D2 238903-0/2008/29E
ERKENNTNIS
Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. Feßl als Einzelrichter über die Beschwerde des M.A., geb. 00.00.1957, StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 17.06.2003, FZ. 02 26.040-BAE, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 21.08.2008 zu Recht erkannt:
Die Beschwerde wird gemäß § 7 AsylG 1997 idF BGBl. I Nr. 126/2002, als unbegründet abgewiesen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
I. Verfahrensgang und Sachverhalt:
Der (nunmehrige) Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe, reiste am 12.09.2002 von der Slowakei kommend illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 13.09.2002 einen Antrag auf die Gewährung von Asyl, wozu er von einem Beamten der Grenzbezirksstelle Neusiedl/See in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die russische Sprache niederschriftlich befragt wurde. Er gab dabei im Wesentlichen an, dass er in seiner Heimat keine Arbeit bekomme und nicht wolle, dass seine Kinder im Krieg aufwachsen würden. Er habe einige Dinge verkauft um nach Österreich zu gelangen, da er von Landsleuten gehört habe, dass es in Österreich gut sei.
Am 04.11.2002 wurde der Beschwerdeführer zu seinem Fluchtweg und den Fluchtgründen durch einen Organwalter des Bundesasylamtes, Außenstelle Eisenstadt, niederschriftlich befragt und brachte dabei - kurz zusammengefasst - folgenden Sachverhalt vor:
Er habe mit seiner Gattin und seinen drei Kindern in U. in Tschetschenien gelebt. Ende August 2002 hätten sie ihre Heimatstadt verlassen und seien über die Ukraine in die Slowakei und von dort nach Österreich gereist. Seit 1994 werde Tschetschenien bombardiert. Beim ersten Feldzug sei ihr Haus teilweise zerstört worden. Schon damals habe er die Absicht gehabt Tschetschenien zu verlassen, dies sei jedoch aufgrund der vielen Kontrollen nicht möglich gewesen. Im August 2000 habe dann der zweite Feldzug begonnen, wobei der Krieg bereits seit 1999 im Gange gewesen sei. Dabei sei das Haus dann ganz zerstört worden. Die Familie habe auch noch ein zweites Haus in U. besessen, von welchem zumindest die Wände stehen geblieben seien. Dort hätten er und seine Familie dann gelebt. Entweder seien Föderationsleute gekommen und hätten behauptet sie seien Freiheitskämpfer oder seien Tschetschenen gekommen die gesagt hätten, sie gehörten zur Föderation. Er habe sich nur darum gekümmert, dass es seinen Kindern gut gehe. Alles in Tschetschenien sei zerstört, es gebe nur noch Krüppel und Invalide. Wenn Säuberungen durchgeführt worden seien, wäre man einfach mitgenommen worden, selbst wenn man Dokumente vorweisen habe können. Weiters gebe es in Grosny Strahlungen, die von einer chemischen Fabrik stammten. Er habe Russland deswegen verlassen, damit seine Kinder sehen sollten, dass es auch noch eine andere Welt gebe. Sie sollten nicht noch länger die Schrecken des Krieges aushalten müssen. Im Winter 2001 sei er einmal im Zuge einer Säuberungsaktion verhaftet, aber am selben Abend wieder freigelassen worden. Ansonsten habe es nur kleinere Vorfälle gegeben.
Am 27.04.2003 hat der nunmehrige Beschwerdeführer das österreichische Bundesgebiet verlassen und ist mit seiner Familie illegal in die Schweiz gereist. Am 28.04.2003 hat er dort um Asyl angesucht. Am 23.05.2003 wurde die Familie - nachdem die Ehefrau des Beschwerdeführers am 00.00.2003 in der Schweiz einen Sohn zur Welt gebracht hatte - wieder von den österreichischen Behörden rückübernommen.
Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 17.06.2003, FZ. 02 26.040-BAE, den Asylantrag des nunmehrigen Beschwerdeführers gem. § 7 AsylG 1997 ab (Spruchpunkt I.). Unter Spruchpunkt II. stellte die erstinstanzliche Behörde fest, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation gem. § 8 AsylG 1997 nicht zulässig sei (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm für den Fall des Eintritts der Rechtskraft der Spruchpunkte I. und II. gem. § 15 Abs. 1 iVm § 15 Abs. 3 AsylG 1997 eine auf drei Monate befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt III.).
Begründend führte die erstinstanzliche Behörde dazu aus, dass der Beschwerdeführer keine konkret gegen seine Person gerichteten staatlichen bzw. quasi-staatlichen Verfolgungen aus asylrechtsrelevanten Gründen vorzubringen vermochte. Vielmehr habe er deutlich zum Ausdruck gebracht, dass der Grund, der ihn zum Verlassen seines Heimatlandes bewogen habe, ausschließlich in der zum Zeitpunkt der Ausreise vorgelegen habenden allgemeinen (Bürgerkriegs-)Situation gelegen sei. Dass er einer über diese allgemeinen Bürgerkriegsgefahren bzw. Bürgerkriegsfolgen hinausgehenden persönlichen Verfolgungsgefahr im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention ausgesetzt gewesen sei, habe seinem Vorbringen nicht entnommen werden können (AS 159). Da jedoch mit großer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen sei, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr nach Tschetschenien in eine Notlage durch den noch immer anhaltenden zweiten Tschetschenienkrieg geraten könnte, was die Gefahr einer unmenschlichen Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK indizieren würde, sei festzustellen gewesen, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation bzw. nach Tschetschenien zum jetzigen Zeitpunkt nicht zulässig sei (AS 167).
Gegen diesen Bescheid wurde mit dem am 27.06.2003 eingebrachten Schriftsatz Berufung (nunmehr als Beschwerde zu werten) erhoben. Darin wurde vorgebracht, dass der nunmehrige Beschwerdeführer ob des Umstandes, dass man ihm beim Bundesasylamt geglaubt habe ethnischer Tschetschene zu sein, so irritiert gewesen sei, dass er in seiner Aufregung bei der überdies nur oberflächlich durchgeführten Befragung nicht alles erzählen habe können. Die ganze Familie, insbesondere der Beschwerdeführer, seien durch die Bombardierungen immer noch sehr beeinträchtigt und geschockt. Zwei Kinder der Familie seien damals getötet worden. Der Beschwerdeführer habe 1995 in Städten und Dörfern, besonders in U. Werbung für die Unabhängigkeit Tschetscheniens und gegen den Krieg gemacht. Seitdem werde er vom KGB und den russischen Behörden gesucht und habe sich verstecken müssen. Weiters habe er seit 1995 als freiwilliger Helfer für die Volksarmee gearbeitet und geholfen, verwundete tschetschenische Kämpfer nach Baku und weiter in die Türkei zu bringen. Zudem habe er Videokassetten besessen, die die Existenz von Massengräbern bewiesen hätten. Es sei möglich, dass davon auch der KGB wisse.
Am 22.09.2003 wurde eine (erste) Berufungsergänzung (OZ 1) eingebracht, in welcher im Wesentlichen ausgeführt wurde, dass es dem nunmehrigen Beschwerdeführer bis jetzt nicht möglich gewesen sei, die in Aussicht gestellten Videokassetten zu besorgen, da es zu gefährlich gewesen sei, Kontakt mit seiner Heimat aufzunehmen. Als Beweis seiner humanitären und politischen Tätigkeit in Tschetschenien werde jedoch ein von I.V. - einem ehemaligen Mitarbeiter der Kanzlei des tschetschenischen Präsidenten - verfasstes und übersetztes Schreiben vorgelegt, in dem dieser bestätige, dass der Beschwerdeführer aktives Mitglied der "Gruppe gegen den Russisch-Tschetschenischen Krieg" gewesen sei. In einer zweiten Berufungsergänzung vom 20.01.2004 (OZ 3) und einer dritten vom 27.01.2004 (OZ 4) wurden u.a. aktuelle Judikatur bzw. Gutachten des Unabhängigen Bundesasylsenates zum Themenbereich Tschetschenien vorgelegt.
Der Unabhängige Bundesasylsenat hat über die Berufung vom 27.06.2003 (nunmehr als Beschwerde zu werten) in einer am 22.08.2005 stattgefundenen öffentlich-mündlichen Verhandlung ein ergänzendes Ermittlungsverfahren in Gegenwart einer Dolmetscherin für die tschetschenische Sprache, durchgeführt. Im Zuge dieser Verhandlung wurde Beweis erhoben durch Parteienvernehmung des nunmehrigen Beschwerdeführers.
Folgende, vom Verhandlungsleiter beigeschaffte Berichte zur politischen und menschenrechtlichen Situation in der Russischen Föderation, insbesondere in Tschetschenien, wurden verlesen und erörtert:
Aussendung des UNHCR über Asylsuchende aus der Russischen Föderation im Zusammenhang mit der Situation in Tschetschenien vom Februar 2003 (Beilage I); UNHCR-Stellungnahme über Asylsuchende und Flüchtlinge aus der tschetschenische Republik (Beilage II) vom Oktober 2004 in deutscher Übersetzung; Aussendung der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 8. Juli 2004 mit dem Titel "Tschetschenische Asylsuchende" (Beilage III); Bericht des Schweizer Bundesamtes für Flüchtlinge mit dem Titel "Russland - innerstaatliche Fluchtalternative für Tschetschenen" (Beilage IV) vom 11. August 2004; Bericht des Deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation (Tschetschenien) vom 13.12.2004 (Beilage V); Auskunft von ACCORD vom 14.10.2004 betreffend die Volksgruppe der Tschetschenen (Beilage VI); Bericht des Europarates vom 20. April 2005 hinsichtlich des die Teilrepublik Tschetschenien betreffenden Abschnittes S. 68 - 77 (Beilage VII).
Der Asylgerichtshof hat in einer am 21.08.2008 stattgefundenen öffentlich-mündlichen Verhandlung ein ergänzendes Ermittlungsverfahren in Gegenwart einer Dolmetscherin für die russische Sprache durchgeführt. Im Zuge dieser Verhandlung wurde Beweis erhoben durch Parteienvernehmung des nunmehrigen Beschwerdeführers, seiner Ehegattin und des Sohnes M.I..
Folgende, vom Verhandlungsleiter beigeschaffte Berichte zur politischen und menschenrechtlichen Situation in der Russischen Föderation, insbesondere in Tschetschenien, wurden verlesen und erörtert:
Bericht des auswärtigen Amtes Berlin vom 13.01.2008 über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation insbesondere hinsichtlich des Abschnittes der Lage in Tschetschenien (Abschnitt II 3.1.), Ausweichmöglichkeiten (Abschnitt II 4.) und Rückkehrfragen (Abschnitt IV.), (Beilage ./VIII); Auskunft des auswärtigen Amtes Berlin vom 20.02.2008 an das Verwaltungsgericht Köln (Beilage ./IX); Auskunft des auswärtigen Amtes Berlin an das Thüringer Oberverwaltungsgericht betreffend Verfolgung von Rückkehrern (Beilage ./X); Bericht des U.S. Department of State über die Menschenrechtslage in der Russischen Föderation im Jahr 2007 (Beilage ./XI); Stellungnahme des UNHCR über Asylsuchende und Flüchtlinge aus der Tschetschenischen Republik vom 22.10.2004 (Beilage ./XII); Anfragebeantwortung von ACCORD vom 14.05.2008 mit dem Titel: Tschetschenien, Klagen vor dem EGMR und Rechtsschutz bei Menschenrechtsverletzungen (Beilage ./XIII); Presseaussendung der Organisation Human Rights Watch mit dem Titel: Chechnya, Justice between ruins and reconstruction (Beilage ./XIV).
Der Beschwerdeführer brachte weitere Schriftsätze, und zwar ein Ersuchen um Bescheidzustellung samt Länderberichten (OZ 18) und einen vorbereitenden Schriftsatz vom 14.08.2008 (OZ 24 = OZ26) ein; in diesen Schriftsätzen wird im Wesentlichen auf die ungünstige Menschenrechtslage und angeblich fortdauernde Verfolgung verwiesen.
Am 01.09.2008 wurde dem Asylgerichtshof ein Schriftsatz (OZ 27) per Fax übermittelt, in welchem Teile der Parteienvernehmung des Beschwerdeführers aus der Beschwerdeverhandlung vom 21.08.2008 wiedergegeben wurden und waren darüber hinaus folgende Unterlagen angeschlossen: amnesty international Deutschland, Asyl-Gutachten an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof, 27.04.2004 (auszugsweise); Gutachten von Univ.-Prof. Dr. H.H. und Dr. L.L., Tschetschenische Rückkehrer und Repatriierte, 18.07.2007; Dr. med. H.W. G., Folter und Verfolgung machen krank, 29.03.2004.
Am 02.09.2008 wurde per Fax ein "Ärztliches Zeugnis" des Dr. med. W.S. übermittelt, mit dem Inhalt, dass sich beim Beschwerdeführer Hinweise auf eine posttraumatische Störung fänden (OZ 28).
Auf Grundlage der vom Bundesasylamt durchgeführten Ermittlungen und des dargestellten ergänzenden Beweisverfahrens wird folgender Sachverhalt festgestellt und der Entscheidung zugrunde gelegt:
Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen und gehört der tschetschenischen Volksgruppe an. Er hat bis zu seiner Ausreise in der tschetschenischen Stadt U. gelebt und war ohne Beschäftigung. Die von ihm geschilderten Fluchtgründe - Verfolgung durch russische Behörden aufgrund seiner Hilfstätigkeit im Zuge des ersten Tschetschenien-Krieges - werden der Entscheidung mangels Glaubwürdigkeit nicht zugrunde gelegt. Es kann nicht festgestellt werden, dass er selbst oder seine Familienmitglieder in der Vergangenheit individueller Verfolgung ausgesetzt waren. Der Beschwerdeführer verließ sein Heimatland aufgrund der schlechten allgemeinen Lage, insbesondere, weil er dort für seine Kinder keine Zukunftschancen sah.
Der nunmehrige Beschwerdeführer wurde rechtskräftig im Urteil des Bezirksgerichtes Feldkirch vom 00.00.2006, wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe in der Höhe von 60 Tagessätzen verurteilt.
Zur Situation im Herkunftsstaat des nunmehrigen Beschwerdeführers (Russische Föderation insbes. Tschetschenien) wird Folgendes festgestellt:
Allgemeine politische Lage
Die große Mehrheit der russischen Bevölkerung verbindet mit der siebenjährigen Amtszeit Präsident Putins überwiegend positive Erfahrungen und ist an Kontinuität interessiert. Nach den Dumawahlen vom 02.12.2007 bestimmen nun die im März 2008 anstehenden Präsidentschaftswahlen das politische Klima in Russland. Präsident Putin hat gegenüber der Öffentlichkeit mehrfach dargelegt, dass er für eine dritte Amtszeit nicht mehr zur Verfügung steht. Statt dessen ist mit seiner Unterstützung Dmitrij Medwedjew als Nachfolgekandidat präsentiert worden, dessen Kandidatur - zusammen mit einem in Aussicht gestellten zukünftigen Einsatz Putins als Premierminister - für einen geordneten "Übergang der Macht" sorgen soll. Die Regierung ist bemüht, die Missstände im Justizsystem durch eine umfassende Justiz- und Rechtsreform zu beheben (bisher u.a. neue Straf- und Zivilprozessordnungen, Reform des Strafgesetzbuches). Auch wenn die Strafprozessreform aus den Jahren 2002 und 2004 die Stellung der Richter deutlich gestärkt hat, bleibt in der Praxis die Macht der Staatsanwaltschaft beträchtlich. Im September 2007 ist eine weitere Reform der Strafprozessordnung in Kraft getreten, die Aufgaben der Staatsanwaltschaft im Vorfeld der Hauptverhandlung (Ermittlungen, Verfahrenseinstellungen, Anklageerhebung) einem neugeschaffenen Untersuchungskomitee überträgt. Ob diese Aufgabenteilung auch zu einer Teilung der Macht der Generalstaatsanwaltschaft führen wird, ist zur Zeit noch nicht absehbar. Die Gerichte sind nicht wirklich unabhängig, das Vertrauen der Bevölkerung in die Richter und Justizbehörden ist gering. Vertrauensanwälte der Deutschen Botschaft in Moskau beklagen, dass vor allem in der Provinz die Mehrzahl der Strafprozesse durch Politik, Interessengruppen und Prozessparteien unzulässig beeinflusst würden. Laut Präsident Putin ist mit der tschetschenischen Parlamentswahl am 27.11.2005 die Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung in Tschetschenien abgeschlossen worden. Dabei errang die kremlnahe Partei "Einiges Russland" die Mehrheit der Sitze. Beobachter stellten zahlreiche Unregelmäßigkeiten fest. Hauptkritik an der Wahl war u.a. die anhaltende Gewaltausübung und der Druck der Miliz (sog. "Kadyrowzy") gegen Wahlleiter und Wahlvolk. Nach dem Rücktritt seines Vorgängers Alu Alchanow im Februar 2007 hat der bisherige Ministerpräsident Ramsan Kadyrow am 05.04.2007 das Amt des tschetschenischen Präsidenten angetreten.
Lage in Tschetschenien
Mit der Wahl eines tschetschenischen Parlaments am 27.11.2005 ist für Moskau der 2003 begonnene "politische Prozess" zur Beilegung des Tschetschenienkonflikts abgeschlossen. Präsident Putin erklärte im Januar 2006 zum wiederholten Male die "antiterroristische Operation", d.h. den Krieg für beendet. Wenngleich seit der Regierung und Präsidentschaft Ramsan Kadyrows Zeichen der Normalisierung festzustellen sind, finden noch weiterhin kleinere Kämpfe zwischen Rebellen und regionalen sowie föderalen Sicherheitskräften statt. Die aktiven Rebellen weichen immer mehr in die Nachbarrepubliken, insbesondere Inguschetien und Dagestan aus. Hierzu schreibt der russische Menschenrechtsbeauftragte Wladimir Lukin in seinem Jahresbericht 2006: "Insgesamt bleibt die Lage im Nordkaukasus außerordentlich instabil." Trotz der Tötung der Separatistenführer Aslan Maschadow im März 2005 und Abdelchalim Saidullajew im Juni 2006 sowie des "Top-Terroristen" Schamil Bassajew im Juli 2006 gibt es laut Schätzungen der lokalen tschetschenischen Sicherheitskräfte weiterhin einige hunderte Rebellen in den Bergregionen Tschetscheniens, die vor allem Anschläge auf Sicherheitskräfte verüben. Der russische Armeegeneral Krivonos nannte am 11.05.2007 eine Zahl von noch 300 aktiven Kämpfern. Eine dauerhafte Befriedung der Lage in Tschetschenien ist somit noch nicht eingetreten. Die Aktivitäten der tschetschenischen und föderalen Sicherheitskräfte gegen die Rebellen, insbesondere in den tschetschenischen Grenzgebieten zu den nordkaukasischen Nachbarrepubliken, wurden auch 2007 fortgesetzt. Seit 1999 forderte der Konflikt erhebliche Opfer: 10.000-20.000 getötete Zivilisten (Angaben der russischen Menschenrechtsorganisation "Memorial"), 5.000 bis 7.000 getötete und ca. 18.000 verletzte Angehörige der Sicherheitskräfte (Zahlen des Verteidigungsministeriums, die teilweise widersprüchlich sind). In Tschetschenien finden die schwersten Menschenrechtsverletzungen in der Russischen Föderation statt. Nichtregierungsorganisationen, internationale Organisationen und Presse berichten, dass sich auch nach Beginn des von offizieller Seite festgestellten "politischen Prozesses" erhebliche Menschenrechtsverletzungen durch russische und pro-russische tschetschenische Sicherheitskräfte gegenüber der tschetschenischen Zivilbevölkerung fortgesetzt haben. Dies sei häufig darauf zurückzuführen, dass reales Ziel der in Tschetschenien eingesetzten Zeitsoldaten, Milizionäre und Geheimdienstangehörigen Geldbeschaffung und Karriere sei. Zwar hat sich die Sicherheit der Zivilbevölkerung in Tschetschenien mittlerweile stabilisiert. Razzien, "Säuberungsaktionen", Plünderungen und Übergriffe durch russische Soldaten und Angehörige der tschetschenischen Sicherheitskräfte, aber auch Guerilla-Aktivitäten und Geiselnahmen der Rebellen haben nach Einschätzung von Menschenrechtsorganisationen und internationalen Organisationen deutlich abgenommen. Doch weisen Nichtregierungsorganisationen zugleich darauf hin, dass es nach wie vor zu willkürlichen Überfällen bewaffneter, nicht zuzuordnender Kämpfer, Festnahmen und Bombenanschlägen kommt. Seit Anfang 2007 hat sich laut Angaben der Menschenrechtsorganisation Memorial die Menschenrechtslage in Tschetschenien gebessert, insbesondere haben die Fälle des "Verschwindenlassens" erheblich abgenommen. Wurden 2006 noch 187 Entführungen von Memorial registriert, ist die Zahl seit Anfang 2007 bis Mitte September 2007 auf 25 Fälle zurückgegangen. Memorial erklärt diese Tatsache damit, dass Präsident Kadyrow seinen Sicherheitskräften, den "Kadyrowzy", die Anweisung gegeben habe, mit den Entführungen aufzuhören. Dies bestätigt die Annahme von Human Rights Watch, nach der seit 2004/2005 diese Gruppe die Hauptverantwortung für Verschleppungen trägt. Der tschetschenische Parlamentspräsident Abdurchachmanow bestätigte am 01.07.2007, dass die Zahl der verschwundenen Personen ursprünglich bei etwa 5.500 gelegen habe, doch habe nach erfolgten Überprüfungen das Schicksal von über 1.000 Personen geklärt werden können. Aktuell gelten 4.300 Personen als spurlos verschwunden. Man gehe davon aus, dass viele der vermissten Personen tot und in anonymen Gräbern bestattet worden seien. Um die Identität der Toten klären zu können, soll nach Angaben des tschetschenischen Ombudsmanns Nuchaschijew Präsident Kadyrow im Juli 2007 den Kauf eines Speziallabors angeordnet haben. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg verurteilte Russland am 27.07.2006 zur Zahlung von 35.000 Euro an die Familie des im Februar 2000 spurlos verschwundenen Chadschi-Murat Jandijew wegen Verletzung des Rechts auf Leben. Das Gericht stellte fest, dass Russland das Verbot der willkürlichen Festnahme verletzt und dem Festgenommenen keinen ausreichenden Rechtsschutz gewährt hatte. Seitdem ist es zu weiteren ähnlichen Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gegen Russland wegen Entführungen und Tötungen in Tschetschenien gekommen. Folter bleibt ein drängendes Problem. Sie erfolgt willkürlich und unvorhergesehen, ein Muster ist nicht erkennbar. Der Menschenrechtskommissar des Europarats Thomas Hammarberg kritisierte nach einem Besuch in Tschetschenien Ende Februar/Anfang März 2007 Folter im ORB-2 (Operatives Fahndungsbüro 2, Teil des Föderalen Innenministeriums). Auch Präsident Kadyrow gab Mitte März 2007 öffentlich Folter im ORB-2 zu. Memorial werden weiterhin aktuelle Fälle von Folter sowohl im ORB-2 als auch durch eine spezielle Einheit des tschetschenischen Innenministeriums gemeldet. Unter Folter unterschriebene Geständnisse werden nach Erkenntnissen von Memorial regelmäßig in Gerichtsverfahren als Grundlage von Verurteilungen genutzt. Frauen berichteten gegenüber Vertreterinnen internationaler Hilfsorganisationen von Vergewaltigungen seitens russischer Soldaten bei der Eroberung von Ortschaften. Russische Menschenrechtsorganisationen berichten für 2007 weiterhin von extralegalen Tötungen der Zivilbevölkerung während Operationen der Sicherheitskräfte. So sollen nach Angaben von Memorial am 24.03.2007 Militärangehörige auf drei Frauen in Urduchaja, Gebiet Schatoi geschossen haben, von denen eine ums Leben gekommen sein soll, während die beiden anderen schwer verletzt worden seien. Schwere Verbrechen und Vergehen werden auch von Seiten verschiedener Rebellengruppen begangen. Neben den Aufsehen erregenden Terroranschlägen gegen die Zivilbevölkerung (Beslan) werden bei vielen Aktionen gegen russische Sicherheitskräfte Opfer unter der Zivilbevölkerung bewusst in Kauf genommen. Auch werden den Rebellen Exekutionen und Geiselnahmen von Zivilisten in den von ihnen beherrschten Gebieten und Ortschaften vorgeworfen. Außerdem verüben die Rebellen gezielt Anschläge gegen Tschetschenen, die mit den russischen Behörden zusammenarbeiten. Berichtet wurden Fälle von durch Sicherheitsbehörden organisierten Geiselnahmen von Familienangehörigen mutmaßlicher Rebellen, durch die diese zur Aufgabe gezwungen werden sollten. Die strafrechtliche Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen ist unzureichend, so dass nach Ansicht von Nichtregierungsorganisationen ein "Klima der Straflosigkeit" entstanden sei. Bisher gibt es nur sehr wenige Fälle von Verurteilungen. Im April 2006 verurteilte ein Gericht in Rostow den Vertragssoldaten Kriwoschenok zu 18 Jahren Haft wegen der Erschießung dreier tschetschenischer Zivilisten im November 2005. Im Juni 2007 verurteilte dasselbe Gericht vier Offiziere in der "Sache Ulman" zu 9, 11, 12 und 14 Jahren Haft wegen Erschießung von sechs tschetschenischen Zivilisten im Dezember 2002. Drei der Verurteilten sind allerdings untergetaucht. Am 22.09.2006 beschloss die Duma eine neue Amnestieverordnung. Sie erfasst Vergehen, die zwischen dem 13.12.1999 und dem 23.09.2006 im Nordkaukasus (Dagestan, Inguschetien, Kabardino-Balkarien, Tschetschenien, Nordossetien, Karatschajewo-Tscherkessien, Gebiet Stawropol) begangen wurden. Die Amnestie gilt sowohl für Rebellen ("Mitglieder illegaler bewaffneter Formationen", sofern sie bis zum 15.01.2007 die Waffen niederlegen) als auch für Soldaten, erfasst aber keine schweren Verbrechen (u.a. nicht Mord, Vergewaltigung, Entführung, Geiselnahme, schwere Misshandlung, schwerer Raub; für Soldaten: Verkauf von Waffen an Rebellen). Nach Mitteilung des Nationalen Antiterror-Komitees haben sich bis zum Stichtag insgesamt 546 Rebellen gestellt. Etwa 200 Rebellen waren angeblich an Sabotage und Terroraktionen beteiligt, nahezu alle sollen einer illegalen bewaffneten Gruppe angehört haben. Die Lebensumstände für die Mehrheit der tschetschenischen Bevölkerung haben sich nach Angaben von internationalen Hilfsorganisationen in letzter Zeit deutlich verbessert. In den Nachbarrepubliken Dagestan, Inguschetien und Kabardino-Balkarien hat sich die Lage hingegen eher verschlechtert. Die ehemals zerstörte Hauptstadt Grosny ist inzwischen fast vollständig wieder aufgebaut - dort gibt es mittlerweile auch wieder einen Flughafen. Nach Angaben der EU Kommission (ECHO) findet der Wiederaufbau überall in der Republik, insbesondere in Gudermes, Argun und Schali statt. Mitarbeiter von Hilfsorganisationen melden, dass selbst in kleinen Dörfern Schulen und Krankenhäuser aufgebaut werden. Die Infrastruktur (Strom, Heizung, fließendes Wasser, etc.) und das Gesundheitssystem waren nahezu vollständig zusammengebrochen, doch zeigen Wiederaufbauprogramme und die Kompensationszahlungen Erfolge. Missmanagement, Kompetenzgemenge und Korruption verhindern jedoch in vielen Fällen, dass die Gelder für den Wiederaufbau sachgerecht verwendet werden. Die humanitären Organisationen reduzieren langsam ihre Hilfstätigkeiten, da sie keine humanitäre Notlage, dennoch aber erhebliche Entwicklungsprobleme sehen. Wichtigstes soziales Problem ist die Arbeitslosigkeit und große Armut weiter Teile der Bevölkerung. Nach Schätzungen der UN sind 2007 ca. 80% der tschetschenischen Bevölkerung arbeitslos und verfügen über Einkünfte unterhalb der Armutsgrenze (in Höhe von 2,25 USD/Tag). Haupteinkommensquelle ist der Handel. Andere legale Einkommensmöglichkeiten gibt es kaum, weil die Industrie überwiegend zerstört ist. Minen verhindern die Entwicklung landwirtschaftlicher Aktivitäten. Geld wird mit illegalem Verkauf von Erdöl und Benzin verdient; zahlreiche Familien leben von Geldern, die ein Ernährer aus dem Ausland schickt. Der Schulbesuch ist grundsätzlich möglich, findet jedoch unter schwierigen Bedingungen statt. Laut Angaben der VN unterrichten in Sekundarschulen inzwischen 13.000 Lehrer, was ungefähr dem Vorkriegsniveau entspricht, doch findet der Unterricht in 152 Schulen weiterhin in provisorischen Unterkünften statt. Schüler in manchen Bezirken besitzen nur ca. 10 % der benötigten Schulbücher. Zum 31.07.2007 besuchten laut Angaben von UNICEF
214.175 Kinder den Unterricht. Wohnraum bleibt weiterhin ein großes Problem. Nach Schätzungen der VN wurden während der kriegerischen Auseinandersetzungen ab 1994 über 150.000 private Häuser sowie ca. 73.000 Wohnungen zerstört. Die Auszahlung von Kompensationsleistungen für kriegszerstörtes Eigentum ist nach Angaben des damaligen tschetschenischen Präsidenten Alu Alchanow vom 19.10.2006 noch nicht abgeschlossen. Bisher seien an 40.000 Personen Zahlungen in Höhe von über zwei Milliarden Rubel erfolgt. Für das Jahr 2007 seien auf Grund der zugewiesenen Mittel Kompensationszahlungen an 10.000-15.000 Personen geplant. Nichtregierungsorganisationen berichten jedoch, dass nur rund ein Drittel der Vertriebenen eine Bestätigung der Kompensationsberechtigung erhalte. Viele Rückkehrer bekämen bei ihrer Ankunft in Grosny keine Entschädigung, weil die Behörden sich weigern würden, ihre Dokumente zu bearbeiten, oder weil ihre Namen von der Liste der Berechtigten verschwunden seien. Der russische Migrationsdienst gibt nach Angaben von Nichtregierungsorganisationen offen zu, dass von den Entschädigungszahlungen 15 % nach Moskau, 15 % an die lokalen Behörden, zehn Prozent an die zuständige Bank und ein gewisser Prozentsatz an den Migrationsdienst selbst gehen. Verschiedene Schätzungen, u.a. des ehemaligen Menschenrechtsbeauftragten des Europarates Gil Robles, gehen davon aus, dass 30-50% der Kompensationssummen als Schmiergelder gezahlt werden müssen. Zur aktuellen Lage der medizinischen Versorgung liegen unterschiedliche Einschätzungen vor. Durch die Zerstörungen und Kämpfe - besonders in der Hauptstadt Grosny - waren medizinische Einrichtungen weitgehend nicht mehr funktionstüchtig. Nach Angaben von UNDP entspricht die Dichte der Polikliniken in einigen Bezirken nur 20 % des russischen Durchschnitts. Dabei sind einige Krankheiten laut tschetschenischem Gesundheitsministerium 10-15 mal häufiger als vor dem Krieg. Nach Angaben des IKRK soll die Situation der Krankenhäuser für die medizinische Grundversorgung dank internationaler Hilfe mittlerweile aber ein Niveau erreicht haben, das dem durchschnittlichen Standard in der Russischen Föderation entspricht. Das IKRK hat daher beschlossen, zum Jahresende 2007 sein Unterstützungsprogramm zum Auf- und Ausbau von Krankenhäusern einzustellen. Problematisch bleibt jedoch auch laut IKRK die Personallage im Gesundheitswesen, da viele Ärzte und medizinische Fachkräfte Tschetschenien während der beiden Kriege verlassen haben. Schwierig bleibt die humanitäre Lage der tschetschenischen Flüchtlinge innerhalb und außerhalb Tschetscheniens. Nach Angaben des UNHCR waren Ende Juli 2007 29.559 Binnenflüchtlinge registriert. In Inguschetien waren 15.162 tschetschenische Binnenvertriebene registriert (3.883 in Übergangs-, 11.279 in Privatunterkünften), in Dagestan 6.519. Außerdem geht der UNHCR von etwa 40.000 tschetschenischen Flüchtlingen und Binnenvertriebenen in Russland außerhalb dieser drei Republiken aus. Ferner gibt es praktisch in allen russischen Großstädten eine große, durch Flüchtlinge noch wachsende tschetschenische Diaspora: 200.000 in Moskau (nach Angaben der Tschetschenischen Vertretung in Moskau), 70.000 im Gebiet Rostow, 40.000 in der Region Stawropol und 30.000 in der Wolgaregion (Angaben des tschetschenischen Parlamentspräsidenten Abdurachmanow vom 05.06.2006). Tschetschenische Flüchtlinge leben auch in Georgien (nach letzter offizieller Registrierung vom September 2006 1.320 tschetschenische Flüchtlinge), Aserbaidschan und Kasachstan. Nach einer älteren Schätzung sollen sich etwa 31.000 tschetschenische Flüchtlinge in Westeuropa aufhalten. Die russische Regierung arbeitet auf eine möglichst baldige Rückkehr aller tschetschenischen Flüchtlinge hin. Die letzten Zeltlager in Inguschetien wurden bereits 2004 aufgelöst. Die Lebensbedingungen für die Flüchtlinge in den Übergangsunterkünften, die die Zeltlager ablösten, sind in jeder Hinsicht schwierig. Inguschetien und das russische Katastrophenschutzministerium können nur ein Mindestmaß an humanitärer Hilfe leisten. In Tschetschenien wurden für die Flüchtlinge provisorische Unterkünfte errichtet, die nach offiziellen Angaben besser eingerichtet sein sollen als die früheren Lager in Inguschetien. Die Kapazitäten reichen jedoch nicht für alle Flüchtlinge. Unter Leitung des Koordinationsbüros der Vereinten Nationen (OCHA) leisten zahlreiche internationale und nichtstaatliche Organisationen seit Jahren umfangreiche humanitäre Hilfe in der Region. 2007 planen VN- und internationale Hilfsorganisationen humanitäre Projekte im Nordkaukasus mit etwa 65 Millionen USD. Gleichzeitig fahren die russischen Migrationsbehörden die Versorgung der Binnenflüchtlinge in Inguschetien allmählich zurück mit dem Ziel, ihre Rückkehr nach Tschetschenien zu beschleunigen. Tschetschenen werden seit 2001 auf freiwilliger Basis in die russische Armee aufgenommen, aber bislang nur in geringer Zahl und in Spezialfunktionen in Tschetschenien eingesetzt. Tschetschenische Wehrpflichtige werden auf Befehl des Verteidigungsministers aus dem Jahre 2005 nicht einberufen. Es besteht die Absicht, einen Beschluss zu fassen, der die Einberufungspraxis aus der Region neu regeln wird.
Ausweichmöglichkeiten
Die Weiterreise von tschetschenischen Personen in andere Teile der Russischen Föderation ist grundsätzlich möglich, trifft aber sowohl auf Transportprobleme als auch auf fehlende Aufnahmekapazitäten (vgl. II.3.2.). Soweit zur Weiterreise die Hilfe russischer Regierungsstellen in Anspruch genommen werden muss, kann sie bürokratischen Hemmnissen und Behördenwillkür begegnen. In großen Städten (z.B. in Moskau und St. Petersburg) wird der Zuzug von Personen reguliert. Dies wirkt sich im Zusammenhang mit der antikaukasischen Stimmung besonders stark auf die Möglichkeit rückgeführter Tschetschenen aus, sich legal dort niederzulassen. Zahlreiche Nichtregierungsorganisationen berichten, dass Tschetschenen besonders in Moskau häufig die Registrierung verweigert wird (s. IV.2.).
Rückkehrerfragen
Situation für Rückkehrer: Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist gewährleistet. Allerdings leben immer noch - trotz erheblicher sozialpolitischer Fortschritte - rund 20 Mio. Russen (knapp 15% der Bevölkerung) unter dem statistischen Existenzminimum. Es gibt staatliche Unterstützung (z.B. Sozialhilfe für bedürftige Personen auf sehr niedrigem Niveau), die jedoch faktisch noch nicht einmal den Grundbedarf deckt. Im Rahmen der sog. "Nationalen Projekte", die der Steigerung des Lebensstandards breiter Bevölkerungsschichten dienen sollen, wurden die zugewiesenen Haushaltsmittel für Projekte in den Bereichen Bildung, Gesundheit und sozialer Wohnungsbau im Jahre 2007 auf insgesamt 239,8 Milliarden Rubel (ca. 6,8 Milliarden Euro) erhöht.
Behandlung von Rückkehrern: Dem Auswärtigen Amt sind keine Fälle bekannt, in denen russische Staatsangehörige allein deshalb bei ihrer Rückkehr nach Russland staatlich verfolgt wurden, weil sie zuvor im Ausland einen Asylantrag gestellt hatten. Bisher liegen dem Auswärtigen Amt auch keine gesicherten Erkenntnisse darüber vor, ob Russen die tschetschenischer Volkszugehörigkeit sind, nach ihrer Rückführung besonderen Repressionen ausgesetzt sind. Solange der Tschetschenien-Konflikt nicht endgültig gelöst ist, ist davon auszugehen, dass abgeschobenen Tschetschenen besondere Aufmerksamkeit durch russische Behörden erfahren. Dies gilt insbesondere für solche Personen, die sich in der Tschetschenienfrage engagiert haben bzw. denen die russischen Behörden ein solches Engagement unterstellen. Der Kontrolldruck gegenüber kaukasisch aussehenden Personen hat etwas abgenommen. Personenkontrollen (Ausweis, Fingerabdrücke) auf der Straße, in der U-Bahn und Hausdurchsuchungen (häufig ohne Durchsuchungsbefehle) haben an Intensität abgenommen. Dem Auswärtigen Amt sind keine Anweisungen der russischen Innenbehörden zur spezifischen erkennungsdienstlichen Behandlung von Tschetschenen bekannt geworden. Kontrollen von kaukasisch aussehenden oder aus Zentralasien stammenden Personen erfolgen seit Jahresbeginn 2007 zumeist im Rahmen des verstärkten Kampfes der Behörden gegen illegale Migration und Schwarzarbeit. Tschetschenen steht wie allen russischen Staatsbürgern das Recht der freien Wahl des Wohnsitzes und des Aufenthalts in der Russischen Föderation zu. Diese Rechte sind in der Verfassung verankert. Jedoch wird in der Praxis an vielen Orten (u.a. in großen Städten, wie z.B. Moskau und St. Petersburg) der legale Zuzug von Personen aus den südlichen Republiken der Russischen Föderation durch Verwaltungsvorschriften stark erschwert. Diese Zuzugsbeschränkungen wirken sich im Zusammenhang mit anti-kaukasischer Stimmung besonders stark auf die Möglichkeit rückgeführter Tschetschenen aus, sich legal dort niederzulassen. Die Rücksiedlung nach Tschetschenien wird von Regierungsseite nahe gelegt. Mit dem Föderationsgesetz von 1993 wurde ein Registrierungssystem geschaffen, nach dem die Bürger den örtlichen Stellen des Innenministeriums ihren gegenwärtigen Aufenthaltsort ("vorübergehende Registrierung") und ihren Wohnsitz ("dauerhafte Registrierung") melden müssen. Die Registrierung legalisiert den Aufenthalt und ermöglicht den Zugang zu Sozialhilfe, staatlich geförderten Wohnungen und zum kostenlosen Gesundheitssystem sowie zum legalen Arbeitsmarkt. Voraussetzung für eine Registrierung ist die Vorlage des Inlandspasses (ein von russischen Auslandsvertretungen in Deutschland ausgestelltes Passersatzpapier reicht nicht aus) und nachweisbarer Wohnraum. Nur wer eine Bescheinigung seines Vermieters vorweist, kann sich registrieren lassen. Kaukasier haben laut Angaben von Menschenrechtsvertretern jedoch größere Probleme als Neuankömmlinge anderer Nationalität, überhaupt einen Vermieter zu finden. Viele Vermieter weigern sich zudem, entsprechende Vordrucke auszufüllen, u. a. weil sie ihre Mieteinnahmen nicht versteuern wollen. Die Registrierungsregeln gelten einheitlich im ganzen Land. Die Praxis ist jedoch regional unterschiedlich. Viele Regionalbehörden der Russischen Föderation wenden örtliche Vorschriften oder Verwaltungspraktiken restriktiv an. Nach der Moskauer Geiselnahme im Oktober 2002 haben sich administrative Schwierigkeiten und Behördenwillkür gegenüber Tschetschenen im Allgemeinen und gegenüber Rückgeführten im Besonderen bei der Niederlassung verstärkt. Nichtregierungsinstitutionen berichten auch, dass vereinzelt Registrierungsbehörden kein Interesse haben, Tschetschenen in ihrem Kreis zu registrieren und wohnen zu lassen. Angesichts der Terrorgefahr dürfte sich an dieser Praxis der Behörden in absehbarer Zeit nichts ändern. Daher haben Tschetschenen erhebliche Schwierigkeiten, außerhalb Tschetscheniens eine offizielle Registrierung zu erhalten. Zahlreiche Nichtregierungsorganisationen berichten, dass vielen Tschetschenen, besonders in Moskau, die Registrierung verweigert werde. Nichtregistrierte Tschetschenen können innerhalb Russlands allenfalls in der tschetschenischen Diaspora untertauchen und dort überleben. Wie ihre Lebensverhältnisse sind, hängt insbesondere davon ab, ob sie über Geld, Familienanschluss, Ausbildung und russische Sprachkenntnisse verfügen. Menschenrechtler beklagen eine Zunahme von Festnahmen wegen fehlender Registrierung oder aufgrund manipulierter Ermittlungsverfahren. Tschetschenen leben außerhalb Tschetscheniens und Inguschetiens vor allem in den nordkaukasischen Nachbarrepubliken Dagestan und Kabardino-Balkarien sowie in Südrussland (Regionen Krasnodar, Stawropol, Rostow, Astrachan). Dort ist eine Registrierung auch grundsätzlich leichter möglich als in Moskau, unter anderem weil Wohnraum (Registrierungsvoraussetzung) dort erheblich billiger ist als in Moskau, wo die Preise auf dem freien Wohnungsmarkt ausgesprochen hoch sind. Eine Registrierung ist in vielen Landesteilen oft erst nach Intervention von Nichtregierungsorganisationen, Duma-Abgeordneten, anderen einflussreichen Persönlichkeiten, oder durch Bestechung möglich. Eine Registrierung als Binnenflüchtling (IDP, internally displaced person) und die damit verbundene Gewährung von Aufenthaltsrechten und Sozialleistungen (Wohnung, Schule, medizinische Fürsorge, Arbeitsmöglichkeit) wird in der Russischen Föderation laut Berichten von amnesty international und UNHCR regelmäßig verwehrt. Es ist grundsätzlich möglich, von und nach Tschetschenien ein- und auszureisen und sich innerhalb der Republik zu bewegen. An den Grenzen zu den russischen Nachbarrepubliken befinden sich jedoch nach wie vor - wenn auch in stark verringerter Zahl - Kontrollposten der föderalen Truppen oder der sog "Kadyrowzy", die gewöhnlich eine "Ein- bzw. Ausreisegebühr" erheben. Sie beträgt für Bewohner Tschetscheniens in der Regel zehn Rubel, also ungefähr 30 Cent; für Auswärtige - auch Tschetschenen - liegt sie höher, z.B. an der inguschetisch-tschetschenischen Grenze bei 50 - 100 Rubel, etwa 1,50 - 3 Euro. Zurückkehrende unbegleitete Minderjährige können über die Abteilung für staatliche Jugendpolitik, Erziehung und sozialen Schutz für Kinder des Bildungs- und Wissenschaftsministeriums der Russischen Föderation in einem Kinderheim untergebracht werden, wenn sich keine Verwandten zur Aufnahme bereit erklären. Die eigentliche Zuständigkeit liegt bei den Behörden des registrierten Wohnortes des Minderjährigen.
Einreisekontrollen: Bei der Einreise werden die international üblichen Pass- und Zollkontrollen durchgeführt. Personen ohne reguläre Ausweisdokumente wird in aller Regel die Einreise verweigert. Russische Staatsangehörige können in aller Regel nicht ohne Vorlage eines russischen oder sowjetischen Reisepasses wieder in die Russische Föderation einreisen. Für diejenigen russischen Staatsangehörigen, die seit dem 01.07.2004 (Ende der Umtauschfrist für sowjetische Inlandspässe) kein gültiges Personaldokument vorweisen können, gilt: Sie müssen eine Geldstrafe zahlen, erhalten ein vorläufiges Personaldokument und müssen bei dem für sie zuständigen Meldeamt die Ausstellung eines neuen Inlandspasses beantragen. Diese kann dabei seit Inkrafttreten der Verordnung der Regierung der Russischen Föderation Nr. 779 vom 20.12.2006 "am Wohnort, Aufenthaltsort oder dem Ort der Antragstellung" erfolgen. Der Inlandspass ermöglicht die Abholung der Pension vom Postamt, die Arbeitsaufnahme, die Eröffnung eines Bankkontos, aber auch den Kauf von Bahn- und Flugtickets. Nach Angaben des Leiters der Pass- und Visa-Abteilung im tschetschenischen Innenministerium vom 23.09.2004 haben alle 770.000 Bewohner Tschetscheniens, die noch die alten sowjetischen Inlandspässe hatten, neue russische Pässe erhalten. Noch nicht endgültig gelöst ist die Ausstellung von Reisepässen für die Bewohner Tschetscheniens, weil den dortigen Behörden keine Vordrucke anvertraut wurden. Die Bewohner Tschetscheniens können ihre Anträge aber bei den örtlichen Passstellen abgeben, die diese dann zur Bearbeitung meist nach Stawropol schicken. Es besteht auch die Möglichkeit, sich die Pässe durch eine Reise in die Nachbarregionen, wie Inguschetien oder Stawropol, selbst zu besorgen.
Abschiebewege: Die Rückführung von russischen Staatsangehörigen in die Russische Föderation erfolgt auf dem Luftwege. Am 01.06.2007 trat zusammen mit dem Abkommen über Visaerleichterungen das Rückführungsabkommen zwischen der Russischen Föderation und der Europäischen Union in Kraft. Das dazugehörige Durchführungsabkommen zwischen Russland und Deutschland wurde noch nicht abschließend ausgehandelt, wird aber de facto schon angewandt. Die meisten europäischen Staaten haben keinen formellen Abschiebestopp für ethnische Tschetschenen nach Russland, schieben aber in der Praxis keine oder kaum Tschetschenen nach Russland ab. Dies hängt auch mit dem Problem der Passersatzpapierbeschaffung zusammen (die meisten Antragsteller legen keine Personaldokumente vor) (Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation [Tschetschenien] vom 13.01.2008; Beilage ./VIII, S. 6 ff.).
Falls Personen keine schweren Verbrechen begangen haben und nicht auf der landesweiten Fahndungsliste stehen, dürften bei einer Rückkehr keine staatlichen Maßnahmen wahrscheinlich sein (Auskunft des Auswärtigen Amtes Berlin an das Thüringer Oberverwaltungsgericht betreffend Verfolgung von Rückkehrern, Beilage ./X, S. 2)
Diese Feststellungen gründen sich auf folgende Beweiswürdigung:
Zur Identität und Herkunft des nunmehrigen Beschwerdeführers:
Der Asylgerichtshof ist der Ansicht, dass der Beschwerdeführer seine Herkunft aus und den Aufenthalt in Tschetschenien ausreichend glaubhaft gemacht hat. Dies im Hinblick auf die in der Beschwerdeverhandlung unter Beweis gestellten Kenntnisse der tschetschenischen Sprache sowie der Ortskenntnisse. Zudem konnte der Beschwerdeführer im Laufe des Verfahrens das Original seines Inlandsreisepass (Bürgerpass) vorlegen und besteht somit auch kein Grund an der von ihm angegebenen Identität zu zweifeln.
Zu den vom Beschwerdeführer vorgebrachten, auf seine Person bezogenen Fluchtgründen:
Der Asylgerichtshof geht aus den im Folgenden genannten Gründen nicht davon aus, dass der Beschwerdeführer einer aktuellen asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt ist.
Zunächst ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer weder in seiner Erstbefragung vor der Fremdenpolizei, Bezirkshauptmannschaft Neusiedl am See, vom 13.09.2002 noch in seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt, Außenstelle Eisenstadt, vom 04.11.2002 auch nur ein einziges Mal irgendwelche gegen ihn gerichteten Verfolgungshandlungen von hinreichender Intensität behauptete. So gab er anlässlich der Erstbefragung (AS 11) an, dass der Grund seiner Ausreise jener gewesen sei, dass er in seiner Heimat keine Arbeit bekommen habe, sowie dass er nicht wolle, dass seine Kinder im Krieg aufwachsen würden. Dieses Vorbringen wiederholte er im Zuge seiner umfangreichen und nicht zu beanstandenden Einvernahme vor dem Bundesasylamt (AS 35 ff.) sinngemäß, indem er lediglich die schlechte allgemeine Situation während und nach dem ersten Tschetschenienkrieg, sowie die damit einhergehende persönliche finanziell bzw. wirtschaftlich triste Lage als Ausreisegrund anführte. Direkt gegen ihn gerichtete, individuelle Verfolgung deutete der nunmehrige Beschwerdeführer lediglich einmal kurz an, indem er behauptete, dass er einmal im Zuge einer "Säuberungsaktion" verhaftet, aber noch am selben Tag wieder entlassen worden sei. Darüber hinaus gehende unverhältnismäßige Übergriffe (zB Misshandlungen, Folterungen, über eine kurze Anhaltung hinausgehende willkürliche Verhaftungen) wurden vom Beschwerdeführer nicht geschildert.
Gerade in Anbetracht dieser zweistündigen, sorgfältigen Einvernahme vor dem Bundesasylamt können die Einwände in der Berufungsschrift (nunmehr: Beschwerde), wonach diese Einvernahme "recht oberflächlich" (AS 179) durchgeführt worden sei und der nunmehrige Beschwerdeführer deshalb, und auch weil er so "irritiert" gewesen sei dass man ihm seine tschetschenische Herkunft geglaubt habe, in seiner "Aufgeregtheit" nicht alles habe erzählen können, absolut nicht nachvollzogen werden. Zudem hat er auch hier - wie schon in der Erstbefragung vor der Fremdenpolizei am 13.09.2002 - ausdrücklich angegeben, niemals Probleme mit den russischen Behörden gehabt zu haben, da er ja sonst nach seiner einmaligen Festnahme im Winter 2001 nicht so einfach wieder freigelassen worden wäre (AS 43).
Auch vor dem Unabhängigen Bundesasylsenat, im Rahmen der am 22.08.2005 stattgefundenen mündlichen Verhandlung schilderte der Beschwerdeführer zunächst wiederum keinerlei individuelle Bedrohung, sondern lediglich allgemein gehaltene Szenarien, so zB dass die Russen sie "nicht in Ruhe gelassen" und "ständig bombardiert" hätten bzw. dass es "eine chemische Strahlung" gegeben habe, oder dass er bei Kontrollposten angehalten worden sei und dabei Bestechungsgelder bezahlt habe. Vom Verhandlungsleiter konkret nach dem Ausreisegrund gefragt gab der Beschwerdeführer wie schon vor dem Bundesasylamt an, dass er wegen der Kriegssituation an sich ausgereist sei und weil er das Leben seiner (übrigen) Kinder retten wollte, da zwei von ihnen schon während der Kriegshandlungen ums Leben gekommen seien (Seite 3 f. des Verhandlungsprotokolls vom 22.08.2005).
Erst nach mehrmaligem Nachfragen gab der Beschwerdeführer dann plötzlich lapidar an, dass er im ersten Tschetschenienkrieg zu Hause verletzte Menschen versorgt habe und er sich deswegen habe verstecken müssen. Auf die Frage, ob er deswegen auch Probleme mit den Behörden gehabt habe, meinte er aber wiederum nur vage und unbestimmt, dass es viele Leute wie ihn gebe, die nach dem Krieg verraten worden seien. Ebenso wenig konnte er konkrete Angaben tätigen, was er bei einer Rückkehr befürchte. Vielmehr meinte er, dass er das nicht wisse und dass dort jeder festgenommen werden könnte; vielleicht würde auch er mitgenommen werden (Seite 4 des Verhandlungsprotokolls vom 22.08.2005).
Im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Asylgerichtshof am 21.08.2008 gab der Beschwerdeführer zunächst wiederum vage und wenig konkret an, dass "Leute wie er" umgebracht oder in ein Filtrationslager gesteckt bzw. einfach verschwinden würden. Als einzige konkrete Verfolgungshandlung nannte er abermals nur die kurzfristige Anhaltung, die er schon in der Verhandlung vom 22.08.2005 geschildert hatte (Seite 4 des Verhandlungsprotokolls vom 21.08.2008). Auch die als Partei vernommene Ehefrau V.M. und der Sohn M.I. konnten keine konkreten Verfolgungshandlungen schildern, sondern gaben vielmehr an, keine eigenen Probleme gehabt zu haben und nur wegen des Gatten respektive Vaters das Land verlassen zu haben (Seite 6 f. des Verhandlungsprotokolls vom 21.08.2008).
Für die Unglaubwürdigkeit des Vorbringens betreffend individueller Verfolgung des Beschwerdeführers spricht auch noch folgender Umstand: Sowohl im von seinem rechtsfreundlichen Vertreter eingebrachten Schriftsatz OZ 1 als auch in der Stellungnahme vom 01.09.2008 wird ausdrücklich behauptet, der Beschwerdeführer sei Mitglied der Volksarmee bzw. "Gruppe des Widerstands gegen den Russisch-Tschetschenischen Krieg" gewesen und deswegen 1998 sogar für eine staatliche Auszeichnung vorgesehen gewesen. Im Laufe der mündlichen Verhandlung vom 22. August 2005 wurde der Beschwerdeführer jedoch dezidiert gefragt, ob er jemals Mitglied bei so einer Gruppe gewesen sei, was er eindeutig verneinte (S. 5 des Verhandlungsprotokolls vom 22.08.2005). Dies zeigt eindeutig, dass die Behauptungen betreffend die individuelle Verfolgung des Beschwerdeführers konstruiert sind und nicht den Tatsachen entsprechen. Auch das mehrmalige Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach er wegen des Krieges und der Sicherheit seiner Kinder ("Ich habe mich nicht darum gekümmert, wer diesen Sprengsatz gelegt hat. Ich habe mich nur darum gekümmert, dass es meinen Kindern gut geht" [AS 41]) ausgereist sei, sprechen dafür, dass die Behauptungen betreffend Teilnahme am Widerstand nicht der Wahrheit entsprechen.
Weiters hat der Beschwerdeführer vor dem Bundesasylamt angegeben, dass er damals [gemeint: 1994/95, zur Zeit des ersten Tschetschenienkrieges] Tschetschenien noch nicht verlassen habe, obwohl er die Absicht gehabt hätte nach S. oder N. zu gehen, dies jedoch nicht möglich gewesen sei, da es ständig Kontrollen gegeben habe (AS 39). Im Widerspruch dazu, brachte er aber im Rahmen der Berufungsverhandlung vom 22.08.2005 dann aber vor, Tschetschenien sehr wohl verlassen zu haben. Er habe sowohl in N. als auch in S. gelebt und habe sich dort versteckt (S. 5 des VH-Protokolls vom 22.08.2005). Auch in der Verhandlung vom 21.08.2008 vor dem Asylgerichtshof erklärte der Beschwerdeführer, dass er längere Zeit in anderen Teilen der Russischen Föderation, insbesondere in Sibirien gelebt habe.
Selbst wenn man dem Vorbringen des Beschwerdeführers Glauben schenken wollte, dass er seinen Wohnsitz mehrere Male gewechselt hat, ist darauf hinzuweisen, dass dies noch kein Indiz ist, dass er dies aufgrund drohender asylrelevanter Verfolgung getan hat. Vielmehr liegt nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers die Vermutung nahe, dass er dies wohl lediglich deswegen getan hätte, um den allgemeinen Kriegsfolgen zu entgehen.
Zudem ist darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer nach eigener Aussage 1998/1999 nach Tschetschenien zurückkehrte, also dann noch mind. 3-4 Jahre unbehelligt in seiner Heimatstadt verbracht hat. Auch dies spricht gegen das Vorliegen individueller Verfolgungsgefahr.
Zusammengefasst ist aufgrund der gravierenden Abweichungen zum ursprünglichen Vorbringen des Beschwerdeführers und der erst sehr spät im Laufe des Asylverfahrens vorgebrachten Angaben, er sei aufgrund seiner Tätigkeit als Helfer für Verletzte im ersten Tschetschenienkrieg der Gefahr von Verfolgung ausgesetzt, die wohl als gesteigertes Vorbringen gewertet werden müssen, der Asylgerichtshof zur Ansicht gelangt, dass der Beschwerdeführer versuchte, lediglich einen asylrelevanten Ausreisegrund zu konstruieren. Auch der Verwaltungsgerichtshof geht davon aus, dass ein spätes, gesteigertes Vorbringen als unglaubwürdig qualifiziert werden kann. Denn kein Asylwerber würde wohl eine sich bietende Gelegenheit zentral entscheidungsrelevantes Vorbringen zu erstatten, ungenützt vorübergehen lassen (VwGH 07.06.2000, Zl. 2000/01/0250).
Im Übrigen erweisen sich auch die im vorbereitenden Schriftsatz OZ 26 aufgestellten Behauptungen, wonach der Beschwerdeführer wegen seiner Clanzugehörigkeit Verfolgung zu befürchten habe, weil er Namen seines Clans preisgegeben habe, als konstruiert und unglaubwürdig. Der Beschwerdeführer kam in der Verhandlung in keiner Weise auf diese Behauptungen zurück, obwohl er nochmals zu den Fluchtgründen befragt wurde. Auch die Rechtsvertreterin konnte auf diesbezügliches Befragen durch den Richter keine konkreten Angaben machen (siehe S. 7 letzter Absatz der Verhandlungsschrift, OZ 25) sondern berief sich nur allgemein auf angebliche Fälle von Blutrache.
Insoweit der Beschwerdeführer nunmehr in der Verhandlung vom 21.08.2008 Übergriffe gegen Verwandte behauptete (etwa Übergriffe gegen den Bruder, der in den Handel mit Erdöl verwickelt gewesen sein soll; siehe S. 5 der Verhandlungsschrift, OZ 25) ist zunächst darauf zu verweisen, dass ein unmittelbarer Zusammenhang mit dem Beschwerdeführer nicht zu erkennbar ist. Überdies ist auch in diesem Zusammenhang darauf zu verweisen, dass das Vorbringen betreffend angebliche Beeinträchtigung von Familienmitgliedern ohne ersichtlichen Grund erst nach mehrjährigem Asylverfahren nachgeschoben wurde, was auf die Unglaubwürdigkeit hindeutet.
Selbst Vermutungen, wonach eine posttraumatische Belastungsstörung vorliegen könnte (siehe das "ärztliche Zeugnis" OZ 28), bieten keine hinreichende Erklärung, warum der Beschwerdeführer im Zuge des Berufungs-/ Beschwerdeverfahrens plötzlich individuelle Verfolgung geltend macht, während er sowohl in der Einvernahme vor dem Bundesasylamt als auch vor der Fremdenpolizei lediglich die allgemeine Kriegssituation als Ausreisegrund anführte. Es überwiegen sohin - selbst wenn man von der bloß angedeuteten psychischen Erkrankung ausgehen wollte - die Argumente, die gegen die Glaubwürdigkeit des Vorbringens zu den Fluchtgründen sprechen.
Von der Einvernahme des beantragten Zeugen I.W. konnte Abstand genommen werden, zumal dieser nach den Angaben des Beschwerdeführers in der Berufungsverhandlung vom 22.08.2005 (siehe S. 5 der Verhandlungsschrift OZ 11) nur über lange zurückliegende, für die Entscheidung nicht unmittelbar relevante Ereignisse (angebliche Versorgung von Verwundeten im ersten Tschetschenienkrieg), nicht jedoch aber über die konkrete Verfolgungssituation im Ausreisezeitpunkt, die der Beschwerdeführer widersprüchlich dargestellt hat, Auskunft geben könnte.
Zu den Feststellungen betreffend die politische und menschenrechtliche Situation in der Russischen Föderation insbesondere in Tschetschenien:
Die Feststellungen zur Situation in der Russischen Föderation insbesondere in Tschetschenien gründen sich auf die oben bezeichneten Textabschnitte der aktuellen und detaillierten Berichte Beilage ./VIII sowie Beilage ./X.
Es ist klar festzuhalten, dass sich aus keiner der in das Verfahren eingeführten Quellen eine Schlussfolgerung ableiten lässt, wonach Tschetschenen in der Russischen Föderation allein aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit Verfolgung, Inhaftierung etc. drohen würde. Auch sonst ist dem Asylgerichtshof keine Rechtsprechung in anderen Ländern Europas bekannt, aus der sich eine asylrelevante Gruppenverfolgung von ethnischen Tschetschenen in der Russischen Föderation ergäbe. Ebenso wenig ergibt sich aus den Berichten, dass jede Person, die in irgendeiner untergeordneten Weise am ersten Tschetschenienkrieg beteiligt war, nunmehr deshalb verfolgt oder inhaftiert würde (siehe dazu etwa Beilage ./X).
Hinsichtlich des (mehrmals) ins Verfahren eingebrachten Gutachtens von Univ.-Prof. Dr. H.H. und Dr. L.L., "Tschetschenische Rückkehrer und Repatriierte" ist zu sagen, dass sich für den Asylgerichtshof kein Anlass ergibt, den in diesem Gutachten gezogenen Schlussfolgerungen insofern zu folgen, als daraus die Notwendigkeit einer individuellen Prüfung des Vorliegens von Fluchtgründen nach der GFK entfiele. Das Operieren mit generellen prozentuellen Verfolgungswahrscheinlichkeiten zur Frage, ob eine Gruppenverfolgung zu bejahen sei oder nicht, scheint dem Asylgerichtshof ebenso verfehlt zu sein wie dem Verwaltungsgerichtshof (vgl. VwGH 19.12.2007, Zl. 2006/20/0768 oder VwGH 19.12.2007, Zl. 2006/20/0771). Bereits der Verwaltungsgerichtshof ist zum Ergebnis gelangt, dass eben dieses Gutachten in sich widersprüchlich und nicht beweiskräftig ist.
Im Einklang mit den in das Verfahren eingeführten Quellen kommt der Asylgerichtshof daher zum eindeutigen Schluss, dass nicht davon gesprochen werden kann, dass alle ethnischen Tschetschenen in Russland der Gefahr von asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt sind. Dies ergibt sich aus den oben wiedergegebenen Abschnitten es Berichts Beilage ./VIII, die auf eine Verbesserung der Situation hindeuten, zweifelsfrei.
Zudem ist in diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer und seine gesamte Familie den Status des subsidiär Schutzberechtigten genießen und ein diesbezüglicher Bescheid zur Verlängerung dieses Status um ein Jahr erst am 3. Juli 2008 neuerlich ausgefertigt wurde (OZ 20). Eine Gefahr der Abschiebung in die Russische Föderation ist daher ohnehin zur Zeit nicht gegeben.
Die Feststellungen zur gerichtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers in Österreich gründen sich auf die dem Asylgerichtshof vorliegende dementsprechende Verständigung durch die Bezirkshauptmannschaft Feldkirch (OZ 17).
Rechtlich folgt aus dem festgestellten Sachverhalt:
Gemäß § 28 Abs. 1 Asylgerichtshofgesetz (in der Folge: AsylGHG) nimmt der Asylgerichtshof mit 1. Juli 2008 seine Tätigkeit auf. Gleichzeitig tritt das Bundesgesetz über den Unabhängigen Bundesasylsenat (UBASG), BGBl. I Nr. 77/1997, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2005, außer Kraft.
Gemäß § 75 Abs. 7 AsylG 2005 sind am 1. Juli 2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren vom Asylgerichtshof nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen weiterzuführen:
Mitglieder des Unabhängigen Bundesasylsenates, die zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannt worden sind, haben alle bei ihnen anhängige Verfahren, in denen bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, als Einzelrichter weiterzuführen.
Verfahren gegen abweisende Bescheide, in denen eine mündliche Verhandlung noch nicht stattgefunden hat, sind von dem nach der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes zuständigen Senat weiterzuführen.
Verfahren gegen abweisende Bescheide, die von nicht zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannten Mitgliedern des Unabhängigen Bundesasylsenates geführt wurden, sind nach Maßgabe der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes vom zuständigen Senat weiterzuführen.
Zwar ist das gegenständliche Verfahren gemäß § 75 Abs. 1 AsylG 2005 nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 (AsylG) zu Ende zu führen, in welchem der Asylgerichtshof keine Erwähnung findet. Dennoch ist aus den bereits im Erkenntnis des Asylgerichtshofs vom 12.08.2008, GZ. C5 251212-0/2008/11E, dargelegten Argumenten von einer sinngemäßen Anwendung des § 75 Abs. 7 AsylG 2005 und sonstiger im AsylG 2005 enthaltener, auf den Asylgerichtshof bezogener Verfahrensbestimmungen in sogenannten - nach dem Asylgesetz 1997 (AsylG) fortzuführenden - Altverfahren auszugehen. Demnach hat über die vorliegende Beschwerde unter sinngemäßer Anwendung von § 75 Abs. 7 Z 1 AsylG 2005 der Asylgerichtshof, und zwar durch einen Einzelrichter zu entscheiden. Die Voraussetzungen der zitierten Z 1 sind deshalb erfüllt, weil bereits vor dem 01.07.2008 eine Verhandlung vor diesem nunmehrigen Einzelrichter stattgefunden hatte, der damals Mitglied des Unabhängigen Bundesasylsenates war und nunmehr zum Richter des Asylgerichtshofes ernannt wurde.
Gemäß § 23 AsylGHG sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.
Gemäß § 7 AsylG 1997 hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Ar