TE AsylGH Erkenntnis 2008/09/18 D3 265532-0/2008

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Veröffentlicht am 18.09.2008
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Spruch

D3 265532-0/2008/28E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. Clemens Kuzminski als Vorsitzenden und die Richterin Mag. Ulrike Scherz als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin Mag. Eva Pfleger über die Beschwerde des A.I., geb. 00.00.1976, StA. Russische Föderation (Tschetschenien), gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 12.10.2005, GZ. 05 10.509-BAG, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde wird stattgegeben und A.I. gemäß § 7 AsylG idF BGBI I 2003/101 Asyl gewährt. Gemäß § 12 leg.cit. wird festgestellt, dass A.I. damit Kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:

 

Der Beschwerdeführer, ein Staatsbürger der Russischen Föderation und Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe, gelangte am 16.07.2005 unter Umgehung der Grenzkontrolle von der Slowakei aus nach Österreich und stellte noch am selben Tag einen Asylantrag. Am 20.07.2005 erfolgte in der Erstaufnahmestelle Ost in Traiskirchen die erste Einvernahme des Asylwerbers:

 

Frage: Wann und wie haben Sie Ihr Heimatland verlassen bzw. wie kamen Sie nach Österreich? A: Ich habe mit der Familie meines Bruders Grosny Anfang Februar 2005 verlassen. Ich bin mit meinem Bruder und dessen Familie nach Nazran in Inguschetien gereist, wo wir bis Anfang Juli, ich glaube bis 4. Juli, blieben und dann illegal in die Ukraine reisten. Die Städte weiß ich nicht. Wir reisten darauf illegal, zu Fuß und durch Wälder in der Slowakei ein. Nach dem wir durch Grenzsoldaten aufgegriffen wurden, wurden uns die Fingerabdrücke und Blut abgenommen. Wir waren im Lager A.. Sie waren sehr grob zu uns. Wir von Regen durchnässt. Sie haben sich benommen wie die Russen, sie sind noch nicht europareif. Sie haben uns mit Haft gedroht, falls wir Papiere nicht unterschreiben. Wir gingen durch die Wälder und sind am 16.07.05 illegal in Österreich eingereist.

 

Frage: Sind Sie legal mit eigenem RP ausgereist?

 

Antwort: Nein. Ich habe keine Dokumente.

 

Frage: Haben Sie im Bereich der EU, in Norwegen oder in Island Verwandte, zu denen ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis bzw. eine besonders enge Beziehung besteht?

 

Antwort: Nein. Die Schwester meiner Schwägerin ist in Österreich.

 

Frage: Wurden Sie jemals von Behörden in Ihrem Heimatland erkennungsdienstlich behandelt?

 

Antwort: Nein.

 

Frage: Sind Sie vorbestraft?

 

Antwort: Nein.

 

Frage: Ist gegen Sie ein Gerichtsverfahren anhängig?

 

Antwort: Nein.

 

Frage: Waren Sie jemals im Gefängnis?

 

Antwort: Nein.

 

Frage: Gehörten Sie jemals einer politischen Partei an?

 

Antwort: Nein.

 

Frage: Gehörten Sie jemals einer bewaffneten Gruppierung an?

 

Antwort: Nein.

 

Frage: Nennen Sie uns bitte alle Gründe warum Sie Ihr Heimatland verlassen haben!

 

Sie werden nochmals darauf hingewiesen, dass es wichtig ist, die Wahrheit zu sagen, nichts zu verschweigen und alle Beweismittel wie z. B. schriftliche Dokumente, Fotografien und Ähnliches vorzulegen.

 

Antwort: Ich wurde mehrmals, nach jedem Vorfall oder Anschlag festgenommen. Ich wurde gefoltert. Ich habe am ganzen Körper Narben. Das letzte Mal haben Sie uns im Jänner mitgenommen. Sie haben mich gefoltert, indem sie eine Folie anzündeten, und diese auf meine Haut tropfen ließen. An der Schläfe habe ich auch eine Narbe. Wir, ich und mein Bruder, wurden verhört und dabei misshandelt. Sie haben mich beschuldigt, Terrorist zu sein. Ich sagte, ich bin kein Terrorist, sondern einfacher Bauarbeiter. Sie sagte, ihr Tschetschenen seid alle Terroristen. Sie wollen das Tschetschenische Volk vernichten. Sie haben uns einen Sack über den Kopf gezogen. Dann hat man mich in ein Fahrzeug gesetzt. Später habe ich gesehen, dass wir in einem Wald sind. Ich hörte einen Schuss. Ich habe nichts gesehen. Zuerst habe ich Kälte und dann Hitze empfunden, bevor ich bewusstlos wurde. Ein alter Mann aus unserer Gegend hat uns entdeckt. Ich war voll Blut und hatte ein Loch im Kopf. Wir sind dort fast erfroren. Nach diesem Vorfall haben wir uns entschlossen, Tschetschenien für immer zu verlassen. Wir haben Geld von den Verwandten gesammelt und das Haus verkauft.

 

Frage: Wollen Sie weitere Fluchtgründe angeben oder Ihr Vorbringen ergänzen?

 

Antwort: Nein.

 

Am 28.07.2005 erfolgte eine weitere Einvernahme auf der Erstaufnahmestelle Ost, welche allerdings nur die damals beabsichtigte Zurückweisung des Asylantrages und die Feststellung der Zuständigkeit der Slowakei zur Führung des Asylverfahrens zum Gegenstand hatte. Nachdem bei der ärztliche Untersuchung im Zulassungsverfahren eine deutliche Symptomatik einer posttraumatischen Belastungsstörung festgestellt wurde, wurde das Verfahren am 01.08.2005 zugelassen. Am 28.09.2005 wurde der Antragsteller durch das Bundesasylamt, Außenstelle Graz, wie folgt einvernommen:

 

F: Befinden Sie sich dzt. in ärztlicher Behandlung/Therapie oder nehmen Sie Medikamente?

 

A: Ich habe Gedächtnisprobleme. Ich habe auch etwas Probleme mit meiner Verdauung.

 

F: Sind Sie mit amtswegigen Erhebungen vor Ort unter Wahrung Ihrer Anonymität, eventuell unter Beiziehung der Österreichischen Botschaft und eines Vertrauensanwaltes einverstanden?

 

A: Ja.

 

Anmerkung: Zur Überprüfung der Sprachkenntnisse des AW werden dem AW Sätze in tschetschenischer Sprache zur Übersetzung ins Russische vorgelegt.

 

Die Sätze wurden einwandfrei übersetzt.

 

F: Halten Sie die vor dem Bundesasylamt am 20.07.2005 gemachten Angaben aufrecht?

 

A: Ich halte meine Angaben aufrecht.

 

F: Wo haben Sie bis zu Ihrer Flucht im Heimatland gelebt?

 

A: Ich habe bis zu meiner Ausreise ständig an meiner Wohnadresse in Grosny gelebt.

 

F: Wann haben Sie Ihren Wohnsitz endgültig verlassen und wie kamen Sie nach Österreich?

 

A: Ich habe meine Wohnadresse Anfang Jänner 2005 verlassen. Wir haben zusammen in einem Haus gelebt. Wir sind dann nach Inguschetien gegangen.

 

F: Wurden Sie bei Ihrer Ausreise an der Grenze kontrolliert?

 

A: Nein. Wir sind illegal über die Ukraine in die Slowakei eingereist.

 

F: Können Sie Dokumente als Beweis für Ihre Identität vorweisen?

 

A: Nein. In der Slowakei habe ich einen Ersatzpass zurückgelassen.

 

F: Haben Sie jemals einen Auslandsreisepass besessen oder beantragt?

 

A: Nein.

 

Mir wird zur Kenntnis gebracht, dass ich das Dokument im Falle der Wiedererlangung unverzüglich dem Asylamt vorzulegen habe.

 

F: Haben Sie Ihr Heimatland früher schon einmal verlassen?

 

A: Ich war in Russland mit meinem Bruder. Wir haben dort gearbeitet. Es war vor ca. 3 Jahren.

 

V: Ihr Bruder hat zuvor angegeben, Sie wären vor ca. 5 oder 6 Jahren dort gewesen.

 

A: Das kann auch sein. Ich kann das nicht genau angeben.

 

F: Haben Sie in ihrem Heimatland Probleme mit der Polizei oder anderen staatlichen Stellen?

 

A: Nein

 

F: Was genau und wie lange haben Sie zuletzt gearbeitet?

 

A: Ich habe keine fixe Arbeit gehabt. Ich habe als Bauarbeiter mein Geld verdient. Zum Leben hat es gereicht.

 

Wenn ich nun aufgefordert werde meine Flucht- und Asylgründe zu schildern, gebe ich an:

 

A: Kurz gesagt, ich möchte in Ruhe leben und in Ruhe arbeiten, einfach in Frieden leben.

 

F: Was passierte im Jänner 2005?

 

A: Ich habe das bereits bei der Ersteinvernahme angegeben.

 

F: Bitte schildern Sie den Vorfall noch einmal.

 

A: Wir wurden schon öfters angehalten und kontrolliert. Es ist einfach unangenehm ständig angehalten zu werden. Man macht sich über uns lustig. Man hat auf uns geschossen und ich konnte nichts sehen.

 

F: Was wollten diese maskierten Männer von Ihnen? Wer war noch mit Ihnen?

 

A: Sie wollten uns umbringen, was sollten sie sonst wollen.

 

V: Ihr Bruder gab an, man wollte Ihnen nur Angst machen. Sie stellen diese Situation völlig anders da.

 

A: Wie gesagt ich stehe unter Stress und habe vielleicht nicht alles richtig angegeben.

 

V: Sie führten an, Sie wären im Wald aufgewacht und hätten ein Loch im Kopf gehabt und hätten viel geblutet. Ihr Bruder gab an, Sie wären damals aber mit Gummigeschossen verletzt worden. Was sagen Sie dazu?

 

A: Sie machen diese Gummigeschosse so, dass sie mehr weh tun.

 

V: Also wollte man Sie nicht umbringen?

 

A: Ich weiß das nicht.

 

V: Auch wurde vom Radiologen keine derartige Verletzung (kein Hinweis auf ossären Defekt) diagnostiziert. Was sagen Sie dazu?

 

A: Das ist vielleicht ein Zufall. Manche Menschen haben starke Knochen.

 

V: Ihr Bruder gab am selben Tag (20.07.2005) der Ersteinvernahme an, Ihr Haus wäre im Jänner 2005 abgebrannt. Sie führten in der Ersteinvernahme an, Sie hätten das Haus verkauft!?

 

A: Nein, das habe ich nicht gesagt.

 

V: Dem AW wird die Aussage vom 20.07.2005 von der Dolmetscherin nochmals vorgelesen.

 

A: Ich bleibe dabei, ich habe das so nicht angegeben.

 

F: Was machte Ihren weiteren Verbleib im Land unmöglich?

 

A: Dort kann man nicht leben. Ich möchte in Ruhe arbeiten und ein ruhiges Leben führen.

 

F: Haben Sie jemals persönlich an Kampfhandlungen teilgenommen?

 

A: Nein

 

F: Haben Sie alle Fluchtgründe genannt?

 

A: Ja.

 

F: Warum gingen Sie nicht zur Polizei und zeigten den Vorfall an?

 

A: Nein, das ist sinnlos.

 

F: Leben Angehörige von Ihnen noch in Tschetschenien?

 

A: Nein.

 

F: Leben Angehörige von Ihnen in anderen Teilen der Russischen Föderation?

 

A: Nein.

 

F: Hätten Sie in einem anderen Teil des Heimatlandes leben können?

 

A: Nein, dort herrscht Chaos.

 

Anmerkung: Dem AW wird die Lage ethnischer Tschetschenen in der Russischen Föderation von der Dolmetscherin zu Kenntnis gebracht.

Der AW gibt dazu an:

 

A: Ich meine, Tschetschenien und Inguschetien ist instabil. In Russland gibt es Skinheads.

 

V Sie haben aber auch in Russland gearbeitet.

 

A: Ja das stimmt, aber jetzt kann man dort nicht mehr arbeiten. Die Tschetschenen, die bereits seit Jahren in Russland leben, leben gut.

 

F: Würde Ihnen im Falle der Rückkehr in Ihren Herkunftsstaat Verfolgung, unmenschliche Behandlung oder die Todesstrafe drohen?

 

A: Ich befürchte, dass ich dort nicht normal leben kann.

 

F: Können Sie Beweismittel für Ihr Vorbringen vorlegen?

 

A: Nein

 

Vorhalt!

 

Nach ihren Schilderungen sind Sie ein Betroffener der allgemeinen Situation in Ihrer Heimat. Sie sind wegen des Krieges/Bürgerkrieges geflüchtet. Eine individuelle Verfolgung Ihrer Person ist nicht ersichtlich.

 

A: Das nehme ich zur Kenntnis.

 

F: Können Sie Gründe vorbringen, die gegen eine Ausweisung aus Österreich sprechen?

 

A: Hier in Österreich ist die Schwester meiner Schwägerin und hier fühle ich mich sicher.

 

F: Haben Sie Verwandte in Österreich?

 

A: Wie gesagt, die Schwester meiner Schwägerin.

 

F: Haben Sie Angehörige in einem EU Staat?

 

A: Nein

 

F: Wie sieht Ihre Versorgung aus?

 

A: Derzeit erhalte ich Unterstützung vom Staat..

 

F: Hat es während der Einvernahme Verständigungsprobleme mit dem Dolmetsch gegeben?

 

A: Nein

 

F: Wollen Sie Ihren Angaben noch etwas hinzufügen, was noch nicht zur Sprache gekommen ist?

 

A: Ich habe meinen Angaben nichts hinzuzufügen.

 

Mit Bescheid des Bundesasylamtes, Außenstelle Graz, vom 12.10.2005, ZI 05 10.509-BAG, wurde unter Spruchteil I. der Asylantrag vom 16.07.2005 gemäß § 7 AsylG abgewiesen, unter Spruchteil II. die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Antragstellers nach Russland gemäß § 8 Abs. 1 AsylG ausgesprochen und unter Spruchteil III. gemäß § 8 Abs. 2 AsylG der Antragsteller aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Russland ausgewiesen.

 

In der Begründung des Bescheides wurden zunächst die beiden bereits vollinhaltlich wiedergegebenen Einvernahmen dargestellt und anschließend Feststellungen zu Tschetschenien und der Lage von Tschetschenen in anderen Landesteilen der Russischen Föderation getroffen und auch die Quellen hiefür angeführt. Beweiswürdigend wurde ausgeführt, dass es unterschiedliche Aussagen des Antragstellers zwischen der ersten und der zweiten Einvernahme gegeben hätte. Beispielsweise habe er zunächst ausgeführt, er wäre stark blutend mit einem Loch im Wald. aufgewacht, während er bei der zweiten Einvernahme davon gesprochen habe, dass ihm die Gummigeschoße weh getan hätten, nachdem bei einer medizinischen Untersuchung keine Knochenverletzung festgestellt worden sei, außerdem hätte es gewissen Differenzen zu den Aussagen seines Bruders gegeben. Rechtlich begründend zu Spruchteil I. wurde insbesondere ausgeführt, dass der bewaffnete Konflikt in Tschetschenien - abgesehen von vereinzelten terroristischen Anschlägen - regional auf das Gebiet der Republik Tschetschenien begrenzt sei und dass die GFK nicht dazu diene vor allgemeinen Unglücksfolgen zu bewahren, welche aus Krieg, Bürgerkrieg, Revolution oder sonstigen Unruhen hervorgingen. Eine aktuelle individuelle Verfolgung der Person des Antragstellers bzw. die Gefahr einer solchen bei Rückkehr habe nicht festgestellt werden können. Selbst wenn man bei Bewertung des Vorbringens zu dem Schluß kommen würde, dass dies asylrelevant sei, sei festzustellen, dass ihm die Möglichkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Russland aus der Republik Tschetschenien offen gestanden wäre.

 

Zu Spruchpunkt II. wurde nach Darlegung der bezughabenden Rechtslage und Judikatur ausgeführt, dass das Bestehen einer Gefährdungssituation im Sinne des § 57 Abs. 2 FrG bereits unter Spruchteil I. geprüft und verneint worden sei und dass der Antragsteller während des gesamten aslyrechtlichen Verfahrens keinerlei glaubhaft Indizien oder Anhaltspunkte aufgezeigt habe, welche die Annahme rechtfertigen könnten, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit Gefahr liefe, für den Fall einer Rückkehr in seine Heimat, einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden. Außerdem vertrete das Bundesasylamt die Auffassung, dass sich für den Antragsteller gegenwärtig kein Abschiebungshindernis in die Russische Föderation ergäbe, weil eine landesweite allgemeine extreme Gefährdungslage, in der der Antragsteller im Falle seiner Abschiebung dem sicheren Tod ausgeliefert wäre, nicht gegeben sei.

 

Zu Spruchteil III. wurde - ebenfalls nach Darlegung der bezughabenden Rechtslage und Judikatur - ausgeführt, dass kein Familienbezug (Kernfamilie) zu einem dauernd aufenthaltsberechtigten Fremden in Österreich vorliege, zumal auch sein Bruder und seine Schwägerin in einem Asylverfahren stünden und daher der Aufenthalt der Angehörigen sowie jener des Antragstellers nur ein vorübergehender sei und die Ausweisung daher keinen Eingriff in Art. 8 EMRK darstelle.

 

Gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller Berufung, und zwar gegen alle drei Spruchteile. Darin wurde insbesondere ausgeführt, dass er mehrmals von russischen Soldaten mitgenommen und über mehrere Tage festgehalten worden sei, wobei er im Zuge dieser Festhaltungen auch geschlagen und misshandelt worden sei. Zu dem Vorwurf der divergierenden Aussagen bezüglich des Hauses brachte er vor, dass es Tatsache sei, dass das Haus abgebrannt sei. Zur Finanzierung der Reise sei dann der Rest des Hauses bzw. der Grund, auf dem sich dieses befunden habe, verkauft worden. Für ihn ergebe sich ein Abschiebungshindernis in der Russischen Föderation, weil auf Grund der gegenwärtigen Lage in Tschetschenien davon auszugehen sei, dass er im Falle einer Rückkehr zumindest einer unmenschlichen Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre. Die Inanspruchnahme einer innerländischen Fluchtalternative und die Rückkehr in die Russische Föderation (außerhalb von Tschetschenien) sei derzeit nicht möglich, wobei er auch auf eine Dokumentation zur Situation in Tschetschenien, zusammengestellt vom Mitglied des UBAS Mag. Novak, verwies. Die russische Regierung übe in allen Landesteilen die uneingeschränkte Staatsgewalt aus und die Einschränkungen beim Erwerb einer gültigen Zuzugsgenehmigung gelten landesweit. Außerdem fehle es ihm an einer realistischen Existenzgrundlage in anderen Teilen der Russischen Föderation. Auch werde entgegen der Ansicht der erkennenden Behörde mit einer Ausweisung massiv in sein durch Art. 8 EMRK geschütztes Recht auf sein Privat- und Familienleben eingegriffen.

 

Mit Urteil des LG Leoben vom 00.00.2006, wurde er wegen schwerer Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten, davon 9 Monate bedingt auf drei Jahre verurteilt.

 

Die (damalige) Berufungsbehörde, der Unabhängige Bundesasylsenat, führte am 18.05.2006 einen "selbständigen Augenschein" durch. Dabei wurde durch Beiziehung einer selbst aus Tschetschenien stammenden Dolmetscherin sowie der länderkundlichen Sachverständigen Dr. L.L. erhoben, dass nach der genannten Sachverständigen keinerlei Zweifel daran bestehen, dass der Beschwerdeführer, wie von ihm angegeben, aus der Stadt G. in Tschetschenien stamme.

 

Weiters wurde ein (generelles) Gutachten der genannten Sachverständigen gemeinsam mit Herrn Univ. Prof. Dr. H.G. H. zur Situation von tschetschenischen Vertriebenen in Russland "in das Verfahren eingeführt".

 

Die bereits erwähnten länderkundlichen Sachverständigen erstatteten ein zweites Gutachten zur innerstaatlichen Fluchtalternative in Tschetschenien, worauf das Bundesasylamt replizierte und die Sachverständigen eine schriftliche Stellungnahme abgaben und die Berufungsbehörde eine "einseitige Anhörung" mit Vertretern des Bundesasylamtes am 07.09.2006, 08.09, 11.09. und 12.09. durchführte.

 

Mit "Erkenntnis" des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 12.10.2006, ZI 265.232/19-II/04/06, wurde der "Beschwerde" des A.I. vom 25.10.2005 gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 12.10.2005, ZI 0510.509-BAG, stattgegeben und A.I. gemäß § 7 AsylG Asyl gewährt sowie gemäß § 12 leg. cit. festgestellt, dass ihm Kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

 

Dieser Bescheid setzt sich vor allem mit den Einwendungen des Bundesasylamtes auseinander und gibt zusammenfassend einige Punkte des Sachverständigengutachtens wieder und kommt zu dem Schluss, dass eine zumutbare Zuflucht in einem anderen Teil Russlands dem Beschwerdeführer nicht zur Verfügung steht.

 

Gegen diesen Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates erhob der Bundesminister für Inneres Amtsbeschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. Mit Erkenntnis vom 26.06.2006, ZI 2006/20/0756, wurde der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit in Folge von Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. Begründend führte der Verwaltungsgerichtshof dazu aus, dass die bereits im Erkenntnis vom 19.12.2007, ZI 2006/20/0771, dargstellten gutächtlichen Äußerungen von einer asylrelevanten Verfolgung grundsätzlich alle Bewohner Tschetscheniens tschetschenischer Ethnie ausgehen, auf die vom Beschwerdeführer vorgebrachte individuelle Verfolgungsbehauptung jedoch nicht eingingen. Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits in dem zitierten Erkenntnis dargelegt habe, seien die gutächtlichen Äußerungen der Sachverständigen nicht nachvollziehbar, widersprüchlich und insgesamt nicht geeignet, die zusammenfassende Behauptung der Sachverständigen hinsichtlich der Verfolgungswahrscheinlichkeit eines beliebigen Tschetschenen zu tragen.

 

Der Asylgerichtshof hat wie folgt festgestellt und erwogen:

 

Zur Person des Beschwerdeführers wird festgestellt:

 

Er wurde am 00.00.1976 in G., tschetschenische Republik, russische Föderation, geboren und gehört der tschetschenischen Volksgruppe sowie der islamischen Religion an. Nach der Grundschule arbeitete er als Gelegenheitsarbeiter am Bau. Er wurde mehrfach unter dem Verdacht die tschetschenischen Widerstandskämpfer zu unterstützen von russischen Kräften festgenommen und gefoltert. Zuletzt wurde er im Jänner 2005 mitgenommen und gefoltert (zB. durch das Verbrennen einer Folie, bei der schmelzendes Material auf seine Haut getropft wurde, und durch Gummigeschosse, die zur Bewusstlosigkeit führten). Anschließend verließ der Beschwerdeführer gemeinsam mit seinem Bruder I. und dessen Familie Tschetschenien, reiste über Inguschetien und die Slowakei - unter Umgehung der Grenzkontrolle - am 16.07.2005 nach Österreich ein, wo er sogleich einen Asylantrag stellte. Er wurde in Österreich mit Urteil des LG Leoben vom 00.00.2006 zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten, davon 9 Monaten bedingt auf 3 Jahre bzw. 5 Jahre wegen §§ 83, 84 StGB sowie mit Urteil des BG Bregenz vom 00.00.2008 wegen § 223 StGB zu einer Geldstrafe von 100 Tagsätzen verurteilt.

 

Beweis wurde erhoben durch Einvernahme des Aslywerbers durch die Behörde erster Instanz am 20.07.2005, am 28.07.2005 und am 28.09.2005 sowie durch ärztliche Untersuchung im Zulassungsverfahren durch die Ärztin für psychosomatische Medizin Dr. I.R. am 27.07.2005, durch Abhaltung eines "selbständigen Augenscheines" sowie mehrerer "einseitiger Anhörungen" des Bundesasylamtes nach Einholung von Sachverständigengutachten durch die Berufungsbehörde.

 

Die Beweise werden wie folgt gewürdigt:

 

Die Herkunft des Beschwerdeführers aus Tschetschenien und die Zugehörigkeit zur tschetschenischen Volksgruppe, an der auch die Behörde erster Instanz (nachdem er problemlos einige Sätze in die tschetschenische Sprache übersetzt hatte) keine Zweifel hegte, ergibt sich aus dem "selbständigen Augenschein" der länderkundlichen Sachverständigen und insbesondere den Ausführungen der selbst aus Tschetschenien stammenden Tschetschenisch - Dolmetscherin, die nach den eigenen Erfahrungen des nunmehr zuständigen Richters als sehr kompetent und seriös zu bezeichnen ist.

 

Die Ausführungen des Antragstellers in der erstinstanzlichen Einvernahme sind hinreichend klar und konkret. Insoferne die erste Instanz einen Widerspruch in den Aussagen des Antragstellers über das Schicksal des Hauses der Familie gesehen hat, wurde dieser in der Berufung aufgeklärt. Im Übrigen muss zu den Differenzen hinsichtlich der Aussagen seines Bruders festgehalten werden, dass nach der allgemeinen Lebenserfahrung, gleiche Ereignisse von unterschiedlichen Personen oft unterschiedlich wahrgenommen und wiedergegeben werden (vgl. zB. UBAS vom 30.01.2008, 306.799-C1/12E-VIII/22/06). Es ist auch festzuhalten, dass der Beschwerdeführer immer durchgehend den gleichen Namen und die gleichen Personaldaten angegeben hat. Weiters stimmen die Ausführungen durchaus mit den Länderfeststellungen, aber insbesondere auch mit den Erfahrungen des zuständigen Richters der nunmehrigen Berufungsinstanz aus zahlreichen Berufungsverfahren betreffend Asylwerber tschetschenischer Ethnie überein. Die posttraumatische Belastungsstörung wurde bereits im Zuge des Zulassungsverfahrens durch die von der Behörde erster Instanz herangezogene ärztliche Sachverständige festgestellt.

 

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Berufungsinstanz von den Ausführungen des Antragstellers ausgeht und sie den personenbezogenen Sachverhaltsfeststellungen und damit der vorliegenden Entscheidung zu Grunde liegt. Die Feststellungen über die Verurteilungen des Beschwerdeführers ergeben sich aus dem Akteninhalt sowie einer jüngst eingeholten Strafregisterauskunft, wobei diese dem Beschwerdeführer nicht vorzuhalten war, zumal davon auszugehen ist, dass ihm die ihn betreffenden Verurteilungen bekannt sind.

 

Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

Gemäß § 75 AsylG 2005 BGBl. I Nr. 100/2005 sind alle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetztes 1997 zu Ende zu führen. § 44 AsylG 1997 gilt.

 

Gemäß § 75 Abs. 7 AsylG 2005 idgF sind am 1. Juli 2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren vom Asylgerichtshof nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen weiter zu führen

 

 

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3. Verfahren gegen abweisende Bescheide, die von nicht zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannten Mitgliedern des Unabhängigen Bundesasylsenates geführt wurden, sind nach Maßgabe der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes zuständigen Senat weiterzuführen.

 

Durch die Behebung des Bescheides des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 12.10.2006, ZI 265.232/19-II/04/06, mit Erkenntnis vom Verwaltungsgerichtshofes vom 26.06.2008, ZI 2006/20/0756, ist dieses Verfahren wiederum in das Stadium vor Erlassung des behobenen Berufungsbescheides zurückgetreten. Da das seinerzeit verfahrensführende Senatsmitglied nicht zum Richter des Asylgerichtshofes ernannt wurde und es sich um ein Verfahren gegen einen abweisenden Bescheid handelt, ist dieses nunmehr nach Maßgabe der ersten Geschäftsverteilung vom zuständigen Senat des Asylgerichtshofes weiter zu führen.

 

Da der gegenständliche Asylantrag am 16.07.2005 gestellt wurde, ist er nach der Rechtslage des Asylgesetzes 1997 idF BGBI I 2003/101 unter Beachtung der bezughabenden Übergangsbestimmungen zu führen.

 

Gemäß § 7 Asylgesetz 1997 hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art. 1, Abschnitt A, Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

 

Flüchtling i.S.d. AsylG 1997 ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

 

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffs ist die "begründete Furcht vor Verfolgung".

 

Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht, (zB VwGH vom 19.12.1995, 94/20/0858, VwGH vom 14.10.1998, 98/01/0262).

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger Rechtssprechung ausgeführt, dass als Fluchtgründe unter dem Gesichtspunkt der Schwere des Eingriffes nur solche Maßnahmen in Betracht kommen, die einen weiteren Verbleib im Heimatland aus objektiver Sicht unerträglich erscheinen lassen (VwGH vom 16.09.1992, 92/01/0544, VwGH vom 07.10.2003, 92/01/1015, 93/01/0929, u.a.).

 

Trotz der äußerst problematischen Situation von Angehörigen der tschetschenischen Volksgruppe, insbesondere in Tschetschenien, kann aus der Sicht des zuständigen Mitgliedes der Berufungsinstanz nicht von einer ganz pauschalen, generellen Verfolgung nur allein wegen der Zugehörigkeit zur tschetschenischen Ethnie ("Gruppenverfolgung") gesprochen werden, sondern ist weiterhin jeder konkrete Einzelfall umfassend an Hand der in der Genfer Flüchtlingskonvention taxativ aufgezählten Verfolgungsgründe zu prüfen (zum Beispiel UBAS vom 24.01.20007, Zahl: 254.119/0-VIII/22/04, UBAS vom 27.01.2007, Zahl:

256.753/5E-VIII/22/05 u.a., siehe auch das im Gegenstand ergangene Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26.06.2008, ZI 2006/20/0756 und das diesem zu Grunde liegende Erkenntnis vom 19.12.2007, ZI 2006/20/0771).

 

Zunächst ist in Anbetracht der von dem Berufungswerber begangenen Straftaten das Vorliegen eines Asylausschlussgrundes zu prüfen:

 

Im Erkenntnis vom 6.10.1999, Zl 99/01/0288, in welchem der mit §14 AsylG gleich lautende Asylausschlusstatbestand des §13 Abs. 2 die anzuwendende Norm war, führte der Verwaltungsgerichtshof aus:

 

"Wie sich im Fall Ahmed vor dem EGMR (vgl. dazu EGMR 17. Dezember 1996 Ahmed, 71/1995/577/663) gezeigt hatte, war die Konkretisierung des Begriffs "besonders schweres Verbrechen" nach abstrakten Deliktstypen nicht dazu geeignet, den Unwert einer Tat im Einzelfall (insbesondere unter Berücksichtigung von Erschwernis- und Milderungsgründen) zu erfassen und führte in Einzelfällen aus völkerrechtlicher Sicht zu bedenklichen Ergebnissen. Mit der seit 1. Jänner 1998 geltenden Rechtslage wurde von einer Konkretisierung des Begriffs "besonders schweres Verbrechen" überhaupt abgesehen und nur die - aus dem Völkerrecht stammenden - Wendungen "aus gewichtigen Gründen eine Gefahr für die Sicherheit" der Republik darstellen oder die .... "wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt" worden sind und wegen dieses strafbaren Verhaltens "eine Gefahr für die Gemeinschaft" bedeuten, übernommen (vgl. § 13 Abs. 2 AsylG 1997 und § 57 Abs. 4 FrG 1997, die wörtlich an Art. 33 Z. 2 GFK anknüpfen).

 

Aus dem eindeutigen Wortlaut des § 13 Abs. 2 AsylG ergibt sich einerseits, dass der Gesetzgeber nunmehr bereits für das Asylverfahren jene Überprüfungskriterien eingeführt hat, welche nach dem in Art. 33 GFK enthaltenen "Verbot der Ausweisung oder der Zurückweisung" aus der Sicht der GFK erst im Verfahren zur Außerlandesbringung zu beurteilen wären.

 

Andererseits schloss er sich damit der völkerrechtlichen Bedeutung dieser Wortfolgen an. Es besteht auch für den Verwaltungsgerichtshof kein Grund, zwischen der Bedeutung dieser Begriffe im AsylG und im FrG 1997 zu differenzieren.

 

Gemäß Art. 33 Z 2 GFK müssen nach internationaler Literatur und Judikatur kumulativ 4 Voraussetzungen erfüllt sein, damit ein Flüchtling trotz drohender Verfolgung in den Heimat- oder Herkunftsstaat verbracht werden darf:

 

Er muss erstens ein besonders schweres Verbrechen verübt haben, dafür zweitens rechtskräftig verurteilt worden sein, drittens gemeingefährlich sein und viertens müssen die öffentlichen Interessen an der Rückschiebung die Interessen des Flüchtlings am Weiterbestehen des Schutzes durch den Zufluchtsstaat überwiegen (vgl. mit zahlreichen Hinweisen auf internationale Literatur und Judikatur Kälin, Grundriss des Asylverfahrens, 1990, S 227ff, sowie VwGH v. 6.10.1999, Zl: 99/01/0288)."

 

Zur nunmehr anzunehmenden Bedeutung des Begriffs "besonders schweres Verbrechen" verwies der Verwaltungsgerichtshof in diesem Erkenntnis auf eine im Jahr 1980 vom UNHCR im Zusammenhang mit Art. 1 Abschnitt F lit. b FlKonv vorgeschlagene Kategorisierung von Straftaten (vgl. näher goodwin-Gill, The Refugee In International Law² (1996, Nachdruck 1998) 107 f), auf die Kälin (a.a.O., 228), auch im Zusammenhang mit Art. 33 Abs. 2 FlKonv Bezug genommen hatte "typischerweise schwere Verbrechen" seien danach - in einer, wie hinzuzufügen ist, teilweise recht ungenauen Übersetzung - "etwa Tötungsdelikte, Vergewaltigung, Kindesmisshandlung, Brandstiftung, Drogenhandel, bewaffneter Raub" und dergleichen (vgl. Kälin, a.a.O., und die - insoweit aber wie in Rz 449 auf Art. 1 Abschnitt F lit. b FlKonv und die Literatur dazu bezogene - Formulierung bei Rohrböck, a. a.O., Rz 455). Es müsse sich um Straften handeln, die objektiv besonders wichtige Rechtsgüter verletzen.

 

In seinem Erkenntnis vom 03. Dezember 2002, Zahl: 99/01/0449, führt der Verwaltungsgerichtshof illustrativ an, dass in Deutschland für die Qualifikation einer rechtskräftigen Verurteilung wegen eines besonders schweren Verbrechens das Erfordernis einer rechtskräftigen Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens 3 Jahren normiert wurde und diese Grenze wegen der "vergleichbaren Traditionen in der Strafrechtspflege" auch auf Österreich übertragbar sei.

 

Im Erkenntnis vom. 6.10.1999, Zl: 99/01/0288, führte der Verwaltungsgerichtshof aus: "Es genügt sohin nicht, dass ein Asylwerber bzw. ein anerkannter Flüchtling ein abstrakt als schwer einzustufendes Delikt verübt hat. Die Tat, bzw. Taten müssen im konkreten Einzelfall als objektiv und subjektiv besonders schwer wiegend erweisen, wobei Milderungsgründe, Schuldausschließungsgründe und Rechtfertigungsgründe zu berücksichtigen sind. Nur gemeingefährliche Straftäter dürfen in den Heimat- oder

 

Herkunftsstaat verbracht werden. Besteht für das zukünftige Verhalten des Täters eine günstige Prognose, darf § 13 Abs. 2 AsylG iSd Art. 33 Abs. 2 GFK nicht angewendet werden."

 

Im konkreten Fall ist festzuhalten, dass die von dem Berufungswerber begangenen Straftaten schon von der Art des begangenen Delikte, aber auch der verhängten Strafen unter der von dem Verwaltungsgerichtshof sehr hoch angesetzten Schwelle des Asylausschlussgrundes liegen und weiters ist festzuhalten, dass die schwerwiegendere Verurteilung von einem Raufhandel in einer Asylwerberunterkunft unter Asylwerbern verschiedener Nationalität und Religion stammt und auch der Verwaltungsgerichtshof den Umstand der Verurteilung nicht thematisiert hat.

 

Es ist daher im Sinne des oben zitierten in dem vorliegenden Fall ergangenen Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes die vorgebrachte individuelle Verfolgungsbehauptung zu prüfen und einer Beurteilung zu unterziehen:

 

Der Beschwerdeführer hat glaubwürdig vorgebracht, dass ihm mehrfach von russischen Behörden die Unterstützung tschetschenischer Rebellen vorgeworfen bzw. unterstellt wurde und er deswegen mehrfach angehalten und gravierend misshandelt wurde.

 

Wenn auch dem Bundesasylamt insofern zuzustimmen ist, dass kurzfristige Anhaltungen und Befragungen (zum Beispiel um Namen von aktiven Widerstandskämpfern zu erfahren), nicht für sich allein als asylrelevante Verfolgungsmaßnahmen angesehen werden können, so ist doch festzuhalten, dass diese in Tschetschenien häufig von intensiven Misshandlungen, die von der Intensität her die Schwelle einer asylrelevanten Verfolgungshandlung ohne weiteres erreichen, begleitet werden und diese Eingriffe auch aus in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Verfolgungsgründen, nämlich wegen der Zugehörigkeit zur tschetschenischen Volksgruppe (und allenfalls auch einer zumindest unterstellten "russlandfeindlichen politischen Gesinnung"), erfolgen. Während von tschetschenischer Seite die Unterstützung von bewaffneten tschetschenischen Kämpfern quasi als "patriotische Pflicht" angesehen wird, wird ein derartiges Verhalten von russischer Seite häufig schon als Unterstützung von Terroristen gewertet (siehe auch UBAS vom 16.01.2007, 256.724/0-VIII/22/05, UBAS vom 24.01.2007, ZI 254.119/0-VIII/22/04 ua.).

 

Die dem Berufungswerber drohende Verfolgung steht durchaus mit den taxativ in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Verfolgungsgründen in Bezug, nämlich dem Tatbestand der - im vorliegenden Fall, wenn auch nur unterstellten - staats- bzw. russlandfeindlichen politischen Gesinnung, wobei nach ständiger Rechtssprechung des Verwaltungsgerichtshofes selbst eine unterstellte politische Gesinnung für die Erfüllung dieses Tatbestandsmerkmales ausreichend ist (zum Beispiel VwGH vom 18. Juli 2002, 200/20/108, VwGH vom 31. Jänner 2002, 9/20/0531, VwGH vom 21. August 2001, 2000/01/0087 und viele andere mehr).

 

Verfolgungshandlungen, die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (vgl. dazu VwGH v. 09.03.1999, ZI. 98/01/0318). Derartige Eingriffe in die zu schützende persönliche Sphäre von durchaus asylrelevanter Intensität sind bei dem Beschwerdeführer vor seiner Ausreise bereits erfolgt.

 

Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass - im Sinne des oben zitierten Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes - individuelle Gründe vorliegen, welche in Summe dafür sprechen, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Tschetschenien von Eingriffen von hoher Intensität in seine zu schützende persönliche Sphäre (Leben, Gesundheit, Freiheit) bedroht wäre, und zwar aus in seiner Person gelegenen Gründen, welche in Zusammenhang mit den in der GFK genannten Verfolgungsgründen (Nationalität, insbesondere aber auch politische Gesinnung) stehen.

 

Bei dem Beschwerdeführer sind keine Umstände dafür im Verfahren hervorgekommen, dass er über ein Netz von Verwandten und Freunden außerhalb der tschetschenischen Republik verfügen würde oder auch selbst dort länger gelebt hat (vielmehr ist die Dolmetscherin und die Sachverständige von einem Aufenthalt des Beschwerdeführers in Tschetschenien [bis zur Flucht]) ausgegangen. Er selbst führte an, dort wohl gearbeitet zu haben, aber jetzt als Tschetschene keine Arbeit mehr zu bekommen. Es liegen somit aus der Sicht der Berufungsinstanz keine hinreichenden Indizien für das Vorliegen einer inländischen Schutzalternative vor, wie dies im Übrigen von UNHCR bei Tschetschenien generell verneint wird (Joe Hegenauer, Tschetschenien Workshop von ACCORD am 18.10.2007).

 

Der Beschwerde war daher unter besonderer Berücksichtigung der individuellen Gründe Folge zu geben und dem Beschwerdeführer Asyl zu gewähren.

Schlagworte
Asylausschlussgrund, besonders schweres Verbrechen, soziale Verhältnisse, strafrechtliche Verurteilung, Volksgruppenzugehörigkeit
Zuletzt aktualisiert am
20.11.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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