Index
41/02 Staatsbürgerschaft;Norm
SMG 1997 §35;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Mairinger und Dr. Köller als Richter, im Beisein des Schriftführers DDDr. Jahn, über die Beschwerde des R A in G, geboren am 10. Oktober 1960, vertreten durch Dr. Klaus Kocher, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Sackstraße 36, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 29. Februar 2000, Zl. 2- 11. A/346-99/10, betreffend Verleihung der Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
Das Land Steiermark hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid vom 29. Februar 2000 wies die belangte Behörde das Ansuchen des Beschwerdeführers vom 20. April 1999 um Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft "gemäß § 11a Z 4a des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 i.d.g.F. in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Z 6 und § 39 leg. cit." ab.
Dabei ging sie von folgendem - auszugsweise wiedergegebenen - Sachverhalt aus:
"Herr R A reiste im August 1991 erstmals illegal in das Bundesgebiet ein ... Am 11. August 1998 heiratete er vor dem Standesamt Wien/Donaustadt die österreichische Staatsbürgerin C A, geschiedene S, geschiedene St, geschiedene B. Seit dem 25. Februar 1999 ist er mit seiner Gattin und dem am 9. Dezember 1998 geborenen Kind R A in 8010 Graz, B-Gasse 5,
polizeilich gemeldet. ... In der Verwaltungsstrafkartei des
Antragstellers finden sich ... folgende Vormerkungen:
1993, § 42/1 KFG, ATS 800,--/1 Tag;
1993, § 16/1a StVO, ermahnt;
1993, § 102/1 KFG i.V.m. § 4/4 KDV, ATS 2.000,--/3 Tage;
1994, Verwaltungsübertretung, BH Klagenfurt;
1996, § 7 VStG i.V.m. § 64 Abs. 1 KFG, ATS 1.000,--/36 Std.;
1997, § 42 Abs. 1 KFG, ATS 1.000,--/36 Std.;
1997, § 82 Abs. 1 Z 3 Fremdengesetz ATS 800,--/24 Std.;
1998, Verwaltungsübertretung, BH Feldbach;
1998, § 20 Abs. 2 StVO, ATS 700,-/24 Std.
Darüber hinaus wurde von der Bundespolizeidirektion Graz mitgeteilt, dass gegen den nunmehrigen Staatsbürgerschaftswerber Erhebungen wegen strafbarer Handlungen nach dem Suchtmittelgesetz (Verdacht der organisierten Kriminalität) durchgeführt werden."
In der weiteren Bescheidbegründung ordnete die belangte Behörde den zitierten Bestimmungen - im Wesentlichen durch Wiedergabe des Gesetzestextes - folgende Verwaltungsübertretungen zu: Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit; Überholverbot-Überschreitung; Unterlassung der Mitteilung für die Zulassung bezughabender Umstände; Überlassung eines KFZ zur Lenkung durch einen Unbefugten; Inbetriebnahme eines KFZ mit verminderter Profiltiefe. Nach Meinung der belangten Behörde seien Fremde, die gegen der Sicherheit des Straßenverkehrs dienende Vorschriften verstoßen, dann von der Verleihung der Staatsbürgerschaft ausgeschlossen, wenn aus der Art, der Schwere oder der Häufigkeit dieser Verstöße die negative Einstellung gegenüber der Hintanhaltung von Gefahren für das Leben und die Gesundheit von Menschen sowie den (zur Aufrechterhaltung) der allgemeinen Sicherheit erlassenen Gesetzen in deutlicher Weise zum Ausdruck komme. Die Häufigkeit der für sich allein nicht als schwer anzusehenden Übertretungen erzwinge im konkreten Fall daher den Schluss, der Antragsteller unterliege einer latent bestehenden Wiederholungsgefahr. Es sei nicht klar zu erkennen, dass er in Zukunft solche oder andere Rechtsverletzungen unterlassen werde. Auch könne die von der Bundespolizei ergangene Mitteilung betreffend eingeleiteter Erhebungen gegen den Antragsteller wegen strafbarer Handlungen nach dem Suchtmittelgesetz (Verdacht der organisierten Kriminalität) nicht außer Acht gelassen werden. Die Ermittlungstätigkeit der Sicherheitsbehörde bedinge einen begründeten Verdacht der zur Last gelegten strafbaren Handlung.
Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Wegen der in der Beschwerde breiten Raum einnehmenden Ausführungen zur Ermessensübung durch die belangte Behörde sei der Beschwerdeführer vorweg darauf hingewiesen, dass folgende auf den konkreten Fall anzuwendenden Bestimmungen des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 keine Ermessensentscheidung zulassen:
"Verleihung
§ 10. (1) Die Staatsbürgerschaft kann einem Fremden verliehen werden, wenn ...
4. gegen ihn nicht wegen des Verdachtes einer mit Freiheitsstrafe bedrohten Vorsatztat oder eines mit Freiheitsstrafe bedrohten Finanzvergehens bei einem inländischen Gericht ein Strafverfahren anhängig ist;
...
6. er nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bietet, dass er zur Republik bejahend eingestellt ist und weder eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstellt noch andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte öffentliche Interessen gefährdet; ...
§ 11a. (1) Einem Fremden ist unter den Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z 2 bis 8 ... die Staatsbürgerschaft zu verleihen, wenn
1. sein Ehegatte Staatsbürger ist und im gemeinsamen Haushalt mit ihm lebt,
2. die Ehe weder von Tisch und Bett noch sonst ohne Auflösung des Ehebandes gerichtlich geschieden ist,
3. er nicht infolge der Entziehung der Staatsbürgerschaft nach § 33 Fremder ist und
4. a) die Ehe seit mindestens einem Jahr aufrecht ist und er seinen Hauptwohnsitz seit mindestens vier Jahren ununterbrochen im Gebiet der Republik hat oder bei einer Ehedauer von mindestens zwei Jahren ein solcher Wohnsitz seit mindestens drei Jahren besteht oder ..."
Aus § 11a Abs.1 StbG folgt, dass die Behörde bei Vorliegen der darin normierten Voraussetzungen verpflichtet ist, die Staatsbürgerschaft zu verleihen, ohne dass ihr hiebei ein Ermessen eingeräumt wäre (vgl. das Erkenntnis vom 25. Februar 1998, Zl. 96/01/0177). Ausschließlich strittig ist im Anlassfall, ob der Beschwerdeführer die Verleihungsvoraussetzung gemäß § 10 Abs. 1 Z 6 StbG erfüllt. Diese ist zwingend; bei der Beurteilung, ob sie vorliegt, ist der Behörde ebenfalls kein Ermessen eingeräumt (vgl. etwa das Erkenntnis vom 17. Dezember 1997, Zl. 96/01/1138). Somit ist allein die Frage zu klären, ob diese Voraussetzung gegeben ist.
Dabei ist vom Gesamtverhalten des Einbürgerungswerbers auszugehen, welches wesentlich durch das sich aus der Art, Schwere und Häufigkeit der von ihm begangenen Straftaten ergebende Charakterbild bestimmt ist. Hiebei stellt der Gesetzgeber nicht auf formelle Gesichtspunkte ab, sondern es ist lediglich maßgebend, ob es sich um Rechtsbrüche handelt, die den Schluss rechtfertigen, der Betreffende werde auch in Zukunft wesentliche, zum Schutz vor Gefahren für das Leben, die Gesundheit, die Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung erlassene Vorschriften missachten (vgl. etwa das Erkenntnis vom 29. Juni 2000, Zl. 99/01/0331).
Die belangte Behörde stützt ihre negative Prognose zunächst auf die sich ihrer Ansicht nach aus der Häufigkeit der vom Beschwerdeführer begangenen Verwaltungsübertretungen ergebende Schlussfolgerung, dieser unterliege einer latent bestehenden Wiederholungsgefahr, die bedinge, dass nicht klar zu erkennen sei, dass er in Zukunft solche oder andere Rechtsverletzungen unterlassen werde. Diese Einschätzung wird allerdings durch die von der belangten Behörde zur Unterstützung ihrer Rechtsmeinung herangezogenen Erkenntnisse, die mit einer Ausnahme mit den bei Mussger-Fessler, Österreichisches Staatsbürgerschaftsrecht5, Seite 59, zitierten identisch sind, nicht getragen. Allein wegen der Häufigkeit von Verstößen hat der Verwaltungsgerichtshof die Einbürgerungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG nur in zwei der genannten Fälle verneint; einmal lagen der negativen Prognose 75 Verwaltungsstraftaten des Einbürgerungswerbers in einem Zeitraum von fünf Jahren (Erkenntnis vom 28. Jänner 1981, Zl. 3759/80), ein anderes Mal innerhalb von sechs Jahren 13 verwaltungsstrafrechtlich zu ahndende Verstöße (Erkenntnis vom 4. März 1987, Slg. Nr. 12.412/A) zugrunde. Die übrigen zum Beleg ihrer Rechtsansicht zitierten Erkenntnisse setzen sich (auch) mit der Schwere von Verstößen und deren zeitlichem Zusammenhang zum Einbürgerungsantrag auseinander (vgl. das Erkenntnis vom 15. Juni 1988, Zl. 88/01/0016). Gemeinsam ist allen Erkenntnissen nur der in der Begründung des angefochtenen Bescheides enthaltene und bereits weiter oben wiedergegebene Rechtssatz.
Während sich die beiden nicht näher konkretisierten Verwaltungsübertretungen in den Jahren 1996 ("Verwaltungsübertretung, BH Klagenfurt") und 1998 ("Verwaltungsübertretung, BH Feldbach") mangels Kenntnis des zugrundeliegenden Sachverhaltes einer Beurteilung überhaupt entziehen, sind auch die Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung und das Kraftfahrgesetz nicht geeignet, die Grundlage für eine negative Prognose zu bilden. Weder zur Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit noch zur Missachtung eines Überholverbotes hat die belangte Behörde Umstände festgestellt, die diese Delikte als gravierend erscheinen lassen, wobei der zuletzt genannte Verstoß nur eine Ermahnung zur Folge hatte. Aber auch die einzelnen Übertretungen des Kraftfahrgesetzes sind nicht von solchem Gewicht, dass aus ihnen geschlossen werden könnte, der Beschwerdeführer biete keine Gewähr dafür, dass er zur Republik bejahend eingestellt ist und weder eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstellt noch andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte öffentliche Interessen gefährdet.
Den Verstoß gegen das Fremdengesetz zog die belangte Behörde für ihre Beurteilung nicht heran. Der Beschwerdeführer behauptete dazu im Verwaltungsverfahren unwidersprochen, sein Fremdenpass sei eingezogen worden, da die Eintragung der Behörde unkenntlich geworden sei. Dieser Sachverhalt kann mangels hinreichend relevanter Rechtsgutbeeinträchtigung bei der Beurteilung des Gesamtverhaltens des Beschwerdeführers unberücksichtigt bleiben.
Von Bedeutung für die Prognose ist auch die zeitliche Distanz zwischen den Verwaltungsübertretungen und der Bescheiderlassung, weil Taten grundsätzlich dann weniger Gewicht haben, wenn sie weiter zurückliegen (vgl. das Erkenntnis vom 7. September 2000, Zl. 2000/01/0117). Die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritt der Beschwerdeführer - einmalig - 1998, während die übrigen Delikte noch länger zurückliegen. Dass aber etwa eine kurz vor der Stellung des Einbürgerungsantrages begangene (schwere) Verwaltungsübertretung vorläge, kann weder dem angefochtenen Bescheid noch den Verwaltungsakten entnommen werden (vgl. das Erkenntnis vom 15. Juni 1988 Zl. 88/01/0016).
Rechtlich verfehlt lässt die belangte Behörde auch die Erhebungen wegen des Verdachtes strafbarer Handlungen gegen das Suchtmittelgesetz in ihre Beurteilung einfließen. Diese hat vom (festgestellten) Verhalten des Einbürgerungswerbers auszugehen (§ 10 Abs. 1 Z 6 StbG). Als Verleihungshindernis kommt ein Verdacht nur dann in Betracht, wenn deswegen bei einem inländischen Gericht ein Strafverfahren wegen einer mit Freiheitsstrafe bedrohten Vorsatztat oder eines mit Freiheitsstrafe bedrohten Finanzvergehens anhängig ist (§ 10 Abs. 1 Z 4 StbG). Die gerichtliche Anhängigkeit ist ab dem Zeitpunkt anzunehmen, in dem der Staatsanwalt den Antrag auf Einleitung der Voruntersuchung stellt (vgl. Thienel, Österreichische Staatsbürgerschaft II, Seite 172). Vorerhebungen begründen hingegen noch keine gerichtliche Anhängigkeit, selbst wenn sie von einem Gericht geführt werden (vgl. Thienel aaO). Umso weniger können polizeiliche Ermittlungen ein Substrat für Prognoseentscheidungen gemäß § 10 StbG darstellen, zumal nicht einmal bekannt ist, worauf sich der Verdacht konkret bezieht. Das Suchtmittelgesetz enthält eine Reihe unterschiedlicher Verbote und sieht etwa auch für den Besitz oder Erwerb einer geringen Menge Suchtmittel zum eigenen Gebrauch unter bestimmten Voraussetzungen und Bedingungen die vorläufige Zurücklegung einer Anzeige durch die Staatsanwaltschaft vor (§ 35 Suchtmittelgesetz). Für eine negative Prognose reichen polizeiliche Ermittlungen wegen des Verdachts einer nicht näher konkretisierten strafbaren Handlung somit nicht aus.
Der Beschwerdeführer lebt seit 1991 in Österreich, ist mit einer Österreicherin verheiratet und hat mit ihr ein mittlerweile zwei Jahre altes Kind. Vor dem Hintergrund dieser verhältnismäßig langen Aufenthaltsdauer und der - als minderschwer zu bewertenden -
Verwaltungsübertretungen findet die Ansicht der belangten Behörde, dass die Verleihungsvoraussetzung gemäß § 10 Abs. 1 Z 6 StbG nicht vorliege, in den Verwaltungsakten keine Deckung.
Aus den dargestellten Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Wien, am 4. April 2001
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:2000010135.X00Im RIS seit
07.06.2001Zuletzt aktualisiert am
02.08.2013