TE AsylGH Bescheid 2008/09/16 B11 305514-1/2008

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Veröffentlicht am 16.09.2008
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Spruch

B11 305.514-C1/4E-I/02/06

 

J. S.;

 

geb. 00.00..1978, StA.: Afghanistan;

 

Schriftliche Ausfertigung des öffentlich verkündeten

 

Bescheids des unabhängigen Bundesasylsenats

 

BESCHEID

 

SPRUCH

 

Der unabhängige Bundesasylsenat hat durch das Mitglied Dr. Moritz gemäß § 66 Abs. 4 AVG, BGBl. Nr. 51/1991 i.d.g.F., i.V.m. § 75 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, und § 38 Abs. 1 AsylG 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 i.d.F. BGBI. I Nr. 129/2004, entschieden:

 

Der Berufung von J. S. vom 21.09. 2006 gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 07.09.2006, Zahl: 05 20.552-BAG, wird stattgegeben und J. S. gemäß § 7 AsylG Asyl gewährt.

 

Gemäß § 12 leg. cit. wird festgestellt, dass J. S. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Text

BEGRÜNDUNG

 

I. Verfahrensgang

 

Mit o.g. Bescheid des Bundesasylamtes wurde der Asylantrag der berufende Partei, Staatsangehörige von Afghanistan, gemäß § 7 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.) und ihre Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 8 AsylG für nicht zulässig erklärt (Spruchpunkt II.), wobei gegen Spruchpunkt I. Berufung erhoben wurde. Am 02.01.2007 führte der unabhängige Bundesasylsenat eine mündliche Verhandlung durch, bei der folgende Dokumente (ergänzend zu den im bekämpften erstinstanzlichen Bescheid angeführten Ermittlungsergebnissen) in das Berufungsverfahren eingeführt und erörtert wurden:

 

o Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Afghanistan, Stand Juli 2003, vom 06.08.2003;

 

o Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Afghanistan, Stand Oktober 2004, vom 03.11.2004;

 

o Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Islamischen Übergangsstaat Afghanistan, Stand Juli 2003, vom 21.06.2005;

 

o Auswärtiges Amt, Schreiben an das VG Hamburg vom 11.09.2003;

 

o Amnesty International, Afghanistan: "No-one listens to us and no-one treat us as human beings": Justice denied to women, 06.10.2003;

 

o Amnesty International, Afghanistan: Re-establishing the rule of law, 14.08.2003;

 

o Amnesty International, Afghanistan: Crumbling prison system desperately in need of repair, Juli 2003;

 

o Amnesty International, Afghanistan: Out of sight, out of mind: The fate of the Afghan returnees, Juni 2003;

 

o Amnesty International, Deutschland, ai Jahresbericht 2003:

Afghanistan;

 

o Amnesty International, Deutschland, ai Jahresbericht 2004:

Afghanistan;

 

o Danesch, Gutachten an das VG Gießen vom 21.02.2003;

 

o Danesch, Gutachten an das VG Gießen vom 18.02.2003;

 

o Danesch, Gutachten an das VG Hamburg vom 24.01.2004;

 

o Danesch, Schreiben an das Sächsische Oberverwaltungsgericht vom 24.07.2004;

 

o Glatzer, Gutachten an das VG Braunschweig, 03.07.2003;

 

o Afghanistan Report: Country Information and Policy Unit: October 2003;

 

o Afghanistan Country Report: Country Information and Policy Unit:

October 2004;

 

o Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan - die aktuelle Situation, 03.03.2003;

 

o Schweizerische Flüchtlingshilfe, Asylsuchende aus Afghanistan, 10.03.2003;

 

o Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update über die Entwicklungen bis Februar 2004, 01.03.2004;

 

o UNHCR, UNHCR Returnee Monitoring Report Afghanistan an Reparation, January 2002 - March 2003, 01.04.2003;

 

o UNHCR, Aktualisierte Darstellung der Lage in Afghanistan:

Sicherheit, Menschenrechte, humanitäre Situation, September 2003;

 

o UNHCR, Land Issues Within the Repatriation Process of Afghan Refugees 01.09.2003;

 

o UNHCR, Aktuell: Lubbers: Stabilität ist der Schlüssel zur Rückkehr afghanischer Flüchtlinge, 01.04.2004;

 

o UNHCR, Schreiben an das VG Hamburg vom 04.11.2003;

 

o United Nations, Economic an Social Council, Other Human Rights Issues: Woman and Human Rights, 12.07.2002;

 

o US-Department of State, Afghanistan: Country Reports on Human Rights Practices - 2002, 31.03.2003;

 

o US-Department of State, Afghanistan: Country Reports on Human Rights Practices - 2003, 25.02.2004;

 

o US-Department of State, Afghanistan: Country Reports on Human Rights Practices - 2004, 28.02.2005;

 

o Human Rights Watch, World Report 2003: Afghanistan;

 

o Human Rights Watch, Briefing Paper: Between Hope an Fear: October 2004;

 

o Human Rights Watch, Country Summary: Afghanistan: January 2005;

 

o Pro Asyl, Gestrandet im Elend, Mai 2005;

 

o Dethloff: Reisebericht Afghanistan 2005; 31.05.2005;

 

o Informationsverbund e.V., Rückkehr nach Afghanistan, Juni 2005;

 

o Crisis Group, Asia Briefing Nr. 39: Political Parties in Afghanistan, 02.06.2005;

 

o R., Gutachten an den UBAS zu GZ 216.238-II/39 vom 12.02.2003;

 

o R., Gutachten an den UBAS zu GZ 217.268-X/28 u.a. vom 16.12.2002;

 

o R., Gutachten an den UBAS zu GZ 217.728-I/01 vom 13.11.2002;

 

o R., Gutachten an den UBAS zu GZ 222.028-X/28 vom 10.11.2002;

 

o R., Gutachten an den UBAS zu GZ 219.977-I/02 vom 24.05.2002;

 

o R., Gutachten an den UBAS zu GZ 224.360-I/02 vom 18.03.2002;

 

o R., Gutachten an den UBAS zu 221.300-I/02 vom 10.03.2002;

 

o R., Gutachten an den UBAS zu GZ 215.483-I/01 vom 18.02.2002;

 

o Bescheid des UBAS vom 11.04.2003, Zl. 223.962/8-X/28/03, samt den in dieser Entscheidung angeführten Quellen zu den Feststellungen betreffend die Situation in Afghanistan;

 

o Bescheid des UBAS vom 29.09.2003, Zl. 234.347/0-X/24/03, samt den in dieser Entscheidung angeführten Quellen zu den Feststellungen betreffend die Situation in Afghanistan;

 

o Bescheid des UBAS vom 11.02.2004, Zl. 219.896/7-I/02/04, samt den in dieser Entscheidung angeführten Quellen zu den Feststellungen betreffend die Situation in Afghanistan;

 

o Bescheid des UBAS vom 02.03.2005, Zl. 225.349-IX/28/05, samt den in dieser Entscheidung angeführten Quellen zu den Feststellungen betreffend die Situation in Afghanistan;

 

o Bescheid des UBAS vom 04.05.2005, Zl. 229.947/0-XII/36/02, samt den in dieser Entscheidung angeführten Quellen zu den Feststellungen betreffend die Situation in Afghanistan;

 

o Bescheid des UBAS vom 20.04.2005, Zl. 228.081/2-XIV/39/04, samt den in dieser Entscheidung angeführten Quellen zu den Feststellungen betreffend die Situation in Afghanistan;

 

o Bescheid des UBAS vom 22.04.2005, Zl. 239.275/0-XI/38/03, samt den in dieser Entscheidung angeführten Quellen zu den Feststellungen betreffend die Situation in Afghanistan;

 

o Bescheid des UBAS vom 19.05.2005, Zl. 255.384/0-XIV/16/04, samt den in dieser Entscheidung angeführten Quellen zu den Feststellungen betreffend die Situation in Afghanistan;

 

o Aktualisierte Fassung des Gutachtens von R. vom 10.11.2002 zur Lage der VDPA unter der Karzai-Regierung;

 

o UNHCR, Humanitäre Erwägungen im Zusammenhang mit der Rückkehr nach Afghanistan, Mai 2006.

 

o Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Afghanistan (Stand: Mai 2006), 13.07.2006;

 

o Staatendokumentation des BAA, Darstellung der allgemeinen Situation in Afghanistan, 20.03.2006;

 

o Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update, 03.02.2006;

 

o Amnesty International Deutschland, Jahresbericht 2006:

Afghanistan, Internetauszug vom 07.08.2006;

 

o Home Office, Country of Origin Information Report: Afghanistan, 16.10.2006;

 

o Home Office, Operational Guidance Note, Afghanistan, 18.08.2006;:

 

o Gutachten von Dr. R. im Rahmen der Verhandlungen seit dem 30.11.2007 beim Senatsmitglied I/02 (Anlage A der Niederschrift);

 

o schriftliche Gutachten von Dr. R. betreffend die Verhandlungen seit dem 30.11.2007 beim Senatsmitglied I/02 (Anlage B der Niederschrift);

 

Nach Schluss der genannten Verhandlung wurde sogleich der Berufungsbescheid mit dem o.a. Spruch beschlossen und öffentlich verkündet.

 

II. Der unabhängige Bundesasylsenat hat erwogen:

 

1. Folgender Sachverhalt wird festgestellt:

 

1.1. Für den als maßgeblich festgestellten Sachverhalt wird der Inhalt folgender den Parteien dieses Verfahrens zugänglichen und auch im Rahmen der öffentlichen Verhandlung der erkennenden Behörde erörterten Aktenteile zum Inhalt des gegenständlichen Bescheides erklärt, nämlich die Angaben der berufenden Partei zu ihrer Person in den Niederschrift des Bundesasylamtes vom 23.01.2006, S. 1, zu Punkt 1. Weiters wird auf ihre Angaben in der Niederschrift des unabhängigen Bundesasylsenates vom 04.09.2006, S. 2 verwiesen. Auch werden insbesondere ihre Angaben zu den Fluchtgründen in der angeführten Niederschrift vom 04.09.2006, S. 2 bis 5 zum Inhalt der Feststellungen erhoben.

 

1.2. Zur politischen und Menschenrechtssituation in Afghanistan:

 

1.2.1. Allgemeines

 

.) Die Taliban existieren als politisches System nicht mehr. Sie sind ab dem 10. 12. 2001 vollständig abgezogen. Am 5. 12. 2001 wurde von den Delegierten der Konferenz auf dem Petersberg das Afghanistan-Abkommen unterzeichnet. Damit wurde der international unterstützte Prozess des politischen, sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Wiederaufbaus Afghanistans eingeleitet. Am 22. 12. 2001 wurde eine Interimsregierung unter der Führung von Hamid Karzai eingerichtet. Am 19. 6. 2002 vereidigte die Loya Jirga die Interimsregierung unter Karzai. An dieser Regierung sind die verschiedenen Fraktionen und Ethnien Afghanistans beteiligt (vgl. hierzu generell die internationale Berichterstattung in Massenmedien).

 

.) Das Eingreifen der Anti-Terror-Allianz und der Sturz des Taliban-Regimes bieten Afghanistan nach 23 Jahren Bürgerkrieg und kriegerischer Auseinandersetzungen die Chance auf einen Neuanfang. Al Qaida und Rest-Taliban konnten zwischenzeitlich nachhaltig geschwächt werden, der Kampf gegen sie ist allerdings noch nicht abgeschlossen. Auch wenn der Friedensprozess sich ungeachtet von Defiziten bislang weitgehend stetig entwickelt, ist ein dauerhafter Ausgleich zwischen den innerafghanischen Fraktionen nach 23 Jahren Bürgerkrieg noch nicht in greifbare Nähe gerückt.

 

Die Sicherheitslage hat sich für afghanische Staatsangehörige weiterhin landesweit nicht verbessert, in mancher Beziehung sogar verschlechtert. Nach der Winterpause 2002/2003 sind in verschiedenen Teilen des Landes entsprechend traditionellem Muster zwischen militärischen und politischen Rivalen wieder Kämpfe ausgebrochen bzw. erhebliche Spannungszustände entstanden. Gewaltsame Auseinandersetzungen dauern in etlichen Provinzen regional oder lokal fort bzw. können wiederaufleben. Eine Rückkehr dorthin ist nicht ohne Risiko für Leib und Leben möglich. Die Antiterrorkoalition bekämpft die islamistischen Kräfte vor allem im Osten, Südosten und Süden von Afghanistan mit über 8.000 Mann.

 

Afghanistan gehört nach den Kriegsjahren und einer langjährigen Dürre zu einem der ärmsten Länder der Welt. Die Wirtschaftslage ist weiterhin desolat, erste Schritte zur Verbesserung der Rahmenbedingungen sind allerdings eingeleitet. Die humanitäre Situation stellt die Bevölkerung vor allem mit Blick auf die etwa 2 Millionen - meist aus Pakistan zurückgekehrten - Flüchtlinge vor große Herausforderungen.

 

Ebenso wie es meist an Verwaltungsstrukturen fehlt, kann bislang auch nicht von einem nur ansatzweise funktionierenden Justizwesen gesprochen werden. Es besteht keine Einigkeit über die Gültigkeit und damit Anwendbarkeit von Rechtssätzen. Zudem fehlt es an einer Ausstattung mit Sachmitteln und geeignetem Personal.

 

Die Menschenrechtssituation verbessert sich langsam, wobei zu beachten ist, dass diese Betrachtung vor dem Hintergrund eines bisher sehr niedrigen Niveaus erfolgt. Nur langsam verbessert sich auch die Lage der afghanischen Frauen, auch wenn gegen sie gerichtete Verbote aus der Taliban-Zeit formal aufgehoben sind (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Afghanistan, Stand Juli 2003, 6. 8. 2003, S. 5).

 

.) Mit dem Amtsantritt der Übergangsregierung im Dezember 2001 sollten nach 23 Jahren bewaffneten Konflikts der Kreislauf der Gewalt durchbrochen, Kriegsfürsten entwaffnet und von der Macht entfernt, die Anwendung von Folter und willkürlicher Verhaftungen geächtet werden. Afghanen/innen sollten sich frei äußern, Nachrichten ihrer Wahl konsumieren sowie private und berufliche Vereinigungen gründen können. Die allgemeine Ausgangslage war katastrophal: Alle zivilen und militärischen Einrichtungen hatten die Arbeit eingestellt: die Wirtschaft stand still, Banken, Bildungs-, Gesundheits- und Rechtssystem funktionierten nicht.

 

Abgesehen von den mit Hilfe der internationalen Gemeinschaft durchgesetzten ersten Erfolgen (Einführung neue Währung, Rückkehr von zwei Mio. Flüchtlinge, Unterricht für drei Mio. Kinder, erste Infrastrukturprojekte) geben die landesweit instabile Sicherheitslage, mangelnde Durchsetzungsfähigkeit und Akzeptanz der Übergangsregierung, das Fehlen eines Rechtssystems, die prekäre humanitäre Lage für große Teile der Bevölkerung sowie die schlechte Menschenrechtssituation in vielen Provinzen Anlass zur Besorgnis. Obwohl sich nach Vertreibung des Taliban-Regimes die Menschenrechtssituation verbesserte, werden weiterhin zahlreiche Menschenrechtsverbrechen verübt. Seit Ende 2002 wurde eine Zunahme gewaltsamer Aktionen gegen lokale und internationale Akteure verzeichnet.

 

In Afghanistan existiert ein Sicherheitsvakuum: Den insgesamt 15.000 Soldaten der Regierung, der internationalen Gemeinschaft (ISAF) sowie des US-Militärs stehen bis zu 300¿000 Kämpfer der von Ministern, Gouverneuren und Kriegsfürsten angeführten ethnischen Milizen gegenüber, die über 90 Prozent des Landes fest kontrollieren. Afghanistan hat weder eine lebens- und einsatzfähige nationale Armee noch eine landesweit einsetzbare Polizei. Die Regierung kontrolliert nur die Hauptstadt Kabul. Der Regierung fehlen die Steuereinnahmen, weil Kriegsfürsten alle Handelsrouten kontrollieren. Im Januar 2003 gestand Karzai ein, dass in den Provinzen "Gesetzlosigkeit" und "Korruption" vorherrschen, "Mord" und "Raub" verbreitet sind. Das Sicherheitsproblem wird durch reorganisierte Taliban-Gruppen sowie ein halbes Dutzend im Untergrund operierender regierungsfeindlicher Mujaheddin-Gruppen verschärft.

 

Bis Ende 2002 kamen etwa zwei Mio. Flüchtlinge - in einer der größten Rückführungsaktionen der Geschichte - vor allem aus dem Iran und Pakistan zurück, über eine Millionen mehr als erwartet. Die meisten Flüchtlinge kehrten in die Provinzen Kabul und Nangahar zurück, weshalb es zu Integrations- und Versorgungsproblemen kommt. 3,7 Mio. Flüchtlinge leben aber noch im Ausland. Abgesehen von militärischen und terroristischen Handlungen, die heute Hauptursache interner Vertreibung sind, verharren Rückkehrende auf Grund mangelnder Integration zumeist im Status von intern Vertriebenen. Für 2003 wird die Rückkehr von 1,5 Mio. Flüchtlingen und 300.000 intern Vertriebenen erwartet.

 

Millionen von Afghanen/innen verloren auf Grund des 23-jährigen Konflikts und der 4-jährigen Dürreperiode ihre Nahrungs- und Einkommensquellen. Es herrscht eine solch extremen Armut, wie sie zuletzt 1976 registriert worden war. Vier der 20 Mio. Afghanen sind auf Nahrungsmittelspenden angewiesen. Das Gesundheitssystem befindet sich in anhaltendem Verfall. Ein Grossteil der Schulen und Hauptstrassen sind zerstört. Die humanitäre Situation ist in vielen Provinzen katastrophal. In den Städten, vor allem in Kabul herrscht Wohnungsnot. Nur ein Viertel der Bevölkerung hat Zugang zu sauberem Trinkwasser, nur 12 Prozent zu sanitären Einrichtungen sowie 6 Prozent zu Strom. Die humanitäre Hilfe ist umfangreich, doch keinesfalls ausreichend, da der Grossteil von Nothilfe für Rückkehrende absorbiert wird.

 

Trotz Milliardenzusagen ist der Wiederaufbau nicht angelaufen. Die meisten Menschen verfügen nicht über das Geld, um sich die zahlreich vorhandenen, jedoch stark überteuerten Güter zu kaufen. Wer keine eigenen Ressourcen oder hervorragende berufliche Fähigkeiten besitzt, hat kaum eine Chance, sich den Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Selbst die Einkommen von Regierungsmitarbeitern werden oft monatelang nicht ausgezahlt und reichen kaum zur Ernährung ihrer Familien. Das Leiden der Bevölkerung hält an.

 

Zu den dringendsten Aufgaben gehören folgende Punkte, die zugleich Gradmesser der angestrebten Entwicklungen sind: Die Entwaffnung der Kämpfer und der Aufbau einer Armee; die Schaffung einer neuen Verfassung und eines Justizsystems; die Durchführung freier und fairer Wahlen 2004; die Kontrolle der Drogenwirtschaft; die Entwicklung einer Kultur der Menschenrechte, vor allem bezüglich von Frauen und Minderheiten sowie die Umsetzung des Wiederaufbauprogramms (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Asylsuchende aus Afghanistan, 10. 3. 2003, S. 4 f.).

 

1.2.2. Situation von (ehemaligen) Kommunisten und Anhängern säkular-demokratischen Bewegungen

 

Über eine Verfolgung ehemaliger Kommunisten seit Zusammentritt der IA ist nichts bekannt geworden. Eine Gefährdung - auch an Leib und Leben - hochrangiger früherer Repräsentanten der Demokratischen Volkspartei Afghanistans (Parcham- wie Khalq-Flügel) bzw. herausragender Militärs und Polizeirepräsentanten sowie des Geheimdienstes Khad der kommunistischen Zeit durch Teile der Bevölkerung kann allerdings als mögliche Reaktion auf frühere Menschenrechtsverletzungen nicht ausgeschlossen werden.

 

Personen, die sich der immer noch schwachen säkular-demokratischen Bewegung Afghanistans zugehörig fühlen, berichten vor allem von deutlichen Pressionen aus den Reihen lokaler Kommandeure, aber auch durch Mitglieder der Nordallianz in der Übergangsregierung (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Afghanistan, Stand November 2002, 2. 12. 2002, S. 11).

 

1.2.3. Situation der Frauen

 

Das afghanische Recht war bereits vor dem Taliban-Regime durch die Scharia und archaischpatriarchalische Strukturen mitgeprägt. Soweit bekannt, werden Frauen traditionell in einer Reihe von Bereichen benachteiligt: im Familien-, Erb-, Zivilverfahrens- sowie Strafrecht (vor allem "Ehebruch", selbst Opfer von Vergewaltigungen sind wiederholt bestraft worden.) Zudem gibt es Berichte, dass Frauen extralegal wegen "Ehebruchs" von Ehemännern oder anderen Familienmitgliedern umgebracht werden (so genannte "honor killings", die besonders im Herrschaftsbereich der Paschtunen vorkommen können). Arrangierte Ehen, Zwangsheirat, Verkauf von Mädchen in die Ehe sind weiterhin üblich. Das durchschnittliche Heiratsalter von Mädchen liegt bei 15 Jahren. Häusliche Gewalt ist weit verbreitet.

 

Im November 2002 waren 20 Frauen von Präsident Karzai begnadigt worden, die sich wegen Unzucht, Ehebruch oder anderer "moralischer" Verstöße in Haft befanden. Dennoch sind viele Frauen weiterhin wegen so genannter Sexualdelikte inhaftiert, weil sie sich beispielsweise einer Zwangsheirat durch Flucht zu entziehen versuchten, vor einem gewalttätigen Ehemann geflohen waren oder ihnen vorgeworfen wurde, ein uneheliches Kind geboren zu haben. Eine Verteidigung ihrer Rechte ist in einem Land, in dem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt und überwiegend von männlichen Richtern bestimmt wird, nicht einfach.

 

Von den Taliban gegen Frauen erlassene Verbote betreffend insbesondere die Freizügigkeit und Ausbildungs- sowie Arbeitsmöglichkeiten sind formal nicht mehr in Kraft. Gleichwohl haben sich bisher nur begrenzte Verbesserungen ergeben. Dies liegt unter anderem an der weiterhin strengen Ausrichtung an Traditionen, fehlender Schulbildung sowie an den für viele unsicheren Zukunftsperspektiven. In der Region Herat werden traditionell Mädchen und Frauen Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten nicht verwehrt, Frauen aber in ihrer sonstigen Bewegungs- und Handlungsfreiheit auf Grund des traditionellen Verhaltenskodex stark eingeschränkt. Dort sind verschiedene Restriktionen aus der Taliban-Zeit tatsächlich weiterhin vorhanden. Außerhalb der Städte hat sich die Situation für die weibliche Bevölkerung seit langen Jahren insgesamt nur wenig geändert.

 

Afghanische Frauen waren unter den Taliban seit 1996 von jeglicher Bildung ausgeschlossen. Die Analphabetenrate der Frauen liegt Schätzungen zufolge in der Größenordnung von 90 %. Besonders für die wenigen hoch qualifizierten Afghaninnen hat sich der Zugang zu adäquaten Tätigkeiten bei der Regierung verbessert. Im Sommer 2002 konnten zahlreiche Schulen für Mädchen eröffnet werden. Davon mussten einige nach Anschlägen jedoch wieder vorübergehend schließen. Fünf Mädchenschulen wurden vollständig niedergebrannt. Im Januar 2003 wurde die von UNICEF finanziell unterstützte "Afghan Women Judges Association" gegründet, deren Ziel es ist, eine aktive Beteiligung von Richterinnen und Anwältinnen in der Justiz zu sichern und gleichzeitig juristischen Beistand für afghanische Frauen bei der Durchsetzung ihrer Rechte bereitzustellen.

 

Obwohl es keinen staatlichen Zwang zum Tragen der "Burka" gibt, tragen die meisten Afghaninnen sie auch weiterhin. In Kabul hingegen scheint dies unter Studentinnen und Akademikerinnen ein wenig abzunehmen. Die "Burka" gibt den Frauen angesichts einer nach wie vor schwierigen Sicherheitslage wie einer außerordentlich patriarchalisch geprägten Gesellschaft auch nach dem Machtwechsel ein Gefühl von Sicherheit (u.a. Schutz gegen Vergewaltigungen). Die "Burka" war im Übrigen auch vor der Taliban-Herrschaft bei der weiblichen Bevölkerung auf dem Lande ein übliches Kleidungsstück. Der im Mai 2003 gegründete "Islamische Rat", dem repräsentative Geistliche angehören, hat die Beachtung der "Hijab"-Kleidervorschriften (Schleier, langes Kleid), nicht jedoch der Burka gefordert (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Afghanistan, Stand Juli 2003, 6. 8. 2003, S. 19 f.).

 

1.2.4. Zu den unter Ziff. 1.2.2 und 1.2.3. genannten und darüber hinaus gefährdeten Personengruppen ist ferner anzuführen:

 

Einer asylrelevanten Verfolgung können insbesondere die folgenden Personen und Personengruppen unterliegen, für die es auf Grund der instabilen Sicherheitssituation (Banditismus, Terrorismus, fehlende Durchsetzungskapazität des afghanischen Staates, Landminen) und der sozio-ökonomischen Unterentwicklung (schlechte Versorgungslage, eingeschränkte Mobilität) keine sichere oder zumutbare landesinterne Fluchtalternative gibt:

 

-

Angehörige und Mitarbeitende des kommunistischen Regimes

 

Es gibt Hinweise darauf, dass Personen, die mit dem kommunistischen Regime in Verbindung standen oder in Verbindung gebracht werden oder sich für einen säkularen Staat einsetzten, besonders gefährdet sind, Gewalt, Schikanen oder Diskriminierung ausgesetzt zu sein. Dies betrifft Mitglieder der kommunistischen Parteien sowie des Geheimdienstes. Bis heute gibt es keine offizielle Stellungnahme der Übergangsregierung in Bezug auf diese Personen. Der Gefährdungsgrad hängt besonders ab vom Grad der Identifikation mit der kommunistischen Ideologie, dem Bekanntheitsgrad, früheren Rang oder Position, dann von erweiterten familiären Beziehungen sowie Bildungsgrad und Auslandsaufenthalt. Im Einzelfall ist die Frage der Asylunwürdigkeit zu prüfen, da es unter der kommunistischen Herrschaft auch zu Menschenrechtsverletzungen gekommen ist (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Asylsuchende aus Afghanistan, 10. 3. 2003, S. 1).

 

-

Frauen, die sich der Gesellschaftsordnung widersetzen

 

Das Rechtssystem und die afghanische Gesellschaftsordnung diskriminieren Frauen in verschiedener Hinsicht, woraus zum Beispiel durch Verweigerung staatlicher Schutzgewährung in bestimmten Fällen eine asylrelevante Gefährdung resultieren kann. Insbesondere wegen folgender, als Delikte geahndeter Handlungen droht Frauen aus politischen oder religiösen Gründen bzw. wegen der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe eine unverhältnismäßig harte Bestrafung bis hin zur extralegalen Tötung: Verstöße gegen Kleidervorschriften und Moralvorschriften (z.B. berufliche Aktivitäten, Beziehung zu einem Nichtmuslim, außereheliche sexuelle Kontakte, Zwangsheirat) (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Asylsuchende aus Afghanistan, 10. 3. 2003, S. 1 f.).

 

-

Personen, denen Blutrache angedroht wurde

 

Die Sicherheit von Personen, denen Blutrache angedroht wurde, ist nicht gewährleistet. Das "Recht" der Blutrache gilt heute noch vor allem in den ländlichen Stammesgebieten. Es kann über mehrere Generationen vererbt werden und alle männlichen Mitglieder eines Klans für das Verbrechen eines Einzelnen haftbar machen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Asylsuchende aus Afghanistan, 10. 3. 2003, S. 3).

 

1.2.5. Situation der geistig behinderten Kinder

 

Psychisch kranke und geistig behinderte Menschen werden in Afghanistan besonders benachteiligt. Führen schon erwachsene Menschen mit Behinderung ein Leben ohne staatliche Unterstützung, so ist die Situation der Kinder noch schlimmer. Neben fehlender monetärer Unterstützung seitens des Staates, mangelt es in Afghanistan auch an den elementarsten Einrichtungen, wie staatlichen Betreuungsstellen oder Sonderschulen. Dies führt dazu, dass die Eltern Kinder mit geistiger Behinderung gar nicht zur Schule schicken, denn in "normalen" Schulen, würden diese Kinder ständig schikaniert werden. Auch im sonstigen Alltagsleben werden diese Kinder missbraucht, verprügelt oder sonstigen Beleidigungen ausgesetzt. Durch diese Umstände und Probleme bedingt sind die Eltern meistens ratlos und sie versuchen sich damit zu helfen, dass sie ihr behindertes Kind von der Öffentlichkeit fernhalten und sie es zu Hause verstecken. Ein menschenwürdiges Leben in Afghanistan ist für geistig behinderte Kinder nahezu unmöglich (Dr. R., Gutachten zu 228.507/12-I/02/06 vom 28.11.2006, S. 4).

 

1.2.6. Wirtschaftliche und humanitäre Situation

 

.) Die VN versorgen auch nach der in diesem Jahr überwiegend zu Ende gegangenen Dürre noch Millionen von Afghanen mit Nahrungsmitteln und Hilfsgütern (Zahlen saisonal schwankend). Darunter befinden sich über eine Million Binnenvertriebene und Rückkehrer. Die Versorgungslage hat sich in Kabul und zunehmend auch in den anderen großen Städten grundsätzlich verbessert. Wegen mangelnder Kaufkraft profitieren jedoch nicht alle Bevölkerungsschichten von der verbesserten Lage (Waren werden zu hohen Preisen verkauft). In anderen Gebieten Afghanistans kann die Versorgungslage als weiterhin nicht zufrieden stellend bis völlig unzureichend beschrieben werden. Gerade in den ländlichen Gebieten herrscht starke Mangelernährung. Während die Landwege für Lebensmitteltransporte in die großen Städte (Kabul, Herat, Mazar-i-Sharif) von VN-Transporten weitgehend wieder benutzt werden können, ist der Transport in entlegenere Gebiete nach wie vor sehr schwierig. Hauptprobleme sind neben der wachsenden Gefahr von kriminell motivierten Überfällen vor allem Landminen sowie Schnee im Winter (besonders in höheren Lagen).

 

Die medizinische Versorgung ist in Afghanistan auf Grund fehlender Medikamente, Geräte und Ärzte und mangels ausgebildetem Hilfspersonal völlig unzureichend. Afghanistan gehört zu den Ländern mit der höchsten Kindersterblichkeitsrate in der Welt. Die Lebenserwartung der afghanischen Bevölkerung liegt bei etwa 45 Jahren. Auch in Kabul, wo mehr Krankenhäuser als im übrigen Afghanistan angesiedelt sind, ist für die afghanische Bevölkerung noch keine hinreichende medizinische Versorgung gegeben. Im Herbst 2002 haben Keuchhusten sowie eine verwandte Krankheit (in nordöstlichen Provinzen, u.a. Badakhschan) in wenigen Tagen mindestens hundert Tote, meist Kinder und ältere Menschen, gefordert.

 

Humanitäre Hilfe wird weiterhin von erheblicher Bedeutung sein. Die Arbeit der Hilfsorganisationen wird vor allem im Norden durch Zugangsschwierigkeiten sowie durch die geschilderten Sicherheitsprobleme insbesondere in entlegenen ländlichen Gebieten erschwert (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Afghanistan, Stand Juli 2003, 6. 8. 2003, S. 21 f.).

 

.) Obwohl in Kabul eine leicht verbesserte Situation vorherrscht, erscheint angesichts der landesweiten katastrophalen humanitären Situation die Abschiebung von abgewiesenen Asylsuchenden nach Afghanistan zum heutigen Zeitpunkt generell unzumutbar. Speziell gefährdet sind:

 

-

besonders verletzliche Personen: Alte, Behinderte, Kinder, Kranke, Traumatisierte;

 

-

allein stehende Frauen, schwangere Frauen, verwitwete Frauen, allein erziehende Mütter und Frauen, die aus ihrer Familie verstoßen wurden;

 

-

Einzelpersonen, die in Afghanistan über kein tragfähiges soziales Netz verfügen und somit keine Überlebensmöglichkeit (Einkommen, Unterkunft) haben [...] (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Asylsuchende aus Afghanistan, 10. 3. 2003, S. 3).

 

1.2.7. Schließlich die Einschätzung des UNHCR zur Situation in Afghanistan im Überblick sowie der Forderungskatalog des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, der im Besonderen die gesellschaftlichen Diskriminierungen der Frauen in Afghanistan aufzeigt:

 

..) "Slow economic development and lack of job opportunities:

Although of common to all Afghans, these concerns contribute to the risk of renewed displacement, reverse movements and unsustainable return.

 

Lack of security: This results from the absence of rule of law and the limited outreach of the central authority. Tribal and traditional dispute settlement mechanisms have not been able to function adequately where local "commanderism" still prevails. Provincial institutions are still fragile and are currently unable to provide effective administrative and judicial structures. The delay in the demobilization and disarmament process has perpetuated the presence and influence of local commanders and armed elements, who commit acts of extortion, harassment, arbitrary and private detention, forcible military recruitment, sexual abuse and kidnapping against civilians. Several surveys of Afghans in Pakistan indicate that inadequate security is the most significant deterrent to return.

 

Problems with repossession of land and property: A key impediment to return has been the non-restitution of land and property. Evidenced in almost every province, this is often symptomatic of control by illegal armed elements of land and water resources. Mechanisms for dispute settlement are weakened by external pressures which prevent fair and objective justice.

 

Limited access to water due to drought or illegal control by armed groups, and to social services such as education and health: Some returnees have complained specifically about the lack and poor standards of maternity services.

 

Gender- and child-related concerns: The widespread absence of livelihood security has caused or may cause new displacement of men and adolescents, leaving women and children susceptible to physical abuse and social vulnerability. Respect for human rights and dignity are undermined in specific locations by the harassment of men, sexual and gender-based violence against women, and forcible recruitment of adolescents by both legal and illegal armed groups. These acts undermine national policies on security, demobilization, and advancement of women. In the same vein there is evidence of multiple and widespread gender-based discrimination against women and girls, including child-marriage and, in some locations, exclusion from education. While unnecessary restrictions on the realization of women's human rights are inconsistent with current national policies and the aspirations of many female returnees, the link between these facts and the statistics on maternal and infant mortality is a matter of grave concern which undermines national development" (UNHCR, UNHCR Returnee Monitoring Report Afghanistan an Reparation, January 2002 - March 2003, 1. 4. 2003, S. 3 f.).

 

..) "Der an die Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen erstattete Bericht des Generalsekretärs der Vereinten Nationen vom 12. Juli 2002 über die Lage der afghanischen Frauen und Mädchen [...] fordert, dass Verletzungen der Menschenrechte von Frauen und Mädchen in Afghanistan beendet werden müssten. In diesem Zusammenhang werden dringende Maßnahmen verlangt, um sicherzustellen, dass (a) gesetzliche Bestimmungen und Anordnungen, die Frauen und Mädchen diskriminieren und die volle Ausübung ihrer grundlegenden Rechte verhindern, aufgehoben werden sollen; (b) eine volle, gleichberechtigte und effektive Teilnahme von Frauen am bürgerlichen, kulturellen, wirtschaftlichen, politischen und sozialen Leben in Afghanistan ermöglicht wird; (c) das gleiche Recht der Frauen zu arbeiten und eine berufliche Position in allen Bereichen der afghanischen Gesellschaft einnehmen zu können, respektiert wird; (d) das gleiche Recht von Frauen und Mädchen auf Ausbildung ohne Schlechterstellung beachtet wird, sowie für eine Wiedereröffnung von Schulen im gesamten Land und die tatsächliche Zulassung von Frauen und Mädchen zur Ausbildung Sorge getragen wird; (e) das gleiche Recht von Frauen und Mädchen auf persönliche Sicherheit und körperliche Integrität respektiert wird und gegen die für Übergriffe gegen Frauen Verantwortlichen mit strafrechtlichen Mitteln vorgegangen wird; (f) das Recht der Frauen und Mädchen auf Bewegungsfreiheit respektiert wird und (g) ein effektiver und gleichberechtigter Zugang von Frauen und Mädchen zu gesundheitlichen Einrichtungen gewährleistet wird, um Frauen und Mädchen in ihrem Recht auf bestmögliche medizinische Versorgung zu schützen" (United Nations, Economic an Social Council, Other Human Rights Issues:

Woman and Human Rights, 12. 7. 2002, S. 2 f. - Originaltext in Englisch in deutscher Übersetzung wiedergegeben in UBAS 3. 1. 2003, Zl. 217.268/24-X/28/02).

 

2. Die oben angeführten Feststellungen ergeben sich aus folgender Beweiswürdigung:

 

2.1. Für die Glaubwürdigkeit der Angaben der berufenden Partei im Lichte des oben festgestellten maßgeblichen Sachverhaltes (Pt. II.1.) sprach, dass diese im Wesentlichen widerspruchsfrei waren bzw. etwaige aufgetretene Ungereimtheiten letztlich so weit nachvollziehbar aufgeklärt werden konnten, dass die Zweifeln an der Richtigkeit dieser Angaben nicht überwiegten. Ihre Identität konnte mittels ihres afghanischen Reisepasses festgestellt werden.

 

Auch die dem unabhängigen Bundesasylsenat vorliegenden Informationen über die politische und Menschenrechtslage im Herkunftsstaat der berufenden Partei (s. Pt. II.1.) lassen nicht den Schluss zu, dass dieses Vorbringen unwahr ist. Ebenso bestätigte auch der im Berufungsverfahren beigezogene Sachverständige, dass die diesbezüglichen, fluchtrelevanten Ausführungen der berufenden Partei den Tatsachen entsprechen können. Zwar seien die Ausführungen, dass sie schon im Kindesalter verheiratet worden sei, wodurch aus dieser Zwangsheirat eine Todfeindschaft entstanden sein solle, nicht authentisch. Ebenso verhalte es sich mit dem oftmaligen Pendeln ihrer Brüder zwischen dem Iran und Afghanistan, denn unter dem Lichte der Todfeindschaft hätten männliche Verwandte erhebliche Schwierigkeiten sich während einer Fehde in Afghanistan aufzuhalten. Die Ausführungen über das Leben als Frau in Afghanistan und die schändliche Behandlung ihres geistig schwer behinderten Kindes durch die Dorfbewohner sei aber sehr authentisch dargestellt worden. Weiters sprach das diesbezüglich authentische Auftreten der berufenden Partei für die Glaubwürdigkeit dieses Vorbringens (zur Bedeutung des persönlichen Eindrucks, den das zur Entscheidung berufene Mitglied der Berufungsbehörde im Rahmen einer mündlichen Verhandlung vom Berufungswerber gewinnt, s. für viele z.B. VwGH 20.05.1999, Zl. 98/20/0505, 24.06.1999, Zl. 98/20/0435). In Würdigung aller Umstände überwiegen im Ergebnis diejenigen, die für eine Heranziehung des angeführten Vorbringens der berufenden Partei als maßgeblichen Sachverhalt für die gegenständliche Entscheidung sprechen (vgl. UNHCR, Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, 1979, Rz. 203, mit dem Hinweis, nach dem Grundsatz "im Zweifel für den Antragsteller" zu verfahren).

 

2.2. Der von der erkennenden Behörde festgestellte Sachverhalt hinsichtlich der politischen und Menschenrechtslage im Herkunftsstaat der berufenden Partei bzw. bezüglich ihrer Situation im Falle ihrer Rückkehr in diesen Staat beruht im Wesentlichen auf die oben zitierten Gutachten bzw. Stellungnahmen des o.g. Sachverständigen sowie auf den stellvertretend für andere Informationsunterlagen vom Sachverständigen verfassten und von diesem in der o.g. Berufungsverhandlungen angeführten schriftlichen Gutachten (s. Pt. II.1.; zu den in diesen Unterlagen angeführten und auch vom Bundesasylamt sowie vom unabhängigen Bundesasylsenat als speziell eingerichtete Bundesbehörden als notorisch anzusehenden und daher jedenfalls auch von Amts wegen zu berücksichtigenden Tatsachen vgl. die einschlägige Judikatur z.B. VwGH 12. 5. 1999, Zl. 98/01/0365, und VwGH 25. 11. 1999, Zl. 99/20/0465; zu den laufenden Ermittlungs- bzw. Informationspflichten der Asylbehörden VwGH 6. 7. 1999, Zl. 98/01/0602, u.v.a.).

 

Die den Feststellungen zugrunde liegenden Ausführungen sind mit weiteren Nachweisen substantiiert, schlüssig und nachvollziehbar. Zudem wird die Seriosität und Aktualität der oben zitierten Ausführungen des im Berufungsverfahren beigezogenen Sachverständigen durch die ausführlichen und differenzierenden, auf die besonderen Umstände im Herkunftsstaat der berufenden Partei eingehenden Angaben bestätigt. Seine Fachkompetenz wurde bereits durch seine in einer Vielzahl von Verfahren vor dem unabhängigen Bundesasylsenat nicht nur beim erkennenden Mitglied erstatteten nachvollziehbaren und schlüssigen Gutachten über die aktuelle Lage im Herkunftsstaat der berufenden Partei unter Beweis gestellt - und wird auch durch seine berufliche Laufbahn und regelmäßigen Studienaufenthalte im Herkunftsstaat der berufenden Partei unterstrichen. Der Sachverständige ist in Afghanistan geboren und aufgewachsen, hat in Kabul das Gymnasium absolviert, in Wien Politikwissenschaft studiert und war in den 90er-Jahren an mehreren UN-Aktivitäten zur Befriedung Afghanistans beteiligt. Er verfügt nach wie vor über zahlreiche Kontakte in Afghanistan, ist mit den dortigen Gegebenheiten bestens vertraut und recherchiert selbst auch für die Berufungsbehörde immer wieder dort vor Ort. Er hat zur politischen Lage in Afghanistan publiziert und überdies im Auftrag anderer Mitglieder des unabhängigen Bundesasylsenats bereits zahlreiche nachvollziehbare und schlüssige Gutachten über die aktuelle Lage in Afghanistan erstattet.

 

Die Würdigung der Ausführungen des Sachverständigen erfolgte auch erfolgte auch vor dem Hintergrund der Angaben der sonstigen dem unabhängigen Bundesasylsenat vorliegenden Informationen. Ihre Aussagen ergeben zusammen mit den in diesen Dokumenten angeführten und mit weiteren Nachweisen versehenen Angaben sowie auch mit den sonstigen dem unabhängigen Bundesasylsenat vorliegenden Informationen insofern ein stimmiges Gesamtbild, als die vom Sachverständigen getroffenen Differenzierungen bei der Einschätzung der Verfolgungssituation bestimmter Personengruppen auch von diesen Quellen bestätigt werden (bzw. sich zumindest innerhalb des Spektrums der zu diesem Thema geäußerten Beurteilungen befinden).

 

Die herangezogenen Bescheinigungsmittel wurden im Hinblick sowohl auf ihre Anerkennung als seriöse und zuverlässige Quellen als auch auf ihre inhaltliche Richtigkeit von den Parteien dieses Verfahrens nicht bestritten bzw. sind diesbezüglich keine Zweifel hervorgekommen. Weiters wurden im Verfahren von den Parteien keine Umstände vorgebracht und haben sich bisher keine Anhaltspunkte ergeben, auf Grund derer sich die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat der berufenden Partei in nachvollziehbarer Weise als unrichtig erwiesen hätten.

 

3. Rechtlich ergibt sich:

 

Mit 01.07.2008 hat der Gesetzgeber den Asylgerichtshof als unabhängige Kontrollinstanz in Asylsachen eingerichtet. Die maßgeblichen verfassungsmäßigen Bestimmungen bezüglich der Einrichtung des Asylgerichtshofes befinden sich in den Art. 129c ff. B-VG. Gemäß Art. 151 Abs. 39 Z. 1 B-VG wird mit 01.07.2008 der bisherige unabhängige Bundesasylsenat zum Asylgerichtshof. Laut Z. 4 leg. cit. sind am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren vom Asylgerichtshof weiterzuführen. Bereits aufgrund der genannten Bestimmungen und der in ihnen erkennbar vom Verfassungsgesetzgeber vorgesehenen Kontinuität ergibt sich, dass der Asylgerichtshof auch für die schriftliche Ausfertigung von mündlich verkündeten Bescheiden des unabhängigen Bundesasylsenates zuständig ist. Im vorliegenden Fall wurde der Berufungsbescheid mit o. a. Spruch am 02.01.2007 und damit vor Einrichtung des Asylgerichtshofes beschlossen und öffentlich verkündet.

 

Gemäß § 38 Abs. 1 AsylG entscheidet der unabhängige Bundesasylsenat über Rechtsmittel gegen Bescheide des Bundesasylamtes.

 

3.1. Gemäß § 7 AsylG hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

 

Im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) vom 28. 7. 1951, BGBl. Nr. 55/1955, i. V.m. Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31. 1. 1967, BGBl. Nr. 78/1974, ist als Flüchtling anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und sich nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obige Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

 

Zentraler Aspekt der [...] in Art. 1 Abschnitt A Z. 2 Genfer Flüchtlingskonvention definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 19. 12. 1995, Zl. 94/20/0858, u.a.m., S.a. VfGH 16. 12. 1992, Zl. B 1035/92, Slg. 13314).

 

Gemäß § 12 AsylG ist die Entscheidung, mit der Fremden von Amts wegen, auf Grund Asylantrages oder Asylerstreckungsantrages Asyl gewährt wird, mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

 

3.2. Die o.a. Feststellungen (s. Ziff. II.1.) zugrundelegend kann hinreichend davon ausgegangen werden, dass der im Falle ihrer Rückkehr in diesem Staat eine asylrelevante Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht (vgl. VwGH 23. 9. 1998, Zl. 98/01/0224). Diese Beurteilung ergibt sich auf Grund der Gesamtsituation aus objektiver Sicht (s. hierzu VwGH 12. 5. 1999, Zl. 98/01/0365), die nicht nur die individuelle Situation des Berufungswerbers, sondern auch die generelle politische Lage in seinem Herkunftsstaat sowie die Menschenrechtssituation derjenigen Personen bzw. Personengruppe berücksichtigt, deren Fluchtgründe mit seinen vergleichbar sind.

 

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes können grundlegende politische Veränderungen in dem Staat, aus dem der Asylwerber aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung geflüchtet zu sein behauptet, die Annahme begründen, dass der Anlass für die Furcht vor Verfolgung nicht (mehr) länger bestehe. Allerdings reicht eine bloße - möglicherweise vorübergehende - Veränderung der Umstände, die für die Furcht des betreffenden Flüchtlings vor Verfolgung mitbestimmend waren, jedoch keine wesentliche Veränderung der Umstände mit sich brachte, die zur Ansehung des Asylwerbers als Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK führten, nicht aus, um nicht mehr von der Flüchtlingseigenschaft des Asylwerbers zum Beurteilungszeitpunkt auszugehen (VwGH 3. 5. 2000, Zl. 99/01/0359 unter Bezugnahme auf VwGH 21. 1. 1999, Zl. 98/20/0399; vgl. auch VwGH 25. 1. 2001, Zl. 98/20/0549).

 

Aus dem oben festgestellten Sachverhalt ergibt sich, dass von einer grundlegenden Änderung der Situation der Frauen in Afghanistan im Sinne der eben zitierten Judikatur (noch) nicht ausgegangen werden kann. Die dargelegten massiven gesellschaftlichen Diskriminierungen, die Frauen in Afghanistan erfahren, belegen, dass diese weiterhin de facto einer Verletzung in grundlegenden Rechten ausgesetzt sind. Wie bereits oben ausgeführt (s. Ziff. II.1.2.), bestehen nach wie vor gesellschaftliche Normen dahingehend, dass Frauen sich nur bei Vorliegen bestimmter Gründe alleine in der Öffentlichkeit bewegen dürfen. Widrigenfalls haben Frauen mit Beschimpfungen und Bedrohungen zu rechnen bzw. sind der Gefahr willkürlicher Übergriffe ausgesetzt. Afghanischen Frauen ist es daher auch derzeit nicht möglich, sich ungehindert und sicher in der Öffentlichkeit zu bewegen. Neben diesen Einschränkungen ihrer Selbstbestimmung und ihrer Bewegungsfreiheit kommen massive gesellschaftliche Diskriminierungen u.a. beim Zugang zur Gesundheitsversorgung, bei Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten hinzu.

 

Zur Lage von Frauen unter dem Taliban-Regime vertrat der Verwaltungsgerichtshof die Ansicht, dass bei einer ganzheitlichen Würdigung der von den Taliban gegen die Frauen getroffenen Maßnahmen die asylrechtliche Intensität zu bejahen sei (s. VwGH 16. 4. 2002, Zl. 99/20/0483). Das Ermittlungsverfahren im vorliegenden Fall hat ergeben, dass noch keine gravierende Änderung der die afghanischen Frauen betreffenden Umstände im Vergleich zu der dem zitierten Erkenntnis zu Grunde liegenden Tatsachenlage stattgefunden hat. Diese Umstände waren nicht bloß auf die Politik der Taliban, sondern auf grundlegende traditionell-gesellschaftliche, den Status der afghanischen Frauen definierende Normen zurückzuführen, die von den Taliban lediglich in verschärfter Weise aufgegriffen worden sind. Aus dem Ende des Taliban-Regimes lässt sich daher eine wesentliche Änderung der die afghanischen Frauen betreffenden Umstände nicht ableiten. Die gegenwärtige Situation in Afghanistan geht somit in ihrer Gesamtheit und Vielgestaltigkeit nach wie vor über das Vorliegen einer bloßen (asylrechtlich nicht beachtlichen) Diskriminierung gegenüber Frauen hinaus.

 

Zwar stellen diese Umstände keine Eingriffe von "offizieller" Seite dar, d.h. sie sind von der gegenwärtigen afghanischen Regierung nicht angeordnet. Andererseits ist es der Zentralregierung auch nicht möglich, für die umfassende Gewährleistung grundlegender Rechte und Freiheiten hinsichtlich der Bevölkerungsgruppe der afghanischen Frauen Sorge zu tragen. Der afghanische Staat kommt damit seinen (positiven) Schutzpflichten hinsichtlich dieser Bevölkerungsgruppe nicht nach. Insofern, was das die berufende Partei treffende Sicherheitsrisiko und die Einschränkungen in ihren persönlichen Rechten von Privatpersonen (etwa Teilen der lokalen Bevölkerung) angeht, ist die sie betreffende Situation als nicht-staatliches Verfolgungsrisiko zu qualifizieren. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt auch einer von privaten Personen oder Gruppierungen ausgehenden Verfolgung asylrechtliche Relevanz zu. Für die Beurteilung der asylrechtlichen Relevanz ist nicht auf die Qualifikation des Urhebers des Verfolgungsrisikos abzustellen, sondern lediglich auf die Möglichkeit, angesichts einer bestehenden Gefährdung ausreichenden Schutz im Herkunftsland in Anspruch zu nehmen. Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er auf Grund staatlicher Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ihm dieser Nachteil auf Grund einer von dritten Personen ausgehenden, vom Staat nicht ausreichend verhinderbaren Verfolgung mit derselben Wahrscheinlichkeit droht. In beiden Fällen ist es ihm nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohl begründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen (VwGH 22. 3. 2000, Zl. 99/01/0256, u.v.m.).

 

Im vorliegenden Fall ist daher zu prüfen, ob es der berufenden Partei möglich ist, angesichts des sie betreffenden Sicherheitsrisikos ausreichenden Schutz im Herkunftsstaat in Anspruch zu nehmen bzw. ob der Eintritt des zu befürchtenden Risikos - trotz Bestehens von Schutzmechanismen im Herkunftsstaat - wahrscheinlich ist. Eine solche Wahrscheinlichkeit ist deshalb zu bejahen, weil in Afghanistan derzeit weder ein funktionierender Polizei- oder Justizapparat besteht, noch überhaupt davon auszugehen ist, dass der tatsächliche Machtbereich der gegenwärtigen Regierung über die Grenzen der Hauptstadt reicht. Weiters ist nicht davon auszugehen, dass im Wirkungsbereich einzelner lokaler Machthaber effektive Mechanismen zur Verhinderung von Übergriffen und Einschränkungen gegenüber Frauen bestünden; vielmehr liegt ein derartiges Vorgehen gegenüber Frauen teilweise ganz im Sinne der lokalen Machthaber. Für die ist damit nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass sie angesichts des sie als Frau betreffenden Risikos, Opfer von Übergriffen und Einschränkungen zu werden, ausreichenden Schutz im Herkunftsstaat finden kann.

 

Im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan wäre die daher mit einer für sie prekären Sicherheitslage konfrontiert. Das bedeutet, dass für sie in Afghanistan, auch in Kabul, ein erhöhtes Risiko besteht, Eingriffen in ihre physische Integrität und Sicherheit ausgesetzt zu sein. Dieses Risiko ist sowohl als generelle, die afghanischen Frauen betreffende Gefährdung zu sehen (Risiko, Opfer einer Vergewaltigung oder eines sonstigen Übergriffs bzw. Verbrechens zu werden) als auch als spezifische Gefährdung, bei non-konformem Verhalten (d.h. bei Verstößen gegen gesellschaftliche Normen wie beispielsweise Bekleidungsvorschriften) Sanktionen ausgesetzt zu sein. Aus beiden Aspekten resultierend ist die - ihrem Erscheinungsbild und ihren Angaben nach westlich orientierte - berufende Partei im Fall ihrer Rückkehr nach Afghanistan mit einer Situation konfrontiert, in der sie in der Ausübung grundlegender Menschenrechte beeinträchtigt ist. Für die berufende Partei wirkt sich die derzeitige Situation in Afghanistan daher so aus, dass sie im Fall einer Rückkehr einem Klima ständiger latenter Bedrohung, struktureller Gewalt und unmittelbaren Einschränkungen und durch das Bestehen dieser Situation einer Reihe von Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt ist.

 

Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft. Im Fall der E Partei kann dieses oben dargestellte Verfolgungsrisiko bereits wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe vorliegen (zur Gruppe der afghanischen Frauen vgl. VwGH 16. 4. 2002, Zl. 99/20/0483; 20. 6. 2002, Zl. 99/20/0172; zum Begriff der sozialen Gruppe vgl. auch die Nachweise in UBAS 3. 1. 2003, Zl. 217.268/24-X/28/02), das in seiner Gesamtheit von asylrelevanter Intensität sein kann.

 

An dieser Einschätzung der Situation der berufende

Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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