TE AsylGH Erkenntnis 2008/09/18 S11 401474-1/2008

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Veröffentlicht am 18.09.2008
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Spruch

S11 401.474-1/2008/2E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Mag. Neumann als Einzelrichterin über die Beschwerde des mj. A.S., geb. 00.00.1991, StA. Kosovo, gesetzlich vertreten durch: Rechtsberater Mag. Edgar Mayer, p.A. 2514 Traiskirchen, Otto Glöckel Straße 22-24, Haus 17, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 21.08.2008, FZ. 08 06.485-EAST Ost, zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 5, 10 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005, als unbegründet abgewiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

1. Der Verfahrensgang vor der erstinstanzlichen Behörde ergibt sich aus dem erstinstanzlichen Verwaltungsakt. Der minderjährige, nunmehrige Beschwerdeführer reiste am 24.07.2008 illegal in Österreich ein und stellte am selben Tag gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Am 25.07.2008 fand vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes eine Erstbefragung sowie am 08.08.2008 eine Einvernahme vor dem Bundesasylamt in Gegenwart eines Rechtsberaters als gesetzlicher Vertreter gemäß § 16 Abs. 3 AsylG statt.

 

Am 30.07.2008 richtete das Bundesasylamt aufgrund eines EURODAC-Treffers vom 24.07.2008 an Ungarn ein Ersuchen um Wiederaufnahme des Beschwerdeführers gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (Dublin II-Verordnung), welches am selben Tag elektronisch über DubliNET übermittelt wurde.

 

Am 04.08.2008 bestätigten sowohl der minderjährige Beschwerdeführer als auch der Rechtsberater als sein gesetzlicher Vertreter, mit ihren Unterschriften den Erhalt der Mitteilung des Bundesasylamtes gemäß § 29 Abs. 3 Z 4 AsylG vom selben Tag, wonach beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen, da Konsultationen mit Ungarn seit dem 30.07.2008 geführt würden. Die Mitteilung über die Führung von Konsultationen wurde dem Beschwerdeführer sohin innerhalb der 20-Tagesfrist nach der Antragseinbringung, übermittelt.

 

Mit Schreiben vom 01.08.2008, eingelangt beim Bundesasylamt am 04.08.2008, stimmten die ungarischen Behörden der Übernahme des minderjährigen Beschwerdeführers zur Prüfung seines Asylantrags gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Dublin II-Verordnung zu, wobei sie auch bekanntgaben, dass der Beschwerdeführer am 07.07.2008 in Ungarn einen Asylantrag gestellt habe.

 

Der minderjährige Beschwerdeführer brachte im Beisein seines gesetzlichen Vertreters im Rahmen des erstinstanzlichen Verfahrens folgenden entscheidungsrelevanten Sachverhalt vor: Er sei am 05.07.2008 von G. (Kosovo) aus mit Hilfe eines Schleppers mit einem PKW illegal ohne Reisedokumente aus seinem Heimatland ausgereist. Nach ca. fünf bis sechs Stunden Fahrt und einem zweistündigen Fußmarsch durch einen Wald sei in einem kleinen Dorf das Fahrzeug gewechselt worden. Mit diesem sei er die ganze Nacht weitergeführt worden und am nächsten Tag, dem 06.07.2008, im Grenzgebiet von Serbien und Ungarn ausgestiegen und habe die Flucht zu Fuß fortgesetzt. Im Zuge dessen sei er von der ungarischen Polizei angehalten und festgenommen worden. Er sei in einer geschlossenen Anstalt untergebracht worden, wo es ständig Messerstechereien und Schlägereien gegeben habe. Dort habe er sich 15 Tage lang aufgehalten, bis er am 24.07.2008 von einer ungarischen Person in D. gesucht und von dieser nach Österreich gebracht worden sei. Er habe in Ungarn um Asyl angesucht, da er sonst von den ungarischen Behörden nach Serbien abgeschoben worden wäre. Nach Ungarn wolle er nicht zurück, da dort nur Chaos herrsche und er wie ein Erwachsener behandelt worden sei. Er sei 16 Tage in Bekeshaba (phonetisch) untergebracht gewesen. Am zweiten Tag habe er seine Tasche nicht mehr gefunden. Es seien mehrere Personen im Zimmer gewesen, die alle älter als er gewesen seien, geraucht und sich über ihn lustig gemacht hätten. Bei der Lagerleitung habe er sich nicht beschwert, da es keine Möglichkeit gegeben habe. Familiäre Beziehungen in Österreich oder gesundheitliche Probleme wurden von ihm nicht behauptet.

 

2. Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 21.08.2008, FZ. 08 06.485-EAST Ost den Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurück und sprach aus, dass für die Prüfung des gegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin II-Verordnung Ungarn zuständig sei. Gleichzeitig wurde der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Ungarn ausgewiesen und demzufolge gemäß § 10 Abs. 4 AsylG festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Ungarn zulässig sei.

 

Die Erstbehörde traf in diesem Bescheid Feststellungen zur Person des Asylwerbers, zur Begründung des Dublin-Tatbestandes, zum Privat- und Familienleben des Asylwerbers, zum ungarischen Asylverfahren, zur Refoulement Prüfung, der Schubhaftpraxis, zum Zugang zum Asylverfahren nach Rücküberstellung sowie zur Versorgung von Asylwerbern (einschließlich der medizinischen Versorgung) in Ungarn.

 

Beweiswürdigend wurde hervorgehoben, dass betreffend das Vorbringen, der Antragsteller sei in Ungarn nicht gut bzw. in einem Lager für Erwachsene untergebracht worden, auf die - aus unbedenklichen Quellen stammenden Länderfeststellungen zu Ungarn - verwiesen werde, denen zu entnehmen sei, dass Minderjährige in einem eigenen Lager untergebracht würden und soziale und medizinische Versorgung gegeben sei. Sein Vorbringen sei lediglich als subjektive Befürchtungen zu werten, die er nicht untermauern habe können.

 

3. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht durch den gesetzlichen Vertreter am 05.09.2008 Beschwerde erhoben. Darin wird im Wesentlichen behauptet, die erstinstanzliche Behörde habe dem Beschwerdeführer keine Möglichkeit zur Stellungnahme zu den Länderfeststellungen zu Ungarn eingeräumt und ihn daher in seinem Recht, gehört zu werden, verletzt. Ferner habe die Erstbehörde es unterlassen, das Vorbringen des Beschwerdeführers, es gebe in Ungarn keine altersadäquate Unterbringung im Asylverfahren, zu würdigen.

 

4. Die gegenständliche Beschwerde samt erstinstanzlichem Verwaltungsakt langte am 12.09.2008 beim Asylgerichtshof ein.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus dem vorliegenden Verwaltungsakt.

 

2. Rechtlich ergibt sich Folgendes:

 

Mit Datum 01.01.2006 ist das neue Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG idF BGBl. I Nr. 100/2005) und ist somit auf alle ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.

 

Am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren sind vom Asylgerichtshof nach Maßgabe des § 75 AsylG 2005 idF. BGBl. I Nr. 4/2008 weiterzuführen.

 

Gemäß § 23 AsylGHG sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10/1985, in den jeweilig geltenden Fassungen nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51/1991, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

2.1. Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 AsylG erledigter Asylantrag als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18.02.2003 zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Asylbehörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG ist die Zurückweisung eines Antrages nach Maßgabe der § 10 Abs. 3 und Abs. 4 AsylG mit einer Ausweisung zu verbinden.

 

Die Dublin II-Verordnung ist eine Verordnung des Gemeinschaftsrechts im Anwendungsbereich der 1. Säule der Europäischen Union (vgl. Art. 63 EGV), die Regelungen über die Zuständigkeit zur Prüfung von Asylanträgen von Drittstaatsangehörigen trifft. Sie gilt also nicht für mögliche Asylanträge von EU-Bürgern, ebenso wenig ist sie auf Personen anwendbar, denen bereits der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Das wesentliche Grundprinzip ist jenes, dass den Drittstaatsangehörigen in einem der Mitgliedstaaten das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Asylverfahren zukommt, jedoch nur ein Recht auf ein Verfahren in einem Mitgliedstaat, dessen Zuständigkeit sich primär nicht aufgrund des Wunsches des Asylwerbers, sondern aufgrund der in der Verordnung festgesetzten hierarchisch geordneten Zuständigkeitskriterien ergibt.

 

2.1.1. Es ist daher zunächst zu überprüfen, welcher Mitgliedstaat nach den hierarchisch aufgebauten (Art. 5 Abs 1 Dublin II-Verordnung) Kriterien der Art. 6 bis 12 beziehungsweise 14 und Art. 15 Dublin II-Verordnung, beziehungsweise dem Auffangtatbestand des Art. 13 Dublin II-Verordnung zur inhaltlichen Prüfung zuständig ist.

 

2.1.1.1. Im vorliegenden Fall ist dem Bundesasylamt dahingehend zuzustimmen, dass eine Zuständigkeit Ungarns gemäß Art. 16 Abs. 1 lit c Dublin II-Verordnung kraft vorangegangener erster Asylantragstellung in der Europäischen Union gemäß Art 13 Dublin II-Verordnung besteht. Der grundsätzlichen Zuständigkeit Ungarns wurde im Übrigen auch in der Beschwerde nicht entgegengetreten.

 

Die Zuständigkeitsprüfung nach Art. 6 bis 15 leg. cit. endet damit, dass der Erstantragsstaat kein Konsultationsverfahren mit einem anderen Mitgliedstaat einleitet. Damit fallen die Verpflichtungen des Art. 16 Abs. 1 leg. cit. auf den Erstantragstaat, im vorliegenden Fall also auf Ungarn.

 

Die Dublin II-Verordnung sieht bei Wiederaufnahmeersuchen (im Sinne von "take back") keine neuerliche Prüfung der zugrundeliegenden ersten Zuständigkeitsbestimmung vor (vgl. insbesondere die Formulierungen des Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 02. September 2003 (Durchführungsverordnung). Die beiden Verfahrensarten take charge und take back (Aufnahme und Wiederaufnahme) sind klar getrennt voneinander zu sehen. Sollte diese Trennung verlorengehen, wäre die der Dublin II-Verordnung zugrundeliegende Rechtssicherheit, eben dass der Beschwerdeführer im Rahmen eines Wiederaufnahmeverfahrens rasch und innerhalb kurzer Fristen in den schon feststehenden zuständigen Mitgliedstaat überstellt wird, gefährdet.

 

Lediglich der Vollständigkeit halber ist auszuführen, dass an der Zuständigkeit Ungarns auch die Minderjährigkeit des Beschwerdeführers nichts ändert, da nach Art. 6 Dublin II-VO bei einem unbegleiteten Minderjährigen jener Mitgliedstaat zuständig ist, in welchem der Minderjährige seinen Asylantrag gestellt hat. Dieser Staat ist zweifelsohne Ungarn. Gegenteiliges wird auch in der Beschwerde nicht behauptet.

 

Die erste Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der getroffenen Unzuständigkeitsentscheidung ist somit gegeben und - wie bereits erwähnt - im gesamten Verfahren auch nicht bestritten worden.

 

Ebenso steht unbestritten fest, dass ist im Asylverfahren des Beschwerdeführers noch keine Sachentscheidung in Ungarn gefallen ist.

 

2.1.1.2. Es sind auch aus der Aktenlage keine Hinweise ersichtlich, wonach die Führung der Konsultationen im gegenständlichen Fall derart fehlerhaft erfolgt wäre, sodass von Willkür im Rechtssinn zu sprechen wäre und die Zuständigkeitserklärung des zuständigen Mitgliedstaates wegen Verletzung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundsätze aus diesem Grund ausnahmsweise keinen Bestand haben könnte (Filzwieser, Subjektiver Rechtsschutz und Vollziehung der Dublin II-Verordnung - Gemeinschaftsrecht und Menschenrechte, migraLex, 1/2007, 22ff; vgl auch das Gebot der Transparenz im "Dublin-Verfahren", VwGH 23.11.2006, Zl. 2005/20/0444). Das Konsultationsverfahren erfolgte mängelfrei.

 

2.1.2. Das Bundesasylamt hat ferner von der Möglichkeit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-Verordnung keinen Gebrauch gemacht. Es war daher noch zu prüfen, ob von diesem Selbsteintrittsrecht im gegenständlichen Verfahren ausnahmsweise zur Vermeidung einer Verletzung der EMRK zwingend Gebrauch zu machen gewesen wäre.

 

Der VfGH hat mit Erkenntnis vom 17.06.2005, Zl. B 336/05-11 festgehalten, die Mitgliedstaaten hätten kraft Gemeinschaftsrecht nicht nachzuprüfen, ob ein anderer Mitgliedstaat generell sicher sei, da eine entsprechende normative Vergewisserung durch die Verabschiedung der Dublin II-Verordnung erfolgt sei, dabei aber gleichzeitig ebenso ausgeführt, dass eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung im Einzelfall gemeinschaftsrechtlich zulässig und bejahendenfalls das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-Verordnung zwingend geboten sei.

 

Die Judikatur des VwGH zu den Determinanten dieser Nachprüfung lehnt sich richtigerweise an die Rechtsprechung des EGMR an und lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben werden soll, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen. Wenn keine Gruppenverfolgung oder sonstige amtswegig zu berücksichtigende notorische Umstände grober Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten der EU in Bezug auf Art. 3 EMRK vorliegen (VwGH 27.09.2005, Zl. 2005/01/0313), bedarf es zur Glaubhaftmachung der genannten Bedrohung oder Gefährdung konkreter auf den betreffenden Fremden bezogener Umstände, die gerade in seinem Fall eine solche Bedrohung oder Gefährdung im Fall seiner Abschiebung als wahrscheinlich erscheinen lassen (VwGH 26.11.1999, Zl 96/21/0499, VwGH 09.05.2003, Zl. 98/18/0317; vgl auch VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059): "Davon abgesehen liegt es aber beim Asylwerber, besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vorzubringen und glaubhaft zu machen. Dazu wird es erforderlich sein, dass der Asylwerber ein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art. 3 EMRK, nach sich ziehen könnte, und er die Asylbehörden davon überzeugt, dass der behauptete Sachverhalt (zumindest) wahrscheinlich ist." (VwGH 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949).

 

Die Vorlage allgemeiner Berichte ersetzt dieses Erfordernis in der Regel nicht (vgl. VwGH 17.02.1998, Zl. 96/18/0379; EGMR Mamatkulov & Askarov v Türkei, Rs 46827, 46951/99, 71-77), eine geringe Anerkennungsquote, eine mögliche Festnahme im Falle einer Überstellung ebenso eine allfällige Unterschreitung des verfahrensrechtlichen Standards des Art. 13 EMRK sind für sich genommen nicht ausreichend, die Wahrscheinlichkeit einer hier relevanten Menschenrechtsverletzung darzutun. Relevant wäre dagegen etwa das Vertreten von mit der GFK unvertretbaren rechtlichen Sonderpositionen in einem Mitgliedstaat oder das Vorliegen einer massiv rechtswidrigen Verfahrensgestaltung im individuellen Fall, wenn der Asylantrag im zuständigen Mitgliedstaat bereits abgewiesen wurde (Art. 16 Abs. 1 lit. e Dublin II-Verordnung). Eine ausdrückliche Übernahmeerklärung des anderen Mitgliedstaates hat in die Abwägung einzufließen (VwGH 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582, VwGH 31.05.2005, Zl. 2005/20/0025, VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/19/0673), ebenso andere Zusicherungen der europäischen Partnerstaaten Österreichs (zur Bedeutung solcher Sachverhalte Filzwieser/ Liebminger, Dublin II-Verordnung, K13. zu Art 19 Dublin II-Verordnung).

 

Weiterhin hatte der Asylgerichtshof folgende Umstände zu berücksichtigen:

 

Bei entsprechender Häufung von Fällen, in denen in Folge Ausübung des Selbsteintrittsrechts die gemeinschaftsrechtliche Zuständigkeit nicht effektuiert werden kann, kann eine Gefährdung des "effet utile" Grundsatzes des Gemeinschaftsrechts entstehen.

 

Zur effektiven Umsetzung des Gemeinschaftsrechts sind alle staatlichen Organe kraft Gemeinschaftsrechts verpflichtet.

 

Der Verordnungsgeber der Dublin II-Verordnung, offenbar im Glauben, dass sich alle Mitgliedstaaten untereinander als "sicher" ansehen können, wodurch auch eine Überstellung vom einen in den anderen Mitgliedstaat keine realen Risken von Menschenrechtsverletzungen bewirken könnte (vgl. insbesondere den 2. Erwägungsgrund der Präambel der Dublin II-Verordnung), hat keine eindeutigen verfahrens- oder materiellrechtlichen Vorgaben für solche Fälle getroffen hat, diesbezüglich lässt sich aber aus dem Gebot der menschenrechtskonformen Auslegung des Gemeinschaftsrechts und aus Beachtung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundrechte ableiten, dass bei ausnahmsweiser Verletzung der EMRK bei Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat eine Überstellung nicht stattfinden darf. Die Beachtung des Effizienzgebots (das etwa eine pauschale Anwendung des Selbsteintrittsrechts oder eine innerstaatliche Verfahrensgestaltung, die Verfahren nach der Dublin II-Verordnung umfangreicher gestaltet als materielle Verfahren verbietet) und die Einhaltung der Gebote der EMRK stehen daher bei richtiger Anwendung nicht in Widerspruch (Filzwieser, migraLex, 1/2007, 18ff, Filzwieser/Liebminger, Dublin II-Verordnung, K8-K13. zu Art. 19).

 

Die allfällige Rechtswidrigkeit von Gemeinschaftsrecht kann nur von den zuständigen gemeinschaftsrechtlichen Organen, nicht aber von Organen der Mitgliedstaaten rechtsgültig festgestellt werden. Der EGMR hat festgestellt, dass der Rechtsschutz des Gemeinschafts-rechts regelmäßig den Anforderungen der EMRK entspricht (30.06.2005, Bosphorus Airlines v Irland, Rs 45036/98).

 

Es bedarf sohin europarechtlich eines im besonderen Maße substantiierten Vorbringens und des Vorliegens besonderer vom Antragsteller bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, um die grundsätzliche europarechtlich gebotene Annahme der "Sicherheit" der Partnerstaaten der Europäischen Union als einer Gemeinschaft des Rechts im individuellen Fall erschüttern zu können. Diesem Grundsatz entspricht auch die durch das AsylG 2005 eingeführte gesetzliche Klarstellung des § 5 Abs. 3 AsylG, die Elemente einer Beweislastumkehr enthält. Es trifft zwar ohne Zweifel zu, dass Asylwerber in ihrer besonderen Situation häufig keine Möglichkeit haben, Beweismittel vorzulegen (wobei dem durch das Institut des Rechtsberaters begegnet werden kann), und dies mitzubeachten ist (VwGH, 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949), dies kann aber nicht pauschal dazu führen, die vom Gesetzgeber - im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht - vorgenommene Wertung des § 5 Abs. 3 AsylG überhaupt für unbeachtlich zu erklären (dementsprechend in ihrer Undifferenziertheit verfehlt, Feßl/Holzschuster, AsylG 2005, 225ff). Eine Rechtsprechung, die in Bezug auf Mitgliedstaaten der EU faktisch höhere Anforderungen entwickelte, als jene des EGMR in Bezug auf Drittstaaten wäre jedenfalls gemeinschaftsrechtswidrig.

 

2.1.2.1. Mögliche Verletzung des Art. 8 EMRK

 

Es leben keine Familienangehörigen des Beschwerdeführers in Österreich. Die diesbezüglichen Ausführungen der Erstbehörde treffen zu, und sind in der Beschwerde auch nicht bestritten worden. Es liegen auch sonst keine Hinweise auf eine bereits erfolgte außergewöhnliche Integration in Österreich, etwa aufgrund sehr langer Verfahrensdauer, vor (vgl. VfGH 26.02.2007, Zl 1802, 1803/06-11).

 

2.1.2.2. Kritik am ungarischen Asylverfahren

 

Die aktuellen bzw. in Ermangelung relevanter Änderungen der allgemeinen Lage als aktuell anzusehende Beweismittel und Quellen, auf welchen die erstinstanzlichen Feststellungen zu Ungarn beruhen, werden diesem Erkenntnis zugrunde gelegt.

 

In diesem Zusammenhang ist zum Vorbringen in der Beschwerde, der Beschwerdeführer sei in seinem Recht gehört zu werden, verletzt worden, da ihm keine Möglichkeit zur Stellungnahme zu den erstinstanzlichen Länderfeststellungen zu Ungarn eingeräumt worden sei, ist Folgendes auszuführen:

 

Soweit im erstinstanzlichen Verfahren das Parteiengehör verletzt wurde, indem dem Beschwerdeführer die nicht notorischen Teile der Feststellungen zur allgemeinen Lage im Mitgliedsstaat, welche das Bundesasylamt als erwiesen annimmt, nicht zur Kenntnis gebracht wurden, wird angeführt, dass der Beschwerdeführer bzw. der Rechtsberater als sein gesetzlicher Vertreter die Gelegenheit hatten, zum Ergebnis des Ermittlungsverfahrens in der Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Bescheid Stellung zu nehmen; dies jedoch unterlassen haben. Im gegenständlichen Fall stand es dem Beschwerdeführer aufgrund der durch die Verletzung des Parteiengehörs hervorgerufene Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens im Beschwerdeverfahren weiters frei, zulässigerweise einen neuen Sachverhalt vorzubringen, was er bzw. sein gesetzlicher Vertreter ebenfalls unterlassen haben.

 

Aufgrund der hier vorliegenden Sach- und Rechtslage ist daher davon auszugehen, dass die Verletzung des Parteiengehörs durch die Möglichkeit der Einbringung der Beschwerde in diesem konkreten Fall als saniert anzusehen ist (vgl. VwGH vom 11.09.2003, Zl. 99/07/0062; VwGH vom 27.02.2003, Zl. 2000/18/0040 und VwGH vom 26.02.2002, Zl. 98/21/0299). Der Beschwerdeführer hat in seiner Beschwerde weder zu den erstinstanzlichen Länderfeststellungen zu Ungarn Stellung genommen - trotz einer zweiwöchigen Beschwerdefrist - noch einen neuen Sachverhalt dargetan und geht daher dieses Beschwerdevorbringen ins Leere.

 

Ferner wären im vorliegenden Zusammenhang schon bei einer Grobprüfung erkennbare grundsätzliche schwerwiegende Defizite im Asylverfahren des zuständigen Mitgliedstaates (also etwa:

grundsätzliche Ablehnung aller Asylanträge oder solcher bestimmter Staatsangehöriger oder Angehöriger bestimmter Ethnien; kein Schutz vor Verfolgung "Dritter", kein Rechtsmittelverfahren) relevant. Solche Mängel (die bei einem Mitgliedstaat der Europäischen Union nicht vorausgesetzt werden können, sondern zunächst einmal mit einer aktuellen individualisierten Darlegung des Antragstellers plausibel zu machen sind, dies im Sinne der Regelung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005) sind schon auf Basis der erstinstanzlichen Feststellungen nicht erkennbar und auch in der Beschwerde nicht substantiiert vorgebracht worden.

 

Im konkreten Fall läuft das Vorbringen des Beschwerdeführers darauf hinaus, dass ohne jegliche konkrete Belege (die im Lichte des § 5 Abs 3 AsylG und der zum Zeitpunkt des EU-Beitrittes erfolgten normativen Vergewisserung über die "Sicherheit" der neu beitretenden Mitgliedstaaten - wenn sie nicht notorisch sind - aber vom Asylwerber vorzulegen sind und diesfalls nicht eine explorative Erhebungsverpflichtung der Asylbehörden im Sinn eines Erkundungsbeweises besteht) aus der aktuellen Asylpraxis in Ungarn vorweisen zu können, ausgeführt wurde, dass er in Ungarn als Minderjähriger nicht altersadäquat untergebracht worden sei, sondern gemeinsam mit Erwachsenen und auch wie ein Erwachsener behandelt worden sei. Dieses Vorbringen widerspricht allerdings den erstinstanzlichen Länderfeststellungen, denenzufolge für Minderjährige vor Ort spezielle Maßnahmen vorgesehen sind und seit Juli 2007 Minderjährige nicht mehr in Schubhaft genommen werden. Ferner werden unbegleitete Minderjährige in das Zentrum in Nagykaniza gebracht. Hierbei handelt es sich um ein offenes Zentrum mit Möglichkeit zum Schulbesuch und der Betreuung von Minderjährigen durch Sozialarbeiter. Dies entspricht den Europäischen Menschenrechtsstandards. Für den Fall, dass diese unterschritten werden würden - was in Bezug auf Ungarn nicht dem Amtswissen des Asylgerichtshofes entspricht - würden die gemeinschaftsrechtlich zuständigen europäischen Organe verpflichtet sein, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn einzuleiten, da diese so nicht Mitglied der EU, als auch einer dem Menschenrechtsschutz verpflichteten europäischen Wertegemeinschaft, sein dürfte. Für eine derartige Sichtweise bestehen aus Sicht des Asylgerichtshofes aber keine Anhaltspunkte.

 

Zum Beschwerdevorbringen, die erstinstanzliche Behörde habe es unterlassen, das Vorbringen, es gebe in Ungarn keine altersadäquate Unterbringung im Asylverfahren, zu würdigen, ist der Vollständigkeit halber auszuführen, dass dies nicht dem Akteninhalt des angefochtenen Bescheides entspricht. Das Bundesasylamt hat sich sehr wohl im Rahmen der Beweiswürdigung im angefochtenen Bescheid mit diesem Vorbringen auseinandergesetzt und kam - nach näherer Begründung - zu dem Schluss, dass dieses Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht, und es sich lediglich um subjektive Befürchtungen handeln würde (vgl. Seite 14 des angefochtenen Bescheides).

 

2.1.2.3. Medizinische Krankheitszustände; Behandlung in Ungarn

 

Im vorliegenden Fall wurde vom Beschwerdeführer keine schwere psychische Krankheit belegt oder behauptet, respektive die Notwendigkeit weitere Erhebungen seitens des Asylgerichtshofes. Aus der Aktenlage sind keine Hinweise auf einen aktuellen existenzbedrohenden Zustand ersichtlich.

 

Zusammengefasst stellt daher eine Überstellung des Beschwerdeführers nach Ungarn keinesfalls eine Verletzung der Art. 3 und 8 EMRK und somit auch keinen Anlass zur Ausübung des Selbsteintrittsrechtes Österreichs nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-Verordnung dar.

 

2.1.3. Spruchpunkt I der erstinstanzlichen Entscheidung war sohin bei Übernahme der Beweisergebnisse und rechtlichen Würdigung der Erstbehörde mit obiger näherer Begründung zu bestätigen.

 

2.2. Spruchpunkt II:

 

Die Erwägungen der Erstbehörde zu Spruchpunkt II waren vollinhaltlich zu übernehmen. Auch im Beschwerdeverfahren sind keine Hinweise hervorgekommen, die eine Aussetzung der Überstellung nach Ungarn in Vollzug der Ausweisung aus Österreich erforderlich erschienen ließen. Diese erweist sich daher bezogen auf den Entscheidungszeitpunkt als zulässig.

 

2.3. Gemäß § 41 Abs. 4 AsylG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden. Eine gesonderte Erwägung bezüglich einer allfälligen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung konnte angesichts des Spruchinhaltes entfallen.

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Ausweisung, Minderjährigkeit, real risk
Zuletzt aktualisiert am
14.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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