TE AsylGH Erkenntnis 2008/09/17 C10 313776-1/2008

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.09.2008
beobachten
merken
Spruch

C10 313776-1/2008/3E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richter Mag. Daniel LEITNER als Vorsitzenden und den Richter Mag. Dr. René BRUCKNER als Beisitzer über die Beschwerde des T.D., geb. 00.00.1954, StA. Vietnam, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 19.07.2007, Zl. 07 01.188-BAE in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

In Erledigung der Beschwerde von T.D. vom 31.07.2007 wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

Verfahrensgang:

 

1. Der Beschwerdeführer brachte am 02.02.2007 einen Antrag auf internationalen Schutz ein. Er wurde am selben Tag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes befragt, wobei er zu seinem Fluchtgrund anführte, dass er in einer Gemeinde in einer Station für chinesische Medizin tätig gewesen sei. Der Leiter dieses Hauses sei korrupt gewesen, aus diesem Grund habe er eine Beschwerde an das Ministerium für Gesundheit geschrieben. Daraufhin habe er einen Drohbrief erhalten, in welchem man ihm mitgeteilt habe, dass er, wenn er weiter leben wolle, den "Mund halten" solle. Er habe den Brief bei der Polizei vorgelegt, die Polizei habe jedoch den Verfasser des Briefes nicht ausfindig machen können. Er sei schließlich eines Tages von der Polizei verhaftet worden, weil jemand Suchtgift in einer Lade seines Arbeitsplatzes versteckt habe, von 00.00.2006 bis 00.00.2006 sei er im Gefängnis in der Provinz H. gewesen, dann habe ihm sein Freund geholfen auszureisen.

 

Am 02.02.2007 fand eine (kurze) niederschriftliche Einvernahme, sowie am 08.02.2007 eine weitere niederschriftliche Einvernahme des Genannten statt. Im Zuge dieser Einvernahme erklärte der Antragsteller, dass er in der medizinischen Station in T. gearbeitet habe. Im Jahr 2004 sei ein neuer Leiter namens N.A. gekommen, dessen Onkel sei Mitarbeiter des Gesundheitsministeriums, dessen Bruder Generalsekretär der Gemeinde gewesen. Die medizinische Station habe Geld für einen Neubau beantragt und 150 Mio. Dong bekommen, der Neubau habe schließlich nur 120 Mio. Dong gekostet, weshalb er eine Aufklärung über den Verbleib der Differenz gefordert habe. Eine Aufklärung sei jedoch niemals passiert, sondern es sei ihm angedroht worden, dass er seinen Arbeitsplatz wechseln müsse. Er habe schließlich am 00.00.2005 einen Beschwerdebrief an das Amt für Gesundheit des Bezirkes/ der Provinz geschickt. Der Vorfall mit dem Suchtgift sei am 00.00.2006 passiert. Dieses Suchtgift sei ihm untergeschoben worden, man habe ihn in der Folge inhaftiert. In Haft sei er von der Polizei geschlagen und gefoltert worden. Am 00.00.2006 habe er versucht sich das Leben zu nehmen, man habe ihn jedoch gerettet. Am 00.00.2006 sei sein Freund T.N. ins Gefängnis zu Besuch gekommen, dieser wollte ihm helfen zu fliehen. Am 00.00.2006 habe er unter Aufsicht Reis von außerhalb in das Gefängnis bringen sollen, da habe ein Mann zu ihm gesagt, er solle ihm folgen. Er sei zu dem Mann ins Auto gestiegen und sei mit ihm zur Stadt N. gefahren, wo er sich bis zum 10.11.2006 aufgehalten habe. Er sei aus Vietnam geflohen, weil ihm sein Freund gesagt habe, wenn er in Vietnam bleibe, dann würde er von der Polizei oder vom Leiter der medizinischen Station getötet werden. Er habe sich in keinem anderen Teil von Vietnam niederlassen können, weil man ihn dort in diese "Suchgiftgeschichte" hineingezogen habe, im Falle seiner Rückkehr würde ihn die Familie dieses Leiters töten, weil er diesen angezeigt habe. Er könne in Vietnam zudem nicht mehr weiter leben, weil er geschieden sei und die Kinder nicht mehr bei ihm seien und er im Falle seiner Rückkehr inhaftiert werden würde.

 

Am 04.07.2007 wurde der Antragsteller vor der belangten Behörde neuerlich einvernommen, wobei er auf sein Vorbringen anlässlich seiner ersten Einvernahme verwies und überdies ausführte, dass er in Österreich keine Dokumente habe. In seiner Heimat seien noch seine ehemalige Ehefrau, sowie auch seine beiden Söhne und seine Schwester. Zu seinem Fluchtgrund bekräftigte er neuerlich, dass es in seiner Heimat einen Korruptionsfall gegeben habe. Die Gesundheitskammer habe der Gemeinde 150 Mio. Dong für die Renovierung und die medizinischen Einrichtungen des Krankenhauses gegeben, der Leiter des Krankenhauses habe davon 30 Mio. Dong unterschlagen. Er habe verlangt, dass man die Bilanzen offenlegt, woraufhin ihm 10 Mio. Dong angeboten worden seien, er habe dieses Geld jedoch nicht angenommen. Ihm sei vom Leiter mit einer Versetzung gedroht worden und er habe eine Lohnerhöhung, welche er alle drei Jahr erhalte, nicht bekommen. Nachdem er Anzeige an das Gesundheitsamt erstattet habe, habe er am 00.00.2005 ein Drohschreiben ohne Absender erhalten. Er habe sich damals nur an das Gesundheitsministerium gewendet, bei der Polizei habe er keine Anzeige erstattet. Im Jänner oder Februar 2006 habe er einen Freund besucht, während dieses Besuches sei sein Haus angezündet worden. Am 00.00.2006 sei er von der Polizei aufgesucht und ihm vorgeworfen worden, dass er Drogen verkaufen würde. Die Krankenstation sei durchsucht und von der Polizei Drogen (Opium) sichergestellt worden. In diesem Drogenpäckchen habe sich ein persönlich an den Antragsteller gerichtetes Schreiben mit dem Wortlaut befunden: "Ich kann auch nächste Woche bezahlen." Der Antragsteller erklärte weiters, dass er bei der Provinzpolizei festgehalten und von ihm ein Geständnis verlangt worden sei, man habe ihn auch geschlagen. Am 00.00.2006 habe er dann einen Selbstmordversuch unternommen, sei jedoch von anderen Gefangenen gerettet worden. Am 00.00.2006 habe ihn sein Freund besucht, diesem habe er seine Geschichte erzählt. Am 00.00.2006 hätte er aus einem Geschäft Essen holen sollen, dabei habe ihm ein Bekannter seines Freundes namens D. zur Flucht verholfen. Bis zur Ausreise habe er sich dann in P. aufgehalten.

 

2. Mit Bescheid vom 19.07.2007, Zahl: 07 01.188-BAE, zugestellt am 23.07.2007, wies das Bundesasylamt den Antrag auf internationalen Schutz vom 02.02.2007 gemäß § 3 AsylG 2005 ab, erkannte gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG den Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Vietnam nicht zu und verband diese Entscheidung mit einer Ausweisung. Die Entscheidung wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der vom Antragsteller angeführte Sachverhalt in Zweifel gezogen werde. Der Genannte habe die Behauptung, dass der Leiter des Krankenhauses , in welchem er gearbeitet hatte, korrupt gewesen und er deswegen einer Bedrohung ausgesetzt gewesen sei, nur allgemein in den Raum gestellt, ohne diese belegen oder glaubhaft machen zu können. Bei den vom Antragsteller vorgebrachten Problemen handle es sich um keine staatliche Verfolgung im Sinne der Konvention, sondern um Übergriffe von Privatpersonen. Die Gefahr der Verfolgung wegen einer Straftat stelle ebenfalls keine asylrechtlich relevante Verfolgung dar. Dem Bundesasylamt lägen zudem keine Informationen über gezielte Verfolgung von abgewiesenen Asylwerbern vor, sodass die Rückkehrbefürchtungen nicht nachvollziehbar, nicht plausibel und daher als nicht glaubhaft zu befinden seien.

 

3. Gegen diesen Bescheid wurde am 31.07.2007 Berufung (nunmehr als Beschwerde zu werten) eingebracht. In der Beschwerdeschrift führte der Beschwerdeführer zusammengefasst aus, dass die Behörde zu ihrer abweisenden Entscheidung aufgrund einer fehlerhaften und nicht nachvollziehbaren Beweiswürdigung gekommen sei. Entgegen der Ansicht der Erstbehörde erfülle das Vorbringen des Bf. den Begriff der politischen Verfolgung. Insbesondere sei im erstinstanzlichen Bescheid nicht auf die Festnahme und Inhaftierung eingegangen worden, zudem die Haftbedingungen in Vietnam nicht erhoben, sowie die Strafdrohung für das ihm vorgeworfene Delikt nicht festgestellt worden. Die Erstbehörde habe es unterlassen, den Antragsteller mit den Widersprüchen zu konfrontieren, um diesem damit die Möglichkeit der Klarstellung zu geben. Der Antragsteller sei nicht auf die vorgesehene Weise manuduziert worden; die Erstbehörde habe nicht über die Bedeutung der Feststellungen in Vietnam aufgeklärt, ansonsten hätte der Bf. nicht auf die Möglichkeit der Stellungnahme verzichtet. Der Antragsteller sei daher mehrfach in seinem Recht auf Parteiengehör verletzt worden. Zudem liege ein Begründungsmangel vor, weil aus dem Bescheid nicht ersichtlich sei, warum der konkret vorgebrachte Sachverhalt in Zweifel gezogen werde. Den behördlichen Feststellungen zu Art. 274 des vietnamesischen Strafgesetzbuches sei entgegenzuhalten, dass das erwähnte Abkommen mit Deutschland und nicht mit Österreich abgeschlossen worden sei, verlässliche Angaben über die Situation von Rückkehrern aus Österreich würden fehlen; in diesem Zusammenhang sei auf den Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 08.03.2007, Zl. 267.546/0/3E-XVI/48/06 zu verwiesen, wonach die Gefährdung eines Rückkehrers nicht generell ausgeschlossen werden könne.

 

4. Mit Einrichtung des Asylgerichtshofes wurde der gegenständliche Verfahrensakt der Gerichtsabteilung C10 zugeteilt.

 

Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Am 1. Juli 2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren sind vom Asylgerichtshof nach Maßgabe des § 75 AsylG 2005 idF. BGBl. I Nr. 4/2008 weiterzuführen.

 

Gemäß § 23 AsylGHG sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

1.1. Gemäß § 9 Abs. 1 AsylGHG, BGBl. I Nr. 4/2008 in der geltenden Fassung entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten, soweit eine Entscheidung durch einen Einzelrichter oder Kammersenat nicht bundesgesetzlich vorgesehen ist. Gemäß § 60 Abs. 3 AsylG 2005 entscheidet der Asylgerichtshof über Beschwerden gegen zurückweisende Bescheide nach den §§ 4 und 5 AsylG 2005 und nach § 68 AVG durch Einzelrichter. Gemäß § 42 AsylG 2005 entscheidet der Asylgerichtshof bei Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung oder Rechtsfragen, die sich in einer erheblichen Anzahl von anhängigen oder in naher Zukunft zu erwartender Verfahren stellt, sowie gemäß § 11 Abs. 4 AsylGHG, wenn im zuständigen Senat kein Entscheidungsentwurf die Zustimmung des Senates findet durch einen Kammersenat. Im vorliegenden Verfahren liegen weder die Voraussetzungen für eine Entscheidung durch einen Einzelrichter noch die für eine Entscheidung durch den Kammersenat vor.

 

2. Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde (aufgrund oben zitierter Bestimmungen auch der AsylGH), so der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen.

 

Gemäß Absatz 3 dieser Gesetzesstelle kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnissen vom 21. November 2002, Zl. 2002/20/0315 und Zl. 2000/20/0084, grundsätzliche Ausführungen zur Anwendbarkeit des § 66 Abs. 2 AVG im Asylverfahren im Allgemeinen und durch den Unabhängigen Bundesasylsenat im Besonderen getätigt. Dabei hat er im letztgenannten Erkenntnis insbesondere ausgeführt:

 

"Bei der Abwägung der für und gegen eine Entscheidung gemäß § 66 Abs. 2 AVG sprechenden Gesichtspunkte muss nämlich auch berücksichtigt werden, dass das Asylverfahren nicht nur möglichst kurz sein soll. Zur Sicherung seiner Qualität hat der Gesetzgeber einen Instanzenzug vorgesehen, der zur belangten Behörde und somit zu einer gerichtsähnlichen, unparteilichen und unabhängigen Instanz als besonderem Garanten eines fairen Asylverfahrens führt (vgl. bereits das Erkenntnis vom 16. April 2002, Zl. 99/20/0430). Die der belangten Behörde in dieser Funktion schon nach der Verfassung zukommende Rolle einer 'obersten Berufungsbehörde' (Art. 129c 1 B-VG) wird aber ausgehöhlt und die Einräumung eines Instanzenzuges zur bloßen Formsache degradiert, wenn sich das Asylverfahren einem eininstanzlichen Verfahren vor der Berufungsbehörde nähert, weil es das Bundesasylamt ablehnt, auf das Vorbringen sachgerecht einzugehen und brauchbare Ermittlungsergebnisse in Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen."

 

In Erkenntnis vom 17.10.2006 (Zl 2005/20/0459) hat der VwGH betont, dass eine Behebung nach § 66 Abs 2 AVG nur zulässig ist, wenn eine weitere Verhandlung/Einvernahme erforderlich ist, was nicht der Fall wäre, wenn die Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens durch schriftliches Parteiengehör saniert hätten werden können.

 

3. Der Verwaltungsgerichtshof hat nun zusammengefasst in verschiedenen Erkenntnissen betont, dass eine umfangreiche und detaillierte Erhebung des asylrechtlich relevanten Sachverhaltes durch die Behörde erster Instanz durchzuführen ist. Im vorliegenden Fall ist dies in qualifizierter Weise unterlassen worden, dies aus folgenden Erwägungen:

 

Die Erstbehörde tätigte auf den ersten Blick umfangreiche Feststellungen zur Situation in Vietnam (Seite 107 bis 117 des bekämpften Bescheides). Der Bescheid enthält jedoch größtenteils Feststellungen, die nur teilweise (bzw. keinerlei) Bezug zum Vorbringen des Asylwerbers aufweisen. So finden sich Feststellungen über die aktuelle politische Situation, Menschenrechte im Allgemeinen, Behörden/Justiz, die allgemeine Versorgungslage, medizinische Versorgung, sowie Bewegungsfreiheit in Vietnam. Feststellungen, die konkret auf das Vorbringen des Asylwerbers bezogen wären, müssten jedoch jedenfalls auch Ausführungen über die Haftbedingungen in Vietnam enthalten, zumal der Antragsteller im Zuge seiner Einvernahmen erklärte, dass er wegen des Vorwurfes des Drogenbesitzes bzw.

 

-verkaufes bereits inhaftiert gewesen sei (und er in Haft geschlagen und gefoltert worden sei). Dass die Erstbehörde von der Unglaubwürdigkeit dieser Angaben ausginge wurde in der Beweiswürdigung nicht dargelegt, vielmehr argumentierte die belangte Behörde in diesem Zusammenhang nur: "Hinzu kommt, dass die Gefahr der Verfolgung wegen einer Straftat in der Regel keine asylrechtlich relevante Verfolgung darstellt..."

 

Zu den verwendeten Quellen ist im gegenständlichen Fall anzumerken, dass zum Zeitpunkt der Erlassung der erstinstanzlichen Entscheidung ein aktuellerer Bericht des Auswärtigen Amtes (von April 2007), als der teilweise zitierte aus März 2006 (Seite 107 ff des erstinstanzlichen Bescheides) heranzuziehen gewesen wäre. Dies gilt auch für den im erstinstanzlichen Bescheid zitierten Bericht des U.S. Department of State, Country Reports on Human Rights Practices ( Seite 111 des erstinstanzlichen Bescheides), zitiert mit dem Datum 08.03.2006, zum Entscheidungszeitpunkt aktuell vom 06.03.2007, sowie den zitierten Bericht des U.K. Home Office, Country Report Vietnam aus April 2006, zum Entscheidungszeitpunkt aktuell aus Dezember 2006.

 

Insbesondere ist im gegenständlichen Fall dem Einwand des Beschwerdeführers in seiner Beschwerdeschrift (in Hinblick auf Art. 274 des vietnamesischen Strafgesetzbuches) beizutreten, wonach das in den diesbezüglichen Feststellungen erwähnte Abkommen mit Deutschland und nicht mit Österreich abgeschlossen worden ist und daher verlässliche Angaben über die Situation von Rückkehrern aus Österreich fehlen. Der von der belangten Behörde verwertete Bericht bezieht sich - wie auch in der Beschwerde zu Recht dargestellt - nur auf die Behandlung vietnamesischer Rückkehrer aus Deutschland vor dem Hintergrund des genannten Abkommens. Daraus kann nicht ohne weiteres auf die Rückkehrsituation geschlossen werden, die nach (erfolgloser) Asylantragstellung und einem mehrjährigen Aufenthalt außerhalb Vietnams dorthin aus Österreich abgeschoben werden. Auch wenn im diesbezüglichen Bericht (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Situation in der Sozialistischen Republik Vietnam, 31.03.2006) angeführt wird, dass dem Auswärtigen Amt, anderen befragten westlichen Botschaften in Vietnam und dem UNHCR keinerlei Strafverfolgungsmaßnahmen gegenüber Rückkehrern wegen ungenehmigter Ausreise bekannt seien, so kann dies keinen Aufschluss darüber geben, ob es nicht dennoch derartige Maßnahmen nach einem "unerlaubten" Verbleib (siehe diesbezüglich die Terminologie des Art. 274 des vietnamesischen Strafgesetzbuches) gibt. Die belangte Behörde hätte daher - korrespondierend mit den entsprechenden Feststellungen - auch prüfen müssen, ob die im gegenständlichen Fall vorliegenden Umstände (Asylantragstellung und der Verbleib in einem westeuropäischen Land) den genannten Straftatbestand erfüllten und ob der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr deshalb mit einer unverhältnismäßigen Bestrafung zu rechnen hätte (dazu siehe auch VwGH 02.03.2006, Zl. 2003/20/0342).

 

Es hätte jedenfalls im Sinne des § 45 Abs 3 AVG auch einer Konfrontation der Partei mit dem (wie oben aufgezeigt) amtswegig zu ermittelnden Sachverhalt und den diesbezüglichen Beweismitteln bedurft. Den Parteien ist das Ergebnis der behördlichen Beweisaufnahme in förmlicher Weise zur Kenntnis zu bringen und ausdrücklich unter Setzung einer angemessenen Frist Gelegenheit zu geben, zu diesen Ergebnissen Stellung zu nehmen (VwGH 05.09.1995, Zl. 95/08/0002), was nicht geschehen ist. Gegenstand des Parteiengehörs sind sämtliche Ergebnisse der Beweisaufnahme. Auch soweit die Behörde bestimmte Tatsachen als offenkundig behandelt, ist dies der Partei bekannt zu geben (VwGH 17.10.1995, Zl. 94/08/0269). Gemäß der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 27.02.2003, Zl. 2000/18/0040) ist die Verletzung des Parteiengehörs zwar saniert, wenn im Bescheid die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens dargelegt werden und die Partei die Möglichkeit hat, in ihrer Berufung dagegen Stellung zu nehmen - Voraussetzung einer solchen Sanierung ist aber, dass in der erstinstanzlichen Bescheidbegründung tatsächlich alle Beweisergebnisse dargelegt werden, da ansonsten die Berufungsbehörde das Parteiengehör einräumen müsste (VwGH 25.03.2004, Zl. 2003/07/0062). Durch die oben dargestellte mangelhafte Bescheidbegründung ist dieses Erfordernis aber nicht erfüllt.

 

Der Verwaltungsgerichtshof verlangt in seiner jüngsten Rechtsprechung eine ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens eines Asylwerbers unter dem Gesichtspunkt der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers und der objektiven Wahrscheinlichkeit seines Vorbringens, wobei letzteres eine Auseinandersetzung mit (aktuellen) Länderberichten verlangt (VwGH vom 26.11.2003, Zl.: 2003/20/0389). Aufgrund des augenscheinlich mangelnden Ermittlungsverfahrens der Erstbehörde hat die Erstbehörde jedenfalls eine solche ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens nicht vorgenommen, da das Bundesasylamt dieses offensichtlich nicht anhand der konkret entscheidungsrelevanten aktuellen Situation gewürdigt hat.

 

Aus Sicht der Berufungsbehörde verstößt das Prozedere der Erstbehörde somit gegen die von § 28 AsylG 1997 determinierten Ermittlungspflichten. Der für den Umfang der Ermittlungspflicht maßgebliche § 28 AsylG bestimmt nämlich, dass die Asylbehörden in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen durch Fragestellung oder in anderer geeigneter Weise darauf hinzuwirken haben, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amts wegen beizuschaffen. Diese Rechtsnorm, die eine Konkretisierung der aus § 37 AVG i.V.m. § 39 Abs. 2 leg. cit. hervorgehenden Verpflichtung der Verwaltungsbehörde, den maßgeblichen Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln und festzustellen ist, hat die Erstbehörde in diesem Verfahren missachtet.

 

4. Im gegenständlichen Fall ist der angefochtene Bescheid des Bundesasylamtes und das diesem zugrunde liegende Verfahren im Ergebnis so mangelhaft, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Weder erweist sich der Sachverhalt in Verbindung mit der Beschwerde als geklärt, noch ergibt sich aus den bisherigen Ermittlungen sonst zweifelfrei, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspräche. Im Gegenteil ist das Verfahren der Erstbehörde mit den unter Punkt 3 oben dargestellten schweren Mängeln behaftet. Sämtliche Erhebungen, welche grundsätzlich von der Erstbehörde durchzuführen sind, wären demnach durch den Asylgerichtshof zu tätigen, sohin verbietet sich unter Berücksichtigung der oben dargestellten Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes und unter Effizienzgesichtspunkten eine Heranziehung des § 66 Abs 3 AVG.

 

5. Die Rechtssache war daher spruchgemäß an die Behörde erster Instanz zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Die Erstbehörde wird im fortzusetzenden Verfahren die dargestellten Mängel zu verbessern haben.

Schlagworte
Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung
Zuletzt aktualisiert am
27.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten