtung ÖSTERREICH aufgebrochen. Der Busfahrer habe sie nach Wien gebracht, wo er sie bei einem Bahnhof abgesetzt habe.

 

2. Am 15.05.2008 richtete das Bundesasylamt auf der Grundlage der konkreten Angaben der Beschwerdeführerin zu ihrem Reiseweg ein Wiederaufnahmeersuchen gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003 (Dublin II-VO) an die zuständige Behörde POLENS, welches am selben Tag elektronisch über DubliNET übermittelt wurde. Die entsprechende Mitteilung gemäß § 28 Abs. 2, 2. Satz AsylG 2005 über die Führung von Konsultationen mit POLEN erhielt die Beschwerdeführerin am 16.05.2008. Mit dem am 19.05.2008 beim Bundesasylamt eingelangten Schreiben der polnischen Behörde wurde die Zuständigkeit POLENS gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin II-VO bestätigt.

 

3. Auf der Grundlage einer am 18.06.2008 bei der EAST-Ost stattgefundenen Untersuchung übermittelte Dr. H., Ärztin für Allgemeinmedizin und Psychotherapeutische Medizin, am 24.06.2008 eine Gutachterliche Stellungnahme im Zulassungsverfahren. Die Ärztin kam zu dem Schluss, dass einer Überstellung der Beschwerdeführerin nach POLEN keine schwere psychische Störung entgegenstehe. Die Beschwerdeführerin leide an einer Anpassungsstörung, F43.22, Angst und depressive Reaktion gemischt. Es würden keine Hinweise auf eine Vernachlässigung der eigenen Interessen, auf Suizidgedanken oder auf die Vitalfunktionen gefährdende Symptome bestehen.

 

4. Am 24.06.2008 fand eine niederschriftliche Einvernahme der Beschwerdeführerin vor dem Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle Ost, zur Wahrung des Parteiengehörs im Beisein eines Rechtsberaters statt. Dabei brachte die Beschwerdeführerin vor, dass sich in ÖSTERREICH ihr Ehemann, ihre Kinder, ihre Schwägerin, mit welchen sie gemeinsam nach ÖSTERREICH gereist sei, sowie ihre Cousine, D.Z., ihre zwei Onkel, T.V. und V., und die drei Brüder ihres Ehemannes befinden würden. Auf Vorhalt des Bundesasylamtes, dass beabsichtigt sei, ihre Ausweisung nach POLEN zu veranlassen, gab die Beschwerdeführerin an, sie wolle nicht nach POLEN. Ihr Ziel sei von Anfang an ÖSTERREICH gewesen, weil ihre Verwandten hier leben würden. Sie habe mit den Brüdern ihres Ehemannes bis circa 1999 zusammengelebt. Ihre Cousine sei ihre Nachbarin gewesen. Sie hätten aber nicht in gemeinsamen Haushalt gelebt. Ihre Cousine helfe ihr jetzt. Diese sei vor fünf Jahren nach ÖSTERREICH gereist und habe einen positiven Bescheid erhalten. Sie habe eine Wohnung in Graz. Die Brüder ihres Mannes würden in Wien leben. Bis auf R. hätten die anderen Brüder einen positiven Bescheid erhalten. Sie habe von ihren Verwandten und den Brüdern ihres Mannes Unterstützungsleistungen erhalten. Ihre Cousine habe zweimal ein Paket mit Kindersachen, die Brüder ihres Mannes hätten mehrmals Pakete geschickt und Geld überwiesen. In ÖSTERREICH habe ihre Familie auch Geld von den Brüdern ihres Mannes erhalten. Sie und ihre Cousine seien wie leibliche Schwestern gewesen; sie habe ihre immer geholfen und seien sie zusammen aufgewachsen. Ihr Onkel V. habe ihr auch Geld zukommen lassen. Mit den Brüdern ihres Mannes habe sie immer zusammengelebt. Als ihre Cousine zu arbeiten begonnen habe, habe sie auch bei ihr im Haus gelebt. Auf Vorhalt, dass die Beschwerdeführerin gesagt habe, ihre Cousine sei ihre Nachbarin gewesen, führt die Beschwerdeführerin aus, dass sie während der Kindheit Nachbarn gewesen seien. Als ihre Cousine in Grosny Arbeit gefunden habe, sei sie in ihr Haus eingezogen, weil es näher zur Arbeit gewesen sei. Nachgefragt gab die Beschwerdeführerin weiters an, sie seien Nachbarn während der Kindheit in Grosny gewesen. Dann sei die Familie ihrer Cousine in ein Dorf gezogen. Sie habe in Grosny Arbeit gefunden und habe dann bei ihr gewohnt. Das sei irgendwann im Jahr 2000 gewesen. Sie habe geheiratet und sei weggefahren. Zur Gutachterlichen Stellungnahme brachte die Beschwerdeführerin vor, sie sei mit dem Gutachten nicht einverstanden. Sie könne nächtelang nicht schlafen und habe Angst vor Schritten und Klopfen. Früher habe sie das nicht gehabt. Des Weiteren führte die Beschwerdeführerin aus, dass die von ihr getätigten Angaben auch für ihre Kinder gelten würden. Seit ihrem Aufenthalt in ÖSTERREICH könne ihr Sohn, M., ohne Licht nicht schlafen. Ihre Kinder hätten keine nur sie betreffenden Gründe, die gegen eine Überstellung nach POLEN sprächen.

 

5. Mit dem verfahrensgegenständlichen Bescheid vom 04.08.2008, Zahl:

08 04.156 EAST-Ost, wurde der Antrag der nunmehrigen Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und festgestellt, dass für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz gemäß Art 13 iVm Art. 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003 POLEN zuständig sei. Gleichzeitig wurde die nunmehrige Beschwerdeführerin gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach POLEN ausgewiesen und festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung und Abschiebung nach POLEN gemäß § 10 Abs. 4 AsylG 2005 zulässig sei. Das Bundesasylamt traf umfangreiche länderkundliche Feststellungen zu POLEN, insbesondere zum polnischen Asylwesen sowie zur medizinischen Versorgung. Beweiswürdigend hielt die Erstbehörde im Wesentlichen fest, dass die nunmehrige Beschwerdeführerin keine stichhaltigen Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht habe, dass sie konkret Gefahr liefe, in POLEN Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden oder dass ihr durch die Überstellung eine Verletzung der durch Art. 3 oder Art. 8 EMRK gewährleisteten Rechte drohen könnte. Die Beschwerdeführerin hat den Bescheid persönlich am 13.08.2008 im Amt behoben.

 

6. Gegen den genannten Bescheid richtet sich die fristgerecht am 28.08.2008 eingebrachte Beschwerde, in welcher die Beschwerdeführerin im Wesentlichen die Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften behauptete. Das Verfahren sei mangelhaft, weil es das Bundesasylamt unterlassen habe, seiner Ermittlungspflicht nachzukommen. Zur Feststellung der Beziehungsintensität der Beschwerdeführerin zu ihren in ÖSTERREICH lebenden Verwandten seien keine Zeugen einvernommen worden. Ihr Sohn, M.C., habe psychische Probleme und habe sie dies bei ihrer Einvernahme angegeben. Trotzdem sei ihr Sohn keine psychologische Untersuchung durchgeführt worden. Des Weiteren würde die Entscheidung des Bundesasylamtes gegen Art. 8 EMRK verstoßen. Neben der Nahebeziehung zu den Brüdern ihres Mannes habe sie eigene Verwandte in ÖSTERREICH. Ihre Cousine, D.Z., sowie ihre Onkel, T.V. und V., seien anerkannte Flüchtlinge in ÖSTERREICH. Diese würden sie finanziell unterstützen. Insbesondere sei die Beziehung zu ihrer Cousine für sie sehr wichtig; sie sei für sie wie eine Schwester und seien sie gemeinsam aufgewachsen. Aufgrund des Vertretens rechtlicher Sonderpositionen gegenüber tschetschenischen Asylwerbern bestehe die Gefahr, dass die Beschwerdeführerin nicht den benötigten Schutz in POLEN bekomme und in der Folge eine Abschiebung in den Verfolgerstaat befürchten müsse. Auch wenn sie subsidiären Schutz in POLEN erhalten würde, würde dies den Entzug von existenziellen Lebensgrundlagen bedeuten.

 

7. Mit Schreiben vom 02.09.2008 (beim Asylgerichtshof am 08.09.2008 eingelangt) legte die Beschwerdeführervertreterin einen Psychotherapeutischen Kurzbericht vom 02.09.2008 von Herrn K. vor, aus welchen hervorgeht, dass er bei der Beschwerdeführerin eine Anpassungsstörung, F43.2), aufsitzend auf einer posttraumatischen Belastungsstörung, F43.1, zu Folge serieller Traumatisierung diagnostiziert wurde. Da die Beschwerdeführerin im Rahmen seines krankheitswertigen Syndroms retraumatisierungsanfällig sei, sei sie für den Fall der Ignoranz ihrer besonderen Schutz- und Schonungsbedürftigkeit einem Risiko der weiteren, anhaltenden Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes und der Verschlechterung ihrer Entwicklungsperspektive ausgesetzt.

 

II. Der Asylgerichtshof hat durch den zuständigen Richter über die gegenständliche Beschwerde wie folgt erwogen:

 

1. Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus den Ausführungen zu Punkt I sowie aus dem vorliegenden Verwaltungsakt.

 

2. Rechtlich ergibt sich Folgendes:

 

Mit Datum 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG idF BGBL. I Nr. 100/2005) und ist auf alle ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.

 

Gemäß § 23 AsylGHG sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

2.1. Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 ist ein nicht gemäß § 4 AsylG erledigter Asylantrag als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18.02.2003 zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Asylbehörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ist die Zurückweisung eines Antrages nach Maßgabe der § 10 Abs. 3 und Abs. 4 AsylG 2005 mit einer Ausweisung zu verbinden. Die Dublin II VO ist eine Verordnung des Gemeinschaftsrechts im Anwendungsbereich der 1. Säule der Europäischen Union (vgl Art. 63 EGV), die Regelungen über die Zuständigkeit zur Prüfung von Asylanträgen von Drittstaatsangehörigen trifft. Sie gilt also nicht für mögliche Asylanträge von EU-Bürgern, ebenso wenig ist sie auf Personen anwendbar, denen bereits der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Das wesentliche Grundprinzip ist jenes, dass den Drittstaatsangehörigen in einem der Mitgliedstaaten das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Asylverfahren zukommt, jedoch nur ein Recht auf ein Verfahren in einem Mitgliedstaat, dessen Zuständigkeit sich primär nicht aufgrund des Wunsches des Asylwerbers, sondern aufgrund der in der Verordnung festgesetzten hierarchisch geordneten Zuständigkeitskriterien ergibt.

 

2.1.1. Es ist daher zunächst zu überprüfen, welcher Mitgliedstaat nach den hierarchisch aufgebauten (Art. 5 Abs 1 Dublin II VO) Kriterien der Art. 6-12 bzw. 14 und Art. 15 Dublin II VO, beziehungsweise dem Auffangtatbestand des Art. 13 Dublin II VO zur inhaltlichen Prüfung zuständig ist.

 

2.1.1.1. Im vorliegenden Fall ist dem Bundesasylamt zuzustimmen, dass eine Zuständigkeit der Republik POLEN gemäß Art. 16 Abs 1 lit c Dublin II VO kraft vorangegangener erster Asylantragstellung in der Europäischen Union gemäß Art 13 Dublin II VO besteht. Die erste Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der getroffenen Unzuständigkeitsentscheidung ist somit gegeben und ist diese im Verfahren nicht bestritten worden.

 

2.1.1.2. Es sind auch aus der Aktenlage keine Hinweise ersichtlich, wonach die Führung der Konsultationen im gegenständlichen Fall derart fehlerhaft erfolgt wäre, sodass von Willkür im Rechtssinn zu sprechen wäre und die Zuständigkeitserklärung des zuständigen Mitgliedstaates wegen Verletzung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundsätze aus diesem Grund ausnahmsweise keinen Bestand haben könnte (Filzwieser, Subjektiver Rechtsschutz und Vollziehung der Dublin II VO - Gemeinschaftsrecht und Menschenrechte, migraLex, 1/2007, 22ff; vgl auch das Gebot der Transparenz im "Dublin-Verfahren", VwGH 23.11.2006, Zl. 2005/20/0444). Das Konsultationsverfahren erfolgte mängelfrei.

 

Im Lichte des Art. 7 VO 1560/2003 ergibt sich auch keine Verpflichtung seitens der beteiligten Mitgliedstaaten oder seitens der Regelungen der Dublin II VO, dass die Überstellung in einer Weise durchgeführt wird, die potentiell belastenden Zwangscharakter aufweist.

 

2.1.2. Das Bundesasylamt hat ferner von der Möglichkeit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO keinen Gebrauch gemacht. Es war daher noch zu prüfen, ob von diesem Selbsteintrittsrecht im gegenständlichen Verfahren ausnahmsweise zur Vermeidung einer Verletzung der EMRK zwingend Gebrauch zu machen gewesen wäre.

 

Der VfGH hat mit Erkenntnis vom 17.06.2005, Zl. B 336/05-11 festgehalten, die Mitgliedstaaten hätten kraft Gemeinschaftsrecht nicht nachzuprüfen, ob ein anderer Mitgliedstaat generell sicher sei, da eine entsprechende normative Vergewisserung durch die Verabschiedung der Dublin II VO erfolgt sei, dabei aber gleichzeitig ebenso ausgeführt, dass eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung im Einzelfall gemeinschaftsrechtlich zulässig und bejahendenfalls das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs 2 Dublin II VO zwingend geboten sei.

 

Die Judikatur des VwGH zu den Determinanten dieser Nachprüfung lehnt sich richtigerweise an die Rechtsprechung des EGMR an und lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben werden soll, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen. Wenn keine Gruppenverfolgung oder sonstige amtswegig zu berücksichtigende notorische Umstände grober Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten der EU in Bezug auf Art. 3 EMRK vorliegen (VwGH 27.09.2005, Zl. 2005/01/0313), bedarf es zur Glaubhaftmachung der genannten Bedrohung oder Gefährdung konkreter auf den betreffenden Fremden bezogener Umstände, die gerade in seinem Fall eine solche Bedrohung oder Gefährdung im Fall seiner Abschiebung als wahrscheinlich erscheinen lassen (VwGH 26.11.1999, Zl 96/21/0499, VwGH 09.05.2003, Zl. 98/18/0317; vgl auch VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059): "Davon abgesehen liegt es aber beim Asylwerber, besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vorzubringen und glaubhaft zu machen. Dazu wird es erforderlich sein, dass der Asylwerber ein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art 3 EMRK, nach sich ziehen könnte, und er die Asylbehörden davon überzeugt, dass der behauptete Sachverhalt (zumindest) wahrscheinlich ist." (VwGH 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949).

 

Die Vorlage allgemeiner Berichte ersetzt dieses Erfordernis in der Regel nicht (vgl VwGH 17.02.1998, Zl. 96/18/0379; EGMR Mamatkulov & Askarov v Türkei, Rs 46827, 46951/99, 71-77), eine geringe Anerkennungsquote, eine mögliche Festnahme im Falle einer Überstellung ebenso eine allfällige Unterschreitung des verfahrensrechtlichen Standards des Art. 13 EMRK sind für sich genommen nicht ausreichend, die Wahrscheinlichkeit einer hier relevanten Menschenrechtsverletzung darzutun. Relevant wäre dagegen etwa das Vertreten von mit der GFK unvertretbaren rechtlichen Sonderpositionen in einem Mitgliedstaat oder das Vorliegen einer massiv rechtswidrigen Verfahrensgestaltung im individuellen Fall, wenn der Asylantrag im zuständigen Mitgliedstaat bereits abgewiesen wurde (Art. 16 Abs. 1 lit. e Dublin II VO). Eine ausdrückliche Übernahmeerklärung des anderen Mitgliedstaates hat in die Abwägung einzufließen (VwGH 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582, VwGH 31.05.2005, Zl. 2005/20/0025, VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/19/0673), ebenso andere Zusicherungen der europäischen Partnerstaaten Österreichs (zur Bedeutung solcher Sachverhalte Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO, K13. zu Art 19 Dublin II VO).

 

Weiterhin hatte der Asylgerichtshof folgende Umstände zu berücksichtigen:

 

Bei entsprechender Häufung von Fällen, in denen in Folge Ausübung des Selbsteintrittsrechts die gemeinschaftsrechtliche Zuständigkeit nicht effektuiert werden kann, kann eine Gefährdung des "effet utile" Grundsatzes des Gemeinschaftsrechts entstehen.

 

Zur effektiven Umsetzung des Gemeinschaftsrechts sind alle staatlichen Organe kraft Gemeinschaftsrechts verpflichtet.

 

Der Verordnungsgeber der Dublin II VO, offenbar im Glauben, dass sich alle Mitgliedstaaten untereinander als "sicher" ansehen können, wodurch auch eine Überstellung vom einen in den anderen Mitgliedstaat keine realen Risken von Menschenrechtsverletzungen bewirken könnte (vgl. insbesondere den 2. Erwägungsgrund der Präambel der Dublin II VO), hat keine eindeutigen verfahrens- oder materiellrechtlichen Vorgaben für solche Fälle getroffen, diesbezüglich lässt sich aber aus dem Gebot der menschenrechtskonformen Auslegung des Gemeinschaftsrechts und aus Beachtung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundrechte ableiten, dass bei ausnahmsweiser Verletzung der EMRK bei Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat eine Überstellung nicht stattfinden darf. Die Beachtung des Effizienzgebots (das etwa eine pauschale Anwendung des Selbsteintrittsrechts oder eine innerstaatliche Verfahrensgestaltung, die Verfahren nach der Dublin II VO umfangreicher gestaltet als materielle Verfahren verbietet) und die Einhaltung der Gebote der EMRK stehen daher bei richtiger Anwendung nicht in Widerspruch (Filzwieser, migraLex, 1/2007, 18ff, Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO², K8-K13. zu Art. 19).

 

Die allfällige Rechtswidrigkeit von Gemeinschaftsrecht kann nur von den zuständigen gemeinschaftsrechtlichen Organen, nicht aber von Organen der Mitgliedstaaten rechtsgültig festgestellt werden. Der EGMR hat jüngst festgestellt, dass die Rechtsschutz des Gemeinschaftsrechts regelmäßig den Anforderungen der EMRK entspricht (30.06.2005, Bosphorus Airlines v Irland, Rs 45036/98).

 

Es bedarf sohin europarechtlich eines im besonderen Maße substantiierten Vorbringens und des Vorliegens besonderer vom Antragsteller bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, um die grundsätzliche europarechtlich gebotene Annahme der "Sicherheit" der Partnerstaaten der Europäischen Union als einer Gemeinschaft des Rechts im individuellen Fall erschüttern zu können. Diesem Grundsatz entspricht auch die durch das AsylG 2005 eingeführte gesetzliche Klarstellung des § 5 Abs 3 AsylG 2005, die Elemente einer Beweislastumkehr enthält. Es trifft zwar ohne Zweifel zu, dass Asylwerber in ihrer besonderen Situation häufig keine Möglichkeit haben, Beweismittel vorzulegen (wobei dem durch das Institut des Rechtsberaters begegnet werden kann), und dies mitzubeachten ist (VwGH, 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949), dies kann aber nicht pauschal dazu führen, die vom Gesetzgeber - im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht - vorgenommene Wertung des § 5 Abs 3 AsylG überhaupt für unbeachtlich zu erklären (dementsprechend in ihrer Undifferenziertheit verfehlt, Feßl/Holzschuster, AsylG 2005, 225ff). Eine Rechtsprechung, die in Bezug auf Mitgliedstaaten der EU faktisch höhere Anforderungen entwickelte, als jene des EGMR in Bezug auf Drittstaaten wäre jedenfalls gemeinschaftsrechtswidrig.

 

2.1.2.1. Mögliche Verletzung des Art. 8 EMRK

 

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in Ausübung dieses Rechts ist gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

Der EGMR bzw. die EKMR verlangen zum Vorliegen des Art. 8 EMRK das Erfordernis eines "effektiven Familienlebens", das sich in der Führung eines gemeinsamen Haushaltes, dem Vorliegen eines Abhängigkeitsverhältnisses oder eines speziell engen, tatsächlich gelebten Bandes zu äußern hat (vgl. das Urteil Marckx [Ziffer 45] sowie Beschwerde Nr. 1240/86, V. Vereinigtes Königreich, DR 55, Seite 234; hierzu ausführlich: Kälin, "Die Bedeutung der EMRK für Asylsuchende und Flüchtlinge: Materialien und Hinweise", Mai 1997, Seite 46).

 

Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse gemeinsame Intensität erreichen. Als Kriterien hierfür kommen etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes oder die Gewährung von Unterhaltsleistungen in Betracht. In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (vgl. EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; siehe auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (vgl. EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311), und zwischen Onkel und Tante und Neffen bzw. Nichten (vgl. EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1989, 761; Rosenmayer ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (vgl. EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).

 

Im vorliegenden Fall leben drei Brüder des Ehegatten sowie die Cousine und zwei Onkel der Beschwerdeführerin in ÖSTERREICH. Hiezu ist zunächst auszuführen, dass weder die Beziehung zwischen Brüdern noch die Beziehung zwischen Cousinen bzw. Onkel und Nichten von der oben zitierten Judikatur des EGMR grundsätzlich umfasst wird. Es ist daher zu prüfen, ob die vom EGMR geforderte Beziehungsintensität im gegenständlichen Fall vorliegt. Hierzu ist zunächst festzuhalten, dass sowohl die Brüder ihres Ehegatten als auch ihre Cousine und ihre Onkel bereits seit mehreren Jahren in ÖSTERREICH leben, während die Familie der Beschwerdeführerin selbst erst seit circa vier Monaten in ÖSTERREICH aufhältig ist und weder mit den Brüdern ihres Ehegatten noch mit ihrer Cousine oder ihren Onkel in gemeinsamen Haushalt lebt (siehe ZMR-Auskunft). Ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis ist der Aktenlage ebenfalls nicht zu entnehmen, zumal die Beschwerdeführerin in der Grundversorgung erfasst wird und sohin alle elementaren Grundbedürfnisse dadurch abgedeckt sind. Die Beschwerdeführerin führt zwar aus, dass sie sowohl von den Brüdern ihres Ehegatten als auch von ihren in ÖSTERREICH lebenden Verwandten hin und wieder Geld erhalten habe; diese finanziellen Zuwendungen sind allerdings zu unregelmäßig, als dass man von einer finanziellen Anhängigkeiten im Sinne der oben zitierten EGMR-Judikatur ausgehen könnte. Der Vollständigkeit halber ist überdies darauf hinzuweisen, dass die Angaben der Beschwerdeführerin in Bezug auf die Brüder ihres Ehegatten mit den diesbezüglichen Angaben ihres Ehegatten in Widerspruch stehen. Auch im Hinblick auf die Schilderung betreffend ihre Cousine verstrickte sich die Beschwerdeführerin in Ungereimtheiten. Doch auch wenn man von ihrem Vorbringen ausgeht, fehlt es an der von der oben dargestellten Judikatur geforderten besonderen Nahebeziehung, welche notwendig ist, um ein Art. 8 EMRK relevantes Familienleben mit den Brüdern ihres Ehemannes oder ihrer Cousine zu begründen. Weder lebte sie mit diesen Personen in den letzten Jahren in einem gemeinsamen Haushalt, noch sind die von ihr angeführten fallweisen Unterstützungen ausreichend, um von einem finanziellen Abhängigkeitsverhältnis zu sprechen.

 

Da auch auf der Grundlage ihrer eigenen Angaben ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis nicht erkennbar war, konnten weitere Erhebungen in diesem Zusammenhang zu Recht unterbleiben. Es liegen darüber hinaus auch keine Hinweise auf eine bereits erfolgte außergewöhnliche Integration in Österreich, etwa aufgrund sehr langer Verfahrensdauer, vor (vgl. VfGH 26.02.2007, Zl. 1802, 1803/06-11).

 

Zusammenfassend ist festzustellen, dass im gegenständlichen Fall auch nach Ansicht des Asylgerichtshofes nicht von der vom EGMR geforderten Beziehungsintensität gesprochen werden kann, weshalb eine Ausweisung der Beschwerdeführerin keine Verletzung der durch Art. 8 EMRK gewährleisteten Rechts auf Privat und Familienleben darstellt.

 

2.1.2.2. Kritik am polnischen Asylwesen

 

Ein konkretes Vorbringen, das geeignet wäre, anzunehmen, dass POLEN in Hinblick auf tschetschenische Asylwerber unzumutbare rechtliche Sonderpositionen vertreten würde, ist nicht erstattet worden. Der bloße Umstand, dass eine Reihe von Asylverfahren negativ endet (wobei in POLEN notorischerweise AntragstellerInnen aus Tschetschenien zumindest tolerierten Aufenthalt erhalten) ist mangels Bestehens eines allgemeinen Konsenses über eine Gruppenverfolgung von Tschetschenen in Russland (auch in Österreich wird eine solche in der Regel nicht bejaht) und mangels verifizierbarer Angaben über ein Fehlverhalten polnischer Behörden im vorliegenden Fall kein ausreichendes Argument die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG erschüttern zu können.

 

Die aktuellen auf Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation beruhenden Feststellungen des Bundesasylamtes zu POLEN, die in der erstinstanzlichen Einvernahme vorgehalten wurden, werden diesem Erkenntnis zugrunde gelegt. Hervorzuheben ist insbesondere, dass bei tschetschenischen Antragstellern aus POLEN praktisch keine Abschiebungen in die Russische Föderation erfolgen. Aus einer Mitteilung des Verbindungsbeamten des BMI in POLEN vom 23.08.2007 geht hervor, dass die jüngsten Änderungen in der polnischen Gesetzeslage für Fremde und Asylwerber insbesondere die Einführung des subsidiären Schutzes entsprechend gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben betreffen sollen. Die Einführung des "subsidiären Schutzstatus" neben Flüchtlingsstatus und "tolerated stay" lässt ebenso keine potentielle Gefährdung tschetschenischer Schutzsuchender erkennen, sodass auf die näheren Details des Inkrafttretens der jeweiligen Regelungen und des genauen Inhalts vorangegangener Gesetzesänderungen hier mangels Entscheidungsrelevanz nicht näher einzugehen war, da jedenfalls keine dieser Gesetzesänderungen Grund zur Annahme gibt, dass POLEN nunmehr allgemein oder im Besonderen gegenüber tschetschenischen Schutzsuchenden bedenkliche Sonderpositionen verträte.

 

Zur allgemeinen Versorgung von Asylwerbern in POLEN, denen "tolerated stay" zuerkannt wurde, steht unwidersprochen fest, dass solchen Personen die gleichen sozialen Rechte zuerkannt werden, wie polnischen Staatsbürgern. Der Verbleib in Flüchtlingslagern ist, wie nunmehr hervorgekommen ist, in Einzelfällen auch länger als 3 Monate nach Statuszuerkennung möglich. Das Ministerium für Arbeit und Sozialpolitik ist gesetzlich mit der Integration auch dieser Personengruppen betraut und diesbezüglich auch aktiv tätig. Die rasche Reaktion der polnischen Behörden auf den Zuwachs an Antragstellern in der 2. Jahreshälfte 2007 (Bau neuer Flüchtlingsunterbringungsstätten) zeigt, dass die entsprechenden Verpflichtungen tatsächlich ernst genommen werden.

 

2.1.2.3. Medizinische Krankheitszustände; Behandlung in POLEN

 

Unbestritten ist, dass nach der allgemeinen Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK und Krankheiten, die auch im vorliegenden Fall maßgeblich ist, eine Überstellung nach POLEN nicht zulässig wäre, wenn durch die Überstellung eine existenzbedrohende Situation drohte und diesfalls das Selbsteintrittsrecht der Dublin II VO zwingend auszuüben wäre.

 

In diesem Zusammenhang ist vorerst auf das jüngste diesbezügliche Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes (VfGH vom 06.03.2008, Zl: B 2400/07-9) zu verweisen, welches die aktuelle Rechtsprechung des EGMR zur Frage der Vereinbarkeit der Abschiebung Kranker in einen anderen Staat mit Art. 3 EMRK festhält (D. v. the United Kingdom, EGMR 02.05.1997, Appl. 30.240/96, newsletter 1997,93; Bensaid, EGMR 06.02.2001, Appl. 44.599/98, newsletter 2001,26; Ndangoya, EGMR 22.06.2004, Appl. 17.868/03; Salkic and others, EGMR 29.06.2004, Appl. 7702/04; Ovdienko, EGMR 31.05.2005, Appl. 1383/04; Hukic, EGMR 29.09.2005, Appl. 17.416/05; EGMR Ayegh, 07.11.2006; Appl. 4701/05; EGMR Goncharova & Alekseytsev, 03.05.2007, Appl. 31.246/06).

 

Zusammenfassend führt der VfGH aus, das sich aus den erwähnten Entscheidungen des EGMR ergibt, dass im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder selbstmordgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gibt. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung in Art. 3 EMRK. Solche liegen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben (Fall D. vs. the United Kingdom).

 

Jüngste Rechtsprechung des EGMR (N vs. UK, 27.05.2008) und Literaturmeinungen (Premiszl, Migralex 2/2008, 54ff, Schutz vor Abschiebung von Traumatisierten in "Dublin-Verfahren") bestätigen diese Einschätzung, wobei noch darauf hinzuweisen ist, dass EU-Staaten verpflichtet sind, die Aufnahmerichtlinie umzusetzen und sohin jedenfalls eine begründete Vermutung des Bestehens einer medizinischen Versorgung besteht.

 

Aus diesen Judikaturlinien des EGMR ergibt sich jedenfalls der für das vorliegende Beschwerdeverfahren relevante Prüfungsmaßstab.

 

Nach der geltenden Rechtslage ist eine Überstellung dann unzulässig, wenn die Durchführung eine in den Bereich des Art 3 EMRK reichende Verschlechterung des Krankheitsverlaufs oder der Heilungsmöglichkeiten bewirken würde (siehe Feststellungen des Innenausschusses zu § 30 AsylG); dabei sind die von den Asylbehörden festzustellenden Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat als Hintergrundinformation beachtlich, sodass es sich quasi um eine "erweiterte Prüfung der Transportfähigkeit" handelt.

 

Maßgebliche Kriterien für die Beurteilung der Art. 3 EMRK-Relevanz einer psychischen Erkrankung angesichts einer Abschiebung sind Aufenthalte in geschlossenen Psychiatrien infolge von Einweisungen oder auch Freiwilligkeit, die Häufigkeit, Regelmäßigkeit und Intensität der Inanspruchnahme medizinisch-psychiatrischer Leistungen, die Möglichkeit einer wenn auch gemessen am Aufenthaltsstaat schlechteren medizinischen Versorgung im Zielstaat sowie die vom Abschiebestaat gewährleisteten Garantien in Hinblick auf eine möglichst schonende Verbringung. Rechtfertigen diese Kriterien eine Abschiebung, hat eine denkmögliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes oder ungünstige Entwicklung des Gesundheitszustands außer Betracht zu bleiben, geschweige denn vermag die Verursachung von überstellungsbedingtem mentalen Stress eine Abschiebung unzulässig machen.

 

Akut existenzbedrohende Krankheitszustände oder Hinweise einer unzumutbaren Verschlechterung der Krankheitszustände im Falle einer Überstellung nach POLEN sind der Aktenlage nicht zu entnehmen. In diesem Zusammenhang ist auch auf die Gutachterliche Stellungnahme von Dr. H. vom 23.06.2008 hinzuweisen, wonach die Beschwerdeführerin zwar an einer Anpassungsstörung, F43.22, leide, sie allerdings nicht aufgrund dieser psychischen Störung im Falle einer Überstellung nach Polen in einen lebensbedrohlichen Zustand geraten könnte oder sich die Krankheit in lebensbedrohlichen Ausmaß verschlechtern könnte.

 

Des Weiteren ist auf die Feststellungen der Erstbehörde zur medizinischen Versorgung in POLEN zu verweisen. Die Auskünfte der Staatendokumentation lassen sehr wohl den Schluss zu, dass auch eine psychologische Versorgung besteht, die jedenfalls im Lichte der Judikatur des EGMR zu Krankheiten eine existenzbedrohende Gefährdung von psychisch kranken Personen qualifiziert unwahrscheinlich erscheinen lässt. Der Asylgerichtshof verkennt dabei nicht, dass es in der medizinischen Versorgung in POLEN (wie in vielen anderen Staaten) Verbesserungsbedarf gibt, dies tangiert zum einen jedoch nicht per se den Schutzbereich des Art. 3 EMRK, zum anderen ist aufgrund der Feststellungen des Bundesasylamtes davon, dass es jedenfalls keine schwerwiegenden Unterschiede zu Österreich gibt (alle Krankheiten grundsätzlich behandelbar).

 

Zusammenfassend liegt zwar eine leichte Anpassungsstörung der Beschwerdeführerin, aber kein außergewöhnlich schweres oder komplexes Krankheitsbild vor, welches in POLEN ausnahmsweise nicht behandelt werden könnte.

 

Zu dem in der Beschwerdeergänzung vorgelegten psychotherapeutischen Kurzbericht ist im Einzelnen auszuführen:

 

Ohne die fachliche Kompetenz des Psychotherapeuten K. grundsätzlich in Frage zu stellen, ist hier zunächst darauf hinzuweisen, dass in einem Verfahren des UBAS die Beweiskraft von dessen Befunden für die nach dem AsylG 2005 relevante Fragestellung einschließlich einer mündlichen Berufungsverhandlung im Hinblick auf die Überstellungsfähigkeit nach Art. 3 EMRK, stark relativiert wurde (UBAS 07.12.2007, Zl. 306.973-3/20E-IV/44/07; vgl auch UBAS 06.12.2007, Zl. 315.668-1/6E-V/13/07; zur maßgeblichen primär europäischen Rechtsprechung zu Krankheiten und Art. 3 EMRK siehe UBAS 15.11.2007, Zl. 315.499-1/2E-XVI/48/07). Auch unter Außerachtlassung dieses Umstandes und der offenkundigen formalen Mängel des "psychotherapeutischen Kurzberichtes" (Trennung Befund/Gutachten) sind darin aber keine konkreten Ausführungen enthalten, warum sich gerade anlässlich einer Überstellung nach POLEN, in einer der in der Dublin II VO vorgesehenen Varianten und unter Rücksichtnahme auf die Erkrankung, der psychische Krankheitszustand der Beschwerdeführerin unzumutbar verschlechtern würde. Ungeachtet dessen ist ferner auszuführen, dass in diesem Kurzbericht zur Frage der Überstellungsfähigkeit nach POLEN nicht Stellung genommen wurde. In diesem Zusammenhang ist nochmals auf UBAS 07.12.2007, Zl. 306.973-3/20E-IV/44/07 zu verweisen, in welchem Verfahren der Betreffende in der mündlichen Berufungsverhandlung einvernommen wurde und dieser die Verwendung von Textblöcken in seinen Kurzberichten zugestand

 

Es ist nochmals zu betonen, dass im gegenständlichen Zusammenhang nicht relevant ist, ob PTSD oder eine andere psychische Krankheit bei der Beschwerdeführerin vorliegt, sondern ob gerade die Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat der EU unzumutbare, Art. 3 EMRK verletzende Auswirkungen hat. Da sich jedoch substantiierte Hinweise auf eine Verletzung des Art. 3 EMRK bei einer Überstellung nach POLEN nicht ergeben, war im konkreten Verfahren zu dieser Frage eine Einholung eines weiteren Gutachtens bzw. eine sonstige Beweisaufnahmen nicht erforderlich.

 

Die Beschwerdeführerin legte im weiteren Verfahren auch keine Bestätigungen über die Inanspruchnahme psychiatrischer oder psychotherapeutischer Behandlungen vor. Auch ergaben sich keine Hinweise auf stationäre Aufenthalte der Beschwerdeführerin. Diese Umstände sprechen im Sinne der aufgezeigten Judikatur gegen eine Art. 3 EMRK-Relevanz des Gesundheitszustandes der Beschwerdeführerin, weshalb von einer Überstellungsfähigkeit der Beschwerdeführerin auszugehen.

 

Es stellt daher eine Überstellung der Beschwerdeführerin nach POLEN auch nach Ansicht des Asylgerichtshofes keine Verletzung des Art. 3 EMRK und somit auch keinen Anlass zur Ausübung des Selbsteintrittsrechtes Österreichs nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO dar.

 

2.1.2.4. Bedrohung durch russische/tschetschenische Staatsangehörige in POLEN

 

Das entsprechende vage Vorbringen des Ehegatten der Beschwerdeführerin kann in Ermangelung irgendwelcher Informationen, wonach die polnischen Sicherheitsorgane entgegen ihren asylrechtlichen Verpflichtungen systematisch mit russischen Organen kooperierten (entsprechende Belege wurden auch nicht erbracht), - bereits unbeschadet der Frage der Glaubwürdigkeit - nicht als relevant im Hinblick auf eine allfällige erheblich wahrscheinliche Verletzung des Art 3 EMRK gewertet werden.

 

Darüber hinaus ist grundsätzlich von Amts wegen nicht bekannt, dass der polnische Staat die Menschenrechte nicht achte oder an sich nicht in der Lage sei Menschenrechte sowie Leib und Leben von Menschen zu schützen, und der Beschwerdeführerin bei allfälligen gegen sie gerichteten kriminellen Handlungen in POLEN nicht die Möglichkeit offen stände, diese zur Anzeige zu bringen und staatlichen Schutz in Anspruch zu nehmen. Somit kann im konkreten Fall bei einer Rückkehr kein reales Risiko für den Beschwerdeführer erblickt werden.

 

2.1.2.5. Zusammenfassend sieht der Asylgerichtshof im Einklang mit der diesbezüglichen Sichtweise der Erstbehörde keinen Anlass, Österreich zwingend zur Anwendung des Art 3 Abs. 2 VO 343/2003 infolge drohender Verletzung von Art 3 oder Art 8 EMRK zu verpflichten.

 

2.1.3. Spruchpunkt I der erstinstanzlichen Entscheidung war sohin bei Übernahme der Beweisergebnisse und rechtlichen Würdigung der Erstbehörde mit obiger näherer Begründung zu bestätigen.

 

2.2. Spruchpunkt II:

 

Die Erwägungen der Erstbehörde zu Spruchpunkt II waren vollinhaltlich zu übernehmen. Auch im Beschwerdeverfahren sind keine Hinweise hervorgekommen, die eine Aussetzung der Überstellung der Beschwerdeführerin erforderlich erscheinen ließen. Diese erweist sich daher bezogen auf den Entscheidungszeitpunkt als zulässig.

 

2.3. Gemäß § 41 Abs 4 AsylG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden. Eine gesonderte Erwägung bezüglich einer allfälligen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung konnte angesichts des Spruchinhaltes entfallen.

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Ausweisung, familiäre Situation, Familienverfahren, gesundheitliche Beeinträchtigung, Intensität, kriminelle Delikte, medizinische Versorgung, real risk, staatlicher Schutz, Überstellungsrisiko (ab 08.04.2008)
Zuletzt aktualisiert am
20.11.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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